Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 06.05.2020, Az. 8 C 12/19

8. Senat | REWIS RS 2020, 4033

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Gegenstand

Verpflichtung des Landratsamtes zur Weiterleitung von Schreiben an Kreisräte


Leitsatz

1. Ein Kreistag ist eine Volksvertretung im Sinne des Art. 17 GG.

2. Die Praxis eines Landratsamtes, als Geschäftsstelle des Kreistages bei ihm eingehende, an sämtliche Kreistagsmitglieder adressierte Schreiben von Privatpersonen generell nicht an die Mitglieder des Kreistages weiterzuleiten, ist mit Art. 17 GG nicht vereinbar.

Tenor

Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs [X.] vom 27. November 2018 wird geändert. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 27. September 2017 wird zurückgewiesen. Im Übrigen wird dieses Urteil auf die Anschlussberufung des [X.] geändert und festgestellt, dass das Landratsamt R. verpflichtet war, sämtliche am 9. September 2016 bei ihm eingegangenen, an Mitglieder des Kreistages gerichteten Briefe des [X.] an diese weiterzuleiten.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in allen Rechtszügen.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Feststellung, dass das Landratsamt R. verpflichtet war, von ihm verfasste, an die Mitglieder des Kreistages des beklagten [X.] gerichtete Briefe an diese weiterzuleiten.

2

Im September 2016 versandte der Kläger Briefe an den Landrat, den Ersten Landesbeamten sowie an jedes Mitglied des Kreistages und des Jugendhilfeausschusses des Beklagten. Die Schreiben an die Kreistagsmitglieder gingen am 9. September 2016 bei dem Landratsamt des Beklagten ein, das zugleich Geschäftsstelle des Kreistages ist. Sie waren jeweils in einem verschlossenen Umschlag namentlich an die einzelnen Kreisräte unter der Postanschrift des [X.] und mit dem Zusatz "[X.]/[X.]" adressiert.

3

Die an den Landrat und den Ersten Landesbeamten gerichteten Schreiben wurden diesen am 12. bzw. 13. September 2016 zugeleitet. Sie trugen das Datum vom 8. September 2016 und enthielten unter anderem die Aufforderung an die Adressaten, ihre kommunalpolitischen Einflussmöglichkeiten geltend zu machen, um vom Kläger befürchtete illegale Waffenexporte einer Firma mit Sitz im Kreisgebiet zu verhindern. Aufgrund der Gesamtumstände des Posteingangs ging der Beklagte davon aus, dass der Inhalt der an die Kreisräte gerichteten Schreiben dem Inhalt der an den Landrat und den Ersten Landesbeamten gerichteten Schreiben entsprach.

4

Ein Teil der an die Kreisräte gerichteten Schreiben ging diesen zu. Hiervon erlangte der Beklagte Kenntnis. Die übrigen an die Kreisräte gerichteten Schreiben sandte er in der Folgezeit an den Kläger zurück. Zur Begründung verwies er auf seine Praxis, Schreiben, Informationsbroschüren und ähnliche Einsendungen von Privatpersonen an Kreisräte grundsätzlich nicht an diese weiterzuleiten. Allein interne Informationen, Informationen von Unternehmen und Zweckverbänden, an denen der [X.] direkt oder indirekt beteiligt oder deren Mitglied er sei, sowie Informationen insbesondere von gemeinnützigen Vereinen oder Einrichtungen, die der [X.] finanziell unterstütze, leite er an die Kreisräte weiter, soweit dies keine unangemessenen Zusatzkosten verursache.

5

Der Kläger hat Klage auf Feststellung erhoben, dass der Beklagte verpflichtet gewesen sei, seine an die Kreisräte gerichteten Schreiben an diese weiterzuleiten. Das Verwaltungsgericht hat festgestellt, das Landratsamt R. sei dazu verpflichtet gewesen, soweit zu diesen keine andere Kontaktaufnahme möglich gewesen sei. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.

