Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28.02.2017, Az. I ZB 55/16

1. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 14878

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Gegenstand

Kostenfestsetzungsverfahren: Anrechnung der mehrfach angefallenen anwaltlichen Geschäftsgebühr auf die einheitliche Verfahrensgebühr bei objektiver Klagehäufung


Leitsatz

Fällt die Geschäftsgebühr für die vorgerichtliche Tätigkeit des Rechtsanwalts mehrfach an und werden die vorgerichtlich geltend gemachten Ansprüche im Wege objektiver Klagehäufung in einem einzigen gerichtlichen Verfahren verfolgt, so dass die Verfahrensgebühr nur einmal anfällt, sind alle entstandenen Geschäftsgebühren in der tatsächlichen Höhe anteilig auf die Verfahrensgebühr anzurechnen.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 25. Zivilsenats des [X.] vom 12. April 2016 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

[X.]: 804,25 €

Gründe

1

I. Der Kläger mahnte die Beklagte vorprozessual mit drei gesonderten Schreiben seiner späteren Prozessbevollmächtigten wegen verschiedener wettbewerbswidriger Handlungen vergeblich ab. Er erwirkte im späteren Rechtsstreit beim [X.] ein Versäumnisurteil, mit dem die Beklagte zur Unterlassung der mit den Abmahnungen beanstandeten Handlungen und zur Zahlung einer Vertragsstrafe nebst Zinsen verurteilt wurde. Außerdem verurteilte das [X.] die Beklagte zur Zahlung der durch die drei vorgerichtlichen Abmahnschreiben entstandenen Kosten, die jeweils eine 1,3fache Geschäftsgebühr enthalten, die sich aus Streitwerten von 45.000 €, 20.000 € und 45.000 € errechnen und 1.414,40 €, 964,60 € und 1.414,40 € netto betragen. Die Kosten des Verfahrens erlegte das [X.] der Beklagten auf und setzte den Streitwert für das gerichtliche Verfahren auf 135.000 € fest.

2

Der Kläger beantragte, zu seinen Gunsten eine Verfahrensgebühr in Höhe von 1.087,45 € gegen die Beklagte festzusetzen. Dabei ging er von einer 1,3fachen Verfahrensgebühr aus einem Streitwert von 135.000 € in Höhe von 2.174,90 € aus und setzte hiervon eine nach demselben Streitwert berechnete 0,65fache Geschäftsgebühr in Höhe von 1.087,45 € ab.

3

Das [X.] hat von der Verfahrensgebühr in Höhe von 2.174,90 € Beträge in Höhe von 707,20 €, 482,30 € und 702,20 € mit der Begründung abgezogen, die Hälfte der nach den jeweiligen Einzelstreitwerten entstandenen und titulierten vorprozessualen [X.] müssten auf die [X.] angerechnet werden. Es hat daher eine restliche Verfahrensgebühr in Höhe von 283,20 € festgesetzt. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des [X.] hat das Beschwerdegericht zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Kläger seinen Antrag auf Festsetzung der Verfahrensgebühr weiter, soweit dieser erfolglos geblieben ist.

4

II. Das Beschwerdegericht hat angenommen, das [X.] habe zu Recht die titulierten vorprozessual angefallenen drei [X.] auf die im nachfolgenden Rechtsstreit verdiente 1,3fache Verfahrensgebühr mit jeweils 0,65 angerechnet, wobei zugunsten des [X.] noch 5 € zu wenig angerechnet worden seien. Für eine derartige Anrechnung spreche bereits der Wortlaut der Vorbemerkung 3 Abs. 4 Satz 1 [X.] [X.]. Für die vom Kläger erstrebte Anrechnung einer nach einem Gesamtwert von 135.000 € berechneten Geschäftsgebühr enthalte der Wortlaut der Regelung dagegen keine Anhaltspunkte. Die gegen eine derartige Anrechnung geltend gemachten [X.] überzeugten nicht. Habe im Innenverhältnis zwischen dem Kläger und seinem Prozessbevollmächtigten eine Anrechnung sämtlicher [X.] zu erfolgen, gelte dies gemäß § 15a Abs. 2 [X.] auch für die Kostenerstattung, da die [X.] tituliert seien.

5

III. Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist nicht begründet. Die Beurteilung des [X.] hält der rechtlichen Nachprüfung stand.

6

1. Nach der Regelung in der Vorbemerkung 3 Abs. 4 Satz 1 [X.] [X.] wird die wegen desselben Gegenstands entstandene Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens angerechnet, bei [X.] jedoch höchstens mit einem Gebührensatz von 0,75. Bei einer wertabhängigen Gebühr erfolgt nach der Vorbemerkung 3 Abs. 4 Satz 5 die Anrechnung nach dem Wert des Gegenstands, der auch Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens ist.

7

2. Zwischen den Parteien ist nicht in Streit, dass die Tätigkeit der Prozessbevollmächtigten des [X.] vorprozessual dieselben Rechte oder Rechtsverhältnisse und damit dieselben Gegenstände wie das spätere Klageverfahren betraf. Auf die Anrechnung kann sich die Beklagte als Dritte gemäß § 15a Abs. 2 [X.] berufen, weil die [X.] zu ihren Lasten tituliert sind. Dies stellt die Rechtsbeschwerde nicht in Abrede.

