Bundesfinanzhof, Urteil vom 28.04.2016, Az. VI R 15/15

6. Senat | REWIS RS 2016, 12157

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

(Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastungen - Keine Berücksichtigung von Scheidungsfolgekosten - Im Wesentlichen inhaltsgleich mit BFH-Urteil vom 10.03.2016 VI R 38/13)


Leitsatz

1. NV: Kosten familienrechtlicher und sonstiger Regelungen im Zusammenhang mit einer Ehescheidung außerhalb des sog. Zwangsverbunds sind regelmäßig nicht als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen .

2. NV: Dies gilt auch für Aufwendungen für die vergleichsweise Beilegung von Streitigkeiten über die elterliche Sorge für die gemeinsamen Kinder, das Umgangsrecht, den Kindesunterhalt sowie den Ehegattenunterhalt einschließlich des teilweisen Unterhaltsverzichts, den Zugewinn, den Hausrat und das in gemeinsamem Eigentum stehende Einfamilienhaus (vgl. Senatsurteil vom 10.03.2016 VI R 38/13) .

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 18. Dezember 2014  6 K 1090/12 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

1

I. Die Beteiligten streiten um die Anerkennung von Prozesskosten im Zusammenhang mit einem Scheidungsverfahren als außergewöhnliche Belastung.

2

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist seit Februar 2010 geschieden. Das familiengerichtliche Urteil betraf nur die Ehescheidung und den Versorgungsausgleich. Die [X.] wurden vergleichsweise beigelegt. Es wurden Regelungen über die elterliche Sorge für die gemeinsamen Kinder, zum Umgangsrecht und zum Kindesunterhalt getroffen. Weitere Regelungen betrafen den Ehegattenunterhalt für die geschiedene Ehefrau, den Unterhaltsverzicht für den Zeitraum nach dem 31. Dezember 2011 sowie das [X.]. Darüber hinaus einigten sich die Eheleute über den Hausrat, den Zugewinn und die Auseinandersetzung des in ihrem gemeinsamen Eigentum stehenden Einfamilienhauses.

3

In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr (2010) machte der Kläger außergewöhnliche Belastungen in Höhe von insgesamt 12.527 € geltend. Darin enthalten waren Kosten im Zusammenhang mit der Scheidung in Höhe von 11.766,48 €, darunter Rechtsanwaltskosten in Höhe von 10.742,13 €. Letztere setzten sich zusammen aus außergerichtlichen Kosten für die Scheidungsfolgenvereinbarung in Höhe von 7.647,42 € und Kosten für die anwaltliche Vertretung vor Gericht hinsichtlich der Scheidung in Höhe von 1.588,65 € sowie für die Scheidungsfolgenvereinbarung in Höhe von 3.291,06 €. Von der sich hieraus ergebenden Summe in Höhe von 12.527,13 € wurden im [X.] geleistete Abschlagszahlungen in Höhe von 1.785 € in Abzug gebracht, so dass der vorgenannte Betrag in Höhe von 10.742,13 € verblieb.

4

Im Steuerbescheid vom 28. Juni 2011 lehnte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --[X.]--) die Berücksichtigung von Scheidungsfolgekosten als außergewöhnliche Belastungen ab.

5

Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhob der Kläger Klage, der das [X.] (FG) stattgab.

6

Mit der Revision rügt das [X.] die Verletzung materiellen Rechts.

7

Das [X.] beantragt,
das Urteil des [X.] vom 18. Dezember 2014  6 K 1090/12 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

8

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

9

II. Die Revision des [X.] ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Das [X.] hat die geltend gemachten Aufwendungen im Zusammenhang mit der Scheidung zu Unrecht als außergewöhnliche Belastung [X.] des § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG) berücksichtigt.

1. Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen [X.] (außergewöhnliche Belastung), so wird auf Antrag die Einkommensteuer in bestimmtem Umfang ermäßigt (§ 33 Abs. 1 EStG). Gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen. Ziel des § 33 EStG ist es, zwangsläufige Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Freibeträgen entziehen. Aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen sind dagegen die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind (ständige Rechtsprechung, z.B. Urteile des [X.] --[X.]-- vom 29. September 1989 III R 129/86, [X.], 380, [X.] 1990, 418, und vom 26. Juni 2014 VI R 51/13, [X.], 326, [X.] 2015, 9).

