11. Senat | REWIS RS 2011, 426
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Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"
Innergemeinschaftliche Lieferung: Steuerpflicht bei Täuschung über Abnehmer
NV: Beteiligt sich ein Unternehmer vorsätzlich durch Täuschung über die Identität des Abnehmers an einer Umsatzsteuerhinterziehung, um hierdurch die Besteuerung des innergemeinschaftlichen Erwerbs im Bestimmungsmitgliedstaat zu vermeiden, ist die Lieferung nicht nach § 6a UStG steuerfrei.
I. Die Klägerin, Revisionsklägerin und [X.](Klägerin), eine GmbH, betrieb einen Großhandel mit Reifen und lieferte im Streitjahr 2001 nach ihren Angaben Reifen u.a. an die Kunden [X.]und B, zwei Gesellschaften mit beschränkter Haftung [X.]Rechts, nach Belgien.
Der registrierte Geschäftszweck der [X.]lautete "Süßwarenfabrik, Großhandel mit Zucker, Süßwaren, Schokolade". Die Gesellschaftsanteile der [X.]wurden von [X.]und [X.]zum Zweck des Betriebs eines Umsatzsteuerkarussells erworben. [X.]und [X.]wurden mit Strafurteil vom 22. Februar 2002 des [X.]u.a. wegen Mehrwertsteuerbetrug in Form der Beteiligung an Umsatzsteuerkarussellen und Urkundenfälschung verurteilt. [X.]hat im Strafverfahren eingestanden, dass [X.]als Scheinfirma fungierte. Das Strafgericht stellte fest, dass die formell als Geschäftsführerin der [X.]benannte, in [X.]wohnende N nur [X.]war und [X.]und [X.]als Geschäftsführer auftraten. [X.]hat nach den Feststellungen des Strafgerichts für die Voranmeldungszeiträume Januar bis Mai 2001 keine Voranmeldungen abgegeben und auch keine Zahlungen auf Umsatzsteuerverbindlichkeiten geleistet. Das Unternehmen hatte keine Mitarbeiter und wurde im April 2002 "von der [X.]gestrichen". An den Lieferadressen in [X.]wurde jeweils [X.]angetroffen. [X.]und [X.]haben keine [X.]vorgenommen.
Die Klägerin führte in der [X.]vom 23. Januar 2001 bis 14. Mai 2001 [X.][X.]nach § 18e des Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG) beim [X.](BfF) zur Umsatzsteuer-Identifikationsnummer (USt-ID-Nummer) BE … der [X.]mit dem Ergebnis durch, dass diese [X.]als ungültig bezeichnet wurde. Im Juni und Juli 2001 wurde die Gültigkeit der angegebenen [X.]drei Mal bestätigt.
Gesellschaftszweck der B, deren Geschäftsführer nach den Feststellungen des [X.]im Urteil vom 22. Februar 2002 (ebenfalls) [X.]und S waren, war der Großhandel mit Textilien. Die Klägerin hat im Streitjahr zehn einfache Bestätigungsabfragen nach § 18e UStG beim [X.]durchgeführt, die die Gültigkeit der [X.]ergaben. Das [X.]stellte fest, dass [X.]in ein Mehrwertsteuer-Karussell eingebunden war, das [X.]und S mit weiteren Personen organisiert hatten und das weitere Firmen umfasste. Feststellungen zum Abgabe- und Zahlungsverhalten der [X.]im Streitjahr und zur Versteuerung des innergemeinschaftlichen Erwerbs der Reifen durch [X.]enthält das Strafurteil nicht.
Die Klägerin behandelte die Lieferungen an [X.]und [X.]als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen und erklärte eine Umsatzsteuer für 2001 in Höhe von ./. … €.
