Bundesfinanzhof, Beschluss vom 14.03.2018, Az. V B 142/17

5. Senat | REWIS RS 2018, 12348

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Gegenstand

Nichtzulassungsbeschwerde, Divergenz, Verkauf von Speisen an einer "Heißen Theke"


Leitsatz

1. NV: Beim Verkauf von zubereiteten Speisen zum Verzehr im Stehen sowie zum Verzehr an Tischen und Stühlen/Bänken ist grundsätzlich eine Aufteilung der (dem ermäßigten und der dem Regelsteuersatz unterliegenden) Umsätze im Schätzungswege vorzunehmen. Dabei ist es nicht zu beanstanden, wenn das FG auch das Verhältnis der (möglichen) Steh- zu den (möglichen) Sitzplätzen berücksichtigt (BFH-Urteil vom 30. Juni 2011 V R 18/10, BFHE 234, 496, BStBl II 2013, 246) .

2. NV: Von einer Aufteilung kann ausnahmsweise abgesehen werden, wenn Stehplätze in nur sehr geringem Umfang vorhanden sind und mangels entgegenstehender Anhaltspunkte davon auszugehen ist, dass Kunden für den Verzehr der Speisen die in ausreichender Zahl vorhandenen Sitzplätze genutzt haben .

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des [X.] vom 16. November 2017 11 K 226/16 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Gründe

1

Die Beschwerde der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist unbegründet. Die Revision ist nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) zuzulassen.

2

1. Eine die Rechtseinheit gefährdende Abweichung (Divergenz) i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 [X.]O liegt vor, wenn das Finanzgericht ([X.]) bei gleichem oder vergleichbarem festgestellten Sachverhalt in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage eine andere Auffassung vertritt als u.a. der [X.] ([X.]) oder der [X.] ([X.]). Das [X.] muss seiner Entscheidung einen tragenden abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt haben, der mit den tragenden Rechtsausführungen in der Divergenzentscheidung nicht übereinstimmt. Keine Abweichung liegt dagegen vor, wenn das [X.] aufgrund einer Würdigung der konkreten Umstände des Streitfalls zu einem von der bestimmten Divergenzentscheidung abweichenden Ergebnis kommt ([X.]-Beschluss vom 11. November 2013 XI B 99/12, [X.]/NV 2014, 366, m.w.N.).

3

a) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze liegt die behauptete Divergenz zu den [X.]-Urteilen [X.] u.a. vom 10. März 2011 [X.]/09, [X.]/09, [X.]/09 und [X.]/09 ([X.]:[X.], [X.], 256, Rz 61 und 62) nicht vor.

4

aa) Danach sind bei der Prüfung, ob eine komplexe einheitliche Leistung (...) als "Lieferung von Gegenständen" oder als "Dienstleistung" einzustufen ist, sämtliche Umstände, unter denen der Umsatz abgewickelt wird, zu berücksichtigen, um dessen charakteristische Bestandteile zu ermitteln, und darunter die dominierenden Bestandteile zu bestimmen. Der dominierende Bestandteil ist aus der Sicht des [X.] und --im Rahmen einer Gesamtbetrachtung-- mit Rücksicht auf die qualitative und nicht nur quantitative Bedeutung der [X.] im Vergleich zu den Elementen einer Lieferung von Gegenständen zu bestimmen. Mobiliar (Stehtische, Hocker, Stühle und Bänke), das nicht ausschließlich dazu bestimmt ist, den Verzehr von Lebensmitteln möglicherweise zu erleichtern, kann nicht als Dienstleistungselement angesehen werden, das geeignet wäre, dem Umsatz insgesamt die Eigenschaft einer Dienstleistung zu verleihen ([X.]-Urteil [X.] u.a., [X.]:[X.], [X.], 256, Rz 73).

