Bundessozialgericht, Beschluss vom 15.07.2022, Az. B 1 KR 9/22 B

1. Senat | REWIS RS 2022, 4964

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Beweiswürdigung - voneinander abweichende Gutachtenergebnisse - keine Verpflichtung zur Einholung eines Obergutachtens oder eines weiteren Gutachtens


Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 18. November 2021 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

I. Der 1939 geborene und bei der beklagten [X.]rankenkasse gesetzlich versicherte [X.]läger ist mit seinem Begehren auf Erstattung der [X.]osten für drei stationäre Aufenthalte in der [X.] (Fachklinik für Naturheilverfahren und ganzheitliche Medizin) in der [X.] vom 5.8.2013 bis 21.1.2014 bei der Beklagten und in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das [X.] hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die medizinische Notwendigkeit einer stationären Rehabilitation des [X.] sei nicht nachgewiesen. Die Erkrankungen des [X.] hätten ambulant ausreichend behandelt werden können. Die von ihm angeführte mitochondriale Erkrankung sei nicht nachgewiesen. Er habe den von [X.] in ihrem Gutachten benannten erforderlichen Untersuchungen zum Nachweis einer mitochondrialen Erkrankung nicht zugestimmt. Er habe sich nur mit einer Blutentnahme einverstanden erklärt. Selbst unter der hypothetischen Annahme einer mitochondrialen Erkrankung wäre die M-[X.] zur Durchführung der dann indizierten (insbesondere physikalischen und neuropsychologischen) Therapie nicht geeignet gewesen. Das von der [X.]linik durchgeführte sog [X.] sei zudem keine allgemein akzeptierte Behandlungsmethode mitochondrialer Erkrankungen. Das [X.] hat sich hierfür [X.] auf ein in einem Parallelverfahren eingeholtes Sachverständigengutachten des Facharztes für Innere Medizin und Sozialmedizin D vom [X.] nebst einer vom [X.] in einem weiteren Parallelverfahren eingeholten ergänzenden Stellungnahme vom [X.], ein vom [X.] eingeholtes neurologisches Sachverständigengutachten von [X.] vom 10.1.2017 sowie die Ausführungen des vom [X.] selbst beauftragten neurologischen Sachverständigen M vom 30.6.2020 gestützt (Urteil vom 18.11.2021).

2

Der [X.]läger wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im [X.]-Urteil.

3

II. Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 [X.]G zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 [X.]G abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung des allein geltend gemachten Revisionszulassungsgrundes des Verfahrensfehlers (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]G).

4

Nach § 160 Abs 2 [X.] [X.]G ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 [X.]G und § 128 Abs 1 Satz 1 [X.]G (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 [X.]G (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das [X.] ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (vgl zB B[X.] vom 18.2.1980 - 10 BV 109/79 - [X.] 1500 § 160a [X.]6; B[X.] vom 31.7.2017 - B 1 [X.]R 47/16 B - [X.] 4-1500 § 160 [X.]0 RdNr 16, jeweils mwN). Daran fehlt es.