Der Beklagte, Revisionsbeklagte und Anschlussrevisionskläger (das Finanzamt --FA--) erkannte im [X.]an eine Umsatz-steuer-Sonderprüfung sowie Ermittlungen des Finanzamts für [X.]und Steuerfahndung A die Lieferungen der Klägerin an [X.]nicht als steuerbefreit an und setzte die Umsatzsteuer im Umsatzsteuerbescheid für 2001 vom 1. März 2004 entsprechend fest. Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Während des finanzgerichtlichen Verfahrens erging nach einer weiteren [X.]am 14. Juli 2010 ein geänderter Umsatzsteuerbescheid für 2001, der gemäß § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Gegenstand des Verfahrens wurde, und durch den die Umsatzsteuer der Klägerin auf … € festgesetzt wurde. In diesem Bescheid erkannte das [X.]die Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen an [X.]und [X.]nicht an.
Mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 185 veröffentlichten Urteil hat das Finanzgericht (FG) der Klage überwiegend stattgegeben und die Umsatzsteuer auf ./. … € festgesetzt. Zwar seien die Lieferungen an [X.]nicht als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen anzuerkennen. Die Lieferungen an [X.]seien allerdings steuerfrei.
Die Lieferungen an [X.]seien nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens (§ 96 FGO) steuerpflichtig, da die Klägerin gewusst habe, dass die [X.]nicht der wirkliche Abnehmer der Reifen gewesen sei, sondern nur zwischengeschaltet worden sei, um die [X.]des wahren Abnehmers, J, zu vermeiden.
Die Lieferungen an [X.]seien gemäß § 4 Nr. 1 Buchst. b i.V.m. § 6a UStG steuerfrei. Zwar habe [X.]zusammen mit weiteren Personen nach den Feststellungen des Strafgerichts [X.]dazu genutzt, [X.]zu begehen. Im Unterschied zum Sachverhalt bei [X.]sei im Hinblick auf [X.]vom Strafgericht keine Verletzung von [X.]und Zahlungspflichten für den Zeitraum ab Januar 2001 festgestellt worden. Im Streitfall habe der insoweit die Feststellungslast tragende Beklagte nicht dargelegt und nachgewiesen, dass [X.]lediglich zwischengeschaltet worden sei, um die [X.]durch [X.]hinsichtlich der konkret zu beurteilenden Lieferungen zu umgehen, und dass die Klägerin dies gewusst habe oder hätte wissen müssen.
Die Klägerin stützt ihre vom [X.]zugelassene Revision auf die Verletzung materiellen Rechts. Sie ist zunächst der Auffassung der Vorinstanz entgegengetreten, dass eine Ausnahme von der Steuerbefreiung bei tatsächlich ausgeführten innergemeinschaftlichen Lieferungen möglich sei. Den vom [X.]hierzu angeführten Entscheidungen des [X.]und des [X.]sei gemeinsam, dass die Lieferer jeweils bewusst und planmäßig die tatsächlichen Erwerber zum Schaden des jeweiligen Bestimmungslandes verschleiert hätten. Eine solche Kollusion sei sie mit [X.]nicht eingegangen. Der von der Vorinstanz angenommene Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht eines ordentlichen und gewissenhaften Kaufmanns dürfe nicht einem "Wissen" gleichgesetzt werden.
Nach Ergehen des Urteils des [X.](EuGH) vom 7. Dezember 2010 C-285/09 --R-- (Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 2011, 15, [X.]Steuerrecht --DStR-- 2010, 2572) trägt die Klägerin vor, die Voraussetzungen, unter denen nach dieser Entscheidung die Steuerfreiheit einer innergemeinschaftlichen Lieferung (ausnahmsweise) versagt werden dürfe, lägen im Streitfall nicht vor.
Die Klägerin beantragt,
die Vorentscheidung aufzuheben und die Umsatzsteuer für 2001 auf ./. … € festzusetzen.
Das [X.]hat [X.]eingelegt. Es beantragt, die Revision zurückzuweisen und unter Aufhebung des [X.]die Umsatzsteuer für 2001 auf … € festzusetzen.
