Bundesfinanzhof, Urteil vom 10.11.2021, Az. X R 13/20

10. Senat | REWIS RS 2021, 1236

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Gegenstand

(Im Wesentlichen inhaltsgleich mit BFH-Urteilen vom 27.10.2021 - X R 11/20 und X R 28/20: Sonderausgabenabzug von Vorsorgeaufwendungen bei grenzüberschreitender Betätigung innerhalb der EU)


Leitsatz

NV: Für die Frage, ob der Beschäftigungsstaat nach § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 2 Buchst. c EStG "keinerlei" steuerliche Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen im Rahmen der Besteuerung dort bezogener Einnahmen zulässt, sind die einzelnen Sparten der Vorsorgeaufwendungen getrennt zu beurteilen.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 15.01.2020 - 1 K 1692/19 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Der im Inland wohnhafte Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) wurde für das Streitjahr 2017 zur Einkommensteuer veranlagt. Er war im Streitjahr als Arbeitnehmer in [X.] beschäftigt und dort sozialversicherungspflichtig. Der Arbeitslohn unterlag in [X.] dem Lohnsteuereinbehalt.

2

Der Kläger zahlte Beiträge zur Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung. Nach den Feststellungen des Finanzgerichts ([X.]) handelt es sich bei der Pflegeversicherung ([X.]) um eine im Jahr 1999 eingeführte Pflichtversicherung. Sie ist Teil der dort obligatorischen Sozialversicherungen. Der Beitragssatz beträgt 1,4 % des Gesamteinkommens. Im Streitjahr entrichtete der Kläger hierzu Beiträge von 4.615,64 €. Nach luxemburgischem Einkommensteuerrecht sind zwar Beiträge zur Renten- und Krankenversicherung als Sonderausgaben abziehbar (Art. 110 Nr. 1 loi concernant l'impot sur le revenu --L.I.R.--), nicht aber solche zur Pflegeversicherung.

3

Den Arbeitslohn des [X.] stellte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --[X.]--) bei der Einkommensteuerfestsetzung für das Streitjahr nach Art. 14 Abs. 1 und Art. 22 Abs. 1 Buchst. d des Abkommens zwischen der [X.] und dem Großherzogtum [X.] zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und Verhinderung der Steuerhinterziehung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 23.04.2012 ([X.] 2014, 728, [X.], 21) --DBA [X.]-- im Umfang von 90,74 % (216 Arbeitstage) unter Progressionsvorbehalt steuerfrei; den verbleibenden Teil des Arbeitslohns behandelte das [X.] als im Inland steuerpflichtig. Die luxemburgischen Sozialversicherungsbeiträge erkannte es nur insoweit als Sonderausgaben an, als sie auf den im Inland steuerpflichtigen Anteil des Arbeitslohns von 9,26 % entfielen.

4

Der Kläger begehrte im Hinblick darauf, dass seine Beiträge zur Pflegeversicherung in [X.] steuerlich nicht berücksichtigt werden konnten, insoweit den vollen Sonderausgabenabzug im Inland. Nach erfolglosem Einspruch gab das [X.] der Klage statt (Entscheidungen der Finanzgerichte 2020, 1220). Bei der Prüfung der Ausnahme vom [X.] gemäß § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 2 Buchst. c des Einkommensteuergesetzes (EStG), dass der "[X.] keinerlei steuerliche Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen" zulasse, sei [X.] das [X.]-- auf die Beiträge zur jeweiligen [X.] abzustellen. Beiträge zur Pflegeversicherung seien in [X.] nicht als Sonderausgaben abziehbar, sodass der Wohnsitzstaat hierfür die steuerliche Entlastung zu gewähren habe.

5

Mit seiner Revision trägt das [X.] vor, die Anforderungen des § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 2 Buchst. c EStG seien nicht erfüllt, wenn zwar --wie im [X.] einzelne Sparten von Vorsorgeaufwendungen vom steuerlichen Abzug im [X.] ausgeschlossen seien, allerdings die gesamte persönliche und familiäre Situation des Steuerpflichtigen im [X.] "im Ganzen gebührend" berücksichtigt werde. Dies sei im Hinblick auf den Umfang des für den Kläger nach luxemburgischen Steuerrecht möglich gewesenen Sonderausgabenabzugs für Renten- und Krankenversicherungsbeiträge (12.022 €) gewährleistet gewesen.

