Bundesfinanzhof, Urteil vom 14.11.2018, Az. II R 8/16

2. Senat | REWIS RS 2018, 1752

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Gegenstand

(Antragsbefugnis nach § 10 Abs. 3 Satz 1 StraBEG)


Leitsatz

Liegt keine der in § 1 Abs. 1 Satz 1 StraBEG bezeichneten Taten und keine Steuerordnungswidrigkeit i.S. des § 6 StraBEG vor, kann der vermeintliche Steuerschuldner die Aufhebung einer mit der Abgabe der strafbefreienden Erklärung bewirkten Steuerfestsetzung nach § 10 Abs. 3 Satz 1 StraBEG beantragen .

Tenor

Das Urteil des [X.] vom 19. August 2015  4 K 1647/13 wird aufgehoben.

Der Beklagte wird unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 4. November 2010 und der Einspruchsentscheidung vom 8. Mai 2013 verpflichtet, die sich aus der strafbefreienden Erklärung vom 3. Mai 2004 ergebende Festsetzung der pauschalen Steuer aufzuheben.

Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Die [X.]lägerin und Revisionsklägerin ([X.]lägerin) ist zur Hälfte [X.] nach ihrer im September 2000 verstorbenen [X.]utter ([X.]). Weitere [X.] war die Tochter der [X.] aus zweiter Ehe ([X.]). [X.] ist im [X.]ärz 2006 verstorben und wurde von der [X.], ihrer Tochter, allein beerbt. Die Erbeinsetzung der [X.]lägerin und der [X.] war in einem notariell beurkundeten Erbvertrag vorgenommen worden, den [X.] 1969 mit ihrem Ehemann geschlossen hatte. [X.] hatte zudem durch ein notariell beurkundetes Testament im Hinblick auf den Erbteil der [X.] bis zum 31. [X.]ärz 2008 Testamentsvollstreckung angeordnet.

2

Im Juli 2000 ließ [X.] eine Familienstiftung nach liechtensteinischem Recht mit Sitz in [X.] errichten, die sie mit einem Stiftungskapital von 30.000 [X.] (umgerechnet 37.783 D[X.]) aus ihrem Vermögen ausstattete. Noch im selben [X.]onat übertrug sie weiteres [X.]apitalvermögen in Höhe von 1.962.217 D[X.] aus eigenen [X.]itteln auf die Stiftung. Nach den Beistatuten der Stiftung war [X.] bis zu ihrem Lebensende alleinige wirtschaftlich Begünstigte des Stiftungsvermögens und von dessen Erträgen. Für die [X.] nach dem Tod der [X.] war in den Beistatuten vorgesehen, dass der Stiftungsgenuss der [X.] in Höhe von 1.000.000 D[X.] abzüglich der zur Sicherstellung ihres Unterhalts und ihrer Ausbildung vorweg ausbezahlten Beträge und im Übrigen der [X.]lägerin zustehen sollte.

3

Die für den Erbteil der [X.] bestellte Testamentsvollstreckerin gab am 3. [X.]ai 2004 gegenüber dem damals zuständigen Finanzamt in der Annahme, die Vermögensübertragung der [X.] auf die Stiftung unterliege der Schenkungsteuer, eine "strafbefreiende Erklärung" nach dem Strafbefreiungserklärungsgesetz ([X.]) ab und entrichtete den nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 5 Satz 1 [X.] berechneten Betrag in Höhe von 50.873,50 € zeitnah an das Finanzamt.

4

Im Juni 2008 beantragte die [X.]lägerin beim Finanzamt die anteilige Rückerstattung des von der Testamentsvollstreckerin aufgrund der "strafbefreienden Erklärung" bezahlten Betrags. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das inzwischen zuständig gewordene Finanzamt --[X.]--) lehnte den Antrag ab. Der Einspruch blieb erfolglos.

5

Das Finanzgericht (FG) wies die [X.]lage mit der Begründung ab, die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Festsetzung lägen nicht vor. Die von [X.] im Juli 2000 veranlasste Vermögensübertragung auf die Stiftung sei keine Schenkung gewesen, da die Stiftung über das Vermögen im Verhältnis zu [X.] nicht habe tatsächlich und rechtlich frei verfügen können. Die anteilige Auszahlung des Stiftungsvermögens an die [X.]lägerin habe daher keine Herausgabe eines Geschenks wegen eines Rückforderungsrechts i.S. des § 29 Abs. 1 Nr. 1 des [X.] (ErbStG) dargestellt. Im Übrigen hätte die [X.]lägerin einen Antrag auf Änderung der Festsetzung nur gemeinsam mit der [X.] stellen können. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte ([X.]) 2015, 1824 veröffentlicht.

