Bundesgerichtshof, Urteil vom 20.04.2023, Az. 3 StR 380/22

3. Strafsenat | REWIS RS 2023, 3196

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Gegenstand

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus: Darlegung der Anordnungsvoraussetzungen in den Urteilsgründen


Tenor

1. Die Revision des Beschuldigten gegen das Urteil des [X.] vom 27. Juni 2022 wird verworfen.

2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Dagegen wendet er sich mit seiner Revision, die er auf die nicht ausgeführte Sachrüge stützt. Das Rechtsmittel bleibt erfolglos.

I.

2

1. Das [X.] hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

3

a) Bei dem Beschuldigten besteht eine chronifizierte paranoide Schizophrenie mit produktiven psychotischen Symptomen sowie eine Opiatabhängigkeit. Er entwickelte spätestens im Jahr 2021 die Wahnvorstellung, er müsse autark leben, mithin vollkommen unabhängig und abgeschottet, und jede Einflussnahme anderer vermeiden. Um dem Leiden zu begegnen, das mit diesen Symptomen und dem daraus resultierenden vollständigen [X.] Rückzug verbunden war, konsumierte er mangels Krankheitseinsicht gleichsam im Wege der Selbstmedikation intravenös Opiate und Opiatanaloga. Unter dem Eindruck des [X.] verfiel er in eine völlig depravierte Lebensführung mit der Folge eines deutlich reduzierten Allgemein- und Ernährungszustandes.

4

In der Vorstellung, sich ohne die Inanspruchnahme von Hilfe selbst versorgen zu müssen, und aufgrund des Verlangens, sich Opiate und Opiatanaloga zu beschaffen, beschloss der Beschuldigte, in Geschäftsräumen des Einzelhandels aus seiner Sicht wertvolle Ware zu entwenden. Er beabsichtigte, sie einzutauschen oder zu verkaufen, um an Lebensmittel und Drogen zu gelangen. Zugleich war er von dem wahnhaften Antrieb geleitet, jeglichen [X.] Kontakt zu vermeiden. Sollte er nach einer Wegnahme angehalten werden, wollte er sich der Situation deshalb durch Flucht entziehen.

5

b) In der Folge entwendete der Beschuldigte an drei Tagen des Januar 2022 in einem Supermarkt und einer Kaufhausfiliale jeweils Ware mit einem Verkaufswert zwischen 60 und 90 €, indem er sie in eine mitgeführte Tragetasche steckte und damit die Räumlichkeiten verließ oder zu verlassen versuchte. Stets beobachteten ihn Mitarbeiter, die daraufhin einschritten, teilweise mit Unterstützung Dritter.

6

Im Fall II. 1. der Urteilsgründe (im Folgenden: Fall 1) entwickelte sich, nachdem der Beschuldigte den Kassenbereich passiert hatte, ein Handgemenge zwischen ihm und insgesamt vier Personen. Im Rahmen dessen schubste er die Geschädigte mit einer schleudernden Bewegung so stark, dass sie zwei bis drei Meter - teils ohne Bodenkontakt - nach hinten „flog“ und mit ihrem Körper seitlich auf dem Fußboden aufschlug. Anschließend lief er davon. Die Geschädigte zog sich eine blutende Wunde am Ellenbogen sowie Hämatome und Hautabschürfungen am Oberschenkel zu. Sie litt zwei Wochen lang unter Schmerzen. Im Fall II. 2. der Urteilsgründe (im Folgenden: Fall 2) kam es im Kassenbereich zu einem Handgemenge zwischen dem Beschuldigten und einer Kassiererin. Beide versuchten sich wechselseitig wegzudrücken, ohne dass Verletzungsfolgen eintraten. Sodann wurde er mit Hilfe des von der Kassiererin herbeigerufenen Filialleiters bis zum Eintreffen der Polizei aufgehalten. Im Fall II. 3. der Urteilsgründe (im Folgenden: Fall 3) wurde der Beschuldigte außerhalb der Geschäftsräumlichkeiten erst nach mehreren hundert Metern von einem Passanten gestoppt. Diesem und dem nachgeeilten Ladendetektiv gelang es, den Beschuldigten bis zum Eintreffen der Polizei festzuhalten.