5

1. Die vorliegend allein erhobene Rüge der Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 103 [X.]G) erfordert, dass in der Beschwerdebegründung ein für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbarer, bis zuletzt [X.] oder im Urteil wiedergegebener Beweisantrag bezeichnet wird, dem das [X.] nicht gefolgt ist, dass die Rechtsauffassung des [X.] wiedergegeben wird, auf deren Grundlage bestimmte Tatfragen klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, dass die von dem Beweisantrag betroffenen tatsächlichen Umstände aufgezeigt werden, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, dass das voraussichtliche Ergebnis der unterbliebenen Beweisaufnahme angegeben und dass erläutert wird, weshalb die Entscheidung des [X.] auf der unterlassenen Beweiserhebung beruhen kann (stRspr; vgl zB B[X.] vom [X.] R 222/18 B - juris Rd[X.] mwN). Für die Frage, ob ein hinreichender Grund für die unterlassene Beweiserhebung vorliegt, kommt es darauf an, ob das Gericht objektiv gehalten gewesen wäre, den Sachverhalt zu dem von dem betreffenden Beweisantrag erfassten Punkt weiter aufzuklären, ob es sich also zur beantragten Beweiserhebung hätte gedrängt fühlen müssen (stRspr; vgl zB B[X.] vom 7.4.2011 - B 9 SB 47/10 B - juris RdNr 4). Soweit der Sachverhalt nicht hinreichend geklärt ist, muss das Gericht von allen Ermittlungsmöglichkeiten, die vernünftigerweise zur Verfügung stehen, Gebrauch machen. Einen Beweisantrag darf es nur dann ablehnen, wenn es aus seiner rechtlichen Sicht auf die ungeklärte Tatsache nicht ankommt, wenn diese Tatsache als wahr unterstellt werden kann, wenn das Beweismittel völlig ungeeignet oder unerreichbar ist, wenn die behauptete Tatsache oder ihr Fehlen bereits erwiesen oder wenn die Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist (vgl B[X.] vom [X.] - B 8 [X.]N 16/05 B - [X.] 4-1500 § 160 [X.] RdNr 10; B[X.] vom 7.4.2011 - B 9 SB 47/10 B - juris RdNr 4; B[X.] vom 7.8.2014 - B 13 [X.]/13 B - juris Rd[X.]). Der bloße Angriff auf die Beweiswürdigung des [X.] kann dagegen nicht zur Zulassung der Revision führen, auch wenn er in die Gestalt einer Sachaufklärungsrüge gekleidet ist (vgl B[X.] vom 8.5.2017 - B 9 V 78/16 B - juris Rd[X.]). § 160 Abs 2 [X.] [X.]G schließt dies aus.

6

Die Würdigung voneinander abweichender Gutachtenergebnisse oder ärztlicher Auffassungen gehört wie die anderer sich widersprechender Beweisergebnisse zur Beweiswürdigung selbst. Eine Verpflichtung zur Einholung eines sogenannten [X.] besteht auch bei einander widersprechenden Gutachtenergebnissen im Allgemeinen nicht; vielmehr hat sich das Gericht im Rahmen der Beweiswürdigung mit den einander entgegenstehenden Ergebnissen auseinanderzusetzen. Hält das Gericht eines von mehreren Gutachten für überzeugend, darf es sich diesem anschließen, ohne ein weiteres Gutachten einzuholen. Bei einer derartigen Fallgestaltung ist für eine weitere Beweiserhebung regelmäßig kein Raum. Liegen bereits mehrere Gutachten vor, ist das [X.] nur dann zu weiteren Beweiserhebungen verpflichtet, wenn die vorhandenen Gutachten ungenügend sind (§ 118 Abs 1 Satz 1 [X.]G iVm § 412 Abs 1 ZPO), weil sie grobe Mängel oder unlösbare Widersprüche enthalten oder von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde des Gutachters geben (vgl B[X.] vom 23.6.2021 - B 1 [X.]R 56/20 B - juris RdNr 6; B[X.] vom 19.11.2007 - [X.]/5 R 382/06 B - [X.] 4-1500 § 160a [X.] RdNr 8 f mwN).

7

2. Der [X.]läger hat nicht hinreichend die von dem Beweisantrag betroffenen tatsächlichen Umstände aufgezeigt, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten. Er legt damit nicht dar, warum das [X.] aufgrund der vorliegenden medizinischen Ermittlungen objektiv gehalten gewesen sein soll, den Sachverhalt weiter aufzuklären und den beantragten Beweis zu erheben.

