Bundesgerichtshof, Urteil vom 19.10.2021, Az. VI ZR 1173/20

6. Zivilsenat | REWIS RS 2021, 1791

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Gegenstand

Wirkungen eines Anerkenntnisses im Berufungsverfahren


Leitsatz

Zu den Wirkungen eines Anerkenntnisses.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 14. Zivilsenats des [X.] vom 21. Juli 2020 - den Parteien an [X.] statt am 27. und 30. Juli 2020 zugestellt - im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als der den anerkannten Betrag von 20.759,49 € übersteigende Berufungsantrag nicht beschieden worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin, ein Eisenbahnverkehrsunternehmen, begehrt restlichen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall.

2

Die [X.] zu 1 und 3 bieten [X.] an. Die zum damaligen Zeitpunkt bei der [X.] zu 3 als Busfahrerin angestellte Beklagte zu 2 fuhr am 16. September 2015 mit einem Gelenkbus der [X.] zu 3 über einen Bahnübergang in [X.]. Nach dem Bahnübergang wollte sie mit dem Bus rechts abbiegen, was ihr nicht gelang. Ein [X.] der Klägerin kollidierte mit dem in den Bahnübergang hineinragenden Heck des Busses und wurde beschädigt.

3

Die Klägerin macht gegen die [X.] insgesamt Schäden in Höhe von 691.702,09 € geltend. Bezahlt wurden 375.892 €. Die [X.] haben hierbei eine Haftungsquote von 2/3 zugunsten der Klägerin angenommen, geforderte Mietkosten um ersparte Aufwendungen gekürzt und die Aufrechnung mit eigenen Schadensersatzansprüchen erklärt.

4

Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin restlichen Schadensersatz in Höhe von 315.810,09 € nebst Zinsen und Erstattung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten.

5

Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Mit der Berufung hat die Klägerin - unter dem Vorbehalt der Erweiterung des Rechtsmittels - zunächst beantragt, das Urteil des [X.]s teilweise abzuändern und die [X.] als Gesamtschuldner zur Zahlung von Reparaturkosten für den Doppelstockwagen Nr. 50211 in Höhe des aus der Rechnung vom 15. Februar 2016 nicht beglichenen Anteils von 20.759,49 € zu verurteilen. Nachdem die [X.] diesen Anspruch mit am 14. Juli 2020 beim Berufungsgericht eingegangenem Schriftsatz anerkannt haben, hat die Klägerin am selben Tag ihren Berufungsantrag erweitert und beantragt, das Urteil des [X.]s insgesamt abzuändern und die [X.] entsprechend ihrem erstinstanzlichen Antrag zu verurteilen. Das [X.] hat mit [X.] vom 21. Juli 2020 das Urteil des [X.]s abgeändert, neu gefasst und die [X.] als Gesamtschuldner zur Zahlung von 20.759,49 € verurteilt. Einen Antrag der Klägerin auf Erlass eines Ergänzungsurteils hat das Berufungsgericht durch Beschluss als unstatthaft verworfen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren zuletzt im Berufungsverfahren gestellten Antrag weiter, soweit durch das [X.] nicht über ihn entschieden worden ist.

Entscheidungsgründe

I.

6

Das Berufungsgericht, dessen Urteil (vom 21. Juli 2020 - 14 U 36/20) in juris veröffentlicht ist, hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

7

Die Beklagten seien ihrem Anerkenntnis gemäß zu verurteilen. Über den erweiterten Berufungsantrag der Klägerin sei nicht mehr zu entscheiden, da die Beklagten dem Berufungsgericht durch das zeitlich vor dem erweiterten Berufungsantrag eingegangene Anerkenntnis die Entscheidung über den Streitgegenstand entzogen hätten. Die Berufungserweiterung sei gegenstandslos, da aufgrund des Anerkenntnisses keine Berufung mehr bestanden habe, die hätte erweitert werden können. Aus dem Umstand, dass sich die Klägerin bei der Einlegung der Berufung eine Erweiterung vorbehalten habe, folge nicht, dass das Berufungsgericht vor Erlass des [X.] Rücksprache mit der Klägerin hätte halten müssen, ob es bei den angekündigten Anträgen bleibe. Durch ihr Anerkenntnis vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung hätten die Beklagten verhindert, dass die Klägerin die Berufung habe erweitern und das wirtschaftliche Risiko für die Beklagten erhöhen können.

II.

8

Die zulässige Revision hat in der Sache Erfolg.

9

1. Die Revision ist zulässig, da die Klägerin - entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung - durch die Entscheidung des Berufungsgerichts beschwert ist.

Die Zulässigkeit des von der Klägerin eingelegten Rechtsmittels hängt vom Vorliegen der "formellen Beschwer" ab. Ein Kläger ist bereits dann beschwert, wenn das angefochtene Urteil von seinen Anträgen abweicht, seinem Begehren also nicht voll entsprochen worden ist (Senatsurteile vom 9. Oktober 1990 - [X.], NJW 1991, 703, 704; vom 2. Februar 1999 - [X.], [X.], 335, 338; [X.], Urteile vom 29. Juni 2000 - [X.], NJW-RR 2001, 620, 621; vom 12. März 2004 - [X.], [X.], 2019, 2020).