7

In allen Fällen war der Beschuldigte in seiner Fähigkeit, nach noch vorhandener Unrechtseinsicht zu handeln, zumindest erheblich eingeschränkt. [X.] waren jeweils das wahnhafte Streben nach autarker Selbstversorgung und der erhebliche Beschaffungsdruck. Im Fall 1 wollte der Beschuldigte deshalb der sozial konfrontativen Situation um jeden Preis entgehen.

8

2. Das [X.] hat die drei Fälle als im Zustand jedenfalls verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) begangene rechtswidrige Taten des Diebstahls nach § 242 Abs. 1 StGB jeweils unter Verwirklichung des Regelbeispiels der [X.] gemäß § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StGB gewertet, im Fall 1 in Tateinheit mit Körperverletzung nach § 223 Abs. 1 StGB.

9

Die sachverständig beratene [X.] hat die Voraussetzungen für die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB bejaht. Im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose hat sie angenommen, wegen der fortbestehenden Wahnsymptomatik und Opiatabhängigkeit bei weiterhin nicht vorhandener Krankheitseinsicht sei zu erwarten, dass er zukünftig vergleichbare Taten mit erheblichen Verletzungsfolgen begehen werde. Die Anordnung der Unterbringung sei im Sinne des § 62 StGB verhältnismäßig. Deren Vollstreckung könne nicht gemäß § 67b StGB zur Bewährung ausgesetzt werden, weil die Erwartung nicht gerechtfertigt sei, dass der Zweck der Maßregel auch dadurch erreicht werden könne.

II.

Die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus hält sachlichrechtlicher Nachprüfung stand. Entgegen der Auffassung des [X.] sind auch die Wertungen des [X.]s zur verminderten Schuldfähigkeit und zur Gefährlichkeit des Beschuldigten hinreichend tragfähig dargelegt.

1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB darf nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der [X.] aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig (§ 20 StGB) oder vermindert schuldfähig (§ 21 StGB) war und die Tatbegehung hierauf beruht. Daneben muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des [X.], seines [X.] und des von ihm begangenen Anlassdelikts zu entwickeln; sie muss sich auch darauf erstrecken, welche rechtswidrigen Taten von dem Beschuldigten drohen und wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist. Neben der sorgfältigen Prüfung dieser Anordnungsvoraussetzungen ist das Tatgericht verpflichtet, die wesentlichen Gesichtspunkte in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (st. Rspr.; s. etwa [X.], Beschluss vom 22. August 2017 - 3 StR 249/17, juris Rn. 9 mwN; Urteil vom 28. April 2021 - 2 StR 484/20, NStZ-RR 2021, 275, 276).

2. Diesen Anforderungen wird das Urteil gerecht.

a) In erster Linie hat der [X.] rechtliche Bedenken dahin erhoben, dass ein symptomatischer Zusammenhang der festgestellten psychischen Störung mit den begangenen und zu erwartenden rechtswidrigen Taten nicht hinreichend dargetan und belegt sei. Dies hat er im Wesentlichen wie folgt begründet:

Die vom [X.] - im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose - getroffene Wertung, „der Beschuldigte habe störungsbedingt ‚den unbedingten Willen an den Tag gelegt, sich der Situation eines aufgedeckten Ladendiebstahls zu entziehen, notfalls auch mit absoluter Gewalt, nämlich indem er Personen buchstäblich aus dem Weg ... [geräumt habe], die sich ihm ... [entgegengestellt hätten] ([X.]),‘ ... [finde] keine hinreichende Stütze in den Urteilsfeststellungen“. Einen solchen Willen zur Flucht habe das [X.] nur im Fall 1 festgestellt. In den [X.] habe sich der Beschuldigte deutlich anders verhalten. Soweit die Urteilsgründe auf zwei nicht verfahrensgegenständliche Taten eingingen, sei unklar, in welcher Weise seine Handlungsmöglichkeiten in den jeweiligen [X.] konkret beeinflusst gewesen seien.