6

Auf die Berufung des Beklagten hat der [X.]hof das Urteil des [X.] geändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Die Anschlussberufung des [X.] hat er zurückgewiesen. Die Klage sei insgesamt unbegründet. Eine einfachgesetzliche Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Weiterleitungsanspruch sei noch nicht einmal für Kreiseinwohner zu finden. Ein Anspruch folge auch nicht aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit einer entsprechenden Verwaltungspraxis des Beklagten. Der Beklagte habe substantiiert dargelegt, dass er in der Vergangenheit keine Schreiben von Privatpersonen an Kreisräte weitergeleitet habe. Soweit er Schreiben von Unternehmen, Zweckverbänden und sonstigen Institutionen weitergeleitet habe, werde die Ungleichbehandlung durch den besonderen Bezug dieser Schreiben zum [X.] gerechtfertigt. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG begründe keinen Anspruch auf Mitwirkung öffentlicher Träger an der Meinungsverbreitung. Art. 17 GG begründe Weiterleitungsansprüche nur, wenn der Schutzbereich der Vorschrift eröffnet sei. Das sei hier nicht der Fall, weil der Kläger sein Begehren an die einzelnen Kreistagsmitglieder richte, die weder Volksvertretung im Sinne der Vorschrift noch zuständige Stellen seien.

7

Mit seiner Revision macht der Kläger geltend, ein Anspruch auf Weiterleitung ergebe sich schon aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit der Verwaltungspraxis des Beklagten, da auch Schreiben von Privatpersonen einen besonderen Bezug zum [X.] aufweisen könnten. Jedenfalls folge sein Anspruch aus Art. 17 GG. Die streitgegenständlichen, parallel an alle Kreisräte gerichteten Schreiben stellten eine Petition an den Kreistag als Kollegialorgan dar. Dieser sei tauglicher Adressat einer Petition. Unabhängig davon seien auch die einzelnen Kreisräte als taugliche Petitionsadressaten anzusehen.

8

Der Kläger beantragt,

das Urteil des [X.]hofs [X.] vom 27. November 2018 zu ändern, die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des [X.] Freiburg vom 27. September 2017 zurückzuweisen, dieses im Übrigen auf die Anschlussberufung des [X.] zu ändern und festzustellen, dass das Landratsamt R. verpflichtet war, sämtliche am 9. September 2016 bei ihm eingegangenen, an Mitglieder des Kreistages gerichteten Briefe des [X.] an diese weiterzuleiten.

9

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er verteidigt das Berufungsurteil.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zulässig und begründet. Das Berufungsurteil beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) und stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO).

1. Im Ausgangspunkt zutreffend geht der Verwaltungsgerichtshof davon aus, dass die Klage nur Erfolg haben kann, [X.]n dem Kläger - und nicht nur den Adressaten - gegenüber dem Beklagten ein subjektives Recht auf Weiterleitung seiner Briefe an die Kreisräte zustand. Schon die Zulässigkeit der Feststellungsklage gemäß § 43 VwGO setzt entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO die Möglichkeit einer Verletzung des [X.] in eigenen Rechten voraus. Aus dem Umstand, dass das Feststellungsinteresse gemäß § 43 Abs. 1 Alt. 1 VwGO jedes als schutzwürdig anzuerkennende Interesse einschließt, kann nicht hergeleitet werden, dass jeder auch ohne eigene Rechtsbetroffenheit Feststellungsklage erheben könnte. Vielmehr muss der Kläger geltend machen können, in eigenen Rechten verletzt zu sein, weil er an dem festzustellenden Rechtsverhältnis selbst beteiligt ist oder weil von diesem eigene Rechte abhängen (stRspr, vgl. [X.], Urteil vom 26. Januar 1996 - 8 C 19.94 - [X.]E 100, 262 <271>; Beschlüsse vom 30. Juli 1990 - 7 B 71.90 - [X.] 310 § 43 VwGO Nr. 109 S. 22 <23 f.> und vom 24. Mai 2011 - 6 B 2.11 - juris Rn. 5 f.). Begründet ist der Feststellungsantrag dementsprechend nur, [X.]n dem Kläger aus dem Rechtsverhältnis des Beklagten zu ihm selbst oder zu [X.] ein Anspruch darauf zustand, dass das Landratsamt die dort eingegangenen, an die Kreisräte adressierten Briefe an diese weiterleitete.

