Bundessozialgericht, Beschluss vom 13.02.2014, Az. B 4 AS 360/13 B

4. Senat | REWIS RS 2014, 7881

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Tenor

Auf die Beschwerde des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 12. August 2013 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird an das [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Im Streit stehen hier Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.] für den Zeitraum von Januar bis Juli 2011 als Zuschuss.

2

Der Beklagte bewilligte dem Kläger, der zwischen dem ersten und dem zweiten juristischen Staatsexamen erkrankt war, für den Zeitraum vom 31.1.2011 bis 31.7.2011 vorläufig ua [X.] II. Zur Begründung führte er aus, der Kläger verfüge über nicht sofort verwertbares Vermögen. Er habe seiner Mutter vor dem Eintritt der Hilfebedürftigkeit ein Darlehen in Höhe von 17 500 Euro zur Renovierung eines in seinem Miteigentum stehenden Hauses, an dem seine Mutter ein Nießbrauchrecht habe, gewährt. Nach der Ausgestaltung des Darlehensvertrags habe der Kläger einen kurzfristig realisierbaren Rückzahlanspruch im Hinblick auf das Darlehen. Für den anschließenden Zeitraum von August 2011 bis Januar 2012 lehnte der Beklagte die Leistungsgewährung (Rechtsstreit zu dem Aktenzeichen L 7 AS 750/12 - Nichtzulassungsbeschwerde [X.] AS 359/13 B) ebenso wie für die weitere Zeit ab dem 1.2.2012 ab (Rechtsstreit zu dem Aktenzeichen L 7 AS 233/13 - Nichtzulassungsbeschwerde [X.] AS 361/13 B). Das [X.] hat den Beklagten für den hier streitigen Zeitraum zur Gewährung eines Zuschusses verurteilt, weil dem Kläger Gelegenheit gegeben werde müsse, das Vermögen zu realisieren (Urteil vom 17.8.2012) und das L[X.] hat auf die Berufung des Beklagten das Urteil des [X.] aufgehoben sowie die Klage abgewiesen (Urteil vom [X.]). Im Vorfeld der Entscheidung des Berufungsgerichts ist eine Ladung des [X.] zur mündlichen Verhandlung am [X.] vor dem L[X.] durch den Senatsvorsitzenden erfolgt. Ausweislich der Niederschrift des L[X.] vom [X.] ist die Verhandlung mit Zustimmung der Beteiligten als Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage unter Vorsitz des Berichterstatters durchgeführt worden. Alsdann haben sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt, dass die Verhandlung als öffentliche Sitzung weitergeführt wird. Der Niederschrift ist zu entnehmen, dass die Öffentlichkeit hergestellt und in die mündliche Verhandlung übergetreten worden ist. Der Berichterstatter hat nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung als Vorsitzender das Urteil verkündet. Das L[X.] hat die Revision nicht zugelassen.

3

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde an das B[X.]. Er macht eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]G) und rügt als Verfahrensfehler (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]G) die nicht ordnungsgemäße Besetzung des Berufungsgerichts.

4

II. Die zulässige Beschwerde ist begründet.

5

Die angefochtene Entscheidung ist [X.] zustande gekommen. Zu Recht rügt der Kläger eine Verletzung von § 33 iVm § 124 und § 155 Abs 3 iVm Abs 4 [X.]G durch das L[X.]. Das angefochtene Urteil des L[X.] ist aufzuheben, da die Entscheidung nicht durch [X.] getroffen worden ist.

6

Das Berufungsgericht hat durch den Berichterstatter gemäß § 155 Abs 3 iVm Abs 4 [X.]G entschieden, obwohl das für eine solche Verfahrensweise erforderliche Einverständnis des [X.] nicht vorgelegen hat.

7

Gemäß § 155 Abs 3 [X.]G kann der Vorsitzende mit Einverständnis der Beteiligten auch sonst an Stelle des Senats entscheiden. Ist ein Berichterstatter bestellt, so entscheidet dieser anstelle des Vorsitzenden (§ 155 Abs 4 [X.]G). Bei diesen Regelungen handelt es sich um eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass bei Urteilen mit und ohne mündliche Verhandlung über das Rechtsmittel der Berufung grundsätzlich der mit einem Vorsitzenden, zwei weiteren Berufsrichtern sowie zwei ehrenamtlichen Richtern besetzte Senat (§§ 29, 30, 31, 33 [X.] [X.]G) entscheidet. Die Frage, ob das L[X.] durch den Senat in voller Besetzung oder durch einen Berufsrichter allein befinden darf, berührt das von [X.] wegen (Art 101 Abs 1 S 2 GG) gewährleistete Recht auf [X.] in seiner einfach-rechtlichen Ausprägung (vgl B[X.] Beschluss vom 24.10.2013 - [X.] R 240/12 B - juris-Rd[X.] 7; B[X.] Beschluss vom [X.] KR 92/10 B - juris-Rd[X.] 5; B[X.] Urteil vom 8.11.2007 - [X.]/9a [X.] 3/06 R - B[X.]E 99, 189 = [X.]-1500 § 155 [X.], Rd[X.]4 mwN). Daher kann nur unter den vom Gesetz bestimmten Voraussetzungen des § 155 Abs 3 und Abs 4 [X.]G, dh im Einverständnis mit den Beteiligten, statt des vollständig besetzten Senats der Vorsitzende oder der Berichterstatter allein entscheiden.