Es rügt die Verletzung materiellen Rechts und meint, das [X.]hätte auch die Lieferungen an [X.]als steuerpflichtig behandeln müssen. Das [X.]hätte aufgrund der vorliegenden Unterlagen --insbesondere des Urteils des Strafgerichts X-- zu der Überzeugung kommen müssen, dass die Lieferungen der Klägerin nach [X.]dort nicht als innergemeinschaftliche Erwerbe erklärt und versteuert worden seien und somit in [X.]bezüglich der streitigen Lieferungen Steuerhinterziehung vorgelegen habe. Die Klägerin sei nachweislich in diese Steuerhinterziehung eingeweiht gewesen.
Während des Revisionsverfahrens hat das [X.]durch Bescheid vom 2. November 2010 die Umsatzsteuer für 2001 entsprechend der Vorentscheidung des [X.]auf ./. … € festgesetzt.
II. Die Revision der Klägerin hat im Ergebnis keinen Erfolg. Sie führt aus verfahrensrechtlichen Gründen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, nicht aber zu einer über den [X.]der Vorinstanz hinausgehenden günstigeren Festsetzung der Umsatzsteuer. Die Anschlussrevision des [X.]war als unbegründet zurückzuweisen.
A. Das angefochtene Urteil ist aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben, weil sich währen[X.]des Revisionsverfahrens der Verfahrensgegenstand, über dessen Rechtmäßigkeit das [X.]zu entscheiden hatte, geändert hat (§ 127 FGO).
Das [X.]hat über den Umsatzsteuerbeschei[X.]2001 vom 14. Juli 2010 entschieden. An dessen Stelle ist währen[X.]des Revisionsverfahrens der Änderungsbeschei[X.]vom 2. November 2010 getreten, der nach § 68 Satz 1 i.V.m. § 121 Satz 1 FGO Gegenstan[X.]des Verfahrens geworden ist. Das angefochtene Urteil ist daher gegenstandslos geworden un[X.]aufzuheben (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Urteile des [X.]--BFH-- vom 17. Januar 2008 VI R 44/07, [X.]220, 269, [X.]2011, 21; vom 10. November 2010 XI R 79/07, [X.]231, 373, [X.]2011, 311, unter II.1., m.w.N.). Da sich durch den Änderungsbeschei[X.]die tatsächlichen Grundlagen des Streitstoffs nicht geändert haben, kann der [X.]über die streitigen Rechtsfragen selbst entscheiden un[X.]braucht die Sache nicht nach § 127 FGO an das FG zurückzuverweisen. Die vom [X.]getroffenen tatsächlichen Feststellungen bilden nach wie vor die Grundlage für die Entscheidung des BFH; sie fallen durch die Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils nicht weg, weil das finanzgerichtliche Verfahren nicht an einem Verfahrensmangel leidet (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 12. Januar 2011 II R 30/09, [X.]2011, 755, unter II.1., m.w.N.).
B. Revision der Klägerin
Die Revision ist erfolglos. Soweit die Klägerin eine über den Tenor des vorinstanzlichen Urteils hinausgehende günstigere Festsetzung der Umsatzsteuer begehrt, ist die Klage unbegründet un[X.]daher abzuweisen. Der entsprechen[X.]dem [X.]geänderte Umsatzsteuerbeschei[X.]vom 2. November 2010 ist rechtmäßig. Zutreffen[X.]hat das [X.]die behaupteten Lieferungen der Klägerin an "D" nicht als steuerfrei beurteilt.
a) Die Steuerfreiheit für die innergemeinschaftliche Lieferung setzt gemäß § 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG voraus, dass der Unternehmer oder der Abnehmer den Gegenstan[X.]der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet. Darüber hinaus bestehen bei Lieferungen an Unternehmer oder juristische Personen weitere, in der Person des Erwerbers zu erfüllende Voraussetzungen. Nach § 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a un[X.]b, [X.]UStG muss es sich beim Abnehmer der Lieferung entweder um einen Unternehmer, der den Gegenstan[X.]der Lieferung für sein Unternehmen erworben hat, oder um eine juristische Person handeln, die nicht Unternehmer ist oder die den Gegenstan[X.]der Lieferung nicht für ihr Unternehmen erworben hat; der Erwerb des Gegenstands der Lieferung muss in allen Fällen beim Abnehmer in einem anderen Mitgliedstaat den Vorschriften der Umsatzbesteuerung unterliegen.