Da das Berufungsgericht mit seinem [X.] nur über den von den Beklagten anerkannten Betrag von 20.759,49 €, nicht aber über den darüber hinausgehenden Berufungsantrag im klägerischen Schriftsatz vom 14. Juli 2020 entschieden hat, ist die Klägerin im Umfang des nicht beschiedenen Antrags beschwert.

Wie sich aus dem Berufungsurteil ergibt, hat das Berufungsgericht bewusst keine weitergehende Entscheidung getroffen. Da das Berufungsurteil damit nicht nur versehentlich lückenhaft ist, hat das Berufungsgericht im Ergebnis zu Recht eine Ergänzung des Urteils nach § 321 ZPO abgelehnt (vgl. [X.], Urteil vom 16. Dezember 2005 - [X.], juris Rn. 9; Ergänzungsurteil vom 1. Juni 2011 - [X.], juris Rn. 7 - Klageverzicht als Prozesshandlung). Die Nichtberücksichtigung des weitergehenden Antrags kann die Klägerin mit der statthaften Revision gegen das Urteil geltend machen (vgl. [X.], Urteil vom 5. März 2019 - [X.], NJW 2019, 1950 Rn. 20 mwN).

2. Die Erwägungen des Berufungsgerichts, mit denen es eine Entscheidung über den weitergehenden Berufungsantrag abgelehnt hat, halten der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

a) Das Anerkenntnis der Beklagten hat - entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts - dem Gericht "den Streitgegenstand" nicht "entzogen". Es hat nur den Streit um die Begründetheit des anerkannten Anspruchs zwischen den Parteien beendet (vgl. [X.], Urteil vom 8. Oktober 1953 - [X.]/51, [X.]Z 10, 333, 335, 339; Beschluss vom 10. November 2009 - [X.], NJW-RR 2010, 275 Rn. 15). Die Klägerin war aufgrund des Anerkenntnisses nicht daran gehindert, ihren Berufungsantrag zu erweitern.

Das Anerkenntnis nach § 307 ZPO ist eine Prozesshandlung, die bewirkt, dass die Beklagten an ihren Inhalt gebunden sind und das Gericht sein Urteil ohne Sachprüfung auf die anerkannte Rechtsfolge gründen kann. Die anerkennende Partei übernimmt mit dem Anerkenntnis das [X.] bezüglich der dem Anerkenntnis zugrunde gelegten tatsächlichen und rechtlichen Vorstellungen. Insoweit ist das Gericht von der Prüfung des [X.] enthoben (vgl. [X.], Urteile vom 8. Oktober 1953 - [X.]/51, [X.]Z 10, 333, 335; vom 27. Mai 1981 - [X.], [X.]Z 80, 389, 391 ff.; vom 5. April 1989 - [X.], [X.]Z 107, 142, 146 f.; vom 8. November 2005 - [X.], [X.]Z 165, 53, 61).

Ein Anerkenntnis beendet den Prozess aber nicht unmittelbar mit der Folge, dass dem Gericht wie bei einer Klagerücknahme die Möglichkeit zu entscheiden genommen ist ([X.], [X.] vom 6. Mai 2014 - [X.], NJW-RR 2014, 831 Rn. 6). Erst die aufgrund eines Anerkenntnisses ausgesprochene Verurteilung erledigt die Hauptsache (so der Wortlaut des § 99 Abs. 2 Satz 1 ZPO; vgl. [X.], Urteil vom 8. Oktober 1953 - [X.]/51, [X.]Z 10, 333, 334 f.). Der weitere Prozessverlauf nach dem Anerkenntnis folgt den allgemeinen Regeln (vgl. [X.]/[X.], ZPO, 23. Aufl., § 307 Rn. 32).

b) Durch die zunächst nur teilweise Anfechtung des landgerichtlichen Urteils war die Klägerin nicht gehindert, ihren Berufungsantrag zu erweitern.

Die Teilanfechtung des erstinstanzlichen Urteils durch die Klägerin hat die Rechtskraft dieses Urteils insgesamt gehemmt (§ 705 ZPO). Hat ein Urteil mehrere prozessuale Ansprüche zum Gegenstand, erstreckt sich die Hemmungswirkung des Rechtsmittels grundsätzlich auf das gesamte Urteil. Sie erfasst insbesondere auch diejenigen Teile, die ausweislich der [X.] nicht angefochten werden (Senatsurteil vom 12. Mai 1992 - [X.], [X.], 1110, juris Rn. 10; [X.], Urteil vom 1. Dezember 1993 - [X.], NJW 1994, 657, 659, jeweils mwN). Einer Erweiterung der [X.] hätte nur dann die teilweise Rechtskraft des erstinstanzlichen Urteils entgegengestanden, wenn ein Schriftsatz der Klägerin eine Beschränkung im Sinne eines teilweisen Rechtsmittelverzichts enthalten hätte (vgl. [X.], Urteil vom 14. Juli 1952 - [X.], [X.]Z 7, 143, 144 f.; Senatsurteil vom 12. Mai 1992 - [X.], [X.], 1110, juris Rn. 10). Weder der Berufungsschrift noch der Berufungsbegründung ist ein Verzicht der Klägerin auf weitergehende Ansprüche zu entnehmen. Die Klägerin hat sich vielmehr in der Berufungsbegründung ausdrücklich vorbehalten, den Berufungsantrag zu erweitern.

c) Die Klägerin war auch in zeitlicher Hinsicht nicht gehindert, ihren Berufungsantrag zu erweitern.