„Tatsächlich“ entstehe bei den Taten des Beschuldigten „eher der Eindruck eines situationsabhängigen, durchaus dosierten Einsatzes von Gewalt und anderen Mitteln, die jeweils bewusst ausgewählt ... [worden seien], um die angestrebte Flucht zu ermöglichen, verbunden mit der Fähigkeit, bei zahlenmäßig oder körperlich überlegenen Gegnern weiteren Widerstand wegen Aussichtslosigkeit aufzugeben“. Dass sich ein Ladendieb der Festnahme zu entziehen suche, sei für sich genommen ohne Weiteres normalpsychologisch erklärbar und belege kein krankhaft gesteigertes Verlangen nach [X.]. Das Urteil setzte sich hiermit nicht auseinander.

„Lediglich ergänzend“ hat der [X.] beanstandet, bereits die Annahme verminderter Schuldfähigkeit sei nicht tragfähig begründet. Die von der [X.] gewählte „Wendung, der Beschuldigte bewege sich ‚in seinem Denken gleichsam in einem eigenen Rechtssystem‘ ([X.])“, lasse es als naheliegend erscheinen, dass „insofern ... [seine] Einsichtsfähigkeit ... in Abrede gestellt werden“ solle.

b) Dieses Vorbringen vermag keinen Rechtsfehler aufzuzeigen.

aa) Das [X.] hat frei von rechtlichen Bedenken die Überzeugung gewonnen, dass der Beschuldigte bei der jeweiligen Tatbegehung aufgrund der dominierenden paranoiden Schizophrenie als überdauernde krankhafte seelische Störung zumindest nur erheblich eingeschränkt imstande war, nach noch vorhandener Unrechtseinsicht zu handeln. In den Urteilsgründen ist ausführlich dargelegt, in welcher Weise die festgestellte psychische Störung ihn und seine Handlungsmöglichkeiten in den konkreten [X.], damit seine Einsichts- und Steuerungsfähigkeit beeinflusste (vgl. [X.], Beschluss vom 5. September 2017 - 3 StR 362/17, juris Rn. 11 mwN):

(1) Zu allen verfahrensgegenständlichen Taten ist in den Urteilsgründen festgestellt, die jedenfalls verminderte Schuldfähigkeit sei darin begründet gewesen, dass der Beschuldigte aufgrund der paranoiden Schizophrenie wahnbedingt von dem Bestreben gesteuert wurde, von niemandem abhängig, ohne [X.] Kontakt und frei vom Einfluss anderer zu leben. Gegenüber diesem krankheitsbedingt dysfunktionalen Denken trat rationales vollständig in den Hintergrund. Dies hatte für den Beschuldigten Auswirkungen, aufgrund derer bei ihm [X.] in der Handlungssteuerung nicht mehr vollständig vorhanden waren. Dass er unter einem erheblichen Druck stand, sich Opiate oder Opiatanaloga zu beschaffen, womöglich sogar unter einem Sucht- oder Entzugsdruck, hatte einen die Enthemmung verstärkenden Effekt (s. [X.]).

Auf dieser Grundlage hat das [X.] zutreffend angenommen, dass primär die Steuerungs-, nicht die Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten betroffen war. Soweit sich im Rahmen der Prüfung des Zustandes der verminderten Schuldfähigkeit daneben die Formulierung findet, der Beschuldigte bewege sich „in seinem Denken gleichsam in einem eigenen Rechtssystem“ ([X.]), ist daraus nicht zu schließen, dass die [X.] die Überzeugung gewonnen hat, er habe ohne Unrechtseinsicht gehandelt.

Das wahnhafte Streben nach [X.] wird durch den in den Urteilsgründen im Einzelnen erörterten und vom [X.] geteilten Befund des psychiatrischen Sachverständigen belegt. Die Diagnose zeichnet das Bild eines psychisch schwer kranken Menschen, der von dem unbedingten Willen beherrscht wird, „kompromisslos ‚selbständig‘ (zu) leben“. So ist die paranoide Schizophrenie geprägt durch die zentrale Symptomatik eines Größen- und Verfolgungswahns. Der Beschuldigte hat im Verfahren formale Denkstörungen gezeigt und ist nicht in der Lage gewesen, zusammenhängend und logisch zu formulieren ([X.] 12). Er hat selbst angegeben, „‚autark‘ sein und ‚selbständig leben‘ zu wollen“ ([X.] 11). Bestätigt wird dies durch die zu seiner Lebensführung getroffenen Feststellungen. Die ihn leitenden Gedanken äußern sich etwa darin, dass er es konsequent ablehnt, Hilfe anzunehmen oder Unterschriften zu leisten, um nicht unter den Einfluss anderer zu geraten. Die Erkrankung und die hieraus resultierende Opiatabhängigkeit führten zu seiner physischen Dekompensation einschließlich eines deutlich reduzierten Allgemein- und Ernährungszustands ([X.]. S. 3 f., 12).

