Bundesfinanzhof, Urteil vom 15.06.2016, Az. VI R 26/13

6. Senat | REWIS RS 2016, 9954

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Gegenstand

Prozesskosten im Zusammenhang mit einem Scheidungsfolgeverfahren nach britischem Recht als außergewöhnliche Belastungen


Leitsatz

NV: Es gehört zu den Aufgaben des FG als Tatsacheninstanz, das maßgebende ausländische Recht zu ermitteln. Hier: Zurückverweisung der Sache an das FG zur Feststellung, ob Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit einem Scheidungsfolgeverfahren nach britischem Recht in einem dem sog. Zwangsverbund vergleichbaren Verfahren zu entscheiden oder ob Inhalt und Verfahren der Regelung der streitigen Verhältnisse den Eheleuten zur eigenverantwortlichen Gestaltung übertragen sind.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 17. April 2013  5 [X.] aufgehoben.

Die Sache wird an das [X.] zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.iesem wird die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.

Tatbestand

1

I. Streitig ist die Anerkennung von Rechtsanwaltskosten als außergewöhnliche Belastungen.

2

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) zu 1 war von August 1992 bis Januar 2006 mit Frau K in [X.] verheiratet. Aus der Ehe sind zwei 1994 und 1997 geborene Kinder hervorgegangen. 2004 trennten sich die Eheleute. Sie schlossen am 29. Dezember 2004 eine privatschriftliche Vereinbarung zur Regelung der mit der Trennung zusammenhängenden Angelegenheiten. Die Ehe wurde am 24. Januar 2006 vor einem [X.] Gericht geschieden. Im Hinblick auf die bestehende privatschriftliche Vereinbarung wurden keine weiteren, über die Scheidung hinausgehenden Regelungen getroffen.

3

Mit Datum vom 6. Februar 2009 erhielt der Kläger ein Anwaltsschreiben, mit welchem er aufgefordert wurde, umfangreiche Auskünfte zu erteilen. Der Kläger bemühte sich in der Folgezeit ohne Einschaltung des von seiner geschiedenen Ehefrau beauftragten [X.] um eine gütliche Regelung der Angelegenheit. Schließlich kündigte die von der geschiedenen Ehefrau des [X.] beauftragte Kanzlei mit Schreiben vom 23. März 2010 die Fortführung des Verfahrens an. Der Kläger wurde im März 2010 vom zuständigen Gericht in [X.] ([X.]) zur Abgabe einer eidesstattlichen Vermögenserklärung aufgefordert und zu einem anberaumten Termin geladen. Streitig waren Ansprüche auf Kindesunterhalt der Höhe nach, Fragen des Versorgungsausgleichs, Fragen des Unterhalts für die geschiedene Ehefrau des [X.] und Fragen des Vermögensausgleichs. Im November 2010 fand vor dem Gericht in [X.] eine Verhandlung statt, im Rahmen derer die Forderungsklage der geschiedenen Ehefrau des [X.] auf die Zahlung von Kindesunterhalt reduziert und deutlich wurde, dass die Frage des Versorgungsausgleichs ggf. vor einem [X.] Gericht zu verhandeln sei. Letztlich schlossen die Beteiligten am 8. Oktober 2012 vor dem zuständigen Gericht einen Vergleich, wonach sich der Kläger verpflichtete, je Kind einen monatlichen Unterhalt in Höhe von 320 € zu entrichten. Alle anderen Zahlungsansprüche wurden ausgeschlossen. Die [X.]ensionsberechnung sollte in [X.] stattfinden. Die Kosten des Verfahrens wurden gegeneinander aufgehoben.

4

In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr (2010) machten der nunmehr in zweiter Ehe verheiratete Kläger und seine mit ihm zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Ehefrau u.a. Scheidungskosten in Höhe von 20.853 € als außergewöhnliche Belastungen geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --[X.]--) folgte den Klägern und [X.] (Kläger) insoweit nicht und erließ einen Einkommensteuerbescheid für 2010, welchen es nach einem Einspruch der Kläger aus hier nicht streiterheblichen Gründen änderte. Den Einspruch der Kläger wies das [X.] zurück.

5

Mit der Klage machten die Kläger noch folgende Aufwendungen in Höhe von insgesamt 19.431 € als außergewöhnliche Belastungen geltend:

 -

Vorauszahlungen und Rechnungen des für den Kläger tätigen Anwalts vom 7. Juli 2010, Juli 2010, August 2010, September 2010 und Oktober/November 2010 in Höhe von insgesamt 18.000 €

 -

Reisekosten des Klägers vom 13. Juli 2010 in Höhe von 191,08 €

 -

Stornokosten für die Reise vom 2. August 2010 in Höhe von 167,98 € wegen eines kurzfristig am 30. Juli 2010 abgesagten Gerichtstermins

 -

Reisekosten vom 7. bis 9. November 2010 in Höhe von 471,27 €

 -

vom [X.] nicht bestrittene, aber bislang nicht [X.] gewordene außergewöhnliche Belastungen wegen Krankheitskosten in Höhe von 600 €.