Eine Erweiterung des [X.] ist grundsätzlich bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht möglich (vgl. Senatsbeschluss vom 27. März 2012 - [X.], NJW-RR 2012, 662 Rn. 7; [X.], Beschluss vom 10. Januar 2017 - [X.]/16, [X.], 358 Rn. 9 mwN). Zwar hat das Berufungsgericht nach Eingang des Anerkenntnisses den für denselben Tag anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung aufgehoben; da das Anerkenntnis den Rechtsstreit jedoch nicht beendet hat (vgl. oben unter a), war die Klägerin weder durch das Anerkenntnis noch durch die Terminsaufhebung an der Erweiterung ihres [X.] durch Schriftsatz vom 14. Juli 2020 gehindert.

d) Der erweiterte Berufungsantrag ist zulässig. Wird der Berufungsantrag - wie hier - erst nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist erweitert, ist er nur dann zulässig, wenn er durch die fristgerecht eingereichten Berufungsgründe (§ 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 bis 4 ZPO) gedeckt ist (vgl. Senatsurteil vom 29. September 1970 - [X.], NJW 1971, 33, 34 - insoweit in [X.]Z 54, 283, 284 nicht abgedruckt; [X.], Urteil vom 22. Dezember 1953 - [X.], [X.]Z 12, 52, 67 f.; Beschluss vom 8. Oktober 1985 - [X.], NJW 1983, 1063; Versäumnisurteil vom 6. Juli 2005 - [X.], [X.]Z 163, 324, 327 f.; Beschluss vom 10. Januar 2017 - [X.]/16, [X.], 820 Rn. 9). Das ist hier, was der Senat selbst zu prüfen hat, der Fall.

Das [X.] hat die Klage wegen der von ihm angenommenen Mithaftung der Klägerin und der daraus folgenden Haftungsquote (Klägerin zu 40%, Beklagte zu 60%) abgewiesen. Insoweit hat es - ausgehend von dem geltend gemachten Gesamtschaden von 691.702,09 € - einen Ersatzanspruch der Klägerin in Höhe von 60% (415.021,25 €) bejaht und hiervon die vorprozessuale Zahlung von 375.892 € abgezogen. Es hat dann angenommen, dass der restliche Anspruch von [X.] € aufgrund der Aufrechnung der Beklagten mit einem Gegenanspruch auf Ersatz von 40% des [X.] aus dem Verkehrsunfall erloschen sei. Die Klägerin hat mit der Berufungsbegründung - neben der vom [X.] verneinten Passivlegitimation der Beklagten zu 1 - die Quote bekämpft und eine 100%ige Haftung der Beklagten geltend gemacht. Damit würde, wenn die Klägerin mit der Haftung recht hätte, der Argumentation des [X.]s in vollem Umfang der Boden entzogen. Darauf, ob die Beklagten den Schaden der Klägerin teilweise bestritten haben (20% Abzug bei den Kosten für die Anmietung der [X.]), kommt es nicht an, weil das [X.] darauf nicht abstellt, sondern seiner Entscheidung den gesamten von der Klägerin geltend gemachten Betrag zugrunde legt.

3. Die Entscheidung des Berufungsgerichts ist aufzuheben, soweit über den erweiterten Berufungsantrag nicht entschieden worden ist. Insoweit ist die Sache zur Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Soweit der [X.] anerkannt worden ist, hätte das Berufungsgericht nach § 307 Satz 1 ZPO durch Teilanerkenntnisurteil entscheiden müssen (vgl. [X.], Urteil vom 29. Januar 1981 - 2 AZR 1055/78, [X.] 1981, 1250, 1252; MüKoZPO/Musielak, 6. Aufl., § 301 Rn. 36; [X.]/[X.], ZPO, 23. Aufl., § 301 Rn. 41 und § 307 Rn. 52; [X.]/Feskorn, ZPO, 33. Aufl., § 301 Rn. 20 und § 307 Rn. 8). Das [X.] bleibt daher als Teilanerkenntnisurteil aufrechterhalten.

[X.]     

      

Offenloch     

      

Müller

      

Allgayer     

      

Linder     

      

Meta

VI ZR 1173/20

19.10.2021

Bundesgerichtshof 6. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Celle, 27. Juli 2020, Az: 14 U 36/20

§ 307 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 19.10.2021, Az. VI ZR 1173/20 (REWIS RS 2021, 1791)

Papier­fundstellen: MDR 2022, 294 REWIS RS 2021, 1791

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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