Die Steuerfreiheit beruht auf Art. 28c Teil A Buchst. a Unterabs. 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/[X.]des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/EWG). Danach sin[X.]steuerfrei "die Lieferungen von Gegenständen im Sinne des Artikels 5, die durch den Verkäufer oder durch den Erwerber oder für ihre Rechnung nach Orten außerhalb des in Artikel 3 bezeichneten Gebietes, aber innerhalb der [X.]versandt oder befördert werden, wenn diese Lieferungen an einen anderen Steuerpflichtigen oder an eine nichtsteuerpflichtige juristische Person bewirkt werden, der/die als solcher/solche in einem anderen Mitgliedstaat als dem des Beginns des Versands oder der Beförderung der Gegenstände handelt."
b) Der Unternehmer hat die Voraussetzungen der Steuerfreiheit nach § 6a Abs. 1 UStG gemäß § 6a Abs. 3 UStG i.V.m. §§ 17a ff. der [X.]1999 durch Belege un[X.]buchmäßige Aufzeichnungen nachzuweisen. Dieser Beleg- un[X.][X.]beruht auf dem ersten Satzteil des Art. 28c Teil A der Richtlinie 77/388/[X.](BFH-Urteil vom 12. Mai 2009 V R 65/06, [X.]225, 264, [X.]2010, 511, unter II.B.1.b). Danach legen die Mitgliedstaaten Bedingungen "zur Gewährleistung einer korrekten un[X.]einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung un[X.]Mißbrauch" fest, wobei sie die Grundsätze der Rechtssicherheit, der Verhältnismäßigkeit un[X.]des Vertrauensschutzes zu beachten haben (EuGH-Urteil in [X.]2011, 15, DStR 2010, 2572, Rz 45; BFH-Urteil vom 11. August 2011 V R 50/09, [X.]235, 32, [X.]2012, 151, unter II.1.b). Der Unternehmer hat den Beweis für die Steuerfreiheit einschließlich der von den Mitgliedstaaten aufgestellten Bedingungen zu erbringen (EuGH-Urteil in [X.]2011, 15, DStR 2010, 2572, Rz 46; BFH-Urteile in [X.]235, 32, [X.]2012, 151, unter II.1.b; vom 11. August 2011 V R 19/10, [X.]235, 50, [X.]2012, 156, unter II.B.1.b).
2. Erbringt der Unternehmer den Beleg- un[X.][X.]nicht vollständig, erweisen sich [X.]als unzutreffen[X.]oder bestehen berechtigte un[X.]nicht durch den Unternehmer ausgeräumte Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit der Angaben (vgl. BFH-Urteile in [X.]235, 32, [X.]2012, 151, unter II.1.c; in [X.]225, 264, [X.]2010, 511, unter II.B.2.b; vom 17. Februar 2011 V R 28/10, [X.]233, 331, [X.]2011, 1448, unter II.2.c), ist die Lieferung steuerpflichtig, wenn diese Mängel den "sicheren Nachweis" der materiellen Anforderungen verhindern (EuGH-Urteil vom 27. September 2007 C-146/05 --Collée--, Slg. 2007, I-7861, [X.]Beilage 2008, 34, Rz 31).
3. Darüber hinaus ist die Lieferung auch steuerpflichtig, wenn --obwohl die Voraussetzungen für die Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferung objektiv vorliegen-- der Steuerpflichtige unter Verstoß gegen die auf dem ersten Satzteil des Art. 28c Teil A der Richtlinie 77/388/[X.]beruhenden Pflichten zum Beleg- un[X.][X.]die Identität des Erwerbers verschleiert, um diesem im Bestimmungsmitgliedstaat eine Mehrwertsteuerhinterziehung zu ermöglichen (EuGH-Urteil in [X.]2011, 15, DStR 2010, 2572, Rz 51 un[X.]Leitsatz; BFH-Urteile in [X.]235, 32, [X.]2012, 151, unter [X.]un[X.]II.2.; in [X.]233, 331, [X.]2011, 1448; vom 17. Februar 2011 V R 30/10, [X.]233, 341, [X.]2011, 769, jeweils unter II.2.c, un[X.]in [X.]235, 50, [X.]2012, 156, unter II.B.1.c).