5

bb) Vorliegend fehlt es für die behauptete Divergenz bereits an einem gleichen oder zumindest vergleichbaren Sachverhalt. Wie sich aus Rz 70 der [X.]-Urteile [X.] u.a. ergibt, bestanden die [X.] nur "in der Bereitstellung behelfsmäßiger Vorrichtungen, d. h. ganz einfacher Verzehrtheken ohne Sitzgelegenheit, um einer beschränkten Zahl von Kunden den Verzehr an Ort und Stelle im [X.] zu ermöglichen.". Solche behelfsmäßigen Vorrichtungen erfordern nur einen geringfügigen personellen Einsatz und stellen daher nach Auffassung des [X.] "nur geringfügige Nebenleistungen dar", die (...) "am dominierenden Charakter der Hauptleistung, d. h. dem einer Lieferung von Gegenständen, nichts ändern." Im Unterschied dazu war nach den bindenden Feststellungen des [X.] (§ 118 Abs. 2 [X.]O) vorliegend --über behelfsmäßige Verzehrvorrichtungen hinausgehendes-- Mobiliar vorhanden, da der Verzehr an sog. "Heißen Theken" erfolgte, die integraler Bestandteil der Ladentheken darstellten, wobei den Kunden in den jeweiligen Filialen der Klägerin zahlreiche Sitzplätze zur Verfügung standen.

6

cc) Abgesehen davon ist das [X.] ausweislich S. 4 der Urteilsgründe ausdrücklich von den Rechtsprechungsgrundsätzen des [X.] und des [X.] ausgegangen. Im Rahmen der gebotenen qualitativen Betrachtung aus Sicht des [X.] hat es den Sachverhalt dahingehend gewürdigt, dass die [X.] der Klägerin (Zurverfügungstellung von Sitzgelegenheiten sowie Porzellanteller und [X.]) nicht mehr als geringfügig anzusehen sind. Wie sich aus dem Tatbestand des Urteils ergibt, hat das [X.] auch berücksichtigt, dass Garderoben und Toiletten nicht vorhanden waren, keine Gedecke in Form gestellt und die Gerichte zum Verzehr vor Ort nicht von Kellnern serviert, sondern dem jeweiligen Kunden am Tresen auf Porzellantellern übergeben wurden. Die Klägerin rügt daher zu Unrecht, das [X.] habe nicht sämtliche relevanten Umstände berücksichtigt.

7

Mit ihrem Vorbringen wendet sich die Klägerin letztlich gegen die Würdigung des [X.] und setzt ihre eigene Würdigung an die Stelle des [X.]. Damit rügt sie im [X.] eine vermeintlich unrichtige Rechtsanwendung durch das [X.]. Ein materiell-rechtlicher Fehler bei der Rechtsanwendung führt aber nur ausnahmsweise nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 [X.]O zur Zulassung der Revision, wenn es sich um einen schwerwiegenden Rechtsanwendungsfehler handelt, der geeignet ist, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen. Ein derartiger Fehler liegt jedoch nur dann vor, wenn die angefochtene [X.]-Entscheidung objektiv willkürlich und unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtlich vertretbar ist (vgl. [X.]-Beschluss vom 25. März 2010 X B 176/08, [X.]/NV 2010, 1455, m.w.N.). Einen solchen qualifizierten Rechtsanwendungsfehler des [X.] hat die Klägerin indes nicht dargelegt.

8

b) Eine die Zulassung der Revision begründende Divergenz zum [X.]-Urteil vom 30. Juni 2011 V R 18/10 ([X.]E 234, 496, [X.], 246) liegt ebenfalls nicht vor.

9

aa) Für den Fall eines Imbissstandes, an dem Bratwürste, Pommes Frites und ähnliche standardisiert zubereitete Speisen zum Verzehr im Stehen sowie an einer aus zwei Bänken und einem Tisch bestehenden Bierzeltgarnitur verkauft wurden, entschied der [X.], dass das [X.] im zweiten Rechtsgang eine Aufteilung der Umsätze vorzunehmen habe. [X.] der Kläger für die Aufteilung keine aussagekräftigen Aufzeichnungen vor, könne die Aufteilung im Wege einer Schätzung erfolgen. Dabei sei es "nicht zu beanstanden, wenn das [X.] bei der Aufteilung des (...) Umsatzes auch das Verhältnis der (möglichen) Stehplätze am Imbissstand zu den (möglichen) Sitzplätzen auf den beiden Bänken der Bierzeltgarnitur berücksichtigt" ([X.]-Urteil in [X.]E 234, 496, [X.], 246, Rz 40).

