Bundessozialgericht, Beschluss vom 30.03.2011, Az. B 12 KR 92/10 B

12. Senat | REWIS RS 2011, 8086

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensmangel - Entscheidung durch Einzelrichter - Verletzung des Grundsatzes des gesetzlichen Richters


Tenor

Auf die Beschwerde der Beigeladenen zu 2. gegen die Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des [X.] vom 14. September 2010 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

I. In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit wendet sich der Kläger der Sache nach gegen die Feststellung der beklagten Krankenkasse, dass er in seiner Tätigkeit für die [X.] (Beigeladene zu 1.) über den 30.6.2001 hinaus sozialversicherungspflichtig beschäftigt ist. Gegen das für ihn negative Urteil des [X.] hatte der Kläger Berufung eingelegt.

2

Nach Übersendung der Berufungsschrift erklärte sich der beigeladene Rentenversicherungsträger (Beigeladene zu 2.) mit Schreiben an das L[X.] vom [X.] mit einer Berufungsentscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden (vgl § 124 Abs 2 iVm § 153 Abs 1 [X.]G). Unter dem [X.] verfügte der Berichterstatter des 1. Senats des L[X.], dem diese Aufgabe (vgl § 106 Abs 3 [X.] [X.]G) zuvor nach § 155 Abs 1 [X.]G übertragen worden war, die Ladung aller Beteiligten zu einem Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage sowie zur Beweisaufnahme am [X.]. Die Sitzung am [X.] wurde durch den Berichterstatter in Abwesenheit ua der Beigeladenen zu 2. durchgeführt. Ausweislich des [X.] erklärten sich die (erschienenen) Beteiligten im Termin mit einer "Entscheidung des Senats durch den Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung als Einzelrichter" (vgl § 124 Abs 2 iVm § 155 Abs 1 [X.]G und § 155 Abs 3, 4 [X.]G) einverstanden. Am [X.] wurde die Sitzungsniederschrift an alle Beteiligten versandt. Mit Urteil vom [X.] gab der 1. Senat des L[X.] der Berufung des [X.] durch seinen Berichterstatter als Einzelrichter ohne mündliche Verhandlung statt und berief sich insoweit darauf, dass sich "die Beteiligten" zuvor mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt hätten.

3

Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision rügt die Beigeladene zu 2. als Verfahrensfehler, dass über die Berufung durch den Berichterstatter entschieden worden sei, ohne dass die in § 155 Abs 3, 4 [X.]G genannten Voraussetzungen vorgelegen hätten.

4

II. Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Die Beigeladene zu 2. macht zu Recht einen Verfahrensmangel geltend, auf dem das angefochtene Urteil auch beruht (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]G). Das L[X.] hat gegen das Recht der Beigeladenen zu 2. auf [X.] (Art 101 Abs 1 Satz 2 GG) verstoßen, weil es am [X.] über die Berufung allein durch den Berichterstatter entschieden hat, obwohl der 1. Senat des L[X.] in voller Besetzung - also mit einem Vorsitzenden, zwei weiteren Berufsrichtern und zwei ehrenamtlichen Richtern (vgl § 33 Satz 1 [X.]G) - hätte tätig werden müssen.

5

Bei Urteilen mit und ohne mündliche Verhandlung entscheidet über das Rechtsmittel der Berufung grundsätzlich der mit einem Vorsitzenden, zwei weiteren Berufsrichtern sowie zwei ehrenamtlichen Richtern besetzte Senat (vgl § 33 Satz 1 [X.]G). Nur unter den vom Gesetz bestimmten Voraussetzungen des § 155 Abs 3 und Abs 4 [X.]G, dh im Einverständnis der - genauer aller (vgl [X.] in [X.], [X.]G, § 155 RdNr 56; [X.] in [X.], [X.]G-HK, 3. Aufl 2008, § 155 RdNr 13) - Beteiligten, zu denen auch die Beigeladenen gehören (vgl § 69 [X.] [X.]G), kann statt seiner der Vorsitzende oder der Berichterstatter allein entscheiden. Die Frage, ob das L[X.] durch den Senat in voller Besetzung oder durch einen Berufsrichter allein befinden darf, berührt das von [X.] wegen (Art 101 Abs 1 Satz 2 GG) gewährleistete Recht auf [X.] in seiner einfach-rechtlichen Ausprägung (vgl B[X.] Urteil vom 8.11.2007 - [X.]/9a [X.] 3/06 R - B[X.]E 99, 189 = [X.]-1500 § 155 [X.], RdNr 14 mwN).

6

Eine Prozesserklärung der Beigeladenen zu 2., die erkennen ließ, dass der Berichterstatter des 1. Senats des L[X.] anstelle des Senats in voller Besetzung entscheiden durfte, liegt nicht vor. Weil sie im Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage sowie zur Beweisaufnahme am [X.] nicht anwesend war, konnte die Beigeladene zu 2. dort eine solche nicht abgegeben haben. Eine entsprechende Einverständniserklärung ist auch weder vorher noch später erfolgt. Wegen der weitreichenden Folgen dieser Erklärung, die den Verzicht auf eine Berufungsentscheidung in voller Senatsbesetzung enthält, kann eine solche darüber hinaus nicht - im Wege der Auslegung - der am [X.] von der Beigeladenen zu 2. abgegebenen Erklärung des Einverständnisses mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entnommen oder in einem Schweigen der Beigeladenen zu 2. auf das am [X.] übersandte Sitzungsprotokoll vom [X.] gesehen werden.

7

Die in der Entscheidung allein durch den Berichterstatter liegende Verletzung des Rechts der Beigeladenen zu 2. auf [X.], auf deren Rüge als Verfahrensmangel auch nicht verzichtet werden kann, ist ein absoluter Revisionsgrund (vgl B[X.] Urteil vom 8.11.2007 - [X.]/9a [X.] 3/06 R - B[X.]E 99, 189 = [X.]-1500 § 155 [X.], Rd[X.]4). [X.] Darlegungen dazu, inwiefern das Berufungsurteil auf diesem Verfahrensmangel beruhen kann, sind daher nicht erforderlich. Im Übrigen würden die hierzu von der Beigeladenen zu 2. vorsorglich gemachten Ausführungen den Begründungsanforderungen auch genügen.

8

Nach § 160a Abs 5 [X.]G kann das B[X.] in dem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das L[X.] zurückverweisen. Hiervon macht der Senat zur Vermeidung weiterer Verfahrensverzögerungen Gebrauch.

9

Die Kostenentscheidung bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.

Meta

B 12 KR 92/10 B

30.03.2011

Bundessozialgericht 12. Senat

Beschluss

Sachgebiet: KR

vorgehend SG Hannover, 23. April 2010, Az: S 10 KR 597/08

§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG, Art 101 Abs 1 S 2 GG, § 155 Abs 3 SGG, § 155 Abs 4 SGG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 30.03.2011, Az. B 12 KR 92/10 B (REWIS RS 2011, 8086)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 8086

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