Diese Voraussetzungen hat das [X.]hinsichtlich der angeblich an [X.]erfolgten Lieferungen der Klägerin in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise angenommen. Das [X.]konnte im Streitfall den Sachverhalt ohne Rechtsverstoß dahingehen[X.]würdigen, dass die Klägerin die Unredlichkeit von [X.]un[X.]die bloß formale Zwischenschaltung der [X.]bei den Geschäften kannte, um die [X.]des wahren Abnehmers, J, zu vermeiden (Urteil S. 11 unten, 12).
a) Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens (§ 96 FGO) ergab sich diese Überzeugung für das [X.]aus folgenden Indizien: Die Klägerin habe [X.][X.]mit negativem Ergebnis durchgeführt. Der eingetragene Geschäftszweck der [X.]sei der Handel mit Süßigkeiten gewesen. Das Unternehmen habe keine Mitarbeiter gehabt. Der Kontakt habe ausschließlich zwischen der Klägerin un[X.][X.]stattgefunden. Kontakte zwischen der Geschäftsführung der [X.]un[X.]der Klägerin habe es nicht gegeben. Die Kontakte zwischen [X.]un[X.]der Klägerin könnten entgegen ihrer Behauptung nicht erst ab April 2001 entstanden sein, denn die Klägerin habe bereits seit Januar 2001 versucht, die USt-ID-Nummer der [X.]vom [X.]bestätigen zu lassen. Die Verschleierungsmaßnahmen durch Zwischenschaltung der [X.]haben der Vermeidung einer [X.]der Lieferungen in [X.]gedient. [X.]habe keine Umsatzsteuer-Voranmeldungen abgegeben un[X.]auch keine Umsatzsteuerzahlungen geleistet. Der wirkliche Abnehmer [X.]habe ebenfalls keine [X.]durchgeführt. Zwar sei im Urteil des [X.]nichts über eine Täterschaft oder eine Beteiligung der Klägerin am Umsatzsteuerbetrug des [X.]ausgeführt. Dies sei aber auch nicht möglich gewesen, weil die Klägerin nicht der Strafgewalt des [X.]Gerichts unterlegen habe. Im Übrigen sei für die Versagung der Steuerfreiheit unerheblich, ob der Abnehmer oder der Lieferant strafrechtlich belangt worden seien. Der [X.]habe aufgrun[X.]der genannten Indizien die Überzeugung erlangt, dass die Klägerin die Unredlichkeit des [X.]un[X.]die bloß formale Zwischenschaltung der [X.]gekannt habe.
b) Die Feststellung, welcher Leistungsbeziehung die Verschaffung der Verfügungsmacht zuzurechnen ist, un[X.]mithin die Feststellung, ob Rechnungsempfänger un[X.]Leistungsempfänger identisch sind, obliegt dem [X.]als Tatsacheninstanz un[X.]ist im Wesentlichen das Ergebnis einer tatsächlichen Würdigung (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 4. September 2003 V R 9-10/02, [X.]203, 389, [X.]2004, 627, unter II.3.; in [X.]235, 32, [X.]2012, 151, unter [X.]aa).