2. Bei den Kosten eines Zivilprozesses sprach nach der langjährigen Rechtsprechung des [X.] eine Vermutung gegen die Zwangsläufigkeit (Senatsurteil vom 22. August 1958 VI 148/57 U, [X.]E 67, 379, [X.]I 1958, 419; [X.]-Urteile vom 18. Juli 1986 III R 178/80, [X.]E 147, 171, [X.] 1986, 745; vom 9. Mai 1996 III R 224/94, [X.]E 181, 12, [X.] 1996, 596; vom 4. Dezember 2001 III R 31/00, [X.]E 198, 94, [X.] 2002, 382; vom 18. März 2004 III R 24/03, [X.]E 206, 16, [X.] 2004, 726, und vom 27. August 2008 III R 50/06, [X.]/NV 2009, 553). Solche Kosten wurden nur als zwangsläufig erachtet, wenn auch das die Zahlungsverpflichtung oder den Zahlungsanspruch adäquat verursachende Ereignis zwangsläufig war ([X.]-Urteil in [X.]E 181, 12, [X.] 1996, 596). Daran fehlte es nach der Rechtsprechung des [X.] im Allgemeinen bei einem Zivilprozess ([X.]-Urteile in [X.]E 206, 16, [X.] 2004, 726, und in [X.]/NV 2009, 553). Als zwangsläufige Aufwendungen erkannte die Rechtsprechung Zivilprozesskosten nur an, wenn der Prozess existenziell wichtige Bereiche oder den Kernbereich menschlichen Lebens berührte. Liefe der Steuerpflichtige ohne den Rechtsstreit Gefahr, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können, könne er trotz unsicherer Erfolgsaussichten gezwungen sein, einen Zivilprozess zu führen ([X.]-Urteile in [X.]E 181, 12, [X.] 1996, 596, und in [X.]/NV 2009, 553).

Dagegen nahm der Senat in seinem Urteil vom 12. Mai 2011 VI R 42/10 ([X.]E 234, 30, [X.] 2011, 1015) die Unausweichlichkeit von Zivilprozesskosten unter der Voraussetzung an, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg biete und nicht mutwillig erscheine. Diese Auffassung hat auch das [X.] dem angefochtenen Urteil zugrunde gelegt.

Der Senat hält an seiner in dem Urteil in [X.]E 234, 30, [X.] 2011, 1015 vertretenen Auffassung allerdings nicht mehr fest. Wie er in seinem Urteil vom 18. Juni 2015 VI R 17/14 ([X.]E 250, 153, [X.] 2015, 800) entschieden hat, kehrt er unter Aufgabe seiner in dem Urteil in [X.]E 234, 30, [X.] 2011, 1015 vertretenen Ansicht zu der früheren Rechtsprechung des [X.] zur Abziehbarkeit der Kosten eines Zivilprozesses als außergewöhnliche Belastung zurück. Wegen der Einzelheiten wird auf das Senatsurteil in [X.]E 250, 153, [X.] 2015, 800 Bezug genommen.

3. Nach diesen Maßstäben ist auch im Streitfall zu prüfen, ob die geltend gemachten Kosten für die zivilprozessuale Auseinandersetzung als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen sind. Zivilprozesskosten sind demnach nur insoweit abziehbar, als der Prozess existenziell wichtige Bereiche oder den Kernbereich menschlichen Lebens berührt. Liefe der Steuerpflichtige ohne den Rechtsstreit Gefahr, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können, kann der Steuerpflichtige auch bei unsicheren Erfolgsaussichten aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen gezwungen sein, einen Zivilprozess zu führen, sodass die Prozesskosten zwangsläufig [X.] von § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG erwachsen.

a) Das [X.] ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Seine Entscheidung hat daher keinen Bestand.

b) Der Senat kann aufgrund der vom [X.] getroffenen tatsächlichen Feststellungen in der Sache selbst entscheiden. Die vom Kläger getragenen Kosten, die ihm durch die vergleichsweise Beilegung der Streitigkeiten über die elterliche Sorge für die gemeinsamen Kinder, das Umgangsrecht und den Kindesunterhalt, den Ehegattenunterhalt einschließlich teilweisen Unterhaltsverzichts, den Zugewinn sowie den Hausrat und das Einfamilienhaus entstanden sind, sind nicht als außergewöhnliche Belastungen steuermindernd zu berücksichtigen. Dasselbe gilt für die Vereinbarung über das [X.].

aa) Der Senat führt für die bis einschließlich 2012 geltende Fassung des § 33 EStG die Rechtsprechung zur Berücksichtigung von durch Ehescheidungsverfahren entstandenen Prozesskosten als außergewöhnliche Belastungen fort (Urteil vom 20. Januar 2016 VI R 70/12, [X.]/NV 2016, 905). Danach sind zwar die mit dem Gerichtsverfahren verbundenen Kosten für die Scheidung und den Versorgungsausgleich als zwangsläufig entstanden anzusehen und dementsprechend als außergewöhnliche Belastungen abziehbar. Aber Kosten für außerhalb des so genannten [X.] durch das Familiengericht oder außergerichtlich im Zusammenhang mit der Ehescheidung getroffene Regelungen werden nicht als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt. Das gilt unabhängig davon, ob für die [X.] noch § 623 Abs. 1 der Zivilprozessordnung a.F. anzuwenden ist oder schon § 137 Abs. 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (Fam[X.]). Weiter kommt es auch nicht darauf an, ob ein Ehegatte die Kosten auslösende Aufnahme von [X.] in den Scheidungsverbund beantragt hatte und diese insoweit zwingend im Verbund zu entscheiden waren. Denn auch insoweit gelten die Kosten für den mit dem Verfahren überzogenen Ehegatten nicht als unvermeidbar ([X.]-Urteil vom 30. Juni 2005 III R 27/04, [X.]E 210, 306, [X.] 2006, 492).

