Bundesgerichtshof, Beschluss vom 01.10.2015, Az. V ZB 44/15

5. Zivilsenat | REWIS RS 2015, 4529

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Freiheitsentziehungssache: Haftanordnung zur Sicherung der Abschiebung bei erledigter Abschiebungsandrohung


Tenor

Dem Betroffenen wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Fristen zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde gewährt.

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss des [X.] vom 9. Januar 2015 und der Beschluss der 5. Zivilkammer des [X.] vom 6. Februar 2015 ihn in seinen Rechten verletzt haben.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden dem [X.] auferlegt.

Der Gegenstandswert des [X.] beträgt 5.000 €.

Gründe

I.

1

Der Betroffene, ein [X.] Staatsangehöriger, reiste erstmals im Oktober 2011 unerlaubt nach [X.] ein und stellte einen Asylantrag. Am 4. Juni 2012 kehrte er freiwillig nach [X.] zurück. Das [X.] ([X.]) stellte daraufhin das Asylverfahren mit bestandskräftigem Bescheid vom 17. Juli 2012 ein. Zugleich drohte es dem Betroffenen die Abschiebung nach [X.] an.

2

In der Folgezeit reiste der Betroffene erneut in die Bundesrepublik [X.] ein. Seinen [X.] lehnte das [X.] mit Bescheid vom 15. Dezember 2014 ab. Nachdem eine Abschiebung des Betroffenen nach [X.] an dessen Widerstand gescheitert war, hat das Amtsgericht auf Antrag der beteiligten Behörde mit Beschluss vom 9. Januar 2015 Haft zur Sicherung der Abschiebung bis zum 19. Februar 2015 angeordnet. Die hiergegen gerichtete Beschwerde hat das [X.] zurückgewiesen. Der Betroffene wurde am 12. Februar 2015 nach [X.] abgeschoben. Mit der Rechtsbeschwerde will er die Feststellung erreichen, durch die Haftanordnung in seinen Rechten verletzt zu sein.

II.

3

Nach Ansicht des [X.] hat das Amtsgericht zu Recht die Haft angeordnet. Die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung aus dem Bescheid vom 17. Juli 2012 seien weiterhin gültig und vollziehbar. Es lägen auch die Haftgründe des § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 und 5 [X.] vor.

III.

4

1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig. Der Betroffene hat zwar die rechtzeitige Begründung der Rechtsbeschwerde versäumt. Da dies auf seiner Bedürftigkeit beruhte, also unverschuldet war, und er die Begründung nach der Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe fristgerecht nachgeholt hat, ist ihm aber gemäß § 17 Abs. 1 FamFG Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

5

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Der Beschluss des Amtsgerichts und die die Haftanordnung aufrechterhaltende Beschwerdeentscheidung haben den Betroffenen in seinen Rechten verletzt, weil es - wie die Rechtsbeschwerde zu Recht rügt - an der nach § 59 [X.] erforderlichen Abschiebungsandrohung fehlte. Ohne Abschiebungsandrohung darf eine Sicherungshaft nach § 62 Abs. 3 [X.] nicht angeordnet werden (Senat, Beschluss vom 12. Dezember 2013 - [X.], juris Rn. 10)

6

Eine Abschiebungsandrohung war hier nicht im Hinblick auf § 71 Abs. 5 und 6 Satz 1 AsylVfG entbehrlich. Stellt der Ausländer, nachdem eine nach Stellung des früheren Asylantrags ergangene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist, einen Folgeantrag, der nicht zur Durchführung eines weiteren Verfahrens führt, so bedarf es nach § 71 Abs. 5 AsylVfG zum Vollzug der Abschiebung keiner erneuten Fristsetzung und Abschiebungsandrohung; nach Absatz 6 Satz 1 gilt dies auch, wenn der Ausländer zwischenzeitlich das [X.] verlassen hatte. Die Vorschrift ist nicht dahingehend zu verstehen, dass unter den dort genannten Voraussetzungen abweichend von § 59 [X.] eine Abschiebung ohne vorausgehende Androhung erfolgen darf. Vielmehr besagt die Vorschrift lediglich, dass es einer erneuten Abschiebungsandrohung nicht bedarf, und ermöglicht so die Abschiebung des Ausländers auf der Grundlage der in einem früheren Verfahren erlassenen asylverfahrensrechtlichen Abschiebungsandrohung (vgl. [X.], Beschluss vom 19. September 2001 - 11 S 2099/01, juris Rn. 5).

7

Die in dem früheren Verfahren ergangene Abschiebungsandrohung der [X.] in dem Bescheid vom 17. Juli 2012 ist zwar bestandskräftig. Sie konnte aber ihren Zweck, dem Betroffenen vor Augen zu führen, dass seine Ausreisepflicht bei Nichteinhaltung der Ausreisefrist ggf. im Wege der Abschiebung durchgesetzt würde, nicht erfüllen; denn der Betroffene war im Zeitpunkt der Androhung bereits freiwillig in sein Heimatland zurückgekehrt. Dies war der Behörde auch bekannt, da sie das Asylverfahren in dem Bescheid vom 17. Juli 2012 im Hinblick auf die freiwillige Rückreise des Betroffenen in seine Heimat gemäß §§ 32, 33 Abs. 2 AsylVfG eingestellt hatte. Da die Abschiebungsandrohung somit für die Behörde erkennbar ins Leere ging, konnte sie nicht als Grundlage für die Anordnung von Haft zur Sicherung der Abschiebung dienen. Sie wäre eine vorsorgliche Androhung für den Fall einer künftigen Einreise, die aber nicht vorgesehen und somit unzulässig ist (BVerwGE, 124, 166,170 f.).

III.

8

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2, § 430 FamFG, Art. 5 Abs. 5 [X.] analog. Die Festsetzung des [X.] folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.

Schmidt-Räntsch                         [X.]

                               Kazele                         [X.]

Meta

V ZB 44/15

01.10.2015

Bundesgerichtshof 5. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Münster, 6. Februar 2015, Az: 5 T 44/15 - 5

§ 59 AufenthG, § 62 Abs 3 AufenthG, § 32 AsylVfG, § 33 Abs 2 AsylVfG, § 71 Abs 5 AsylVfG, § 71 Abs 6 S 1 AsylVfG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 01.10.2015, Az. V ZB 44/15 (REWIS RS 2015, 4529)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 4529


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. V ZB 44/15

Bundesgerichtshof, V ZB 44/15, 08.12.2015.

Bundesgerichtshof, V ZB 44/15, 01.10.2015.


Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

V ZB 127/13 (Bundesgerichtshof)

Ausländerrecht: Zuständigkeit der Bundespolizei für Abschiebungen


V ZB 127/13 (Bundesgerichtshof)


V ZB 216/17 (Bundesgerichtshof)

Rücküberstellungshaftsache: Interesse des Betroffenen auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft bei Verlegung in ein Krankenhaus …


V ZB 39/15 (Bundesgerichtshof)

Abschiebungshaft: Verbrauch einer Abschiebungsandrohung bei freiwilliger Rückkehr des Betroffenen in sein Heimatland


V ZB 159/17 (Bundesgerichtshof)

Haftanordnung bei vollziehbarer Abschiebungsandrohung


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.