Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 12.04.2011, Az. VI ZB 58/10

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 7702

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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS [X.]/10 vom 12. April 2011 in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja [X.]: nein [X.]R: [X.] § 511 Zur Beschwer des Berufungsklä[X.]s, wenn im Urteil über einen erstinstanzlichen [X.] nicht ausdrücklich entschieden worden ist. [X.], Beschluss vom 12. April 2011 - [X.]/10 - [X.] - 2 - Der [X.]. Zivilsenat des Bundes[X.]ichtshofs hat am 12. April 2011 durch den [X.] [X.], [X.], die Richterin [X.], den Rich-ter Pauge und die Richterin von [X.] beschlossen: Auf die Rechtsbeschwerde der Klä[X.]in wird der Beschluss der 43. Zivilkammer des Land[X.]ichts Berlin vom 16. August 2010 auf-gehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungs[X.]icht zu-rückverwiesen. [X.]: 723,35 • Gründe: [X.] Die Klä[X.]in begehrt von der Beklagten Zahlung und Freistellung von Rechtsanwaltskosten für die Geltendmachung von Ansprüchen aus einem von einem Versicherungsnehmer der Beklagten verursachten Verkehrsunfall. Sämt-liche weiteren von der Klä[X.]in wegen des Unfalls erhobenen Ansprüche ein-schließlich eines Großteils der ursprünglich geltend gemachten Rechtsanwalts-kosten hat die Beklagte bereits außer[X.]ichtlich reguliert. 1 - 3 - 2 Die Klä[X.]in hat einen Mahnbescheid erwirkt, gegen den die Beklagte Widerspruch eingelegt hat. Mit Schriftsatz vom 6. Dezember 2009 hat die Klä-[X.]in ihren Anspruch begründet. Sie hat zunächst restliche Rechtsanwaltskos-ten in Höhe von 493,80 • nebst Zinsen verlangt und ausgeführt, die Beklagte habe bisher lediglich eine 1,6-fache statt der geforderten 1,8-fachen Anwalts-gebühr erstattet. Mit Schriftsatz vom 12. Januar 2010 hat die Klä[X.]in die Klage erweitert und den Antrag angekündigt, die Beklagte zu verurteilen, sie von [X.] ihres Prozessbevollmächtigten in Höhe von 229,55 • nebst Zinsen freizustellen. Diese Gebühren seien in der [X.] für die Einholung der Deckungszusage des Rechtsschutzversicherers angefallen. Das Amts[X.]icht hat das Verfahren gemäß § 495a ZPO durchgeführt und einen frühen ersten Termin anberaumt, in dem der Klä[X.]vertreter laut Pro[X.] den "Antrag aus der Klageschrift" gestellt hat. Durch Urteil vom 7. Juni 2010 hat es die Klage abgewiesen und die Kosten des Rechtsstreits der Klä[X.]in aufer-legt. Das Urteil enthält keinen Tatbestand. In dem in das Pro[X.] aufgenom-menen wesentlichen Inhalt der Entscheidungsgründe heißt es, die Klage sei nicht begründet; der Umfang des anwaltlichen Aufwands rechtfertige keine 1,8-fache Gebühr. Das Urteil ist dem Prozessbevollmächtigten der Klä[X.]in am 10. Juni 2010 zugestellt worden. Die von der Klä[X.]in mit Schriftsatz vom 24. Juni 2010 erhobene Anhörungsrüge hat das Amts[X.]icht - ohne inhaltlich auf den als übergangen [X.]ügten klageerweiternden Antrag einzugehen - mit Beschluss vom 3. August 2010 als unbegründet zurückgewiesen. Das [X.] hat die Berufung der Klä[X.]in durch Beschluss vom 16. August 2010 als unzulässig verworfen, weil die erforderliche Berufungssumme von 600 • nicht erreicht sei. Der Wert des [X.] betrage lediglich 493,80 •. Die Auslegung des Sitzungspro[X.]s ergebe, dass der Klä[X.]vertreter in erster Instanz nur den Antrag vom 6. Dezember 2009 gestellt habe. Deshalb habe das 3 - 4 - Amts[X.]icht allein über diesen entscheiden können. Hiergegen wendet sich die Klä[X.]in mit der Rechtsbeschwerde. I[X.] 1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO) und zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Recht-sprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerde[X.]ichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Die Annahme des Berufungs[X.]ichts, die Berufung sei im Hinblick auf die Wertgrenze des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO unzulässig, verletzt die Klä[X.]in in ihrem aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden Verfahrensgrund-recht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes. Dieses Verfahrensgrund-recht verbietet es den Gerichten, den [X.]en den Zugang zu einer in der [X.] ein[X.]