Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 03.03.2011, Az. III ZR 174/10

III. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 8856

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[X.]IM NAMEN DES VOLKES URTEIL [X.]/10 Verkündet am: 3. März 2011 K i e f e r Justizangestellter als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja [X.]: nein [X.]R: ja Nds. [X.] § 80 Abs. 1 Satz 1; GG Art. 14 (Ca, [X.]) Zum Anspruch des Eigentümers eines entwendeten Kraftfahrzeugs auf Aus-gleich von Schäden, die aufgrund einer rechtmäßigen polizeilichen [X.] verursacht worden sind. [X.], Urteil vom 3. März 2011 - [X.]/10 - [X.] - 2 - Der II[X.] Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 3. März 2011 durch den Vizepräsidenten [X.] und [X.], [X.], [X.] und [X.] für Recht erkannt: Die Revision des [X.] gegen das Urteil des 3. Zivilsenats des [X.] vom 30. Juni 2010 wird [X.]. Der Kläger hat die Kosten des [X.] zu tragen. Von Rechts wegen Tatbestand Der Kläger begehrt vom beklagten Land den Ausgleich von Schäden, die anlässlich eines Polizeieinsatzes an einem ihm zuvor entwendeten Pkw [X.] sind. 1 Der Kläger ist selbständiger Autohändler. In der Nacht vom 18. zum 19. Oktober 2006 wurden bei einem Einbruch in seine Geschäftsräume ein [X.] und der dazu gehörige Pkw [X.] entwendet. Das Fahrzeug wurde in [X.] verbracht und dort mit [X.] Kennzeichen versehen. Im November 2006 reisten der Täter und ein weiterer Mittäter mit dem Fahrzeug in die [X.] ein und begingen mehrere [X.] - 3 - stähle. Am 8. November 2006 wurden sie bei einem Einbruchdiebstahl auf dem Gelände eines Autohauses entdeckt. Die Polizei nahm mit mehreren Streifen-wagen unter der Inanspruchnahme von Sonderrechten die Verfolgung auf und versuchte, die flüchtenden Täter durch Errichtung einer Straßensperre zum [X.] zu bewegen. Nachdem dies zweimal misslungen war, brachten die Poli-zeibeamten das von den [X.] benutzte Fahrzeug durch kontrolliertes Ram-men zum Anhalten. Erst anschließend wurde festgestellt, dass es sich bei dem Fluchtfahrzeug um das gestohlene Fahrzeug des [X.] handelte. An dem Fahrzeug entstand durch die Aktion der Polizeibeamten - unter Einschluss aufgewendeter Gutachterkosten von 976,94 • - ein Schaden von 12.741,64 •. Aus dem sichergestellten Vermögen der Täter erhielt der Kläger 6.650 •. Der weitergehende Schaden von 6.091,64 •, der bei den [X.] nicht einbringlich ist, ist Gegenstand der Zug um Zug gegen Abtretung der gegen die Täter gerichteten Schadensersatzansprüche erhobenen Klage. Die Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelasse-nen Revision verfolgt der Kläger seine Klage weiter. 3 Entscheidungsgründe Die Revision ist nicht begründet. 