Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 18.11.2011, Az. V ZR 232/10

V. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 1279

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZR 232/10

vom

18. November 2011

in dem Rechtsstreit

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-
Der V.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung am 18.
November 2011
durch [X.] Prof. Dr. Krüger, [X.]
Lemke
und
Prof. Dr. Schmidt-Räntsch, die Richterin Dr.
Stresemann und den
Richter Dr. Czub
beschlossen:
I.
Das Verfahren wird ausgesetzt.

II.
Dem [X.] der [X.] werden im Wege des [X.] nach Art. 267 AEUV fol-gende Fragen zur Auslegung der Verordnung ([X.]) Nr. 44/2001 vom 22. Dezember 2000 des Rates über die gerichtliche [X.] und die Anerkennung und Vollstreckung von Ent-scheidungen
in Zivil-
und Handelssachen vorgelegt:

1.
Ist die Rückforderung einer ohne Rechtsgrund geleisteten Zahlung auch dann eine [X.] im Sinne von Art. 1 Abs.
1 VO ([X.]) Nr. 44/2001, wenn ein Bundesland durch eine Behörde angewiesen wird, zur Wiedergutmachung ei-nen Teil des Erlöses aus einem Grundstückskaufvertrag an den Geschädigten auszuzahlen, stattdessen aber verse-hentlich den ganzen Kaufpreis an diesen überweist?

2.
Besteht die nach Art. 6 Nr. 1 VO ([X.]) Nr. 44/2001
erforder-liche enge Beziehung mehrerer Klagen auch, wenn sich die Beklagten auf weitergehende Wiedergutmachungsansprü-che berufen, über die
nur einheitlich entschieden werden kann?

3.
Ist Art. 6 Nr. 1 VO ([X.]) Nr. 44/2001
auch auf Beklagte an-wendbar, die ihren Wohnsitz nicht in der Europäischen Uni-on
haben? Wenn ja: Gilt das auch, wenn dem Urteil im Wohnsitzstaat des Beklagten nach [X.] mit dem [X.] die Anerkennung mangels [X.] versagt werden könnte?

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Gründe:
I.
J.

[X.]

gehörte ein Grundstück auf der [X.] im heutigen [X.] im früheren Ostteil von [X.]

, auf dem er
einen Uhrengroßhandel
betrieb. Er wurde durch das [X.] verfolgt und musste deshalb sein Grundstück an einen Dritten verkaufen. Das Grundstück wurde später durch die [X.] enteignet und mit anderen staatlichen Grundstücken zusammengelegt. Das so entstandene Gesamtareal wurde nach der [X.] Deutsch-lands Eigentum teils des [X.], teils der [X.]. Diese teilten das Gelände nicht untereinander auf, sondern verkauften es am 19. Dezember 1997 an einen Investor. Das war nicht ohne weiteres möglich, da die Beklagten zu 1 bis 10 die
Rückübertragung des früher J.

[X.]

gehö-renden Teils dieses Geländes nach dem [X.] beantragt hatten. Nach diesem Gesetz können unter anderem durch das [X.] Geschädig-te die Rückgabe des ihnen entzogenen Vermögens verlangen. Solange über diese Ansprüche nicht entschieden ist, dürfen die betroffenen Grundstücke nicht verkauft werden. Davon galt in dem hier maßgeblichen Zeitraum eine Ausnahme für den Fall, dass mit dem Verkauf Investitionen zur Schaffung von Arbeitsplätzen
oder Wohnraum ermöglicht werden sollten. In einem solchen
Fall durfte
das Grundstück verkauft werden. Den Geschädigten war
dann nach Feststellung ihrer Ansprüche nicht das Grundstück
zurückzuübertragen, son-dern der Verkaufserlös
auszukehren, mindestens aber der Verkehrswert in Geld auszuzahlen. Von dieser Möglichkeit machten das [X.] und die [X.] bei dem Verkauf an den Investor Gebrauch. Die [X.] stellte nach dem Verkauf fest,
dass die Ansprüche begründet [X.],
und wies das [X.], das auch für die [X.] handelte,
an, den Beklagten zu 1 bis 10 den Teil des Verkaufserlöses, der dem 1
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Anteil des Grundstücks von J.

