Bundesfinanzhof, Urteil vom 15.06.2016, Az. VI R 34/14

6. Senat | REWIS RS 2016, 9886

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Gegenstand

Durch Ehescheidungsverfahren entstandene Prozesskosten als außergewöhnliche Belastungen


Leitsatz

1. NV: Mit dem Gerichtsverfahren verbundene Kosten für die Ehescheidung und den Versorgungsausgleich sind als außergewöhnliche Belastungen i.S. des § 33 EStG in der bis einschließlich 2012 geltenden Fassung abziehbar .

2. NV: Kosten für außerhalb des so genannten Zwangsverbunds durch das Familiengericht oder außergerichtlich im Zusammenhang mit der Ehescheidung getroffene Regelungen (hier: Zivilprozesskosten im Zusammenhang mit dem Zugewinn) werden nicht als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt. Das gilt unabhängig davon, ob für die Scheidungsfolgesachen noch § 623 Abs. 1 ZPO a.F. anzuwenden ist oder schon § 137 Abs. 1 FamFG. Unerheblich ist auch, ob ein Ehegatte die Kosten auslösende Aufnahme von Scheidungsfolgesachen in den Scheidungsverbund beantragt hatte und diese insoweit zwingend im Verbund zu entscheiden waren .

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 16. Dezember 2013  7 K 2195/12 E aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

1

I. Streitig ist, ob Zivilprozesskosten außergewöhnliche Belastungen gemäß § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG) darstellen.

2

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) erzielte im Streitjahr (2011) Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Im Rahmen seiner Einkommensteuererklärung machte er Gerichts- und Rechtsanwaltskosten, die ihm im Rahmen zweier Zivilprozesse entstanden waren, als außergewöhnliche Belastungen geltend.

3

In dem Zivilprozess vor dem [X.] ([X.]) und dem [X.] (O[X.]) wurde der Kläger durch seine frühere Schwiegermutter aus einer behaupteten Darlehensforderung in Höhe von ca. 40.000 € in Anspruch genommen. Das behauptete Darlehen stand im Zusammenhang mit dem Bau eines Hauses, welches der Kläger mit seiner geschiedenen Ehefrau und deren Eltern während der Ehezeit gebaut und später gemeinsam bewohnt hatte. Nach der Trennung von seiner Frau kam es zu Unstimmigkeiten und damit zu einer Inanspruchnahme aus einem behaupteten Darlehensvertrag. Der Kläger obsiegte in erster Instanz vor dem [X.] und stimmte vor dem O[X.] einem Vergleich zu. Für dieses Verfahren entstanden ihm Gerichtskosten und Kosten für die Inanspruchnahme des Prozessbevollmächtigten in Höhe von insgesamt 5.707,92 €.

4

In einem weiteren Verfahren vor dem [X.] über den Zugewinnausgleich belief sich die Vergütung für den Prozessbevollmächtigten im Streitjahr auf 3.406,08 €.

5

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --[X.]--) führte die Einkommensteuerveranlagung 2011 ohne Berücksichtigung der geltend gemachten Gerichts- und Rechtsanwaltskosten durch. Der Kläger legte gegen den Einkommensteuerbescheid Einspruch ein, den das [X.] als unbegründet zurückwies. Der hiergegen erhobenen Klage gab das [X.] ([X.]) im Hinblick auf das Senatsurteil vom 12. Mai 2011 VI R 42/10 ([X.], 30, [X.], 1015) statt.

6

Mit der Revision rügt das [X.] die Verletzung materiellen Rechts.

7

Es beantragt,
das Urteil des [X.] Münster 7 K 2195/12 E aufzuheben und die Klage abzuweisen.

8

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

9

II. Die Revision des [X.] ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Das [X.] hat zu Unrecht die vom Kläger aufgewandten Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastungen steuermindernd berücksichtigt.

1. Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen [X.] (außergewöhnliche Belastung), so wird auf Antrag die Einkommensteuer in bestimmtem Umfang ermäßigt (§ 33 Abs. 1 EStG). Gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen. Ziel des § 33 EStG ist es, zwangsläufige Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Freibeträgen entziehen. Aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen sind dagegen die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind (ständige Rechtsprechung, z.B. Urteile des [X.] --[X.]-- vom 29. September 1989 III R 129/86, [X.], 380, [X.] 1990, 418, und vom 26. Juni 2014 VI R 51/13, [X.], 326, [X.] 2015, 9).

a) Bei den Kosten eines Zivilprozesses sprach nach der langjährigen Rechtsprechung des [X.] eine Vermutung gegen die Zwangsläufigkeit (Senatsurteil vom 22. August 1958 VI 148/57 U, [X.]E 67, 379, [X.]I 1958, 419; [X.]-Urteile vom 18. Juli 1986 III R 178/80, [X.]E 147, 171, [X.] 1986, 745; vom 9. Mai 1996 III R 224/94, [X.]E 181, 12, [X.] 1996, 596; vom 4. Dezember 2001 III R 31/00, [X.]E 198, 94, [X.] 2002, 382; vom 18. März 2004 III R 24/03, [X.]E 206, 16, [X.] 2004, 726, und vom 27. August 2008 III R 50/06, [X.]/NV 2009, 553). Solche Kosten wurden nur als zwangsläufig erachtet, wenn auch das die Zahlungsverpflichtung oder den Zahlungsanspruch adäquat verursachende Ereignis zwangsläufig war ([X.]-Urteil in [X.]E 181, 12, [X.] 1996, 596). Daran fehlte es nach der Rechtsprechung des [X.] im Allgemeinen bei einem Zivilprozess ([X.]-Urteile in [X.]E 206, 16, [X.] 2004, 726, und in [X.]/NV 2009, 553). Als zwangsläufige Aufwendungen erkannte die Rechtsprechung Zivilprozesskosten nur an, wenn der Prozess existenziell wichtige Bereiche oder den Kernbereich menschlichen Lebens berührte. Liefe der Steuerpflichtige ohne den Rechtsstreit Gefahr, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können, könne er trotz unsicherer Erfolgsaussichten gezwungen sein, einen Zivilprozess zu führen ([X.]-Urteile in [X.]E 181, 12, [X.] 1996, 596, und in [X.]/NV 2009, 553).

b) Dagegen nahm der Senat in seiner Entscheidung in [X.]E 234, 30, [X.] 2011, 1015 die Unausweichlichkeit von Zivilprozesskosten unter der Voraussetzung an, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg biete und nicht mutwillig erscheine. Diese Auffassung hat auch das [X.] dem angefochtenen Urteil zugrunde gelegt.

c) Der Senat hält an seiner in dem Urteil in [X.]E 234, 30, [X.] 2011, 1015 vertretenen Auffassung allerdings nicht mehr fest. Wie er in seinem Urteil vom 18. Juni 2015 VI R 17/14 ([X.]E 250, 153, [X.] 2015, 800) entschieden hat, kehrt er unter Aufgabe seiner in dem Urteil in [X.]E 234, 30, [X.] 2011, 1015 vertretenen Ansicht zu der früheren Rechtsprechung des [X.] zur Abziehbarkeit der Kosten eines Zivilprozesses als außergewöhnliche Belastung zurück. Wegen der Einzelheiten wird auf das Senatsurteil in [X.]E 250, 153, [X.] 2015, 800 Bezug genommen.