Entscheidend ist, dass der Gesetzgeber den früheren Eheleuten Inhalt und Verfahren der Regelung ihrer Verhältnisse im Wesentlichen in gleicher Weise zur eigenverantwortlichen Gestaltung übertragen hat wie in bestehender Ehe oder im Fall nichtehelicher Familienbeziehungen (vgl. [X.]-Urteile in [X.]E 210, 306, [X.] 2006, 492; vom 30. Juni 2005 III R 36/03, [X.]E 210, 302, [X.] 2006, 491; ebenso [X.] München, Urteil vom 21. August 2012  10 K 800/10, Entscheidungen der Finanzgerichte 2013, 451).

bb) Nach § 137 Abs. 2 Fam[X.] sind bestimmte Familiensachen (sog. Folgesachen) zusammen mit der Scheidungssache zu verhandeln und zu entscheiden (sog. Verbund), wenn dies von einem Ehegatten rechtzeitig begehrt wurde. Folgesachen sind auch [X.], die die Übertragung und Entziehung der elterlichen Sorge, das Umgangsrecht und die Herausgabe eines gemeinschaftlichen Kindes betreffen, wenn ein Ehegatte vor Schluss der mündlichen Verhandlung im ersten Rechtszug in der Scheidungssache die Einbeziehung in den Verbund beantragt, es sei denn, das Familiengericht hält die Einbeziehung aus Gründen des Kindeswohls nicht für sachgerecht (§ 137 Abs. 3 Fam[X.]).

Gerichts- und Rechtsanwaltskosten wegen eines Streits der (früheren) Ehegatten über Folgesachen eines [X.] außerhalb des sogenannten [X.] stellen danach grundsätzlich keine außergewöhnlichen Belastungen dar (vgl. Senatsurteil vom 10. März 2016 VI R 38/13). Entsprechend sind die Aufwendungen des Klägers für die vergleichsweise Beilegung der Streitigkeiten über die elterliche Sorge für die gemeinsamen Kinder, das Umgangsrecht (vgl. dazu Senatsurteil vom 10. März 2016 VI R 38/13) und den Kindesunterhalt sowie den Ehegattenunterhalt einschließlich des teilweisen Unterhaltsverzichts, den Zugewinn, den Hausrat und das Einfamilienhaus nicht als außergewöhnliche Belastungen steuermindernd zu berücksichtigen. Dies gilt erst recht für die über den Katalog des § 137 Abs. 2, 3 Fam[X.] hinausgehende Vereinbarung über das [X.]. Außergewöhnliche Umstände, aus denen sich im Streitfall etwas anderes ergibt, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Insbesondere weisen die Vereinbarungen über die [X.] keine Besonderheiten auf, die es rechtfertigen, insoweit ausnahmsweise außergewöhnliche Belastungen anzunehmen (vgl. [X.]-Urteil in [X.]E 198, 94, [X.] 2002, 382). So waren sich der Kläger und seine frühere Ehefrau darüber einig, dass die elterliche Sorge für die gemeinsamen Kinder weiterhin gemeinsam ausgeübt werden sollte. Dem Kläger wurde ein großzügiges Umgangsrecht eingeräumt.

Es handelt sich insoweit auch nicht um Aufwendungen für Rechtsstreitigkeiten, die existenziell wichtige Bereiche oder den Kernbereich menschlichen Lebens berühren. Zwar mag der Ausgang der betreffenden zivilrechtlichen Auseinandersetzungen von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung sein. Der Kläger lief indes nicht Gefahr, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können, hätte er sich nicht auf einen Prozess eingelassen.

4. [X.] beruht auf § 135 Abs. 1 [X.]O.

Meta

VI R 15/15

28.04.2016

Bundesfinanzhof 6. Senat

Urteil

vorgehend FG Köln, 18. Dezember 2014, Az: 6 K 1090/12, Urteil

§ 33 Abs 1 EStG 2009, § 33 Abs 2 EStG 2009, EStG VZ 2010, § 137 Abs 2 FamFG, § 137 Abs 3 FamFG

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 28.04.2016, Az. VI R 15/15 (REWIS RS 2016, 12157)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 12157

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

VI R 38/13 (Bundesfinanzhof)

Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastungen


VI R 49/15 (Bundesfinanzhof)

Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastungen


VI R 5/15 (Bundesfinanzhof)

(Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastungen - Keine Berücksichtigung von Scheidungsfolgekosten - Im Wesentlichen inhaltsgleich mit BFH-Urteil …


VI R 69/12 (Bundesfinanzhof)

Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastungen


VI R 56/14 (Bundesfinanzhof)

Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastungen


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.