6

[X.]it ihrer Revision rügt die [X.]lägerin die Verletzung des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung [X.]) i.V.m. § 29 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG. Darüber hinaus macht sie geltend, dass eine strafbefreiende Erklärung, die mangels Steuerstraftat unwirksam sei, keine wirksame Steuerfestsetzung erzeugen könne. Im Übrigen habe sie, die [X.]lägerin, die strafbefreiende Erklärung nicht unterschrieben; die Testamentsvollstreckerin habe ohne ihr Wissen und ohne Vertretungsmacht gehandelt. Die Vorinstanz habe zudem die Änderungsvorschrift des § 10 Abs. 3 Satz 1 [X.] übersehen.

7

Die [X.]lägerin beantragt,
die Vorentscheidung aufzuheben und das [X.] zu verpflichten, unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 4. November 2010 und der Einspruchsentscheidung vom 8. [X.]ai 2013 die sich aus der strafbefreienden Erklärung vom 3. [X.]ai 2004 ergebende Festsetzung der pauschalen Schenkungsteuer aufzuheben.

8

Das [X.] beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

9

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Das [X.] ist verpflichtet, die mit der Abgabe der strafbefreienden Erklärung bewirkte Steuerfestsetzung aufzuheben (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Die [X.]lägerin kann ihr Aufhebungsbegehren auf § 10 Abs. 3 Satz 1 [X.] stützen.

1. Liegt keine der in § 1 Abs. 1 Satz 1 [X.] bezeichneten Taten und keine Steuerordnungswidrigkeit i.S. des § 6 [X.] vor, kann der vermeintliche Steuerschuldner die Aufhebung der mit der Abgabe der strafbefreienden Erklärung bewirkten Steuerfestsetzung nach § 10 Abs. 3 Satz 1 [X.] beantragen.

a) Gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 [X.] ist die mit der Abgabe der strafbefreienden Erklärung bewirkte Steuerfestsetzung (vgl. § 10 Abs. 2 Satz 1 [X.]) aufzuheben oder zu ändern, soweit nach dem [X.] keine Straf- oder Bußgeldfreiheit eintritt. § 10 Abs. 3 Satz 1 [X.] stellt eine eigenständige Änderungsvorschrift dar (Urteil des [X.] --[X.]-- vom 1. Oktober 2014 II R 6/13, [X.], 115, [X.], 164, Rz 15). Sind deren Voraussetzungen erfüllt, besteht ein Anspruch auf Aufhebung oder Änderung der mit der strafbefreienden Erklärung bewirkten Festsetzung.

b) Straf- oder Bußgeldfreiheit i.S. des § 10 Abs. 3 Satz 1 [X.] tritt u.a. dann nicht ein, wenn es an einer der in § 1 Abs. 1 Satz 1 [X.] bezeichneten Taten oder an einer Steuerordnungswidrigkeit i.S. des § 6 [X.] fehlt. Wurde dennoch eine strafbefreiende Erklärung abgegeben, ist die dadurch erzeugte Steuerfestsetzung aufzuheben oder zu ändern (vgl. [X.]-Urteile vom 17. Mai 2011 VIII R 31/08, [X.] 2011, 1477, Rz 14, und in [X.], 115, [X.], 164, Rz 10, 13, 14).

c) Eine strafbefreiende Erklärung, der keine der in § 1 Abs. 1 Satz 1 [X.] bezeichneten Taten und keine Steuerordnungswidrigkeit i.S. des § 6 [X.] zugrunde liegt, ist unwirksam ([X.]-Urteile vom 4. Dezember 2012 VIII R 50/10, [X.], 495, [X.], 222, und in [X.], 115, [X.], 164, Rz 11). Ob in einem solchen Fall auch die auf der Erklärung beruhende Steuerfestsetzung unwirksam ist, hat der [X.] noch nicht ausdrücklich entschieden und kann im Streitfall auf sich beruhen. Denn ist die Steuerfestsetzung wirksam, ist sie nach § 10 Abs. 3 Satz 1 [X.] aufzuheben, soweit der Steuerpflichtige keine der in § 1 Abs. 1 Satz 1 [X.] bezeichneten Taten und auch keine Steuerordnungswidrigkeit i.S. des § 6 [X.] begangen hat. Ist sie unwirksam, dient ihre Aufhebung gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 [X.] der Beseitigung eines Rechtsscheins ([X.]-Urteil in [X.], 115, [X.], 164, Rz 16).

d) Befugt, einen Antrag auf Aufhebung oder Änderung der Steuerfestsetzung nach § 10 Abs. 3 Satz 1 [X.] zu stellen, ist in erster Linie der [X.] jener Festsetzung. Als [X.]en kommen mehrere Personen in Frage, zum einen der Erklärende, d.h. die Person, die die strafbefreiende Erklärung abgegeben hat, und zum anderen der Schuldner der Steuer, auf die sich die in § 1 Abs. 1 Satz 1 [X.] genannten Taten und die Steuerordnungswidrigkeiten i.S. des § 6 [X.] beziehen (vgl. z.B. § 2 Abs. 2, § 8 Abs. 1 Satz 2, § 9 [X.]). Erklärender und Steuerschuldner können identisch, aber auch verschiedene Personen sein (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 4 [X.]).

