Bundesfinanzhof, Urteil vom 14.04.2016, Az. VI R 56/14

6. Senat | REWIS RS 2016, 12994

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Gegenstand

Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastungen


Leitsatz

1. NV: Mit dem Gerichtsverfahren verbundene Kosten für die Ehescheidung und den Versorgungsausgleich sind als außergewöhnliche Belastungen i.S. des § 33 EStG in der bis einschließlich 2012 anzuwendenden Fassung abziehbar .

2. NV: Kosten für außerhalb des so genannten Zwangsverbunds durch das Familiengericht oder außergerichtlich im Zusammenhang mit der Ehescheidung getroffene Regelungen sind nicht als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen .

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 15. August 2014  3 K 2493/12 E aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des gesamten Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

1

I. Streitig ist die Berücksichtigung von Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastung nach § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

2

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist von ihrem Ehemann geschieden. Nach der Scheidung kam es zu einer Vielzahl gerichtlicher Auseinandersetzungen zwischen den geschiedenen Eheleuten, die mit dem Zugewinnausgleich und dem nachehelichen Unterhalt im Zusammenhang standen. Über das Vermögen des geschiedenen Ehemannes der Klägerin ist zwischenzeitlich das Insolvenzverfahren eröffnet worden.

3

In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr (2010) machte die Klägerin Gerichtsgebühren in Höhe von 260 € und Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.798,92 € --insgesamt 2.059 €-- als außergewöhnliche Belastungen geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --[X.]--) ließ die Aufwendungen nicht zum Abzug zu.

4

Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhob die Klägerin Klage, der das [X.] (FG) stattgab.

5

Mit der Revision rügt das [X.] die Verletzung materiellen Rechts.

6

Das [X.] beantragt,
das Urteil des [X.] vom 15. August 2014  3 K 2493/12 E aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7

Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

8

II. Die Revision des [X.] ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Das [X.] hat zu Unrecht die von der Klägerin aufgewandten Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastungen steuermindernd berücksichtigt.

9

1. Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen [X.] (außergewöhnliche Belastung), so wird auf Antrag die Einkommensteuer in bestimmtem Umfang ermäßigt (§ 33 Abs. 1 EStG). Gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen. Ziel des § 33 EStG ist es, zwangsläufige Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Freibeträgen entziehen. Aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen sind dagegen die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind (ständige Rechtsprechung, z.B. Urteile des [X.] --[X.]-- vom 29. September 1989 III R 129/86, [X.], 380, [X.] 1990, 418, und vom 26. Juni 2014 VI R 51/13, [X.], 326, [X.] 2015, 9).

a) Bei den Kosten eines Zivilprozesses sprach nach der langjährigen Rechtsprechung des [X.] eine Vermutung gegen die Zwangsläufigkeit (Senatsurteil vom 22. August 1958 VI 148/57 U, [X.]E 67, 379, [X.]I 1958, 419; [X.]-Urteile vom 18. Juli 1986 III R 178/80, [X.]E 147, 171, [X.] 1986, 745; vom 9. Mai 1996 III R 224/94, [X.]E 181, 12, [X.] 1996, 596; vom 4. Dezember 2001 III R 31/00, [X.]E 198, 94, [X.] 2002, 382; vom 18. März 2004 III R 24/03, [X.]E 206, 16, [X.] 2004, 726, und vom 27. August 2008 III R 50/06, [X.]/NV 2009, 553). Solche Kosten wurden nur als zwangsläufig erachtet, wenn auch das die Zahlungsverpflichtung oder den Zahlungsanspruch adäquat verursachende Ereignis zwangsläufig war ([X.]-Urteil in [X.]E 181, 12, [X.] 1996, 596). Daran fehlte es nach der Rechtsprechung des [X.] im Allgemeinen bei einem Zivilprozess ([X.]-Urteile in [X.]E 206, 16, [X.] 2004, 726, und in [X.]/NV 2009, 553). Als zwangsläufige Aufwendungen erkannte die Rechtsprechung Zivilprozesskosten nur an, wenn der Prozess existenziell wichtige Bereiche oder den Kernbereich menschlichen Lebens berührte. Liefe der Steuerpflichtige ohne den Rechtsstreit Gefahr, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können, könne er trotz unsicherer Erfolgsaussichten gezwungen sein, einen Zivilprozess zu führen ([X.]-Urteile in [X.]E 181, 12, [X.] 1996, 596, und in [X.]/NV 2009, 553).

b) Dagegen nahm der Senat in seinem Urteil vom 12. Mai 2011 VI R 42/10 ([X.]E 234, 30, [X.] 2011, 1015) die Unausweichlichkeit von Zivilprozesskosten unter der Voraussetzung an, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg biete und nicht mutwillig erscheine. Diese Auffassung hat auch das [X.] dem angefochtenen Urteil zugrunde gelegt.