4 [X.] Das Berufungsgericht verneint einen Entschädigungsanspruch nach § 80 Abs. 1 Satz 1 des [X.] über die öffentliche Sicherheit 5 - 4 - und Ordnung (Nds. [X.]) in der Fassung vom 19. Juni 2005 (Nds. GVBl. [X.]), weil der Kläger von der Polizei, die präventiv tätig geworden sei, um eine erheb-liche Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer abzuwenden, nicht gezielt als Nichtverantwortlicher in Anspruch genommen worden sei. Die Regelung [X.] sich nicht auf Schäden, die einem Unbeteiligten als unbeabsichtigte Neben-folge des polizeilichen Handelns entstanden seien. Ein Entschädigungsanspruch nach den daneben anwendbaren [X.] zum enteignenden Eingriff stehe dem Kläger gleichfalls nicht zu. Denn ihm sei trotz der beträchtlichen Substanzverletzung am Fahrzeug kein Sonder-opfer auferlegt worden, das die Schwelle des enteignungsrechtlich Zumutbaren überschreite. Hierbei könne nicht außer Betracht bleiben, dass der Kläger durch den substanzverletzenden Eingriff die Sachherrschaft über das Fahrzeug, das seinem Zugriff gänzlich entzogen gewesen sei, erst wiedererlangt habe. Eine solche - im vergleichbaren Fall der Vorteilsausgleichung anerkannte - normative Beurteilung des Schadens sei auch hier angebracht. 6 I[X.] Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung stand. 7 1. Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass nach § 80 Abs. 1 Satz 1 Nds. [X.] ein Schaden "infolge einer rechtmäßigen Inanspruchnahme nach § 8" entstanden sein muss. § 8 Nds. [X.], der mit "Inanspruchnahme nichtverantwortlicher Personen" überschrieben ist, sieht vor, dass die [X.] und die Polizei unter bestimmten Voraussetzungen Maßnahmen gegen andere Personen als die nach §§ 6 oder 7 Verantwortlichen richten [X.] - 5 - nen. Bei diesen handelt es sich um Verhaltens- und [X.], die im [X.] auf ihre Verantwortlichkeit ihre polizeiliche Inanspruchnahme ohne eine Entschädigung hinnehmen müssen (vgl. [X.]surteil vom 20. Januar 1966 - [X.], [X.] 45, 23, 25). Die Bestimmungen der §§ 6 bis 8 Nds. [X.] gehen davon aus, dass we-gen einer Gefahr Maßnahmen gegen eine (verantwortliche oder nichtverant-wortliche) Person zu richten sind. Das waren in der vorliegenden Situation die Täter, die nach § 6 Nds. [X.] als Verhaltensstörer von der Polizei in Anspruch genommen wurden. Dass die Polizei, worauf die Revision entscheidend abstel-len will, durch kontrolliertes Rammen, also gezielt, auf das Fahrzeug des [X.] eingewirkt hat, bedeutet nicht, dass sie den Kläger nach § 7 Nds. [X.] als [X.] oder nach § 8 Abs. 1 Nds. [X.] als nichtverantwortliche Person in Anspruch genommen hätte. Von dem Zustand des Fahrzeugs ging keine Ge-fahr aus, sondern nur von seiner konkreten Verwendung als Fluchtmittel durch die Täter, deren Inanspruchnahme im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 2 Nds. [X.] möglich war. Im Übrigen ist nach § 7 Abs. 2 Satz 2 Nds. [X.] eine Inanspruch-nahme des Eigentümers einer Sache als [X.] ausgeschlossen, wenn - wie hier - die tatsächliche Gewalt ohne seinen Willen durch eine andere Per-son ausgeübt wird. 9 2. Allerdings hat der [X.] zu § 39 Abs. 1 Buchst. a [X.] [X.], der ähnlich wie § 80 Abs. 1 Satz 1 Nds. [X.] formuliert ist, entschieden, es liege auch dann eine Inanspruchnahme nach § 19 [X.] [X.] - also wie bei § 8 Nds. [X.] die einer nicht verantwortlichen Person - vor, wenn sich bei der Inanspruchnahme des Eigentümers einer Sache als [X.] oder einer Person als Hand-lungsstörer nachträglich herausstelle, dass die zu beseitigende Gefahr in Wirk-lichkeit nicht bestanden habe (vgl. Urteile vom 12. März 1992 - [X.], 10 - 6 - [X.] 117, 303, 307 f; vom 23. Juni 