[X.]

an dem Gesamtareal entsprach, aus-zukehren. Bei der Durchführung dieser Auszahlung unterlief dem [X.] ein Fehler.
Es überwies dem mit der Vertretung der Beklagten zu 1 bis 10 be-auftragten Rechtsanwalt, dem Beklagten zu 11,
nicht nur diesen Kaufpreisan-teil, sondern den gesamten Kaufpreis, den dieser unter die Beklagten
zu 1 bis 10 verteilte. Das [X.] fordert im vorliegenden Rechtsstreit von den [X.] zu 1 bis 10 den überzahlten [X.]. Es hat sie alle und zusätzlich auch den Beklagten zu 11, dem es im Zu-sammenhang mit der Weiterleitung des Betrags eine unerlaubte Handlung vor-wirft, vor dem [X.] verklagt. Die
Beklagten wenden
unter ande-rem ein, das [X.] sei für einen Teil von ihnen,
nämlich die [X.] zu 3, 5 bis 7, 9 und 10,
international nicht zuständig. Sie könnten im Übrigen von dem klagenden Land nach der eingangs geschilderten Vorschrift eine über den Anteil an dem Verkaufserlös hinausgehende Zahlung verlangen, weil der Verkaufserlös geringer sei als der Verkehrswert des Geländes. Die Klage sei daher auch in der Sache nicht begründet.
Das [X.] hat die Klage mit einem Teilurteil gegen die Beklagten zu 3, 5 bis 7, 9 und 10 als unzulässig abgewiesen. Die Berufung des [X.] ist ohne Erfolg geblieben. Mit der von dem Senat im Hinblick auf die Notwendigkeit eines Vorabentscheidungsersuchens an den [X.] der [X.] zugelassenen Revision möchte der Kläger erreichen, dass das Landge-richt über
seine Ansprüche auch gegen diese Beklagten in der Sache entschei-det.

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II.
Das Berufungsgericht meint, die internationale Zuständigkeit der deut-schen Gerichte sei für die Klage gegen die Beklagten zu 3, 5 bis 7, 9 und 10 nicht gegeben. Aus Art. 6 Nr. 1 der [X.]-VO Nr. 44/2001 folge sie nicht, weil [X.] Verordnung nicht anwendbar sei. Bei der Streitigkeit handele es sich nämlich nicht um eine zivilrechtliche, sondern um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit, für
die die Verordnung nach ihrem Art. 1 Abs. 1 nicht gelte. Die Zahlung dürfe nicht isoliert betrachtet werden. Vielmehr sei zu berücksichtigen, dass sie auf Grund des Bescheids über die Feststellung des Rückgabeanspruchs der [X.] erfolgt
sei. Eine internationale Zuständigkeit der [X.] Gerichte sei auch nach dem [X.] internationalen Prozessrecht nicht gegeben.

III.
1. In dem vorliegenden Zwischenstreit der Parteien geht es nicht um die sachliche Berechtigung der Ansprüche des
[X.], sondern allein darum, ob die [X.] Gerichte auch für die Prüfung der Ansprüche gegen die [X.] zu 3, 5 bis 7, 9 und 10 international zuständig sind. Nach [X.] inter-nationalen
Prozessrecht ist die Frage zu verneinen.
Das [X.] Recht kennt den Gerichtsstand der Streitgenossenschaft, wie ihn Art. 6 Nr. 1 VO ([X.]) Nr. 44/2001 vorsieht, nicht. Die internationale Zuständigkeit [X.]r Gerichte könnte sich nach [X.] internationalen
Zivilprozessrecht gegenüber den Beklagten zu 3, 5 bis 7, 9 und 10 nur aus dem Gerichtsstand des Vermögens gemäß § 23 ZPO ergeben. Die Voraussetzungen dafür liegen nicht vor.
[X.] in [X.] haben diese Beklagten nicht. Eine internationale [X.] der [X.] Gerichte kann sich ihnen gegenüber deshalb nur aus Art.
6
Nr. 1 VO
([X.])
Nr. 44/2001 ergeben.
Danach kann eine Person, die ihren 3
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Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats der [X.] hat, bei einer Klage gegen mehrere Personen zusammen auch vor dem Gericht des Ortes verklagt werden, an dem einer der Beklagten seinen Wohnsitz hat, sofern zwischen den Klagen eine so enge Beziehung gegeben ist, dass eine
gemein-same Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint, um zu vermeiden, dass
in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen kön-nen.