2. Die Annahme des Verwaltungsgerichtshofs, für einen solchen Anspruch gebe es keine Rechtsgrundlage, steht mit Art. 17 und Art. 3 Abs. 1 GG nicht in Einklang. Dabei muss die Frage, ob ein Weiterleitungsanspruch schon aus Art. 17 Abs. 1 GG folgte, nicht abschließend geklärt werden (a). Jedenfalls verneint das Berufungsurteil unzutreffend - auch - einen Weiterleitungsanspruch aus Art. 3 Abs. 1 GG, weil es mit dem Verwaltungsgericht davon ausgeht, ein solcher Anspruch könne nur im Rahmen der bisherigen Verwaltungspraxis des Beklagten bestehen (b).

a) Nach Art. 17 GG hat jedermann das Recht, sich einzeln oder in [X.] mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung zu [X.]den. Unter Bitten sind Forderungen und Vorschläge zu verstehen, die auf ein Handeln oder Unterlassen von staatlichen Organen, Behörden und sonstigen Einrichtungen, die öffentliche Aufgaben wahrnehmen, gerichtet sind. Beschwerden sind Beanstandungen, die sich gegen ein Handeln oder Unterlassen dieser Stellen [X.]den. Gegenstand einer Petition kann eine Eingabe in eigener Sache, für andere oder im allgemeinen Interesse sein. Es steht jedermann frei, sich durch eine Petition für die Förderung welchen Anliegens auch immer einzusetzen (vgl. [X.], Urteil vom 15. März 2017 - 6 C 16.16 - [X.]E 158, 208 Rn. 6).

Ob ein Weiterleitungsanspruch gemäß Art. 17 GG schon wegen der Adressierung der Schreiben ausscheidet, braucht nicht abschließend geklärt zu werden. Allerdings beruht die Annahme des Berufungsurteils, die Bitten des [X.] seien - nur - an die einzelnen Kreisräte und nicht - mindestens auch - an den Kreistag gerichtet, auf einer Auslegung der Schreiben, die nicht alle entsprechend §§ 133 und 157 BGB dafür relevanten Umstände berücksichtigt. Das Berufungsurteil wertet Form und Inhalt der einzelnen Schriftstücke aus, ohne in Rechnung zu stellen, dass das Landratsamt - ausweislich des Internetauftritts des Beklagten - als Geschäftsstelle des Kreistages dient und die erkennbare parallele Übersendung gleichartiger Schreiben an sämtliche Mandatsträger darauf hindeuten konnte, dass der Inhalt der Schreiben sich - zumindest auch und über die Kreisräte - an den von diesen gebildeten Kreistag richtete. Dem stand nicht entgegen, dass der Kläger keine Resolution des Kreistages forderte. Zu den kommunalpolitischen Einflussmöglichkeiten, die er umfassend in seinem Sinne genutzt wissen wollte, gehört auch das Recht der Kreisräte, eine gemeinsame Befassung und Entscheidung im Plenum herbeizuführen.

Waren die Schreiben als Bitten - auch - an den Kreistag zu verstehen, lag eine Petition im Sinne des Art. 17 GG vor, weil Kreistage zu den Volksvertretungen im Sinne dieser Gewährleistung zählen (noch offen gelassen von [X.], Urteil vom 22. Mai 1980 - 7 C 73.78 - [X.] 415.1 [X.] Nr. 32 S. 49 <51>). Das folgt aus dem systematischen Zusammenhang mit Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG, der ungeachtet der Ausweitung des Kommunalwahlrechts in Satz 3 der Vorschrift weiter von einer Vertretung des Volks in den Gemeinden und Kreisen spricht. Bestätigt wird es durch den Sinn und Zweck des Art. 17 GG und dessen Unterscheidung zwischen Volksvertretungen und zuständigen Stellen. Art. 17 GG gewährleistet jedermann einen freien und ungehinderten Zugang zum Staat [X.], in: [X.]/[X.], GG, Stand Februar 2020, Art. 17 Rn. 43, 80 ff.). Mit dem Recht, Petitionen an die Volksvertretung zu richten, schreibt er das traditionelle Recht der Petition an den Souverän unter [X.] Vorzeichen als Grundrecht auf ungehinderten Zugang zum Repräsentationsorgan der jeweiligen Gebietskörperschaft fort. Auf die Frage, ob die Gebietskörperschaft als Staat oder als [X.] verfasst ist, kommt es für den Begriff der Volksvertretung im Sinne des Art. 17 GG ebenso [X.]ig an wie auf die Frage, wer an Wahlen zum kommunalen Vertretungsorgan teilnehmen darf. Für die Gewährleistung des [X.] und die Unterscheidung zwischen Volksvertretungen und zuständigen Stellen im Sinne des Art. 17 GG ist entscheidend, dass Letztere nur im Rahmen ihrer jeweiligen sachlichen, örtlichen und instanziellen Zuständigkeit tätig werden können, während die Vertretungen sich mit allen Themen im Rahmen der Verbandskompetenz ihrer Gebietskörperschaft befassen dürfen (vgl. [X.], Beschluss vom 15. Mai 1992 - 1 BvR 1553/90 - NJW 1992, 3033; [X.], in: [X.]/[X.], GG, Stand Februar 2020, Art. 17 Rn. 98, 104 ff.). Das trifft auch auf kommunale Vertretungen zu.