e) Im Streitfall kann dahinstehen, wer Adressat der Festsetzung nach § 10 Abs. 2 Satz 1 [X.] ist. Denn das Recht, den Antrag nach § 10 Abs. 3 Satz 1 [X.] zu stellen, steht auch dem (vermeintlichen) Steuerschuldner zu. Dies folgt aus dem Umstand, dass die strafbefreiende Erklärung nicht nur strafbefreiende (§ 1 Abs. 1 Satz 1 [X.]) und steuerfestsetzende (§ 10 Abs. 2 Satz 1 [X.]) Wirkung hat. Vielmehr erlöschen, soweit Straf- oder Bußgeldfreiheit eintritt, mit Entrichtung der pauschalen Abgabe auch die gegen den Steuerschuldner bestehenden [X.] (§ 8 Abs. 1 Satz 1 [X.]). Die strafbefreiende Erklärung hat mithin auch rechtsgestaltende Wirkung für und gegen den Steuerschuldner. Diese Wirkung rechtfertigt es, dem (vermeintlichen) Steuerschuldner die Befugnis zur Antragstellung nach § 10 Abs. 3 Satz 1 [X.] unabhängig davon zuzubilligen, ob er [X.] der Steuerfestsetzung i.S. des § 10 Abs. 2 Satz 1 [X.] ist.

2. Da das [X.] von anderen Grundsätzen ausgegangen ist, war die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Die durch die strafbefreiende Erklärung bewirkte Steuerfestsetzung ist jedenfalls zur Beseitigung des Rechtsscheins ihrer Wirksamkeit aufzuheben.

a) Eine der in § 1 Abs. 1 Satz 1 [X.] bezeichneten Taten oder eine Steuerordnungswidrigkeit i.S. des § 6 [X.] liegt nicht vor. Das [X.] hat mit für den [X.] bindender Wirkung (§ 118 Abs. 2 [X.]O) festgestellt, dass die [X.] über das Stiftungsvermögen im Verhältnis zu [X.] nicht habe tatsächlich und rechtlich frei verfügen können. Durch die Vermögensübertragung auf die Stiftung ist daher keine Schenkungsteuer entstanden (vgl. [X.]-Urteil vom 28. Juni 2007 II R 21/05, [X.]E 217, 254, [X.], 669).

b) Als vermeintliche Schuldnerin der Schenkungsteuer war die [X.]lägerin befugt, den Antrag gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 [X.] zu stellen. Sie konnte das Antragsrecht auch alleine --ohne die [X.] ausüben. Denn selbst wenn der Anspruch auf Aufhebung der Festsetzung nach § 10 Abs. 2 Satz 1 [X.] zum Nachlass der [X.] gehören sollte, wäre die [X.]lägerin berechtigt, ihn unabhängig von weiteren Miterben im Wege der gesetzlichen Prozessstandschaft im eigenen Namen geltend zu machen (vgl. [X.]-Beschluss vom 12. April 2018 X B 144, 145/17, [X.] 2018, 966, Rz 21, m.w.N.).

c) Der Eintritt der Festsetzungsverjährung steht der Aufhebung nicht entgegen. Die Festsetzungsfrist für die Steuerfestsetzung nach § 10 Abs. 2 Satz 1 [X.] war bei der Stellung des [X.] im Juni 2008 noch nicht abgelaufen. Sie betrug nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO vier Jahre und begann mit Ablauf des Jahres 2004, in dem die Testamentsvollstreckerin die strafbefreiende Erklärung abgegeben hat (vgl. [X.], [X.] 2006, 491, 493 f., m.w.N.). Die Frist endete mit Ablauf des Jahres 2008.

3. Die [X.]ostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 und § 139 Abs. 4 [X.]O. Der Beigeladenen waren keine [X.]osten aufzuerlegen, da sie keine Anträge gestellt hat (vgl. [X.]-Urteil vom 15. Juni 2016 II R 24/15, [X.]E 254, 60, [X.], 128, Rz 21). Etwaige außergerichtliche [X.]osten der Beigeladenen sind nicht aus Billigkeitsgründen zu erstatten. Denn diese hat keine [X.] gestellt oder anderweitig das Verfahren wesentlich gefördert.

Meta

II R 8/16

14.11.2018

Bundesfinanzhof 2. Senat

Urteil

vorgehend FG München, 19. August 2015, Az: 4 K 1647/13, Urteil

§ 10 Abs 2 S 1 StraBEG, § 10 Abs 3 S 1 StraBEG

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 14.11.2018, Az. II R 8/16 (REWIS RS 2018, 1752)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 1752


Verfahrensgang

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Az. II R 8/16

Bundesfinanzhof, II R 8/16, 14.11.2018.


Az. 4 K 1647/13

FG München, 4 K 1647/13, 19.08.2015.


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