bb) Das [X.] hat im angefochtenen Urteil keine Aufteilung der Umsätze vorgenommen, sondern stellt entscheidend darauf ab, dass aufgrund der hohen Anzahl der Sitzplätze (70 Sitzplätze, 2 Stehplätze) jedem der Kunden seitens der Klägerin ein Sitzplatz offeriert werden konnte.

cc) Die vom [X.] unterlassene Aufteilung der Umsätze im Rahmen einer Schätzung führt vorliegend jedoch nicht zur Zulassung der Revision wegen Divergenz zum [X.]-Urteil in [X.]E 234, 496, [X.], 246. Denn der vom [X.] entschiedene Fall ist nicht mit dem vom [X.] entschiedenen Fall vergleichbar, weil im Sachverhalt des [X.]-Urteils zahlreiche Stehplätze an zwei Seiten eines Imbissstands über eine Länge von ca. 7 m und damit --im Verhältnis zu den beiden [X.] nicht nur in sehr geringem Umfang vorhanden waren.

Abgesehen davon wäre die Revision in entsprechender Anwendung des § 126 Abs. 4 [X.]O nicht zuzulassen, weil sich die klageabweisende Entscheidung des [X.] jedenfalls im Ergebnis als richtig darstellt ([X.]-Beschluss vom 18. Juni 2015 X B 20/15, [X.]/NV 2015, 1418, sowie Senatsbeschlüsse vom 29. September 2011 V B 23/10, [X.]/NV 2012, 75, unter 3., und vom 19. Juli 1999 V B 8/99, [X.]/NV 2000, 192). Der Senat hat in dem von der Klägerin bezeichneten Urteil zwar ein Aufteilungsgebot formuliert und als ein zulässiges Aufteilungskriterium auch das Verhältnis der möglichen Steh- zu den möglichen Sitzplätzen genannt. Im Rahmen der vorzunehmenden Schätzung sind jedoch alle bedeutsamen Umstände zu berücksichtigen (§ 162 Abs. 1 Satz 2 der Abgabenordnung), um diejenigen Besteuerungsgrundlagen anzusetzen, die die größtmögliche Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit für sich haben, d.h. der Wirklichkeit am nächsten kommen dürften ([X.]-Beschluss vom 7. Mai 2004 IV B 221/02, [X.]/NV 2004, 1367, Rz 7, m.w.N.; [X.] in Tipke/[X.], Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 162 AO, Rz 29). Daher ist es zulässig, im Rahmen der Schätzung von einer Aufteilung in solchen Fällen abzusehen, in denen dieses Kriterium nicht zur Feststellung der wahrscheinlichsten Besteuerungsgrundlagen beiträgt. Das gilt insbesondere dann, wenn --wie im [X.] Stehplätze in nur sehr geringem Umfang vorhanden waren und deren Nutzung weder substantiiert dargelegt wurde noch offensichtlich ist, sodass nach der allgemeinen Lebenserfahrung davon ausgegangen werden kann, dass Kunden für den Verzehr der Speisen die in ausreichender Zahl vorhandenen Sitzplätze genutzt haben.

2. Von der Darstellung des Sachverhalts und einer weiteren Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 [X.]O abgesehen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

V B 142/17

14.03.2018

Bundesfinanzhof 5. Senat

Beschluss

vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 16. November 2017, Az: 11 K 226/16, Urteil

§ 115 Abs 2 Nr 2 Alt 2 FGO, § 118 Abs 2 FGO, § 126 Abs 4 FGO, § 162 Abs 1 AO, § 3 Abs 1 UStG 2005, § 3 Abs 9 UStG 2005, § 12 Abs 2 Nr 1 UStG 2005, UStG VZ 2012

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 14.03.2018, Az. V B 142/17 (REWIS RS 2018, 12348)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 12348

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