Ob bei zutreffender Auslegung entsprechend §§ 133 und 157 BGB von einer Petition an den Kreistag auszugehen ist oder ob die einzelnen Kreisräte entgegen der Auffassung der Vorinstanz zuständige Stellen im Sinne des Art. 17 GG sein könnten, bedarf keiner weiteren Klärung. Auch die Frage, ob Art. 17 GG zur Weiterleitung aller an Kreistagsmitglieder persönlich adressierten Sendungen verpflichtet, muss nicht entschieden werden. Hier ergab sich der streitige Weiterleitungsanspruch jedenfalls aus Art. 3 Abs. 1 GG.

b) Die Annahme des Verwaltungsgerichtshofs, Art. 3 Abs. 1 GG könne einen solchen Anspruch nur im Rahmen der bisherigen Verwaltungspraxis des Beklagten begründen, greift in zweifacher Hinsicht zu kurz: Zum einen berücksichtigt sie nicht, dass diese Verwaltungspraxis nicht mit Art. 17 GG in Einklang steht. Zum anderen stellt sie nicht in Rechnung, dass das Landratsamt als Geschäftsstelle des Kreistages nach dem Gleichbehandlungsgebot schon deshalb zur Weiterleitung der Schreiben an die Kreisräte verpflichtet war, weil einzelne Briefe ausweislich der Verwaltungsvorgänge ([X.] 11, Tabelle, rechte Spalte oben) an ihre Adressaten weitergeleitet worden waren oder diese zumindest mit seiner Kenntnis erreicht hatten.

Die vom Berufungsgericht festgestellte Verwaltungspraxis des Beklagten, an Kreisräte adressierte Briefe von Privatpersonen grundsätzlich nicht weiterzuleiten, hindert auch den Zugang von Schreiben, die eine Bitte oder Beschwerde im Sinne von Art. 17 GG an den Kreistag enthalten. In solchen Fällen ist die Petition vom Kreisrat an den Kreistag weiterzuleiten; sofern kein Petitionsausschuss eingerichtet wurde, ist sie im Plenum zu behandeln.

Das Anhalten oder Zurücksenden solcher über einen Kreisrat an den Kreistag gerichteten [X.] oder Beschwerdeschreiben ist mit Art. 17 GG nicht vereinbar. Das Petitionsgrundrecht vermittelt dem Petenten einen Anspruch darauf, dass die angegangene Stelle seine Petition entgegennimmt, deren Inhalt zur Kenntnis nimmt, sie im Rahmen ihrer Zuständigkeiten prüft und sich nachvollziehbar und diskriminierungsfrei mit dem Anliegen befasst. Nach Abschluss der Prüfung muss sie die Petition auf nachvollziehbare Weise erledigen (vgl. [X.], Urteile vom 15. März 2017 - 6 C 16.16 - [X.]E 158, 208 Rn. 8 f. und vom 28. November 1975 - 7 C 53.73 - [X.] 11 Art. 17 GG Nr. 1 S. 3 f.; [X.], Beschlüsse vom 15. Mai 1992 - 1 BvR 1553/90 - juris Rn. 16 f. und vom 26. März 2007 - 1 BvR 138/07 - juris Rn. 2; [X.], in: [X.]/[X.], [X.], Stand Februar 2020, Art. 17 Rn. 84 ff.). Die Praxis des Beklagten, Kreistagsmitgliedern Schreiben von Privatpersonen generell vorzuenthalten, verletzt das aus der Pflicht zur Entgegennahme der Petition abzuleitende Verbot, den Zugang eines Petitionsschreibens zu demjenigen, an den sich die Bitte oder Beschwerde richtet, zu verhindern (vgl. [X.], Beschluss vom 21. Juni 2019 - 2 BvR 2189/18 - juris Rn. 19 und 21; zum Verbot bewusster Verschleppung vgl. [X.], Beschluss vom 11. Juni 2007 - 1 BvR 1033/07 - juris LS und Rn. 3).