(2) Was die Taten im Einzelnen betrifft, ist in den Urteilsgründen zum Fall 1 vor diesem Hintergrund ergänzend festgestellt, dass der Beschuldigte aufgrund des wahnhaften Strebens nach [X.] „der sozial konfrontativen Situation um jeden Preis entkommen wollte“ ([X.] 7); deshalb schleuderte er, als er aufgehalten wurde, die Geschädigte von sich weg auf den Boden und flüchtete ([X.] 7, 19). Dies trägt die von der [X.] vorgenommene Wertung, er habe störungsbedingt „den unbedingten Willen an den Tag gelegt, sich der Situation zu entziehen, notfalls auch mit absoluter Gewalt, nämlich indem er Personen buchstäblich aus dem Weg“ geräumt habe, die sich ihm entgegengestellt hätten ([X.]).

In den [X.] hat das [X.] zwar neben dem wahnhaften Streben nach [X.] einen solchen unbedingten Willen zur Flucht nicht festgestellt. Ein revisionsrechtlich beachtlicher Widerspruch wird hieraus allerdings nicht ersichtlich. Insoweit ist darauf Bedacht zu nehmen, dass der Beschuldigte nach den Urteilsfeststellungen, als er bei Ausführung der Taten betroffen wurde, ebenfalls nicht freiwillig vor Ort verblieb. Vielmehr musste jeweils eine Mehrzahl von Personen einschreiten, denen es gelang, ihn gegen seinen Willen aufzuhalten; in einem der beiden Fälle kam es überdies zu einem Handgemenge. Bei der Bewertung des Tatgeschehens war sich die [X.] bewusst, dass er bei diesen Taten nicht - vergleichbar erhebliche - Gewalthandlungen vornahm; die Urteilsgründe legen dies offen (vgl. [X.] 23).

(3) Hinzu kommt, dass sich das Urteil zu zwei rechtswidrigen Taten verhält, die der Beschuldigte circa ein halbes Jahr zuvor begangen hatte, Gegenstand eines anderen anhängigen Verfahrens sind und den Fällen 1 bis 3 weitgehend gleichen. Auch dort hatte er im [X.] an Ladendiebstähle, um seine Flucht zu ermöglichen, erfolglos Beschäftigte des Einzelhandels tätlich angegriffen, indem er sie bei einer Tat im Rahmen eines Handgemenges geschubst hatte, so dass sie zu Boden gestürzt waren, und bei der anderen zur Seite gestoßen hatte ([X.] 10 f.). Ausweislich der Urteilsgründe ist er von den beiden Vorwürfen erstinstanzlich mit der Begründung freigesprochen worden, es sei nicht auszuschließen, dass er bei Begehung der Taten infolge „psychotisch induzierter Motivationslage und psychotisch gestörter Handlungskontrolle“ schuldunfähig war ([X.] 9).

Wegen der weitgehenden Gleichartigkeit des jeweiligen [X.] stößt es nicht auf rechtliche Bedenken, dass die [X.] diese Erkenntnisse verwertet hat, um zu beurteilen, „wie sich die Symptome der Schizophrenie des Beschuldigten in dessen Verhalten manifestieren“ ([X.] 9), ohne in den Urteilsgründen nochmals gesondert darauf einzugehen, wie sich die festgestellte Störung auf seine Handlungsmöglichkeiten auch in diesen konkreten [X.] auswirkte.

