Bundesgerichtshof, Beschluss vom 18.04.2023, Az. 6 StR 124/23

6. Strafsenat | REWIS RS 2023, 3468

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Gegenstand

Revisionsbegründung im Strafverfahren: Verfahrensrüge wegen unterlassener Mitteilung eines Verständigungsgesprächs


Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 9. November 2022 wird als unbegründet verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf die Rüge der Verletzung formellen wie materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten bleibt ohne Erfolg (§ 349 Abs. 2 StPO).

2

1. Die Verfahrensrüge, das [X.] habe seine Mitteilungspflicht aus § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO verletzt, greift nicht durch.

3

a) Der Beschwerdeführer trägt folgendes [X.] vor:

4

Am ersten Sitzungstag regte der Strafkammervorsitzende ein „[X.]“ an und unterbrach zu diesem Zweck die Hauptverhandlung. Bei dem sodann zwischen den Berufsrichtern, den Schöffen, der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft und dem Verteidiger geführten „[X.]“ wurde die „Frage des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge erörtert“, wobei die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft darauf hinwies, dass aus ihrer Sicht kein minder schwerer Fall vorliege. Über dieses Gespräch berichtete der Vorsitzende nach Fortsetzung der Hauptverhandlung nicht; die Sitzungsniederschrift enthält für den Zeitpunkt der Fortsetzung nach dem „[X.]“ den Hinweis, dass „eine Verständigung jedoch nicht erzielt wurde“. Der Angeklagte machte keine Angaben zur Sache; zu einer Verfahrensabsprache kam es auch später nicht.

5

Der Beschwerdeführer macht geltend, Inhalt und Ablauf der Gespräche nicht näher vortragen zu können. Sein Verteidiger habe ihm im [X.] an das „[X.]“ lediglich mitgeteilt, dass es für ihn „nicht gut aussehe“ und die Staatsanwaltschaft nicht unter fünf Jahren Freiheitsstrafe beantragen werde. Deshalb habe er ihm geraten zu schweigen. Im Revisionsverfahren erbat der Beschwerdeführer Auskunft von der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft über Inhalt und Ablauf des „[X.]s“. Diese erklärte hierauf in einer E-Mail: „Da (…) aus meiner Sicht ein minder schwerer Fall nicht vorlag, vertrat ich die Auffassung, dass von einer Mindeststrafe von fünf Jahren auszugehen sei. Ich meine auch zu erinnern, dass das Gericht die Auffassung äußerte, dass sich nach derzeitiger Lage ein minder schwerer Fall zumindest nicht aufdrängen würde“.

6

Aus dem Verfahrensablauf und den Angaben der Sitzungsvertreterin folgert der Beschwerdeführer, dass das „[X.]“ verständigungsbezogene Erörterungen zum Gegenstand hatte und der Mitteilungspflicht aus § 243 Abs. 4 StPO unterstand.

7

b) Die Verfahrensrüge ist schon unzulässig, weil das [X.] nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügt.

8

aa) Nach der Rechtsprechung des [X.] sind für eine zulässige Verfahrensrüge die den Mangel begründenden Tatsachen so vollständig und genau anzugeben, dass das Revisionsgericht allein aufgrund der Revisionsbegründung prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorläge, wenn die behaupteten Tatsachen erwiesen wären (st. Rspr.; vgl. [X.], Beschluss vom 11. September 2007 – 1 [X.], [X.]St 52, 38, 40). Für die Rüge einer Verletzung von § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO ist danach erforderlich, dass Tatsachen vorgetragen werden, aus denen sich ergibt, dass ein nach dieser Vorschrift mitteilungspflichtiges Gespräch stattgefunden hat und dessen wesentlicher Inhalt in der Hauptverhandlung nicht oder nicht ausreichend mitgeteilt und protokolliert wurde (vgl. [X.], Beschluss vom 23. Juni 2022 – 2 StR 269/21). Notwendig ist deshalb die bestimmte Behauptung von Tatsachen, die eine Überprüfung dahin gestatten, ob dabei ausdrücklich oder konkludent die Möglichkeit und die Umstände einer Verständigung im Raum standen, was jedenfalls dann der Fall ist, wenn Fragen des prozessualen Verhaltens in einen Konnex zum Verfahrensergebnis gebracht wurden, damit die Frage nach oder die Äußerung zu einer Straferwartung nahelag und somit die Mitteilungspflicht ausgelöst wurde (vgl. [X.], Beschlüsse vom 29. September 2015 – 3 [X.], [X.], 362; vom 7. März 2017 – 5 [X.], [X.], 424).