8

Eine wirksame Einverständniserklärung des [X.] iS des § 155 Abs 3 [X.]G hat hier nicht vorgelegen. Die Erklärung eines Beteiligten, mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter einverstanden zu sein und damit auf die besondere Art der Gewährung rechtlichen Gehörs durch den gesamten Berufungssenat zu verzichten, muss klar, eindeutig und vorbehaltlos sein (B[X.] Beschluss vom [X.] - B 5 R 306/07 B - juris-Rd[X.]0). Denn die Erklärung hat insoweit weitreichende Folgen, als die Entscheidung durch den gesamten Spruchkörper eine höhere Richtigkeitsgewähr als diejenige eines einzelnen Richters bietet (vgl B[X.] Urteil vom 8.11.2007 - [X.]/9a [X.] 3/06 R - B[X.]E 99, 189 = [X.]-1500 § 155 [X.], Rd[X.]1; B[X.] Urteil vom [X.] - [X.] RS 2/06 R - [X.]-1500 § 155 [X.] juris-Rd[X.]2 ff). Nur wenn eine derartige eindeutige Erklärung abgegeben wird, wird die Zuständigkeit des Vorsitzenden oder des Berichterstatters begründet, anstelle des vom Gesetz grundsätzlich berufenen Senats über den [X.] entscheiden zu dürfen (vgl B[X.] Urteil vom [X.] - [X.] RS 2/06 R - B[X.] [X.]-1500 § 155 [X.] Rd[X.]7). Diesen Anforderungen wird die Erklärung des [X.] zur Niederschrift vom [X.] nicht gerecht.

9

Mit dieser hat der Kläger sein Einverständnis mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter nicht klar und eindeutig erteilt. Die Erklärung, "dass die Verhandlung als öffentliche Sitzung weitergeführt wird", ist schon deswegen nicht eindeutig, weil in ihr nicht zum Ausdruck kommt, dass die mündliche Verhandlung allein durch den Berichterstatter weitergeführt werden darf. Selbst wenn man aufgrund des bis dahin durch den Berichterstatter geleiteten Termins zur Erörterung der Sach- und Rechtslage und der Verwendung des Wortes "weitergeführt" annehmen wollte, dass gemeint sei, der Berichterstatter werde die Verhandlung in öffentlicher Sitzung "weiterführen", mangelt es an einem Einverständnis des [X.] iS des § 155 Abs 3, 4 [X.]G. Denn die dort vorausgesetzte Erklärung bezieht sich nicht auf die Durchführung der öffentlichen Sitzung, sondern auf die Entscheidung durch den Berichterstatter an Stelle des Senats. Hierzu hat sich der Kläger ausweislich der Niederschrift zur mündlichen Verhandlung nicht ausdrücklich erklärt.

Auch aus der zur Niederschrift genommenen Erklärung des Berichterstatters, die Verhandlung werde als öffentliche Sitzung weitergeführt, musste der Kläger nicht schließen, der Berichterstatter werde allein anstelle des Senats entscheiden. Nach dem Geschehensablauf, der Verspätung [X.] als Grund für die Durchführung der Verhandlung in der Form eines Erörterungstermins und der Anwesenheit des Vorsitzenden des [X.] im Beratungszimmer war es zumindest nicht abwegig, dass der Senat bei Vervollständigung der Richterbank in die Verhandlung eintreten und als Spruchkörper über die erhobenen Ansprüche entscheiden werde.

Die in der Entscheidung allein durch den Berichterstatter liegende Verletzung des Rechts des [X.] auf [X.], auf deren Rüge als Verfahrensmangel auch nicht verzichtet werden kann, ist ein absoluter Revisionsgrund (vgl B[X.] Beschluss vom 13.11.2012 - [X.] U 218/12 B - juris-Rd[X.]1; B[X.] Beschluss vom [X.] KR 92/10 B - juris-Rd[X.] 7; B[X.] Urteil vom 8.11.2007 - [X.]/9a [X.] 3/06 R - B[X.]E 99, 189 = [X.]-1500 § 155 [X.], Rd[X.]4). [X.] Darlegungen dazu, inwiefern das Berufungsurteil auf diesem Verfahrensmangel beruhen kann, sind daher nicht erforderlich. Im Übrigen reichen die hierzu vom Kläger vorsorglich gemachten Ausführungen den Begründungsanforderungen auch, denn es ist nicht auszuschließen, dass das L[X.] bei Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Senat und einer Beratung aller Senatsmitglieder zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre (vgl B[X.] Urteil vom [X.] - B[X.]E 44, 292 = [X.] 1500 § 124 [X.], juris-Rd[X.]8). Wegen der oben bereits dargelegten höheren Richtigkeitsgewähr der Entscheidung durch den Senat anstelle des Berichterstatters oder Vorsitzenden ist in der Regel von einem Einfluss der Entscheidung des Einzelrichters auf das Ergebnis des Verfahrens auszugehen. Auch im vorliegenden Fall kann eine solche Ursächlichkeit nicht ausgeschlossen werden.

Da der gerügte Verstoß gegen die ordnungsgemäße Besetzung der Richterbank vorliegt, bedarf es keiner Prüfung, ob auch die übrigen vom Kläger geltend gemachten Gründe für die Zulassung der Revision vorliegen.

Der Senat macht von der durch § 160a Abs 5 [X.]G eröffneten Möglichkeit Gebrauch, das angefochtene Urteil wegen des festgestellten Verfahrensfehlers aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das L[X.] zurückzuverweisen, weil ein nicht heilbarer Verfahrensmangel vorliegt.

Das L[X.] wird in der nun zu treffenden Entscheidung auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.

Meta

B 4 AS 360/13 B

13.02.2014

Bundessozialgericht 4. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AS

vorgehend SG München, 17. August 2012, Az: S 22 AS 2553/11, Urteil

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 13.02.2014, Az. B 4 AS 360/13 B (REWIS RS 2014, 7881)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 7881

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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