Unabhängig von der oben unter a) aufgeworfenen Frage, ob die streitigen Schreiben als an die Kreisräte adressierte, über sie an den Kreistag gerichtete Petitionen zu verstehen sind, musste das Landratsamt des Beklagten sie jedenfalls nach Art. 3 Abs. 1 GG an die Adressaten weiterleiten, nachdem einzelne Briefe aktenkundig ihren Empfängern übermittelt worden waren.

Art. 3 Abs. 1 GG verbietet jede Ungleichbehandlung ohne zureichenden Sachgrund. Eine Ungleichbehandlung der an die Kreisräte unter der Anschrift des Landratsamts adressierten Schreiben des [X.] ergab sich daraus, dass diese nur zum geringen Teil an die Adressaten weitergeleitet wurden. Nach den Feststellungen der Vorinstanz und den von ihr in Bezug genommenen Verwaltungsvorgängen des Beklagten ist davon auszugehen, dass am 9. September 2016 gleichartige Briefe an sämtliche Kreistagsmitglieder (vgl. Seite 2 des Urteilsabdrucks: "die einzelnen Kreistagsmitglieder") bei der Poststelle des Landratsamts eingingen, jedoch nur zwei ihre Adressaten erreichten. Das ergibt sich aus der Auflistung und den handschriftlichen Eintragungen im [X.] 11 der vom Berufungsgericht in Bezug genommenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten. Laut Aktenvermerk vom 21. September 2016 "fehl[t]en" 17 Briefe; die Nachforschungen nach ihrem Verbleib dokumentiert eine dem Vermerk beigefügte Tabelle, die die Adressaten der im Landratsamt vorliegenden und die der dort nicht - oder nicht mehr - vorhandenen Schreiben auflistet. In der Liste der fehlenden Schreiben findet sich neben den Namen von zwei Kreisräten der in der [X.] erörterte handschriftliche Vermerk: "Zugang 24.9."; bei zwei weiteren wird "kein Eingang" verzeichnet; zu den übrigen Adressaten fehlender Schreiben gibt es keinen Eintrag. Danach musste das Landratsamt davon ausgehen, dass in seiner Poststelle jedenfalls mehr als die ihm noch vorliegenden Schreiben eingegangen und in mindestens zwei Fällen den Adressaten zugänglich gemacht worden waren. Auf die Frage, ob dies versehentlich oder bewusst geschehen war, kommt es nach Art. 3 Abs. 1 GG nicht an. Entscheidend ist, dass die Ungleichbehandlung verschiedener Briefe des [X.] an einzelne Kreisräte sachlich nicht gerechtfertigt war.

Der Beklagte hat keinen sachlichen Grund genannt, der es rechtfertigen könnte, in dieser besonderen Situation nicht auch die anderen Schreiben an die Kreisräte weiterzuleiten. Auch sonst ist ein solcher Grund nicht ersichtlich. Vielmehr gebot es der Grundsatz der Gleichbehandlung, alle Kreisräte gleichermaßen in die Lage zu versetzen, den Inhalt der Schreiben des [X.] zu würdigen und zu entscheiden, ob es sich dabei um eine Petition im Sinne von Art. 17 GG handelte und an [X.] diese gegebenenfalls gerichtet und weiterzuleiten war.

4. Der Senat kann gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO auf der Grundlage der von dem Berufungsgericht festgestellten Tatsachen in der Sache selbst entscheiden. Dies führt zur Änderung der vorinstanzlichen Urteile und zum Ausspruch der vom Kläger begehrten Feststellung.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Meta

8 C 12/19

06.05.2020

Bundesverwaltungsgericht 8. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, 27. November 2018, Az: 1 S 2712/17, Urteil

Art 3 Abs 1 GG, Art 17 Abs 1 GG, § 42 Abs 2 VwGO, § 43 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 06.05.2020, Az. 8 C 12/19 (REWIS RS 2020, 4033)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 4033

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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2 BvR 2189/18

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