8

3. Ohne Erfolg wendet sich die Rechtsbeschwerde gegen den vom Beschwerdegericht gebilligten Umfang der Anrechnung der [X.] durch das [X.].

9

a) Es ist umstritten, in welcher Weise die Anrechnung bei mehreren [X.] zu erfolgen hat, wenn diese wie im Streitfall in einer einheitlichen Verfahrensgebühr bei objektiver Klagehäufung aufgehen.

aa) Nach einer Ansicht, die sich auf den Wortlaut der Vorbemerkung 3 Abs. 4 Satz 1 und 5 [X.] [X.] stützt, werden alle entstandenen [X.] in der tatsächlichen Höhe anteilig auf die Verfahrensgebühr angerechnet ([X.] in [X.]/[X.], [X.], 10. Aufl., [X.] Vorb. 3 Rn. 90; [X.] in [X.], [X.], 22. Aufl., Vorb. 3 [X.] Rn. 295). Dies kann dazu führen, dass nach der Anrechnung weniger als eine [X.] Verfahrensgebühr verbleibt oder diese sogar ganz entfällt ([X.] in [X.]/[X.] aaO [X.] Vorb. 3 Rn. 89 f.; [X.] in [X.] aaO Vorb. 3 [X.] Rn. 285, 295; ebenso für die Anrechnung von Verfahrensgebühren aus verschiedenen selbständigen Beweisverfahren auf eine [X.] in der Hauptsache gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 5 [X.] [X.]: [X.], [X.] 2013, 163, 165).

bb) Nach anderer Auffassung ist eine einheitliche Geschäftsgebühr aus den a[X.]ierten Gegenstandswerten zu bilden, die anteilig auf die Verfahrensgebühr anzurechnen ist ([X.], [X.], 304). Dies wird im Schrifttum mit einer entsprechenden Anwendung von § 15 Abs. 3 [X.] begründet und hat zur Folge, dass mindestens ein Anteil von 0,55 der Verfahrensgebühr verbleibt ([X.], [X.], 252; [X.]., [X.] Fach 24, 1299, 1303; [X.]., Fälle und Lösungen zum [X.], 4. Aufl., § 8 Rn. 39; En[X.], [X.], 113, 115).

b) Der zuerst genannten Auffassung ist der Vorzug zu geben.

aa) Hierfür spricht der Wortlaut der Vorbemerkung 3 Abs. 4 Satz 1 [X.] [X.]. Danach ist Grundlage der Berechnung des anrechenbaren Gebührenanteils allein eine tatsächlich entstandene Geschäftsgebühr, nicht hingegen eine fiktive Geschäftsgebühr (vgl. [X.], Urteil vom 24. September 2014 - [X.], NJW-RR 2015, 189 Rn. 16 im Fall der Anrechnung einer Geschäftsgebühr auf mehrere nach Prozesstrennung entstandene Verfahrensgebühren). Die Anrechnung gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 4 Satz 5 [X.] [X.] nach dem Wert des Gegenstands, der auch Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens ist, knüpft an die Bestimmung in der Vorbemerkung 3 Abs. 4 Satz 1 [X.] [X.] an und lässt die Fiktion einer tatsächlich nicht angefallenen Geschäftsgebühr ebenfalls nicht zu ([X.], NJW-RR 2015, 189 Rn. 16; vgl. [X.] in [X.] aaO Vorb. 3 [X.] Rn. 285 f.). Aus diesem Grund kann der dem Kostenfestsetzungsantrag des [X.] zugrunde liegenden zweiten Auffassung, die von der Verfahrensgebühr eine fiktive Geschäftsgebühr nach dem Streitwert des gerichtlichen Verfahrens absetzen will, nicht gefolgt werden. Eine Geschäftsgebühr in dieser Höhe ist nicht entstanden. Sie kann deshalb im Rahmen der Anrechnung nicht berücksichtigt werden. Auf den Umstand, dass der Kläger nach dieser Auffassung die fiktive Geschäftsgebühr ohnehin nicht aus dem vom [X.] festgesetzten Gesamtstreitwert von 135.000 €, sondern nur aus der Summe der Einzelstreitwerte seiner vorgerichtlichen Tätigkeit in Höhe von insgesamt 110.000 € berechnen könnte, kommt es deshalb nicht mehr an.

bb) Die Rechtsbeschwerde hält dem ohne Erfolg entgegen, dass unter Anwendung dieser Grundsätze eine Anrechnung von tatsächlich entstandenen [X.] im Einzelfall die prozessführende Tätigkeit des Rechtsanwalts völlig entwerten würde.