2. Diese Zuständigkeit ist nur eröffnet, wenn die Verordnung auf Fälle
wie den vorliegenden überhaupt anwendbar ist. Das setzt
nach Art. 1 Abs. 1 VO ([X.]) Nr. 44/2001 voraus, dass es sich dabei um
eine
"Zivil-
und Handelssache"
im Sinne
dieser Vorschrift handelt. Das führt zur ersten Vorlagefrage. Sie lautet:
"Ist die Rückforderung einer ohne Rechtsgrund geleisteten Zahlung auch dann eine [X.] im Sinne von Art. 1 Abs. 1 VO ([X.]) Nr. 44/2001, wenn ein Bundesland durch eine Behörde angewiesen wird, zur Wiedergutmachung einen Teil des Erlöses aus einem Grundstücks-kaufvertrag an den Geschädigten auszuzahlen, stattdessen aber verse-hentlich den ganzen Kaufpreis an diesen überweist?"
a) Die Frage stellt sich im vorliegenden Fall
deshalb, weil er sowohl Ele-mente aufweist, die auf eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit hindeuten,
auf [X.] die Verordnung nicht anwendbar ist, als auch Elemente, die für die Annah-me einer Zivil-
und Handelssache sprechen.
Für die Annahme einer Zivil-
und Handelssache spricht der Umstand, dass das [X.] den Beklagten Geld überwiesen hat, was es in noch zu klärendem Umfang ihnen nicht schuldet. Ein solcher Fehler kann jedem [X.], nicht nur einer staatlichen Stelle. Die Rückabwicklung der Überzahlung richtet sich nach der Vorschrift über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung, die im [X.] Recht in §
812 Abs.
1 BGB geregelt ist und 5
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jeden Empfänger einer nicht geschuldeten Leistung zu deren Rückgewähr [X.].
Anlass zu der Zahlung war allerdings nicht ein fiskalisches Rechtsge-schäft des [X.], sondern ein Verwaltungsverfahren. Gegenstand des Verwaltungsverfahrens
sind die [X.] unter anderem der durch das [X.] Geschädigten nach dem
[X.]. Die [X.] können unter in diesem Gesetz näher geregelten Voraussetzungen die Restitution der ihnen entzogenen Vermögenswerte verlangen
(§§ 2 bis 6 des [X.]es). Die Restitution erfolgt im Normalfall in der Weise, dass ihnen durch den Bescheid der mit der Prüfung des Anspruchs befassten Behörde das Eigentum an dem entzogenen Vermögenswert übertragen wird
(§§ 33, 34 des [X.]es). Der bisherige Eigentümer verliert dabei sein Recht, und zwar wegen der Unrechtmäßigkeit seines Erwerbs, ohne dafür eine Entschädigung zu erhalten.
Das ist aber anders, wenn der Vermögenswert ein Grundstück oder ein grundstücksgleiches Recht ist, das wie hier zur Schaffung von Arbeitsplätzen oder von Wohnraum an einen Investor verkauft wird.
In diesem Fall endet das Verwaltungsverfahren vor der Behörde mit der Feststellung, dass der [X.] zur Restitution berechtigt ist. Ihm wird dann aber nicht das Grundstück [X.]. Denn dieses ist dem Investor rechtmäßig verkauft und über-eignet worden. Dessen
Erwerb bleibt unangetastet. Der Geschädigte erhält ei-nen Ausgleich in Geld. Der bisherige Eigentümer muss ihm nach § 16 Abs. 1 Satz 1 des Investitionsvorranggesetzes den gesamten Verkaufserlös auskehren und, wenn diese niedriger ist als der Verkehrswert des verkauften Grundstücks, nach § 16 Abs. 1 Satz 3 des Investitionsvorranggesetzes auch die Differenz zwischen dem Verkaufserlös und dem Verkehrswert. Diesen Anspruch muss der Geschädigte gegenüber dem bisherigen Eigentümer vor den Zivilgerichten 8
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geltend machen. Eine Erleichterung gibt es allerdings bei der Geltendmachung des Kaufpreises. Weil dieser einfach festzustellen ist, darf der Geschädigte
in dem Verfahren über seinen Anspruch neben der Feststellung seiner Restituti-onsberechtigung nach § 16 Abs. 1 Satz 2 des Investitionsvorranggesetzes auch beantragen, den Eigentümer zur Auszahlung des Verkaufserlöses zu verpflich-ten. Er muss dann diesen Teil seines Anspruchs nicht mehr vor den Zivilgerich-ten einklagen. Davon haben die Geschädigten hier Gebrauch gemacht.
Das geschilderte Verfahren gilt für jeden Eigentümer mit Restitutionsan-sprüchen belasteter