1994 - [X.], [X.] 126, 279, 283 f; zu § 59 Abs. 1 Nr. 1 A[X.] Bln vgl. [X.]surteil vom 11. Juli 1996 - [X.], NJW 1996, 3151, 3152). Dabei hat er es im Sinne eines gerechten Inte-ressenausgleichs für erforderlich angesehen, wenn ein Einschreiten der [X.] bereits aufgrund eines durch Tatsachen begründeten Verdachts oder Anscheins einer Gefahr hingenommen werden müsse, die Entschädi-gungsvorschrift des § 39 Abs. 1 Buchst. a [X.] [X.] entsprechend weit zu verstehen und den wegen der Anscheinsgefahr in Anspruch genommenen Be-troffenen wie einen [X.] zu entschädigen, wenn sich entgegen der [X.] beim Eingriff nachträglich herausstelle, dass die Gefahr in Wirklichkeit nicht bestanden habe. 3. Von der vorerwähnten Konstellation, in der der Geschädigte als Störer in Anspruch genommen wurde, unterscheidet sich der hier zu beurteilende Fall dadurch, dass der Kläger - abgesehen davon, dass er durch das Verhalten der Polizei an seinem Fahrzeug einen Schaden erlitten hat - im Sinne des Polizei-rechts unbeteiligter Dritter gewesen ist. Denn er ist weder Verhaltens- noch Zu-standsstörer noch hat ihn die Polizei als Nichtverantwortlichen unter den be-sonderen, engeren Eingriffsvoraussetzungen des § 8 Abs. 1 Nds. [X.] in [X.] genommen. 11 Einige Polizeigesetze der Länder sehen ausdrücklich einen Entschädi-gungs- oder Ausgleichsanspruch vor, wenn ein unbeteiligter Dritter durch eine rechtmäßige Maßnahme der Ordnungsbehörde oder der Polizei einen Schaden erleidet (vgl. Art. 70 Abs. 2 [X.], § 59 Abs. 1 Nr. 2 A[X.] Bln, § 73 [X.] M-V, § 222 LVwG SH; vgl. auch § 51 Abs. 2 Nr. 2 [X.]). Dabei sind diese [X.] im Einzelnen unterschiedlich ausgestaltet. 12 - 7 - Fehlt es - wie hier in § 80 Nds. [X.] - an einer ausdrücklichen Regelung, folgt hieraus nicht, dass ein unbeteiligter Geschädigter die nachteiligen Auswir-kungen einer rechtmäßigen Maßnahme entschädigungslos hinnehmen müsste. Die Regelungen in den [X.] der Länder gehen auf den aus § 75 der Einleitung zum Allgemeinen Landrecht für die [X.] und von § [X.]. [X.] aufgenommenen [X.] zurück, dass bei rechtmäßigen beeinträchtigenden Eingriffen der Staatsgewalt, die für den Betroffenen mit einem Sonderopfer verbunden sind, ein Entschädigungs-anspruch gegen den Staat gegeben ist (vgl. eingehend hierzu [X.]/[X.]/ [X.]/[X.], Gefahrenabwehr, 9. Aufl. 1986, [X.] ff; [X.] in: [X.]/ Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 4. Aufl. 2007, [X.], 40; [X.], Poli-zei- und Ordnungsrecht, 4. Aufl. 2005, Rn. 691; [X.], Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, 14. Aufl. 2008, § 15 Rn. 4 ff; 27; [X.], Polizei- und Ordnungs-recht, 7. Aufl. 2009, Rn. 468). Dem Berufungsgericht ist darin beizutreten, dass ein solcher Anspruch aus enteignendem Eingriff - anders als es der [X.] für das Verhältnis eines Anspruchs aus enteignungsgleichem Eingriff zum [X.] wegen rechtswidrigen Verhaltens einer Ordnungsbehörde (vgl. Se-natsurteile vom 2. Oktober 1978 - [X.], [X.] 72, 273, 276 f; vom 12. Oktober 1978 - [X.], NJW 1979, 34, 36) oder zum Staatshaftungs-anspruch aus § 1 StHG-DDR (vgl. [X.]sbeschluss vom 19. Dezember 1995 - [X.]