Zu den der Bindung nach § 118 Abs. 2 FGO unterliegenden Feststellungen gehören auch die Schlussfolgerungen tatsächlicher Art auf das Vorliegen bestimmter subjektiver Tatbestandsmerkmale, wie Absicht oder Vorsatz (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 27. August 1991 VIII R 84/89, [X.]165, 330, [X.]1992, 9, unter 3.b; zu § 25[X.]Abs. 1 Satz 1 UStG: BFH-Urteil vom 28. Februar 2008 V R 44/06, [X.]221, 415, [X.]2008, 586, unter II.4.b aa).
c) Der [X.]als Revisionsgericht kann solche Tatsachenwürdigungen nur daraufhin überprüfen, ob sie verfahrensfehlerfrei zustande gekommen sin[X.]un[X.]mit den Denkgesetzen un[X.]den allgemeinen Erfahrungssätzen im Einklang stehen. Ist das zu bejahen, so ist die Tatsachenwürdigung selbst dann bindend, wenn sie nicht zwingend, sondern nur möglich wäre (vgl. z.B. BFH-Urteile in [X.]203, 389, [X.]2004, 627, unter II.3.; in [X.]165, 330, [X.]1992, 9, unter 3.b; in [X.]221, 415, [X.]2008, 586, unter II.4.b aa; vom 11. Oktober 2007 IV R 38/05, [X.]219, 136, [X.]2009, 135, unter II.2.; in BFHE, 235, 32, [X.]2012, 151, unter [X.]aa; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 118 Rz 30, 54; Lange in Hübschmann/ Hepp/[X.]--HHSp--, § 118 FGO Rz 140 ff., 143; [X.]in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 118 FGO Rz 87).
d) Danach ist es im Streitfall revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das [X.]entgegen den Belegen un[X.]den Angaben der Klägerin den [X.]un[X.]nicht die [X.]als Abnehmer der durch die Klägerin ausgeführten Lieferungen angesehen hat un[X.]dass das [X.]anhan[X.]der von ihm dafür dargelegten Indizien die Überzeugung gewonnen hat, dass die Klägerin wusste, dass nicht [X.]der wirkliche Abnehmer der Reifen war, sondern nur zwischengeschaltet wurde, um die [X.]des wahren Abnehmers [X.]zu vermeiden.
aa) Diese Würdigung des [X.]im Streitfall ist verfahrensfehlerfrei zustande gekommen; sie verstößt weder gegen Denkgesetze noch gegen Erfahrungssätze.
Soweit die Klägerin vorträgt, nach ihrer Auffassung ergebe sich "aus dem festgestellten Sachverhalt ... eindeutig, dass sie bei der Abwicklung der Geschäfte nicht bewusst un[X.]vorsätzlich an der Steuerhinterziehung in [X.]mitgewirkt hat", setzt sie lediglich ihre Meinung an die Stelle der [X.]Streitfall möglichen-- Würdigung des FG.
bb) Der Ausnahmefall, dass die Bindung des [X.]nach § 118 Abs. 2 FGO an die tatsächliche Würdigung des [X.]entfällt, weil aus den Gründen des angefochtenen Urteils nicht nachvollziehbar ist, aus welchen Tatsachen das [X.]eine Schlussfolgerung tatsächlicher Art ableitet (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 25. Juni 2003 X R 72/98, [X.]202, 514, [X.]2004, 403, unter II.2.; Gräber/Ruban, a.a.O., § 118 Rz 55; Lange in HHSp, § 118 FGO Rz 144, jeweils m.w.N.) liegt im Streitfall nicht vor; dies macht die Klägerin auch nicht geltend.
e) Soweit die Klägerin sich in ihrer Revisionsbegründung darauf berufen hat, dass der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen vom 29. Juni 2010 in der Rechtssache C-285/09 dem [X.]vorgeschlagen habe, die vorgelegte Frage in der Weise zu beantworten, dass Art. 28c Teil A Buchst. a der Richtlinie 77/388/[X.]keine Ausnahme von der Mehrwertsteuerbefreiung vorsehe, ist dem der [X.]nicht gefolgt. Der [X.]hat entschieden, dass die Steuerfreiheit zu versagen ist, wenn sich der Lieferer dadurch vorsätzlich an einer Steuerhinterziehung beteiligt, dass er die Identität des wahren Erwerbers verschleiert, um diesem zu ermöglichen, Mehrwertsteuer zu hinterziehen (vgl. EuGH-Urteil in [X.]2011, 15, DStR 2010, 2572, Rz 48 bis 55; BFH-Urteil in BFHE, 235, 32, [X.]2012, 151, unter II.2.a). Dementsprechen[X.]geht auch das [X.]davon aus, dass "die Steuerbefreiung jedenfalls nicht eingreift, wenn die [X.]in einem anderen Mitgliedstaat unterlaufen wird" (Beschluss vom 16. Juni 2011 2 BvR 542/09, [X.]2011, 775, unter C.I.1.b bb).