c) Der Senat hält an seiner in dem Urteil in [X.]E 234, 30, [X.] 2011, 1015 vertretenen Auffassung allerdings nicht mehr fest. Wie er in seinem Urteil vom 18. Juni 2015 VI R 17/14 ([X.]E 250, 153, [X.] 2015, 800) entschieden hat, kehrt er unter Aufgabe seiner in dem Urteil in [X.]E 234, 30, [X.] 2011, 1015 vertretenen Ansicht zu der früheren Rechtsprechung des [X.] zur Abziehbarkeit der Kosten eines Zivilprozesses als außergewöhnliche Belastung zurück. Wegen der Einzelheiten wird auf das Senatsurteil in [X.]E 250, 153, [X.] 2015, 800 Bezug genommen.

2. Nach diesen Maßstäben ist auch im Streitfall zu prüfen, ob die geltend gemachten Kosten für die zivilprozessuale Auseinandersetzung als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen sind. Zivilprozesskosten sind demnach nur insoweit abziehbar, als der Prozess existenziell wichtige Bereiche oder den Kernbereich menschlichen Lebens berührt. Liefe der Steuerpflichtige ohne den Rechtsstreit Gefahr, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können, kann der Steuerpflichtige auch bei unsicheren Erfolgsaussichten aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen gezwungen sein, einen Zivilprozess zu führen, sodass die Prozesskosten zwangsläufig [X.] von § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG erwachsen.

a) Das [X.] ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Seine Entscheidung hat daher keinen Bestand.

b) Der Senat kann aufgrund der vom [X.] getroffenen tatsächlichen Feststellungen in der Sache selbst entscheiden. Die von der Klägerin getragenen Prozesskosten sind nicht als außergewöhnliche Belastungen steuermindernd zu berücksichtigen.

aa) Der Senat führt für die bis einschließlich 2012 geltende Fassung des § 33 EStG die Rechtsprechung zur Berücksichtigung von durch Ehescheidungsverfahren entstandenen Prozesskosten als außergewöhnliche Belastungen fort (Urteil vom 20. Januar 2016 VI R 70/12). Danach sind zwar die mit dem Gerichtsverfahren verbundenen Kosten für die Scheidung und den Versorgungsausgleich als zwangsläufig entstanden anzusehen und dementsprechend als außergewöhnliche Belastungen abziehbar. Kosten für außerhalb des so genannten [X.] durch das Familiengericht oder außergerichtlich im Zusammenhang mit der Ehescheidung getroffene Regelungen sind hingegen nicht als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen. Das gilt unabhängig davon, ob für die [X.] noch § 623 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) a.[X.] anzuwenden ist oder schon § 137 Abs. 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Weiter kommt es auch nicht darauf an, ob ein Ehegatte die Kosten auslösende Aufnahme von [X.] in den Scheidungsverbund beantragt hatte und diese insoweit zwingend im Verbund zu entscheiden waren. Denn auch insoweit gelten die Kosten für den mit dem Verfahren überzogenen Ehegatten nicht als unvermeidbar ([X.]-Urteil vom 30. Juni 2005 III R 27/04, [X.]E 210, 306, [X.] 2006, 492).

Entscheidend ist, dass der Gesetzgeber den früheren Eheleuten Inhalt und Verfahren der Regelung ihrer Verhältnisse im Wesentlichen in gleicher Weise zur eigenverantwortlichen Gestaltung übertragen hat wie in bestehender Ehe oder im Falle nichtehelicher Familienbeziehungen (vgl. [X.]-Urteile in [X.]E 210, 306, [X.] 2006, 492; vom 30. Juni 2005 III R 36/03, [X.]E 210, 302, [X.] 2006, 491; ebenso [X.] München, Urteil vom 21. August 2012  10 K 800/10, Entscheidungen der Finanzgerichte 2013, 451).

bb) Die von der Klägerin hier geltend gemachten Zivilprozesskosten im Zusammenhang mit dem Scheidungsverfahren betrafen sämtlich [X.], die nicht im [X.] (Versorgungsausgleich nach § 623 Abs. 1 Satz 3 ZPO) zu entscheiden waren. Sie sind ihr folglich nicht zwangsläufig erwachsen. Damit war die Klage abzuweisen.

3. [X.] beruht auf § 135 Abs. 1 [X.]O.

Meta

VI R 56/14

14.04.2016

Bundesfinanzhof 6. Senat

Urteil

vorgehend FG Düsseldorf, 15. August 2014, Az: 3 K 2493/12 E, Urteil

§ 33 Abs 1 EStG 2009, § 33 Abs 2 EStG 2009, § 137 Abs 1 FamFG, § 623 Abs 1 ZPO, EStG VZ 2010

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 14.04.2016, Az. VI R 56/14 (REWIS RS 2016, 12994)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 12994

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