/94, NVwZ-RR 1997, 204, 205) entschieden hat - nicht deshalb aus-geschlossen ist, weil Entschädigungsansprüche wegen rechtmäßiger polizeili-cher Maßnahmen in § 80 Abs. 1 Satz 1 Nds. [X.] abschließend geregelt wären (so aber [X.], Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 831 zu § 80 Abs. 1 Satz 1 NGefAG; [X.], NJW 1988, 1096 zu § 39 Abs. 1 Buchst. a [X.] [X.]; [X.], [X.], 180 zu § 68 [X.]). Dagegen spricht schon § 80 Abs. 3 Nds. [X.]. Umstritten ist lediglich, ob ein solcher Entschädigungsan-spruch eines unbeteiligten [X.] seine Grundlage in einer erweiternden [X.] - 8 - wendung der für [X.] geltenden Vorschriften, hier des § 80 Abs. 1 Satz 1 Nds. [X.], findet (so [X.]/[X.]/[X.]/[X.], aaO S. 666 f zu § 45 des [X.] eines einheitlichen Polizeigesetzes; im Ergebnis wohl auch [X.] aaO Rn. 691; ohne Präferenz [X.] aaO Rn. 27) oder auf die Anwen-dung der allgemeinen Aufopferungsgrundsätze zu stützen ist (so [X.] aaO Rn. L 40). Der [X.] hält das letztere für vorzugswürdig. Zwar wird die "[X.]" eines [X.]s und eines unbeteiligten [X.] vielfach vergleichbar sein. Es besteht jedoch ein grundlegender Unterschied in der [X.] der Polizei, ob sie im Sinn des § 8 Nds. [X.] eine nicht verant-wortliche Person zur Beseitigung einer Gefahr heranzieht oder ob jemand be-troffen wird, der außerhalb dieser durch die Polizei wahrnehmbaren Zusam-menhänge steht. 4. Die Würdigung des Berufungsgerichts, der Kläger habe durch das [X.] Rammen seines Fahrzeugs kein unzumutbares Sonderopfer erlitten, hält der revisionsgerichtlichen Nachprüfung stand. 14 Bereits durch den Diebstahl war ohne Zutun der Polizei eine Situation entstanden, in der das Eigentumsrecht des [X.] erheblich beeinträchtigt war. Es war in Frage gestellt, ob der Kläger jemals wieder in den Besitz des Fahrzeugs gelangen würde. Darüber hinaus bestand auch die gesteigerte Ge-fahr, dass der Dieb oder ein sonstiger unberechtigter Fahrer das Fahrzeug [X.] jede Rücksichtnahme auf die Belange des Eigentümers gebrauchen würde (vgl. insoweit auch [X.] aaO). Diese Gefahr hatte sich bereits vor dem Rammen des Fahrzeugs verwirklicht, da der Täter ein rücksichtsloses, nicht nur Leib und Leben anderer Verkehrsteilnehmer, sondern auch das Eigentum des [X.] gefährdendes Fahrverhalten an den Tag gelegt und so das Rammen (als ultima ratio) herausgefordert hatte. 15 - 9 - Das gezielte Rammen hatte zwar eine erhebliche Beschädigung des Fahrzeugs zur Folge. Zugleich aber wurde hierdurch erreicht, dass der Kläger sein Eigentum - wenn auch im Wert gemindert - zurückerlangte und seine ge-gen den Dieb bestehenden deliktischen Ansprüche geltend machen und [X.] auch realisieren konnte. 16 Angesichts dieser Gesamtumstände ist die Verneinung eines Entschädi-gungsanspruchs aus enteignendem Eingriff durch die Vorinstanzen nicht zu beanstanden. 17 [X.] [X.] [X.] [X.] [X.] Vorinstanzen: [X.], Entscheidung vom [X.] - 5 O 648/09 - O[X.], Entscheidung vom 30.06.2010 - 3 U 86/09 -

Meta

III ZR 174/10

03.03.2011

Bundesgerichtshof III. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 03.03.2011, Az. III ZR 174/10 (REWIS RS 2011, 8856)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 8856

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