2. Nach diesen Maßstäben ist auch im Streitfall zu prüfen, ob die geltend gemachten Kosten für die zivilprozessuale Auseinandersetzung als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen sind. Zivilprozesskosten sind demnach nur insoweit abziehbar, als der Prozess existenziell wichtige Bereiche oder den Kernbereich menschlichen Lebens berührt. Liefe der Steuerpflichtige ohne den Rechtsstreit Gefahr, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können, kann der Steuerpflichtige auch bei unsicheren Erfolgsaussichten aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen gezwungen sein, einen Zivilprozess zu führen, sodass die Prozesskosten zwangsläufig [X.] von § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG erwachsen.

a) Das [X.] ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Seine Entscheidung hat daher keinen Bestand.

b) Der Senat kann aufgrund der vom [X.] getroffenen tatsächlichen Feststellungen in der Sache selbst entscheiden. Die vom Kläger getragenen Prozesskosten sind nicht als außergewöhnliche Belastungen steuermindernd zu berücksichtigen.

aa) Der Senat führt für die bis einschließlich 2012 geltende Fassung des § 33 EStG die Rechtsprechung zur Berücksichtigung von durch Ehescheidungsverfahren entstandenen Prozesskosten als außergewöhnliche Belastungen fort (Urteil vom 20. Januar 2016 VI R 70/12, [X.]/NV 2016, 905). Danach sind zwar die mit dem Gerichtsverfahren verbundenen Kosten für die Scheidung und den Versorgungsausgleich als zwangsläufig entstanden anzusehen und dementsprechend als außergewöhnliche Belastungen abziehbar. Aber Kosten für außerhalb des so genannten [X.] durch das Familiengericht oder außergerichtlich im Zusammenhang mit der Ehescheidung getroffene Regelungen werden nicht als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt. Das gilt unabhängig davon, ob für die [X.] noch § 623 Abs. 1 der Zivilprozessordnung a.F. anzuwenden ist oder schon § 137 Abs. 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Weiter kommt es auch nicht darauf an, ob ein Ehegatte die Kosten auslösende Aufnahme von [X.] in den Scheidungsverbund beantragt hatte und diese insoweit zwingend im Verbund zu entscheiden waren. Denn auch insoweit gelten die Kosten für den mit dem Verfahren überzogenen Ehegatten nicht als unvermeidbar ([X.]-Urteil vom 30. Juni 2005 III R 27/04, [X.]E 210, 306, [X.] 2006, 492).

Entscheidend ist, dass der Gesetzgeber den früheren Eheleuten Inhalt und Verfahren der Regelung ihrer Verhältnisse im Wesentlichen in gleicher Weise zur eigenverantwortlichen Gestaltung übertragen hat wie in bestehender Ehe oder im Falle nichtehelicher Familienbeziehungen (vgl. [X.]-Urteile in [X.]E 210, 306, [X.] 2006, 492; vom 30. Juni 2005 III R 36/03, [X.]E 210, 302, [X.] 2006, 491; ebenso [X.] München, Urteil vom 21. August 2012  10 K 800/10, Entscheidungen der Finanzgerichte 2013, 451).

bb) Die vom Kläger hier geltend gemachten Zivilprozesskosten im Zusammenhang mit dem Zugewinn betreffen eine Scheidungsfolgesache, die nicht im [X.] zu entscheiden war.

Bei dem Prozess betreffend die behauptete Darlehensforderung der Schwiegermutter handelte es sich lediglich um eine zivilprozessuale Auseinandersetzung, die im weiteren Sinn mit der Scheidung des [X.] von seiner früheren Ehefrau zusammenhing. Insoweit liegt keine Rechtsstreitigkeit vor, die existenziell wichtige Bereiche oder den Kernbereich menschlichen Lebens berührt. Zwar mag der Ausgang der betreffenden zivilrechtlichen Auseinandersetzungen von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung gewesen sein. Der Kläger lief indes nicht Gefahr, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können, hätte er sich nicht auf einen Prozess eingelassen.

3. [X.] beruht auf § 135 Abs. 1 [X.]O.

Meta

VI R 34/14

15.06.2016

Bundesfinanzhof 6. Senat

Urteil

vorgehend FG Münster, 16. Dezember 2013, Az: 7 K 2195/12 E, Urteil

§ 33 Abs 1 EStG 2009, § 33 Abs 2 EStG 2009, EStG VZ 2011, § 623 ZPO, § 137 Abs 1 FamFG

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 15.06.2016, Az. VI R 34/14 (REWIS RS 2016, 9886)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 9886

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