9

bb) Diesen Anforderungen genügt die Revision nicht.

(1) Es fehlt bereits an einem konkret behaupteten vollständigen [X.]. Die bloße Wiedergabe vage erinnerter und nur möglicher Verfahrensabläufe (vgl. [X.], Urteil vom 24. März 1964 – 3 StR 60/63, [X.]St 19, 273, 275) ersetzt den notwendigen bestimmten Tatsachenvortrag nicht (vgl. im Einzelnen [X.], 9. Aufl., § 344 Rn. 33 mwN).

(2) Dessen ungeachtet wäre auch anhand der mitgeteilten Stellungnahme der Staatsanwaltschaft für das Revisionsgericht nicht abschließend zu überprüfen, ob es sich um verständigungsbezogene oder lediglich um unverbindliche sonstige verfahrensfördernde Erörterungen gehandelt hat, die nicht auf eine einvernehmliche Verfahrenserledigung abzielten (vgl. hierzu [X.], Beschluss vom 14. April 2015 – 5 StR 9/15, [X.], 535, 536). Denn als Gegenstände unverbindlicher Erörterungen, die das Gericht ohne Verständigungsbezug allein als Ausdruck eines transparenten kommunikativen Verhandlungsstils führen kann, sind etwa [X.]e und Hinweise auf die vorläufige Beurteilung der Beweislage oder die strafmildernde Wirkung eines Geständnisses für unbedenklich erachtet worden (vgl. [X.], Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., [X.]E 133, 168, 228; [X.], Beschluss vom 14. April 2015 – 5 StR 9/15, [X.]R StPO § 243 Abs. 4 Mitteilung 4; vom 7. März 2017 – 5 [X.]). Dies gilt gleichermaßen für die Klärung der – einer Verständigung entzogenen (vgl. [X.], aaO, [X.]; [X.], Beschluss vom 25. April 2013 – 5 [X.], [X.], 540) – Vorfrage, ob überhaupt die Möglichkeit der Verständigung bei Annahme eines minder schweren Falles in Betracht kommt, ohne dass ein Prozessverhalten des Angeklagten in Rede steht (vgl. [X.], Beschluss vom 18. August 2021 – 5 [X.], [X.], 55, 56). Ob der [X.] hier bereits über diese abstrakte Vorfrage einer möglicherweise erwogenen Verständigung hinausging, vermag der [X.] ohne Vortrag näherer Inhalte nicht abschließend zu prüfen.

(3) Nichts anderes gilt vor dem Hintergrund des übrigen [X.]s (vgl. [X.], Beschlüsse vom 22. Juli 2014 – 1 [X.], [X.], 48; vom 21. März 2017 – 1 [X.], [X.], 482, 483), das sich auf die pauschale Behauptung beschränkt, auf Initiative des Gerichts sei „ein [X.]“ (vgl. [X.], Beschlüsse vom 29. April 2014 – 3 StR 24/14, [X.], 529 f.; vom 23. Juni 2022 – 2 StR 269/21, NStZ-RR 2022, 355) durchgeführt, eine Verständigung „jedoch nicht erzielt“ worden (vgl. [X.]/[X.], 9. Aufl., § 243 Rn. 112 mwN).

(4) Der Beschwerdeführer behauptet schließlich auch nicht, dass es ihm oder seinem Revisionsverteidiger unmöglich gewesen wäre, nähere Informationen zum [X.] bei seinem Instanzverteidiger einzuholen (vgl. hierzu [X.] [Kammer], Beschluss vom 22. September 2005 – 2 [X.], [X.], 512, 513; [X.], Urteil vom 3. August 2022 – 5 [X.]; Beschluss vom 23. November 2004 – 1 StR 379/04, [X.], 283; [X.]/[X.], [X.], 8. Aufl. Rn. 408 mwN).