8

Der [X.]läger macht geltend, das [X.] sei seinem Beweisantrag auf Einholung eines ergänzenden internistischen Sachverständigengutachtens ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt. Der Fokus des Beweisantrags und der Beschwerdebegründung liegt dabei auf der Bewältigung mitochondrial verursachter internistischer Erkrankungen durch die drei stationären Behandlungen. Das [X.] habe verkannt, dass bei einem Defekt des mitochondrialen Stoffwechsels nach dem gegenwärtigen Stand der Medizin nicht nur der neurologische Bereich betroffen sei, sondern jedes Gewebe und jedes Organ, und dass die aufgrund des Defekts der mitochondrial lokalisierten Stoffwechsellage bestehenden Beschwerden des [X.] überwiegend im internistischen Bereich des [X.] lägen. Das beantragte internistische Sachverständigengutachten hätte nachgewiesen, dass die beim [X.]läger durch die mitochondriale Erkrankung auf internistischem Gebiet verursachten [X.]rankheitsfolgen (nur) durch eine stationäre Behandlung nach dem Behandlungskonzept der [X.] hätten leidensgerecht gelindert werden können. Auch ihrer Verschlimmerung hätte entgegengewirkt werden können. Hingegen macht der [X.]läger nicht geltend, dass ungeachtet der [X.]rankheitsursache die internistischen [X.]rankheiten eine stationäre Behandlung in dieser [X.]linik erfordert hätten.

9

Das [X.] ist auf der Grundlage der Ausführungen der neurologischen Sachverständigen zu der Feststellung gelangt, dass bereits das Vorliegen einer mitochondrialen Erkrankung des [X.] nicht nachgewiesen sei. Die weiteren Ausführungen zu den im Fall des [X.] indizierten Rehabilitationsmaßnahmen erfolgten nur "unter der hypothetischen Annahme einer mitochondrialen Erkrankung des [X.]".

Zwar hätten sich mit Blick auf den in der letzten mündlichen Verhandlung vor dem [X.] gestellten Beweisantrag weitere [X.] ergeben, um eine mitochondriale Erkrankung festzustellen oder auszuschließen. Der Beweisantrag formuliert insoweit nur allgemein: "… nach vorheriger persönlicher Anhörung und Untersuchung des [X.] durch den Sachverständigen …". Der [X.]läger legt aber nicht dar, dass er sich bereit erklärt hat, die von [X.] in ihrem Gutachten für notwendig erachteten Untersuchungen (vgl [X.] ff des Gutachtens vom 10.1.2017) im Rahmen der beantragten internistischen Gutachtenerstellung nunmehr vornehmen zu lassen, um abschließend zu klären, ob er unter einer mitochondrialen Erkrankung leidet. Hingegen hat das [X.] vom [X.]läger unwidersprochen festgestellt: "Der [X.]läger hat in dem Berufungsverfahren den erforderlichen Untersuchungen zum Nachweis einer mitochondrialen Erkrankung nicht zugestimmt; er hat sich vielmehr lediglich mit einer Blutentnahme einverstanden erklärt."

Insoweit zeigt der [X.]läger nicht auf, warum das [X.] sich hätte gedrängt fühlen müssen, eine weitere internistische Begutachtung zu der unter diesen Umständen nicht entscheidungserheblichen Frage zu veranlassen, dass das Therapiekonzept der Malteser-[X.]linik von [X.] geeignet gewesen sei, internistische [X.]rankheitsfolgen einer mitochondrialen Erkrankung zu behandeln und dies in "diesem speziellen Bereich dem anerkannten medizinischen Standard" entsprochen habe.

Der [X.]läger hat auch keinen weiteren Beweisantrag dahingehend gestellt, dass die Ausführungen der Sachverständigen [X.] hinsichtlich der Diagnostik einer mitochondrialen Erkrankung unzutreffend seien und schon nach den vorliegenden Befunden seine mitochondriale Erkrankung gesichert sei, um seinen Antrag auf Einholung eines internistischen Gutachtens zu stützen.

3. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 [X.]G).

4. Die [X.]ostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 [X.]G.

[X.]

Meta

B 1 KR 9/22 B

15.07.2022

Bundessozialgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: KR

vorgehend SG Gießen, 15. August 2017, Az: S 7 KR 38/14, Urteil

§ 103 SGG, § 118 Abs 1 S 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 412 Abs 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 15.07.2022, Az. B 1 KR 9/22 B (REWIS RS 2022, 4964)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 4964

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