6

Das [X.] beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Der Kläger hält den Ausschluss eines Sonderausgabenabzugs für Pflegeversicherungsbeiträge, die im Zusammenhang mit im Ausland der [X.] ([X.]) erzielten steuerfreien Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit stehen, für unionsrechtswidrig. § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 2 EStG setze die Vorgaben der Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] ([X.]) in dessen Entscheidungen [X.]/16 ([X.] [X.]) und C-385/00 ([X.] [X.]) nur unvollkommen um.

Entscheidungsgründe

II.

9

Die unbegründete Revision ist nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) zurückzuweisen.

Die Vorinstanz hat frei von [X.] entschieden, dass die vom Kläger entrichteten Beiträge zur [X.]n Pflegeversicherung in voller Höhe als Sonderausgaben abzuziehen sind. Es handelt sich um Aufwendungen i.S. von § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. b EStG (hierzu unten 1.). Das vorliegend zumindest anteilig einschlägige Abzugsverbot gemäß § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 1 EStG (unten 2.) findet nach Teilsatz 2 der Vorschrift keine Anwendung (unten 3.).

1. Die Beiträge des [X.] zur [X.]n Pflegeversicherung sind Sonderausgaben gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. b EStG. Es handelt sich um Aufwendungen zu einer nach den Feststellungen des [X.] verpflichtenden und damit gesetzlichen Pflegeversicherung. Da die Beiträge an einen Sozialversicherungsträger i.S. von § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. [X.] geleistet wurden, kommt es nicht darauf an, dass dieser im Ausland ansässig ist.

2. § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 1 EStG schließt den Abzug von Vorsorgeaufwendungen aus, wenn diese in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang mit steuerfreien Einnahmen stehen. Hierdurch soll ein doppelter steuerlicher Vorteil vermieden werden (statt vieler Senatsurteil vom 05.11.2019 - X R 23/17, [X.], 34, [X.], 763, Rz 15, m.w.N.).

Dieses Abzugsverbot ist im Streitfall grundsätzlich insoweit anwendbar, als die Aufwendungen dem Teil des Arbeitslohns des [X.] zuzuordnen sind, der nach Art. 14 Abs. 1 [X.] [X.] auf das [X.] Besteuerungsrecht entfällt und im Inland --wenn auch unter [X.] steuerfrei gestellt wurde (Art. 22 Abs. 1 Buchst. d [X.] [X.] i.V.m. § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG). Die [X.] zur [X.]n Pflegeversicherung orientiert sich nach den Feststellungen der Vorinstanz am Einkommen des Versicherten, sodass im Umfang von 90,74 % (216 Arbeitstage) der Aufwendungen von 4.615,64 € (= 4.188,23 €) ein unmittelbarer wirtschaftlicher Zusammenhang zu den steuerfreien Einnahmen besteht. Da dies zwischen den Beteiligten nicht streitig ist, sieht der Senat von weiteren Ausführungen ab (vgl. hierzu weitergehend Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- in [X.], 34, [X.], 763, Rz 15 f., sowie vom 13.04.2021 - I R 19/19, [X.], 1357, Rz 14 f., jeweils m.w.N.).

3. Allerdings findet hinsichtlich des vorgenannten Beitragsanteils die in § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 2 EStG geregelte Ausnahme vom Ausschluss des [X.]s Anwendung.

a) Nach dieser Vorschrift sind Vorsorgeaufwendungen ungeachtet des vorgenannten Abzugsverbots als Sonderausgaben zu berücksichtigen, soweit sie in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang mit in einem Mitgliedstaat der [X.] oder einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder in der [X.] erzielten Einnahmen aus nichtselbständiger Tätigkeit stehen (Buchst. a der Vorschrift), diese Einnahmen nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung im Inland steuerfrei sind (Buchst. b) und der [X.] keinerlei steuerliche Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen im Rahmen der Besteuerung dieser Einnahmen zulässt (Buchst. c). Diese als Reaktion auf das [X.]-Urteil [X.] vom 22.06.2017 - [X.]/16 ([X.]:[X.], [X.], 1271) durch das Gesetz zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im [X.] und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 11.12.2018 ([X.], 2338) eingefügte Ausnahme vom [X.] ist für alle zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes noch offenen Fälle und damit auch im Streitfall anwendbar (§ 52 Abs. 18 Satz 4 EStG).

b) Im Streitfall stehen Beiträge des [X.] zur [X.]n Pflegeversicherung in Höhe von 4.188,23 € in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang mit in [X.] --einem [X.]-Mitgliedstaat-- erzielten Einnahmen aus nichtselbständiger Tätigkeit. Diese Einnahmen sind zudem nach einem [X.] im Inland steuerfrei (s. oben).