2. Soweit der Beschwerdeführer unter der Überschrift „Sachrüge“ beanstandet, das [X.] habe in der Beweiswürdigung unberücksichtigt gelassen, dass die Zeugin P.     „in der Hauptverhandlung“ durch ihn und seinen Verteidiger nicht konfrontativ befragt werden konnte, kann dahinstehen, ob darin eine Formalrüge der Verletzung des Konfrontationsrechts (Art. 6 Abs. 3 Buchst. [X.]) zu erblicken wäre. Denn auch diese wäre unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Das [X.] verhält sich nicht dazu, ob die Zeugin vor der Hauptverhandlung mehrfach und in allen möglichen Fällen ohne eine Mitwirkungsmöglichkeit des Angeklagten vernommen worden ist (vgl. [X.]/[X.]/[X.], aaO, Art. 6 [X.] Rn. 107). Vor diesem Hintergrund vermag der [X.] abschließend weder eine Rechtsverletzung noch etwaige an die Beweiswürdigung zu stellende Erfordernisse zu prüfen.

3. Die gegen den Schuldspruch gerichteten sachlich-rechtlichen Beanstandungen zeigen aus den Gründen der Antragsschrift des [X.] keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Demgegenüber ist die Strafzumessung des [X.]s rechtsfehlerhaft.

a) Das [X.] hat sowohl bei der [X.] als auch bei der konkreten Strafzumessung zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt, dass es sich bei dem zum Verkauf vorrätig gehaltenen Amphetamin um eine „harte Droge“ handelte. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand, weil es sich hierbei – mit Blick auf das Stufenverhältnis von sogenannten harten Drogen wie Heroin und Kokain über Amphetamin – um ein Betäubungsmittel von lediglich „mittlerer Gefährlichkeit“ handelt (st. Rspr.; vgl. [X.], Beschlüsse vom 14. August 2018 – 1 [X.]; vom 10. August 2022 – 3 StR 217/22).

b) Der Rechtsfehler erfordert indes nicht die Aufhebung des Strafausspruchs, weil die verhängte Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten gleichwohl angemessen ist (§ 354 Abs. 1a Satz 1 StPO). Der [X.] hat dies auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des angefochtenen Urteils unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Gesichtspunkte beurteilt, insbesondere aller nach § 46 StGB für die Strafzumessung erheblichen Umstände (vgl. nur [X.], Beschluss vom 25. Juni 2019 – 2 StR 94/19 mwN). Anhaltspunkte für erst nach der erstinstanzlichen Hauptverhandlung eingetretene Entwicklungen oder Ereignisse, die ein neues Tatgericht feststellen und zugunsten des Angeklagten berücksichtigen würde, bestehen nicht (vgl. dazu [X.], Beschluss vom 14. Juni 2007 – 2 BvR 136, 1447/05, [X.], 598). Insbesondere eingedenk der festgestellten Anzahl der vom Angeklagten zum Zwecke der Absicherung seiner „Drogengeschäfte“ in [X.] bereitgehaltenen Messer (vgl. [X.], Beschluss vom 18. April 2007 – 3 [X.], [X.]R BtMG § 30a Abs. 2 Mitsichführen 8), darunter [X.] und [X.], sowie unter Abwägung aller weiteren für die Strafzumessung bedeutsamen Urteilsfeststellungen hält der [X.] die verhängte Freiheitsstrafe für angemessen.

VRi[X.] Prof. Dr. Sander
ist wegen Urlaubs an der
Unterschrift verhindert.

Tiemann

  

Tiemann     

  

Wenske

  

     Fritsche     

  

von [X.]     

  

Meta

6 StR 124/23

18.04.2023

Bundesgerichtshof 6. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Lüneburg, 9. November 2022, Az: 21 KLs 7/21

§ 243 Abs 4 S 2 StPO, § 344 Abs 2 S 2 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 18.04.2023, Az. 6 StR 124/23 (REWIS RS 2023, 3468)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 3468

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