Bundesgerichtshof, Urteil vom 12.12.2013, Az. I ZR 65/13

1. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 311

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Gegenstand

Haftung eines Eisenbahnunternehmens im grenzüberschreitenden Autoreisezugverkehr: Verschuldensunabhängige Haftung für Kraftfahrzeugschäden; Haftungsausschlussgrund der fehlenden oder mangelhaften Verpackung bei der Beförderung auf einem offenen Transportwaggon


Leitsatz

1. Ein Eisenbahnunternehmen haftet im grenzüberschreitenden Autoreisezugverkehr gemäß Art. 36 § 1 CIV grundsätzlich verschuldensunabhängig für Schäden, die im Obhutszeitraum am Kraftfahrzeug eines Fahrgastes entstehen.

2. Der Haftungsausschlussgrund des Art. 36 § 3 Buchst. a CIV (Fehlen oder Mängel der Verpackung) umfasst nicht die mit der Beförderung in offenen Wagen verbundene besondere Gefahr.

Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil der 1. Zivilkammer des [X.] vom 5. März 2013 aufgehoben.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 30. März 2011 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten der Rechtsmittel.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen Beschädigung seines Pkw während dessen Beförderung mit einem Auto-Zug auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Der Kläger buchte bei der [X.] den Transport seines Kraftfahrzeugs am 26. Juni 2007 von [X.] in [X.] nach [X.] in [X.]. Das Fahrzeug wurde in [X.] für die Beförderung nach [X.] auf einen offenen [X.] verladen. Bei der Abholung am Zielort hatte das Fahrzeug ein Loch in der Windschutzscheibe, Kratzer im Lack hinter der Fahrertür, eine zerkratzte Stoßstange und ein beschädigtes Rücklicht. Zwischen den Parteien ist streitig, wann und unter welchen Umständen die Schäden verursacht wurden.

3

Der Kläger ist der Ansicht, die Beklagte hafte für die bei der Abholung des Fahrzeugs am Ankunftsort festgestellten Schäden. Er hat die Beklagte deshalb auf Zahlung von 1.511,01 € nebst Zinsen und Erstattung vorgerichtlich entstandener Rechtsanwaltskosten in Höhe von 261,21 € in Anspruch genommen.

4

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie hat geltend gemacht, die behaupteten Schäden resultierten aus der besonderen Gefahr einer Beförderung mit offenen Wagen, für deren Folgen sie nicht einzustehen habe.

5

Das Berufungsgericht hat die in erster Instanz zum überwiegenden Teil erfolgreiche Klage abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

6

I. Das Berufungsgericht hat angenommen, dem Kläger stehe der geltend gemachte Schadensersatzanspruch nicht zu. Dazu hat es ausgeführt:

7

Die Beklagte sei von ihrer grundsätzlich gemäß Art. 36 § 1 der Einheitlichen Rechtsvorschriften für den [X.] von Personen ([X.] II 2002, 2140, 2190 ff. - [X.]) bestehenden Haftung nach Art. 36 § 3 Buchst. a und b [X.] befreit. Die Formulierung "Fehlen oder Mängel der Verpackung" in Art. 36 § 3 Buchst. a [X.] umfasse auch den Fall der "Offenen-Wagen-Gefahr". Die auf offenen Waggons verladenen Fahrzeuge hätten - sofern es sich nicht um Neufahrzeuge ab Werk handele - üblicherweise keine Verpackung und müssten eine solche auch nicht haben. Der Wortlaut des Art. 36 § 3 Buchst. a [X.] erfasse gerade auch die mit einer Beförderung auf offenen Wagen einhergehenden Gefahren. Die zugunsten der [X.] streitende Beweisvermutung des Art. 37 § 2 Satz 1 [X.] habe der beweisbelastete Kläger nicht widerlegt.

8

II. Die gegen diese Beurteilung gerichtete Revision des [X.] hat Erfolg. Sie führt zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

9

1. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass sich die Haftung der [X.] für die vom Kläger geltend gemachten Schäden an seinem Pkw nach den Vorschriften der [X.] beurteilt. Gemäß Art. 1 § 1 [X.] gelten die Einheitlichen Rechtsvorschriften für jeden Vertrag über die entgeltliche oder unentgeltliche Beförderung von Personen auf der Schiene, wenn der Abgangs und der Bestimmungsort in zwei verschiedenen Mitgliedstaaten - im vorliegenden Fall [X.] und [X.] - liegen. Wird für die Beschädigung eines mitbeförderten Fahrzeugs Schadensersatz geltend gemacht, kommen gemäß Art. 47 [X.] die Bestimmungen über die Haftung für Reisegepäck (Art. 36 bis Art. 43 [X.]) zur Anwendung.