c) Schließlich werden auch die Anforderungen des § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 2 Buchst. [X.] erfüllt. Ein steuerlicher Abzug von Beiträgen zur Pflegeversicherung ist in [X.] ausgeschlossen.

aa) § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 2 Buchst. [X.] setzt --wie oben ausgeführt-- voraus, dass der [X.] "keinerlei" steuerliche Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen im Rahmen der Besteuerung der dort erzielten Einnahmen zulässt. Vorsorgeaufwendungen in diesem Sinne sind nach der Klammerdefinition des Einleitungssatzes in § 10 Abs. 2 Satz 1 EStG Beiträge zur Altersvorsorge (Abs. 1 Nr. 2 der Vorschrift), zur Krankenversicherung (Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a) und gesetzlichen Pflegeversicherung (Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. b) sowie solche zu den in Abs. 1 Nr. 3a der Vorschrift aufgezählten Versicherungen.

bb) Die vom [X.] vertretene Auffassung, für die Beurteilung einer steuerlichen (Nicht-)Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen im [X.] sei isoliert auf die jeweilige [X.] abzustellen, lässt sich jedenfalls nicht klar aus dem Wortlaut des § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 2 Buchst. [X.] ableiten. Das Zahlwort "keinerlei" bezieht sich auf den im Plural verwendeten Begriff "Vorsorgeaufwendungen"; eine Differenzierung zwischen den einzelnen in § 10 EStG genannten Vorsorgeaufwendungen fehlt insoweit. Der Wortlaut der Norm könnte somit auch dahingehend gedeutet werden, dass ein [X.] nur dann entfallen soll, wenn der [X.] im Rahmen der Besteuerung der dort erzielten Einnahmen für keine der nach seinem nationalem Recht steuerlich anzuerkennenden Vorsorgeaufwendungen irgendeinen Abzug zulässt.

Letzteres wäre nach den Feststellungen des [X.] nicht der Fall. Denn das [X.] Einkommensteuerrecht gewährt für Beiträge zu Kranken- und Rentenversicherungen einen Sonderausgabenabzug (Art. 110 Nr. 1 [X.]). Lediglich eine steuerliche Berücksichtigung von Beiträgen zu einer Pflegeversicherung sieht das Gesetz nicht vor. Demnach bietet das dortige Recht zumindest für zwei der in § 10 Abs. 2 Satz 1 EStG legaldefinierten Arten von Vorsorgeaufwendungen eine steuerliche Entlastung.

cc) Die Gesetzesbegründung erhellt nicht weiter. Nach der --im Kern zutreffenden-- Vorstellung des Gesetzgebers ist § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 2 EStG Ausdruck des unionsrechtlichen Grundsatzes, dass es bei grenzüberschreitenden Tätigkeiten grundsätzlich Sache des Wohnsitzstaats ist, familien- und personenbezogene Abzüge zu gewähren, dies aber nicht gilt, wenn jener Staat entweder im Vertragswege von seiner Verpflichtung zur vollständigen Berücksichtigung der persönlichen und familiären Situation entbunden ist oder feststellt, dass der [X.] freiwillig mit von ihm besteuerten Einnahmen im Zusammenhang stehende Vergünstigungen bezogen auf die persönliche und familiäre Situation gewährt (vgl. BTDrucks 19/4455, S. 41 [dort letzter Absatz] mit Verweis auf Rz 71 des [X.]-Urteils [X.], [X.]:[X.], [X.], 1271). Ob der Gesetzgeber für das Merkmal "keinerlei Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen" eine versicherungsspartenspezifische Beurteilung oder aber eine --wie vom [X.] Gesamtbetrachtung sämtlicher Vorsorgeaufwendungen erwogen hat, lässt sich seiner Begründung weder in die eine noch in die andere Richtung entnehmen.