6

Das Finanzgericht ([X.]) gab der Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (E[X.]) 2013, 1127 veröffentlichten Gründen statt.

7

Mit der Revision rügt das [X.] die Verletzung materiellen Rechts.

8

Es beantragt,
das Urteil des [X.] Schleswig-Holstein vom 17. April 2013  5 K 156/12 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

9

Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision des [X.] ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.] zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Der [X.] kann auf Grundlage der bisher getroffenen tatsächlichen Feststellungen des [X.] nicht beurteilen, ob und ggf. in welchem Umfang die von den [X.]lägern geltend gemachten Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen sind.

1. Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen [X.] (außergewöhnliche Belastung), so wird auf Antrag die Einkommensteuer in bestimmtem Umfang ermäßigt (§ 33 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes --EStG--). Gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen. Ziel des § 33 EStG ist es, zwangsläufige Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Freibeträgen entziehen. Aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen sind dagegen die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind (ständige Rechtsprechung, z.B. Urteile des [X.] --[X.]-- vom 29. September 1989 III R 129/86, [X.], 380, [X.] 1990, 418, und vom 26. Juni 2014 VI R 51/13, [X.], 326, [X.] 2015, 9).

a) Bei den [X.]osten eines Zivilprozesses sprach nach der langjährigen Rechtsprechung des [X.] eine Vermutung gegen die Zwangsläufigkeit ([X.]surteil vom 22. August 1958 VI 148/57 U, [X.]E 67, 379, [X.]I 1958, 419; [X.]-Urteile vom 18. Juli 1986 III R 178/80, [X.]E 147, 171, [X.] 1986, 745; vom 9. Mai 1996 III R 224/94, [X.]E 181, 12, [X.] 1996, 596; vom 4. Dezember 2001 III R 31/00, [X.]E 198, 94, [X.] 2002, 382; vom 18. März 2004 III R 24/03, [X.]E 206, 16, [X.] 2004, 726, und vom 27. August 2008 III R 50/06, [X.]/NV 2009, 553). Solche [X.]osten wurden nur als zwangsläufig erachtet, wenn auch das die Zahlungsverpflichtung oder den Zahlungsanspruch adäquat verursachende Ereignis zwangsläufig war ([X.]-Urteil in [X.]E 181, 12, [X.] 1996, 596). Daran fehlte es nach der Rechtsprechung des [X.] im Allgemeinen bei einem Zivilprozess ([X.]-Urteile in [X.]E 206, 16, [X.] 2004, 726, und in [X.]/NV 2009, 553). Als zwangsläufige Aufwendungen erkannte die Rechtsprechung Zivilprozesskosten nur an, wenn der Prozess existenziell wichtige Bereiche oder den [X.]ernbereich menschlichen Lebens berührte. Liefe der Steuerpflichtige ohne den Rechtsstreit Gefahr, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können, könne er trotz unsicherer Erfolgsaussichten gezwungen sein, einen Zivilprozess zu führen ([X.]-Urteile in [X.]E 181, 12, [X.] 1996, 596, und in [X.]/NV 2009, 553).

b) Dagegen nahm der [X.] in seiner Entscheidung vom 12. Mai 2011 VI R 42/10 ([X.]E 234, 30, [X.] 2011, 1015) die Unausweichlichkeit von Zivilprozesskosten unter der Voraussetzung an, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg biete und nicht mutwillig erscheine. Diese Auffassung hat auch das [X.] dem angefochtenen Urteil zugrunde gelegt.

c) Der [X.] hält an seiner in dem Urteil in [X.]E 234, 30, [X.] 2011, 1015 vertretenen Auffassung allerdings nicht mehr fest. Wie er in seinem Urteil vom 18. Juni 2015 VI R 17/14 ([X.]E 250, 153, [X.] 2015, 800) entschieden hat, kehrt er unter Aufgabe seiner in dem Urteil in [X.]E 234, 30, [X.] 2011, 1015 vertretenen Ansicht zu der früheren Rechtsprechung des [X.] zur Abziehbarkeit der [X.]osten eines Zivilprozesses als außergewöhnliche Belastung zurück. Wegen der Einzelheiten wird auf das [X.]surteil in [X.]E 250, 153, [X.] 2015, 800 Bezug genommen.