Die Anrechnung soll ausschließen, dass ein und dieselbe Tätigkeit doppelt - durch die Geschäfts- und zusätzlich durch die Verfahrensgebühr - vergütet wird. Der Umfang der durch das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information veranlassten anwaltlichen Tätigkeit wird entscheidend davon beeinflusst, ob der Anwalt durch eine vorgerichtliche Tätigkeit bereits mit der Angelegenheit befasst war ([X.], Urteil vom 25. September 2008 - [X.], [X.], 364 Rn. 16). Unter der Geltung der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte wurde die Geschäftsgebühr auf die Prozessgebühr gemäß § 31 Nr. 1 [X.] in vollem Umfang angerechnet (§ 118 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 [X.]). Demgegenüber soll nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz dem Rechtsanwalt grundsätzlich ein Teil der Geschäftsgebühr verbleiben. Entsteht jedoch wie im Streitfall die Geschäftsgebühr mehrfach, weil der Rechtsanwalt mehrfach vorgerichtlich tätig wird, und fällt im anschließenden gerichtlichen Verfahren die Verfahrensgebühr nur einmal an, kann eine Reduzierung der Verfahrensgebühr oder deren Wegfall infolge der Anrechnung nicht als unbillig angesehen werden, weil sie im Ergebnis der früheren Rechtslage entspricht. Das Beschwerdegericht hat zutreffend angenommen, dass die Gefahr eines negativen Saldos (vgl. [X.], [X.], 304) nicht besteht, weil eine Anrechnung maximal in der Höhe der Gebühr erfolgen kann, auf die angerechnet wird.

cc) Die Rechtsbeschwerde macht zu Unrecht geltend, aus der die Anrechnung regelnden Vorschrift ergebe sich, dass dem Rechtsanwalt 0,55 der Verfahrensgebühr verbleiben solle. Die Vorbemerkung 3 Abs. 4 Satz 1 [X.] [X.] regelt nicht, wie hoch die nach der Anrechnung verbleibende Verfahrensgebühr ausfällt, sondern, in welchem Umfang die Anrechnung erfolgt, stellt dabei auf den für die Geschäftsgebühr maßgeblichen Gebührensatz ab und begrenzt diesen auf 0,75.

[X.]) Es kommt nicht in Betracht, statt einer Anrechnung von jeweils einer [X.] Geschäftsgebühr einen quotalen Anteil der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr anzurechnen, der dem Verhältnis entspricht, den der Gegenstand der vorgerichtlichen Tätigkeit am Gesamtstreitwert des gerichtlichen Verfahrens hat.

Für den Fall, dass vorgerichtlich auf Seiten mehrerer Personen gesonderte [X.] angefallen sind, diese Personen jedoch in einem Klageverfahren gemeinschaftlich vertreten werden, wird in der Rechtsprechung allerdings die Auffassung vertreten, dass die vorprozessual für mehrere Gegenstände angefallenen [X.] auf die spätere Verfahrensgebühr entsprechend dem Anteil des jeweiligen Gegenstands am gerichtlichen Verfahren angerechnet werden müssten ([X.], [X.] 2009, 569, 570; [X.], Beschluss vom 23. Januar 2008 - 6 C 07.238, juris Rn. 6). Ob diese Auffassung zutrifft, kann im Streitfall offen bleiben, weil ein Fall subjektiver Klagehäufung nicht vorliegt.

Die Rechtsbeschwerde stellt nicht in Abrede, dass es für eine derartige Quotelung jedenfalls im Streitfall, in dem der Kläger alleiniger Auftraggeber ist, an einer gesetzlichen Grundlage fehlt.

ee) Der Kläger macht ohne Erfolg geltend, der Umstand, dass er aus prozessökonomischen Gründen nicht in mehreren Verfahren, in denen mehrfach Verfahrensgebühren angefallen wären, sondern in einem einzigen Rechtsstreit gegen die Beklagte vorgegangen sei, dürfe nicht dazu führen, dass seinem Prozessbevollmächtigten nur ein geringer Anteil der Verfahrensgebühr verbleibe. Zu Recht hat das Beschwerdegericht dieses rechnerische Ergebnis nicht als unbillig angesehen. Es ist der vom Gesetzgeber angeordneten Gebührendegression geschuldet, die dazu führt, dass bei einer objektiven Klagehäufung niedrigere Gebühren anfallen als bei einer Geltendmachung der [X.] in mehreren Prozessen.

IV. [X.] beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Büscher      

        

Koch      

        

Löffler

        

Schwonke      

        

Fed[X.]en      

        

Meta

I ZB 55/16

28.02.2017

Bundesgerichtshof 1. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Hamm, 12. April 2016, Az: I-25 W 22/16

Vorbem 3 Abs 4 S 1 RVG-VV, Vorbem 3 Abs 4 S 5 RVG-VV

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28.02.2017, Az. I ZB 55/16 (REWIS RS 2017, 14878)

Papier­fundstellen: NJW 2017, 1821 REWIS RS 2017, 14878


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. I ZB 55/16

Bundesgerichtshof, I ZB 55/16, 28.02.2017.


Az. 25 W 22/16

Oberlandesgericht Hamm, 25 W 22/16, 12.04.2016.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Referenzen
Wird zitiert von

VI ZB 39/21

I ZB 55/16

Zitiert

IV ZR 422/13

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