f) Entgegen der Ansicht der Klägerin hat das [X.]im Streitfall nicht lediglich einen Verstoß der Klägerin gegen die Sorgfaltspflicht eines ordentlichen un[X.]gewissenhaften Kaufmanns angenommen.
C. Anschlussrevision des FA
Die nach § 155 FGO i.V.m. § 554 der Zivilprozessordnung zulässige Anschlussrevision des [X.]ist unbegründet. Das [X.]hat die Steuerfreiheit der von der Klägerin an [X.]ausgeführten Lieferungen in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise bejaht.
1. Nach den insoweit nicht angegriffenen un[X.]den [X.]gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen des [X.]wurden keine Tatsachen zum Abgabe- un[X.]Zahlungsverhalten der [X.]im Streitjahr un[X.]zur konkreten Versteuerung des innergemeinschaftlichen Erwerbs der Reifen durch [X.]festgestellt. Das [X.]hat rechtsfehlerfrei ausgeführt, dass keine Erkenntnisse darüber bestünden, ob [X.]die [X.]der Reifenlieferungen der Klägerin durchgeführt habe. Anders als bei [X.]sei im Hinblick auf [X.]vom [X.]keine Verletzung von [X.]un[X.]Zahlungspflichten für den Zeitraum ab Januar 2001 festgestellt worden.
2. Im Unterschie[X.]zum unter [X.]behandelten Sachverhalt [X.]konnte das [X.]nicht feststellen, dass [X.]mit Kenntnis der Klägerin zwischengeschaltet worden ist, um die [X.]von [X.]zu umgehen. Diese tatsächliche Würdigung des [X.]ist nach dem dargelegten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstab (s. unter [X.]bis d) nicht zu beanstanden. Sie ist möglich; zwingen[X.]muss sie nicht sein. Verfahrensmängel hat das [X.]nicht gerügt. Auch Verstöße gegen die Denkgesetze oder allgemeinen Erfahrungssätze liegen nicht vor.
Meta
14.12.2011
Urteil
vorgehend FG Münster, 2. September 2010, Az: 5 K 1129/05 U, Urteil
Art 28c EWGRL 388/77, § 68 S 1 FGO, § 96 FGO, § 118 Abs 2 FGO, § 121 S 1 FGO, § 127 FGO, § 155 FGO, § 4 Nr 1 Buchst b UStG 1999, § 6a Abs 1 UStG 1999, § 6a Abs 3 UStG 1999, § 18e UStG 1999, §§ 17aff UStDV 1999, § 17a UStDV 1999, § 554 ZPO
Zitiervorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 14.12.2011, Az. XI R 33/10 (REWIS RS 2011, 426)
Papierfundstellen: REWIS RS 2011, 426
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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.
(Belegnachweis bei innergemeinschaftlicher Lieferung - Keine Anwendung des § 6a Abs. 4 UStG bei unvollständigem …
Belegnachweis bei innergemeinschaftlicher Lieferung
Innergemeinschaftliche Lieferung: Steuerfreiheit im Reihengeschäft - Unschädlichkeit der Angabe eines unzutreffenden Bestimmungsorts - Keine Ausnahme …
(Beleg- und Buchnachweis bei innergemeinschaftlicher Lieferung - Keine Anwendung des § 6a Abs. 4 UStG …
Innergemeinschaftliche Lieferung: Lieferung im "Umsatzsteuer-Karussell" - Identität des Abnehmers - Vorliegen eines Scheingeschäfts