2. Nach diesen Maßstäben ist auch im Streitfall zu prüfen, ob die geltend gemachten [X.]osten für die zivilprozessuale Auseinandersetzung als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen sind. Zivilprozesskosten sind demnach nur insoweit abziehbar, als der Prozess existenziell wichtige Bereiche oder den [X.]ernbereich menschlichen Lebens berührt. Liefe der Steuerpflichtige ohne den Rechtsstreit Gefahr, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können, kann der Steuerpflichtige auch bei unsicheren Erfolgsaussichten aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen gezwungen sein, einen Zivilprozess zu führen, sodass die Prozesskosten zwangsläufig [X.] von § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG erwachsen.

a) Das [X.] ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Seine Entscheidung hat daher keinen Bestand.

aa) Der [X.] führt für die bis einschließlich 2012 anzuwendende Fassung des § 33 EStG die Rechtsprechung zur Berücksichtigung von durch Ehescheidungsverfahren entstandenen Prozesskosten als außergewöhnliche Belastungen fort ([X.]surteile vom 20. Januar 2016 VI R 66/12, [X.]/NV 2016, 998; VI R 70/12, [X.]/NV 2016, 905; vom 10. März 2016 VI R 38/13, [X.]/NV 2016, 1009). Danach sind zwar die mit dem Gerichtsverfahren verbundenen [X.]osten für die Scheidung und den Versorgungsaugleich als zwangsläufig entstanden anzusehen und dementsprechend als außergewöhnliche Belastungen abziehbar. Aber [X.]osten für außerhalb des sog. [X.] durch das Familiengericht oder außergerichtlich im Zusammenhang mit der Ehescheidung getroffene Regelungen werden nicht als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt. Dies gilt unabhängig davon, ob für die [X.] § 623 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) anzuwenden ist oder § 137 Abs. 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Weiter kommt es nicht darauf an, ob ein Ehegatte die [X.]osten auslösende Aufnahme von [X.] in den Scheidungsverbund beantragt hatte und diese insoweit zwingend im Verbund zu entscheiden waren. Denn auch insoweit gelten die [X.]osten für den mit dem Verfahren überzogenen Ehegatten nicht als unvermeidbar ([X.]-Urteil vom 30. Juni 2005 III R 27/04, [X.]E 210, 306, [X.] 2006, 492). Entscheidend ist, dass der Gesetzgeber den früheren Eheleuten Inhalt und Verfahren der Regelung ihrer Verhältnisse zur eigenverantwortlichen Gestaltung übertragen hat wie in bestehender Ehe oder im Falle nichtehelicher Familienbeziehungen (vgl. [X.]-Urteile in [X.]E 210, 306, [X.] 2006, 492; vom 30. Juni 2005 III R 36/03, [X.]E 210, 302, [X.] 2006, 491).

bb) Nach den für den [X.] bindenden Feststellungen des [X.] ist für die Streitigkeiten zwischen dem [X.]läger und [X.] überwiegend --ggf. mit Ausnahme des [X.] [X.] Recht anzuwenden.

Es gehört zu den Aufgaben des [X.] als Tatsacheninstanz, das maßgebende ausländische Recht zu ermitteln (§ 155 [X.]O i.V.m. § 293 ZPO; z.B. [X.]-Urteile vom 15. März 1995 I R 14/94, [X.]E 177, 263, [X.] 1995, 502; vom 13. Juni 2013 III R 10/11, [X.]E 241, 562, [X.] 2014, 706). Ausgehend von seiner abweichenden Rechtsauffassung hat das [X.] nicht festgestellt, ob die dem Streitfall zugrunde liegenden Rechtsstreitigkeiten nach [X.] Recht in einem dem sog. [X.] vergleichbaren Verfahren zu entscheiden oder ob Inhalt und Verfahren der Regelung der streitigen Verhältnisse den Eheleuten zur eigenverantwortlichen Gestaltung übertragen sind und es mithin an der Zwangsläufigkeit der streitigen Aufwendungen fehlt. Das [X.] wird diese Feststellungen im zweiten Rechtsgang nachholen und auf dieser Grundlage entscheiden, ob und ggf. in welcher Höhe die streitigen Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen anzuerkennen sind.

3. Die Übertragung der [X.]ostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 [X.]O.

Meta

VI R 26/13

15.06.2016

Bundesfinanzhof 6. Senat

Urteil

vorgehend Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht, 17. April 2013, Az: 5 K 156/12, Urteil

§ 33 Abs 1 EStG 2009, § 33 Abs 2 EStG 2009, EStG VZ 2010, § 155 FGO, § 293 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 15.06.2016, Az. VI R 26/13 (REWIS RS 2016, 9954)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 9954

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