Unerwähnt lässt die Gesetzesbegründung hingegen, dass die Verpflichtung des Wohnsitzstaats, die persönliche und familiäre Situation des Steuerpflichtigen vollständig zu erfassen, nach Maßgabe des vorgenannten Grundsatzes nur dann entfällt, wenn zum einen gewährleistet ist, dass die gesamte persönliche und familiäre Situation im Ganzen gebührend berücksichtigt wird. Dies gilt unabhängig davon, wie die beteiligten [X.] diese Verpflichtung untereinander aufgeteilt haben. Andernfalls entstünde eine nicht mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit bzw. Niederlassungsfreiheit vereinbare Ungleichbehandlung, die sich nicht aus den Unterschieden zwischen den nationalen Steuervorschriften ergäbe ([X.] vom [X.]/00, [X.]:C:2002:750, Rz 101, Slg. 2002, I-11819; [X.] und [X.] vom 12.12.2013 - C-303/12, [X.]:C:2013:822, Rz 70, [X.] --[X.]-- 2014, 183). Zum anderen muss zwischen der Steuerregelung im Wohnsitzstaat, die eine Vergünstigung beschränkt bzw. ausschließt, und der im [X.] gewährten Vergünstigung für die dort zu besteuernden Einkünfte eine wechselseitige Beziehung bestehen ([X.]-Urteile [X.] und [X.], [X.]:C:2013:822, Rz 73, [X.] 2014, 183, sowie [X.], [X.]:[X.], Rz 74, [X.], 1271; vgl. auch Senatsurteil in [X.], 34, [X.], 763, Rz 31). Umgekehrt ausgedrückt gilt daher, dass die grundsätzlich vorrangige Verpflichtung des Wohnsitzstaats zur Gewährung personen- und familienbezogener Abzüge insoweit nicht beschränkt wird, als es entweder an einer im Ganzen gebührenden Berücksichtigung der persönlichen und familiären Lage des Steuerpflichtigen fehlt oder die in- und ausländische Rechtslagen nicht in wechselseitiger Beziehung zueinander stehen.

dd) Diese vom [X.] in inzwischen ständiger Rechtsprechung vertretenen Rechtsgrundsätze lassen eine unionsrechtskonforme Auslegung von § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 2 Buchst. [X.] zu (vgl. zu dieser Auslegungsmethode u.a. BFH-Urteil vom 09.05.2012 - I R 73/10, [X.], 1, [X.], 566, Rz 18 ff., m.w.N.).

Die Vorschrift ist im Hinblick auf die vorliegend berührte Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. Art. 45 des Vertrags über die Arbeitsweise der [X.] --A[X.]V--) dahingehend auszulegen, dass solche Vorsorgeaufwendungen, die nach nationaler Rechtslage grundsätzlich steuermindernd zu berücksichtigen wären und im [X.] im Rahmen der Besteuerung der dort erzielten Einnahmen von Gesetzes wegen nicht ("keinerlei") zum Abzug zugelassen sind, vom Ausschluss des [X.] auszunehmen sind. Nur mit dieser, isoliert auf die jeweilige Art von Vorsorgeaufwendungen abstellenden Betrachtung ist sichergestellt, dass der Wohnsitzstaat die grundsätzlich ihn treffende Pflicht erfüllt, die persönliche und familiäre Situation des Steuerpflichtigen "vollständig" (vgl. [X.]-Urteil [X.] und [X.], [X.]:C:2013:822, Rz 69, [X.] 2014, 183) bzw. "umfassend" (s. [X.]-Urteil Schumacker vom 14.02.1995 - [X.]/93, [X.]:[X.], Rz 32, Slg. 1995, [X.]) zu berücksichtigen. Zudem entspricht diese Auslegung dem unionsrechtlichen Gebot, die "gesamte" persönliche und familiäre Situation im Ganzen gebührend zu berücksichtigen ([X.], [X.]:C:2002:750, Rz 101, Slg. 2002, I-11819; [X.] und [X.], [X.]:C:2013:822, Rz 70, [X.] 2014, 183). Dies wäre im Streitfall nicht gewährleistet, würden die nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. b EStG grundsätzlich und von Verfassungs wegen unbeschränkt abzugsfähigen Beiträge des [X.] zu einer gesetzlichen Pflegeversicherung weder im Beschäftigungs- noch im Wohnsitzstaat steuerlich anzuerkennen sein. Zu berücksichtigen ist überdies, dass sich der Kläger seiner nach den Feststellungen des [X.] gesetzlich angeordneten Beitragspflicht zur [X.]n Pflegeversicherung nicht entziehen konnte, jene Vorsorgeaufwendungen somit zwangsläufig entstanden. Es handelt sich zudem um Aufwendungen, die im Hinblick auf das Prinzip der Steuerfreiheit des Existenzminimums von Verfassungs wegen (vgl. Beschluss des [X.] vom 13.02.2008 - 2 BvL 1/06, [X.] 120, 125, unter D.) in Höhe der tatsächlich geleisteten Beiträge ohne Begrenzung zum Abzug zuzulassen sind (vgl. § 10 Abs. 4 Satz 4 EStG).