2. Nach Art. 36 § 1 [X.] haftet der Beförderer unabhängig davon, ob ihn ein Verschulden trifft, unter anderem für den Schaden, der durch Beschädigung des Reisegepäcks in der [X.] von der Übernahme durch den Beförderer bis zur Auslieferung entsteht. Das Reisegepäck muss während der Beförderung auf der Schiene beschädigt worden sein.

Das Berufungsgericht ist in Übereinstimmung mit dem Amtsgericht davon ausgegangen, dass die bei der Abholung des Fahrzeugs am Zielort [X.] festgestellten Schäden zum [X.]punkt der Übernahme des Pkw durch die Beklagte noch nicht vorlagen. Sie konnten daher nur während der [X.] der [X.] entstanden sein mit der Folge, dass die Voraussetzungen für eine Haftung gemäß Art. 36 § 1 [X.] erfüllt sind. Von der Revisionserwiderung wird dagegen auch nichts erinnert.

3. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist die Haftung der [X.] für die streitgegenständlichen Schäden nicht ausgeschlossen.

a) Einen Haftungsausschluss gemäß Art. 36 § 2 [X.] hat das Berufungsgericht im Ergebnis zutreffend verneint. Nach dieser Vorschrift ist der Beförderer von der Haftung gemäß Art. 36 § 1 [X.] befreit, soweit die Beschädigung durch Umstände verursacht worden ist, die der Beförderer nicht vermeiden und deren Folgen er nicht abwenden konnte. Der Beweis dafür, dass die Beschädigung durch eine der in Art. 36 § 2 [X.] erwähnten Tatsachen verursacht wurde, obliegt gemäß Art. 37 § 1 [X.] dem Beförderer. Demgemäß muss dieser im Einzelnen darlegen, dass der eingetretene Schaden auch durch Anwendung äußerster wirtschaftlich zumutbarer Sorgfalt nicht verhindert werden konnte (vgl. zu der mit Art. 36 § 2 [X.] inhaltsgleichen Bestimmung des Art. 23 § 2 [X.].HGB/Freise, 2. Aufl., Art. [X.]. 22).

Die Vorinstanzen haben angenommen, die Beklagte habe lediglich pauschal behauptet, die festgestellten Schäden könnten auch durch Steinschlag oder Vandalismus entstanden sein, was für einen Haftungsausschluss nach Art. 36 § 2 [X.] nicht ausreiche. Das lässt keinen Rechtsfehler erkennen und wird von der Revisionserwiderung auch nicht beanstandet.

b) Mit Erfolg wendet sich die Revision gegen die Ansicht des Berufungsgerichts, die Haftung der [X.] für die streitgegenständlichen Schäden sei gemäß Art. 36 § 3 Buchst. a und b [X.] ausgeschlossen.

aa) Nach Art. 36 § 3 Buchst. a [X.] ist der Beförderer von der Haftung gemäß Art. 36 § 1 [X.] befreit, soweit die Beschädigung aus der besonderen Gefahr entstanden ist, die mit dem Fehlen einer Verpackung verbunden ist.

Das Berufungsgericht hat angenommen, der Wortlaut des Art. 36 § 3 Buchst. a [X.] umfasse auch den Fall einer "Offenen-Wagen-Gefahr". Die auf einem Autoreisezug beförderten Fahrzeuge hätten üblicherweise keine Verpackung und müssten eine solche im Regelfall auch nicht haben, weil das Gefährdungspotential beim Transport auf einem Autoreisezug nicht höher sei als bei einer Nutzung des Fahrzeugs im normalen Straßenverkehr. Die Beförderung auf der Schiene sei nur ein Ersatz für die Benutzung des Fahrzeugs auf der Straße.