Grundstücke oder anderen belasteten Vermögens. Be-troffene Eigentümer sind vielfach staatliche Stellen, gerade bei durch das [X.] Geschädigten aber auch oft private Eigentümer. Für alle gelten die gleichen Regelungen. Die staatlichen Stellen genießen dabei keinerlei Vorrech-te und auch keine Sonderstellung. Das gilt auch für die Rückabwicklung von Fehlern bei der Erfüllung der Zahlungsansprüche der Geschädigten, etwa wenn,
wie hier,
zu viel gezahlt worden ist. Die Rückforderung der Überzahlung ist nicht Teil des Verwaltungsverfahrens, und zwar auch dann nicht, wenn es um die Auskehrung des Verkaufserlöses geht. Der frühere Eigentümer muss den Geschädigten auf Rückzahlung des zu viel gezahlten Betrags stets vor den Zivilgerichten verklagen. Auch für staatliche Eigentümer wie das [X.] gibt es keine Ausnahme. Sie genießen auch hierbei keine Sonderrechte. Sie werden behandelt wie jeder
private Eigentümer in gleicher Lage.
b) Ob eine solche Fallgestaltung als Zivil-
und Handelssache einzuord-nen ist, lässt sich nach der bisherigen Rechtsprechung des [X.]s nicht eindeutig beantworten. Den Ausgangspunkt dieser Rechtsprechung bildet das Urteil des [X.]s
in der Rechtssache
[X.] gegen [X.] (vom 16.
Dezember 1980 -
Rs.
[X.]/79, [X.].
1980, 3807 = [X.] 1981, 169).
Darin ging es um die Erstattung von Kosten für die Beseitigung eines Schiffswracks in 10
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der Emsmündung durch
staatliche Stellen. Diese Streitigkeit hat der [X.]
als öffentlich-rechtlich qualifiziert, weil es um die Folgen einer strompolizeilichen Maßnahme ging. Maßgeblich war dabei
nach dem Verständnis des erkennen-den Senats, dass die Wahrnehmung der [X.] in den Mitgliedstaaten der [X.] allgemein als hoheitliche Tätigkeit qualifiziert wird
(Urteil des [X.]s vom 16. Dezember 1980 -
Rs.
814/79, [X.].
1980, 3807 = [X.] 1981, 169, 173 Rn. 11). Bei nicht in diesem Sinne eindeutigen Fällen hat der [X.]
darauf abgestellt, ob der staatlichen Stelle bei der Verfolgung ihrer Ansprüche Sonderrechte zustehen, die einem Privaten in gleicher Lage nicht zu Gebote stünden. Fehlt es daran, bleibt der Streit [X.]. Das hat der [X.] etwa
für die Haftung des Lehrers einer öffentlichen Schule we-gen Verletzung der Aufsichtspflicht bei einer Schulfahrt entschieden
(Urteil in der Rechtssache Sonntag gegen [X.] u.a.
vom 21. April 1993
-
Rs.
[X.]/91, [X.]. 1993, [X.] = NJW 1993, 2091, 2092 Rn 22 f.). Auf dieser Linie sieht der erkennende Senat auch das Urteil des [X.]s
in der Rechtssache Gemeente [X.] gegen [X.]
(Urteil vom 14.
November 2002 -
Rs.
[X.], [X.]. 2002, [X.] = [X.] 2003, 30, 32 Rn. 36), in [X.]m er den Rückgriff einer staatlichen
Stelle gegen den privaten [X.] nicht als [X.] eingestuft hat, weil der Staat im konkreten Fall Sonderrechte hatte, auch wenn er sie tatsächlich nicht nutzte. Ohne solche Sonderrechte hat der [X.] den
Anspruch aus einer Bürgschaft für staat-liche Zollforderungen als
[X.]
eingeordnet
(Urteil in der Rechtssache [X.] [X.] gegen [X.] vom 15. Mai 2003 -
Rs.
[X.]/01, [X.]. 2003,
[X.] = [X.] 2003, 528, 531
Rn.
36, 40).
3. Sollte der [X.] den vorliegenden Fall als eine [X.] einstu-fen, stellt sich die Frage, ob der Gerichtsstand nach Art. 6 Nr. 1 VO ([X.])
Nr. 44/2001) gegeben ist. Dabei muss zwischen den Beklagten zu 5 und 10 einer-seits und den Beklagten zu 3, 6, 7 und 9 andererseits unterschieden werden.
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a) Die Beklagten zu 5 und 10 haben ihren Wohnsitz jeweils in einem Mit-gliedstaat der [X.]. Bei ihnen stellt sich, wenn die Vorlagefrage 1 bejaht wird, nur die Vorlagefrage 2. Sie lautet:
"Besteht die nach Art.
6 Nr. 1 VO ([X.]) Nr. 44/2001 erforderliche enge Beziehung mehrerer Klagen auch, wenn sich die Beklagten auf weiter-gehende Widergutmachungsansprüche berufen, über die nur einheitlich entschieden werden kann?"
Die genannte Vorschrift der Verordnung lautet:
"Artikel 6

Eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann auch verklagt werden:

1.
wenn mehrere Personen zusammen verklagt werden, vor dem [X.] des Ortes, an dem einer der Beklagten seinen Wohnsitz hat, so-fern zwischen den Klagen eine so enge Beziehung gegeben ist, dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint, um zu vermeiden, dass in getrennten Verfahren widersprechende "

aa) Wann die Klagen gegen mehrere Personen eine so enge Beziehung haben, dass eine gemeinsame
Verhandlung und Entscheidung geboten [X.], bestimmt sich wiederum autonom und nicht nach nationalem Recht. Das muss zwar nicht heißen, dass das Vorliegen einer (notwendigen) Streitge-nossenschaft nach nationalem Prozessrecht keinen Anhaltspunkt für eine sol-che Beziehung bieten könnte. Auf die Qualifikation nach nationalem Recht
kommt es aber nicht entscheidend an. Nach der neueren Rechtsprechung des [X.]s scheitert die Annahme einer engen
Beziehung nicht (mehr) daran, dass die Ansprüche nicht aus derselben Anspruchsgrundlage abgeleitet werden
(Urteil vom 11. Oktober 2007 -
Rs.
[X.]/06 -
Freeport plc gegen [X.], [X.]. 2007, I-8319 = NJW 2007, 3702, 3704 Rn. 38), hier bei den Beklagten zu 1 bis 10 ungerechtfertigte Bereicherung und bei dem Beklagten zu 11 unerlaubte 13
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Handlung
gemäß § 823 BGB. Maßgeblich ist vielmehr, ob zwischen den [X.] gegen die mehreren Beklagten ein innerer Zusammenhang besteht ([X.], Urteil vom 11.
Oktober 2007 -
Rs. [X.]/06 -
Freeport plc gegen [X.], [X.]. 2007, I-8319 = NJW 2007, 3702, 3704 Rn. 40 f.) und ob zu befürchten ist, dass die Entscheidungen in einzelnen Prozessen gegen die [X.] bei gleicher Sach-
und Rechtslage voneinander abweichen (Gerichts-hof, Urteile vom 11. Oktober 2007 -
Rs.
[X.]/06 [X.].
2007, I-8319 = NJW 2007, 3702, 3704 Rn. 41 und vom 13. Juli 2006 -
Rs.
[X.]/03 -
Roche [X.] u.a. gegen [X.] und [X.], [X.] 2006, [X.] = [X.] 2006, 573, 574 in Verbindung mit Nr. 113 der Stellungnahme des Generalanwalts in dieser Sa-che). Es soll verhindert werden, dass die Regel des Art. 2 Abs. 1 VO ([X.]) Nr.
44/2001,
wonach der Schuldner an seinem Wohnsitz zu verklagen ist, [X.] wird
([X.], Urteil in der Rechtssache
Khalelis