ee) Hiergegen spricht nicht, dass [X.] gemäß Art. 110 Nr. 1 [X.] einen Sonderausgabenabzug für Krankenversicherungsbeiträge des Steuerpflichtigen zulässt. Dieser Umstand kann die Nichtabzugsfähigkeit von Beiträgen zu einer gesetzlichen Pflegeversicherung nicht kompensieren. Zwar werden Beiträge zur Pflegeversicherung nach inländischer Rechtslage demselben [X.] zugeordnet wie solche zum [X.] (§ 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG). Allerdings differenziert das Gesetz innerhalb dieses Tatbestands zwischen der Krankenversicherung einerseits (Buchst. a) und der Pflegeversicherung andererseits (Buchst. b), sodass eine getrennte Beurteilung erforderlich ist.

ff) Ebenso wenig bedeutsam ist, dass der Kläger durch die Zuerkennung eines (vollständigen) inländischen [X.] für in [X.] geleistete Beiträge zur Pflegeversicherung steuerlich besser gestellt wird, als wenn er in [X.] nicht nur beschäftigt wäre, sondern dort auch seinen Wohnsitz hätte. Der mit Blick auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit gemäß Art. 45 A[X.]V vorzunehmende Vergleich ist ausschließlich zu einem im Inland beschäftigten und wohnhaften Arbeitnehmer vorzunehmen (vgl. hierzu statt vieler [X.]-Urteile Jacob und [X.] vom 14.03.2019 - [X.]/18, [X.]:[X.], Rz 42 f., [X.], 729, sowie [X.] vom 15.07.2021 - C-241/20, [X.]:[X.], Rz 30 f., 56, [X.] 2021, 890; ebenso [X.]-Urteil [X.] und [X.], [X.]:C:2013:822, Rz 51, [X.] 2014, 183 [zur Niederlassungsfreiheit]). Der Kläger stünde im Vergleich zu einem unbeschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmer, der aufgrund einer Beschäftigung im Inland der Pflegeversicherungspflicht gemäß § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 des [X.] und seine diesbezüglichen Beiträge voraussetzungslos gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. b EStG in Abzug bringen könnte, durch ein ihn treffendes [X.] steuerlich schlechter da.

gg) Der weitere Einwand des [X.], das Unionsrecht verpflichte die Mitgliedstaaten nicht, ihre Steuervorschriften so aufeinander abzustimmen, dass gewährleistet werde, sich hieraus ergebende steuerliche Diskrepanzen zu beseitigen, ist im Grundsätzlichen zutreffend (vgl. hierzu [X.]-Urteil [X.] vom 29.11.2011 - [X.]/10, [X.]:[X.], Rz 62, Slg. 2011, [X.], sowie [X.]-Urteil [X.] vom 14.04.2016 - [X.]/14, [X.]:[X.], Rz 31, [X.], 421). [X.] geht es vorliegend aber nicht. Es spielt keine Rolle, ob der nach [X.]m Einkommensteuerrecht ermöglichte Umfang des Abzugs von Sozialversicherungsbeiträgen im Vergleich zur inländischen Rechtslage im Ergebnis vor- oder nachteilig ist. Maßgebend ist allein, dass eine staatenübergreifende Nichtberücksichtigung von bestimmten Vorsorgeaufwendungen den Steuerpflichtigen schlechter stellte, als hätte er seine Einkünfte ausschließlich im Inland erzielt.

d) Die Auffassung des [X.], § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 2 EStG sei wegen einer nur unzureichenden Umsetzung der durch den [X.] vorgegebenen Rechtsgrundsätze unionsrechtswidrig, hat im Streitfall keine Entscheidungsrelevanz.

4. [X.] beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O.

5. Der Senat konnte mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 90 Abs. 2, § 121 Satz 1 [X.]O).

Meta

X R 13/20

10.11.2021

Bundesfinanzhof 10. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Rheinland-Pfalz, 15. Januar 2020, Az: 1 K 1692/19, Urteil

§ 10 Abs 1 Nr 3 S 1 Buchst b EStG 2009, § 10 Abs 2 S 1 Nr 1 Teils 1 EStG 2009 vom 11.12.2018, § 10 Abs 2 S 1 Nr 1 Teils 2 EStG 2009 vom 11.12.2018, Art 45 AEUV, Art 14 Abs 1 DBA LUX 2012, Art 22 Abs 1 Buchst d DBA LUX 2012, EStG VZ 2017

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 10.11.2021, Az. X R 13/20 (REWIS RS 2021, 1236)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 1236

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