Dieser Beurteilung des Berufungsgerichts vermag der Senat nicht beizutreten. Die Revision rügt mit Erfolg, dass das Berufungsgericht die Regelungen zu Haftungsausschlüssen des [X.] in anderen internationalen Transportrechtsübereinkommen nicht genügend berücksichtigt hat. In Art. 23 § 3 CIM, der bei der internationalen Eisenbahnbeförderung von Gütern zur Anwendung kommt, wird hinsichtlich eines Haftungsausschlusses des [X.] ausdrücklich zwischen der Beförderung des Gutes in offenen Wagen und dem Fehlen einer Verpackung des Gutes unterschieden. Eine gleichartige Differenzierung findet sich auch in Art. 17 Abs. 4 Buchst. a und [X.]. Die Haftungsausschlussgründe gemäß Art. 36 § 3 [X.] sehen demgegenüber eine derartige Unterscheidung nicht vor. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Differenzierung zwischen den besonderen Gefahren eines Gütertransports auf offenen Wagen und dem Fehlen einer Verpackung des Gutes in den Einheitlichen Rechtsvorschriften für den [X.] von Personen versehentlich unterblieben ist.

Die Vorschrift des Art. 36 § 3 Buchst. a [X.] regelt den Fall, dass eine an sich vorgesehene Verpackung des Gutes entweder vollständig fehlt oder diese zwar vorhanden, aber mangelhaft ist. Die Fallgestaltung, dass [X.] üblicherweise nicht verpackt wird und von einer fehlenden Verpackung deshalb keine besondere Gefahr ausgeht, fällt dagegen nicht in den Anwendungsbereich des Art. 36 § 3 Buchst. a [X.]. Wäre dies anders, würde über Art. 36 § 3 Buchst. a [X.] der in Art. 23 § 3 Buchst. [X.] für den dortigen Anwendungsbereich geregelte Haftungsausschluss der Beförderung des [X.] auch für den Anwendungsbereich der [X.] eingeführt (vgl. [X.], [X.] 2003, 196, 198; Grau, [X.] 2003, 198 f.). Für einen derartigen Haftungsausschluss ergibt sich in den einschlägigen Bestimmungen der [X.] aber kein Anhalt. Die Revision weist mit Recht darauf hin, dass es mit dem zwingenden und abschließenden (vgl. Art. 5 [X.]) Charakter der Bestimmungen der [X.] unvereinbar ist, die in Art. 36 § 3 [X.] geregelten Haftungsausschlüsse um den Haftungsausschluss der Beförderung des [X.] zu erweitern.

bb) Die Beklagte kann sich auch nicht mit Erfolg auf den Haftungsausschluss gemäß Art. 36 § 3 Buchst. b [X.] berufen. Nach dieser Bestimmung ist der Beförderer von seiner Haftung gemäß Art. 36 § 1 [X.] befreit, soweit die Beschädigung des Gutes aus seiner natürlichen Beschaffenheit entstanden ist. Das Berufungsgericht hat sich mit diesem [X.] nicht näher auseinandergesetzt. Es ist aber zutreffend davon ausgegangen, dass Kraftfahrzeuge, die auf einem Autoreisezug befördert werden, regelmäßig keine Verpackung haben müssen, weil das Gefährdungspotential bei einem derartigen Transport nicht höher ist als bei einer Benutzung des Fahrzeugs im Straßenverkehr. Die Revision weist mit Recht darauf hin, dass dann auch keine besondere Gefahr aus der natürlichen Beschaffenheit des Kraftfahrzeugs im Sinne von Art. 36 § 3 Buchst. b [X.] gegeben sein kann.

4. Ein Vorabentscheidungsersuchen an den [X.] nach Art. 267 AEUV ist im Streitfall nicht erforderlich, weil an der Auslegung der maßgeblichen Bestimmungen der [X.] keine vernünftigen Zweifel bestehen (vgl. hierzu [X.], Urteil vom 9. Oktober 2013 - [X.], [X.] 2013, 433 Rn. 24 f. = RdTW 2013, 447).

5. Der geltend gemachte Anspruch auf Ersatz der vorgerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten ist gemäß § 286 Abs. 1 Satz 1, § 280 Abs. 2 BGB begründet, da der Kläger anwaltliche Hilfe erst nach Eintritt des Verzugs der [X.] mit der von ihr geschuldeten Leistung in Anspruch genommen hat und die Inanspruchnahme dieser Hilfe zur Durchsetzung der berechtigten Ansprüche erforderlich war.

III. Danach ist das Berufungsurteil auf die Revision des [X.] aufzuheben und die Berufung der [X.] gegen das erstinstanzliche Urteil zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.

Büscher                       Pokrant                    Schaffert

               [X.][X.]

Meta

I ZR 65/13

12.12.2013

Bundesgerichtshof 1. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend LG Dortmund, 5. März 2013, Az: 1 S 164/11, Urteil

Art 36 § 1 CIV, Art 36 § 3 Buchst a CIV

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 12.12.2013, Az. I ZR 65/13 (REWIS RS 2013, 311)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 311

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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