vom 27. September 1988 -
Rs.
189/87, NJW 1988, 3088, 3089 Nr. 8 f.). [X.] hat der [X.] einen solchen inneren Zusammenhang bei der Klage gegen Hauptschuldner und Bürgen
(Urteil in der Rechtssache Reisch Montage AG gegen Kiesel Bau-maschinen Handels GmbH vom 13. Juli 2006 -
C-103/05, [X.]. 2006, [X.] = NJW-RR 2006, 1568, 1569)
und für die Klage gegen zwei alternativ als [X.] in Betracht kommende Personen
(Urteil vom 11. Oktober 2007
-
Rs.
[X.]/06 -
Freeport plc gegen [X.],
[X.]. 2007, I-8319 = NJW 2007, 3702, 3705).
bb) Gemessen daran könnte
hier eine
enge Beziehung bestehen. Zwar haften die Beklagten zu 1 bis 10 jeweils als Teilschuldner nur für ihren Anteil an dem verteilten Verkaufserlös und nur, solange sie noch bereichert sind. Sie wenden aber auch ein, dass ihnen ein weitergehender Anspruch auf Entschädi-gung zusteht. Ein solcher Anspruch besteht nach der bei einem Verkauf zu In-vestitionszwecken maßgeblichen Entschädigungsregelung in § 16 Abs. 1 des Investitionsvorranggesetzes dann, wenn der Verkaufspreis hinter dem [X.]
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kehrswert zurückbleibt. Denn den Geschädigten steht bei einem solchen [X.] mindestens der Verkehrswert zu. Das ist nach Ansicht der Beklagten hier der Fall und muss im weiteren Verfahren geklärt werden. Darüber hat
aber, [X.] als bei dem Anteil aus dem Kaufpreis, nach § 16 Abs. 1 Sätze 2 und 3 des Investitionsvorranggesetzes nicht die Behörde zu entscheiden, die die [X.] feststellt, sondern nur das Zivilgericht. Dieses wird die Frage
sinnvollerweise für alle Beklagten nur einheitlich entscheiden können. Das spricht dafür, dass der Gerichtsstand nach Art. 6 Nr. 1 VO ([X.]) Nr. 44/2001
für die Beklagten zu 5 und 10 gegeben ist.
b) Die Vorlagefrage 2 stellt sich -
bei Bejahung der Vorlagefrage 1 -
auch bei den Beklagten zu 3, 6, 7 und 9. Bei ihnen stellen
sich aber noch zwei
Vor-fragen, die in der Vorlagefrage 3 zusammengefasst sind.
Sie lauten:
"Ist Art. 6 Nr. 1 VO ([X.]) Nr. 44/2001 auch auf Beklagte anwendbar, die ihren Wohnsitz nicht in
der [X.] haben? Wenn ja: gilt das auch, wenn dem Urteil im Wohnsitzstaat des Beklagten nach [X.] mit dem [X.] die Anerkennung man-gels Zuständigkeit versagt werden könnte?"