(4) Zwar trifft es im Ausgangspunkt zu, dass die Flucht eines [X.] ohne Weiteres normalpsychologisch erklärbar sein kann und für sich gesehen ein krankhaft gesteigertes Verlangen nach einem Leben frei vom Einfluss anderer nicht belegt. Das Tatgericht hat zu untersuchen, ob in der Person des Beschuldigten oder in seinen Taten letztlich nicht nur Eigenschaften und Verhaltensweisen hervortreten, die sich im Rahmen dessen halten, was bei voll schuldfähigen Menschen anzutreffen und übliche Ursache für strafbares Verhalten ist (st. Rspr.; vgl. etwa [X.], Beschluss vom 17. Januar 2023 - 5 StR 532/22, NStZ-RR 2023, 136). Hiermit hat sich die [X.] indes ausdrücklich auseinandergesetzt. Insbesondere aufgrund des psychiatrischen Befundes hat sie nachvollziehbar eine solche mögliche normalpsychologische Erklärung für das Verhalten des Beschuldigten verworfen ([X.] 12).

Das Vorbringen, es entstehe „eher der Eindruck eines situationsabhängigen, durchaus dosierten Einsatzes von Gewalt und anderen Mitteln, die jeweils bewusst ausgewählt ... [worden seien], um die angestrebte Flucht zu ermöglichen, verbunden mit der Fähigkeit, bei zahlenmäßig oder körperlich überlegenen Gegnern weiteren Widerstand wegen Aussichtslosigkeit aufzugeben“, enthält eine revisionsrechtlich unbeachtliche eigene Wertung entgegen den insoweit maßgebenden Urteilsausführungen.

bb) Das [X.] ist im Wege einer Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Beschuldigten, seines [X.] und der festgestellten [X.]en rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass von ihm mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit höheren Grades erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind.

Die [X.] hat bedacht, dass die Gefährlichkeitsprognose anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu entwickeln ist, die hierfür maßgeblichen Gesichtspunkte in den Blick genommen und vertretbar gewürdigt. Sie hat mit dem psychiatrischen Sachverständigen angenommen, wegen der fortbestehenden Wahnsymptomatik und Opiatabhängigkeit bei weiterhin nicht vorhandener Krankheitseinsicht sei zu erwarten, dass der Beschuldigte zukünftig vergleichbare Delikte begehen werde. Aufgrund der Notwendigkeit, die Drogendosis infolge Gewöhnung zu erhöhen, sei mit einer Steigerung der Tatfrequenz zu rechnen. Ein planmäßiges Vorgehen und der Einsatz von Waffen oder gefährlichen Werkzeugen drohten zwar nicht. Jedoch seien zumindest Taten von gleicher Erheblichkeit wie im Fall 1 wahrscheinlich. Falls der Beschuldigte in Freiheit entlassen würde, sähe er sich spätestens nach drei bis sechs Monaten infolge voraussichtlicher weiterer Ladendiebstähle gezwungen, sich den Weg „freizukämpfen“. Er würde ohne Rücksicht auf Verletzungsfolgen und ohne die Fähigkeit, sie zu beherrschen, Personen angreifen, die ihm in einer solchen Situation gegenüberträten, insbesondere Beschäftigte des Einzelhandels, indem er sie zu Boden stoßen, schleudern oder rennen würde. Bei den Opfern seien jedenfalls erhebliche, womöglich schwerwiegende oder gar irreparable körperliche Schäden zu erwarten ([X.] 22, 24 f.).

Die [X.] hat dabei die Entwicklung der psychischen Erkrankung und weitere fallbezogene Risikofaktoren bedacht. So hat sie beispielsweise in den Blick genommen, dass der Beschuldigte noch am Anfang seiner Opiatabhängigkeit steht und erst einen Monat vor den verfahrensgegenständlichen Taten aus der Untersuchungshaft in anderer Sache entlassen worden war, wo seine Drogensucht substituiert worden war. Deshalb sei ein zunehmender Entzugsdruck zu erwarten ([X.] 23).

Gegen all dies ist ebenfalls von Rechts wegen nichts zu erinnern.

Schäfer     

  

Berg     

  

Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. [X.] befindet sich im Urlaub
und ist deshalb gehindert zu
unterschreiben.

  

  

  

  

Schäfer

  

Kreicker     

  

Voigt     

  

Meta

3 StR 380/22

20.04.2023

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Düsseldorf, 27. Juni 2022, Az: 31 KLs 2/22

§ 20 StGB, § 21 StGB, § 63 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 20.04.2023, Az. 3 StR 380/22 (REWIS RS 2023, 3196)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 3196

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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