aa) Die Beklagten zu 3, 6, 7 und 9 haben ihren Wohnsitz nicht in einem Mitgliedstaat der [X.], sondern in [X.]. Für sie gelten nach Art. 4 Abs. 1 VO ([X.]) Nr. 44/2001 vorbehaltlich der hier nicht einschlägigen Ausnahmen in Art. 22, 23 dieser Verordnung nicht die Regelungen der Verord-nung, sondern das internationale Zivilprozessrecht der Mitgliedstaaten. Für den Gerichtsstand nach Art. 6 Nr. 1 VO ([X.]) Nr. 44/2001 soll aber nach einer in der Literatur vertretenen Ansicht etwas anderes gelten. Er
soll jedenfalls dann auch für nicht in der [X.] ansässige Beklagte maßgeblich sein, wenn einer der Beklagten seinen Wohnsitz in der [X.] hat (Gei-mer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 2. Aufl., Art. 6 VO ([X.]) Nr. 17
18
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44/2001 Rn. 6
f.; [X.]/Leible, Europäisches Zivilprozessrecht, 2.
Aufl., Art.
6 VO ([X.]) Nr. 44/2001
Rn. 7; [X.]/[X.], Kommentar zur ([X.]) Zivilprozessordnung, 29. Aufl., Art. 2 VO ([X.]) Nr. 44/2001
Rn. 10; aA offenbar [X.]/[X.], Kommentar zur ([X.]) Zivilprozessordnung,
8. Aufl., Art. 6 VO ([X.]) Nr. 44/2001
Rn. 3). Der [X.] hat diese Frage bisher nicht entschieden. Entschieden ist nur, dass einer der Beklagten an seinem Wohnsitz verklagt sein muss
([X.], Urteil in der Rechtssache [X.] européenne [X.] u.a.
/
Spliethoff's Bevrachtingskantoor u.a. vom 27. Oktober 1998 -
Rs. [X.]/97, [X.]. 1998, 6511 = [X.] 1999, 59, 62 Rn. 44). Das ist hier der Fall. Als Argument für
die Anwendung des Art. 6 Nr. 1 VO ([X.]) Nr. 44/2001 auf außer-halb der [X.] ansässige Beklagte ließe sich anführen, dass der Gerichtsstand nur besteht, wenn eine einheitliche Entscheidung geboten ist und es dann aber auch sachgerecht wäre, alle Beklagten einzubeziehen, um dieses Ziel zu erreichen.
bb) In dem Fall, dass der [X.] diese Frage grundsätzlich bejahen sollte, ergibt
sich
hier noch eine weitere Frage. Es ist nicht sicher, ob das ab-schließende Urteil in diesem Rechtstreit gegen die Beklagten zu 3, 6, 7 und 9 an ihrem Wohnsitz in [X.] vollstreckbar
ist.
Nach
Art. 5 Abs. 1 Nr. 1 des [X.] Anerkennungs-
und [X.] vom 20. Juli 1977
(BGBl. 1980 II S. 925)
könnte dem Urteil die Anerkennung versagt wer-den. Danach darf die Anerkennung versagt werden, wenn das erkennende [X.] nach Art. 7 des Vertrags nicht zuständig ist. Diese Vorschrift enthält keinen dem Art. 6 Nr. 1 VO ([X.]) Nr. 44/2001 entsprechenden Gerichtsstand. Zwin-gend ist die Versagung der Anerkennung allerdings auch nicht.
Man könnte es deshalb dem Kläger überlassen, ob er das Risiko eingeht, dass das erstrittene Urteil im [X.] nicht anerkannt wird.
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IV.
Die im Vorstehenden zitierten Vorschriften des [X.] Rechts und des [X.] Vertrags sowie die zitierten Literaturstellen werden dem [X.] gesondert in Kopie übersandt.
Krüger
Lemke
Schmidt-Räntsch

Stresemann
RiBGH Dr. Czub ist wegen

Krankheit verhindert zu unter-

schreiben.

Krüger

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom
15.08.2006 -
13 [X.]/03 -

KG Berlin, Entscheidung vom 27.10.2010 -
11 U 25/06 -

20

Meta

V ZR 232/10

18.11.2011

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 18.11.2011, Az. V ZR 232/10 (REWIS RS 2011, 1279)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 1279

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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