äumten Instanz in unzumutbarer, aus [X.] nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (st. Rspr.; vgl. [X.], Beschluss vom 11. Januar 2011 - [X.]II ZB 62/10, [X.], 177 Rn. 3 mwN). 4 2. Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Die Berufung der Klä[X.]in kann nicht mit der vom Berufungs[X.]icht gegebenen Begründung als unzulässig verworfen werden. Entgegen der Auffassung des Berufungs[X.]ichts übersteigt der Wert des [X.] die Wertgrenze von 600 • (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). 5 a) Fehlt es - wie im Streitfall - an einer Zulassung der Berufung durch das Erst[X.]icht (§ 511 Abs. 2 Nr. 2 ZPO), ist eine Berufung gemäß § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO nur zulässig, wenn der Wert des [X.] 600 • übersteigt. Für die Beurteilung der Zulässigkeit des Rechtsmittels eines Klä[X.]s ist grundsätzlich von der "formellen Beschwer" auszugehen. Danach ist der [X.] - 5 - [X.], soweit das angefochtene Urteil von seinen Anträgen abweicht, beschwert (Senatsbeschluss vom 26. Oktober 2010 - [X.] ZB 74/08, [X.], 615 Rn. 5 mwN). b) Der Auffassung des Berufungs[X.]ichts, das Amts[X.]icht habe nur über den mit Schriftsatz vom 6. Dezember 2009 begründeten Antrag aus dem Mahnbescheid entschieden, kann nicht beigetreten werden. 7 aa) Da das Urteil keinen Tatbestand enthält und die Anträge nicht wie-dergegeben sind, lässt es nicht erkennen, mit welchen prozessualen Ansprü-chen sich das Gericht befasst hat. Auch den zur Auslegung des Tenors heran-zuziehenden Entscheidungsgründen (vgl. Senatsurteil vom 21. Januar 1986 - [X.] ZR 63/85, NJW 1986, 2703, 2704) kann nicht mit der aus Gründen der Rechtssicherheit zu fordernden Gewissheit entnommen werden, ob sich die erfolgte Klageabweisung auch auf den Antrag vom 12. Januar 2010 erstrecken sollte. Denn wenn ein bestimmter Antrag in den Entscheidungsgründen eines - nicht mit einem Tatbestand versehenen - Urteils keine Erwähnung gefunden hat, bedeutet dies nicht notwendi[X.]weise, dass das Gericht den Antrag verse-hentlich übergangen hat und deswegen hierzu keine Ausführungen erfolgt sind ([X.], Urteil vom 30. September 2009 - [X.]II ZR 29/09, NJW-RR 2010, 19 Rn. 16). Das Schweigen der Entscheidungsgründe kann auch darauf beruhen, dass das Gericht zwar die Abweisung aller Anträge beabsichtigt, die Abweisung aber nicht hinsichtlich aller Anträge begründet hat (vgl. [X.], Urteil vom 30. September 2009 - [X.]II ZR 29/09, aaO Rn. 17). 8 [X.]) Zutreffend geht das Berufungs[X.]icht auch davon aus, dass sich aus dem Pro[X.] der mündlichen Verhandlung, wonach der "Antrag aus der [X.]" gestellt worden ist, mangels Vorliegens einer Klageschrift nicht mit [X.] ergibt, welchen Antrag der Klä[X.]vertreter gestellt hat. Eine Rücknah-me des Antrags aus dem Schriftsatz vom 12. Januar 2010 lässt sich dem [X.] - 6 - [X.] indessen auch nicht entnehmen. Da das Gericht bei einer unvollständigen Antragstellung jedoch hierauf hinweisen oder die Gründe dafür hätte aufklären müssen (vgl. [X.], Urteil vom 28. Mai 1998 - [X.]I ZR 160/97, NJW 1998, 2977, 2978; [X.]/Gre[X.], ZPO, 28. Aufl., § 297 Rn. 8; § 139 Rn. 3), was vorliegend nicht geschehen ist, spricht die Formulierung des Sitzungspro[X.]s dafür, dass beide Anträge gestellt worden sind und sich das Amts[X.]icht mit beiden Anträ-gen befasst hat. cc) Die Durchführung des vereinfachten Verfahrens gemäß § 495a ZPO, das nur bei einem Streitwert von bis zu 600 • zulässig ist, und die Zurückwei-sung der Anhörungsrüge ohne inhaltliche Befassung mit dem als übergangen [X.]ügten Antrag könnten darauf hindeuten, dass das Amts[X.]icht den mit der [X.] angekündigten und nicht ausdrücklich beschiedenen Antrag als eine den Streitwert nicht erhöhende Nebenforderung behandelt und mit Rücksicht darauf eine besondere Begründung der Abweisung dieses Antrags für entbehrlich gehalten hat. 10 [X.]) Die Auslegung des Urteils als Entscheidung über beide Klageanträge entspricht auch der im Interesse der [X.]en anzustrebenden Rechtsklarheit und Rechtssicherheit. Bei einer Fallgestaltung, wie sie hier gegeben ist, darf eine [X.] nicht auf den verfahrensmäßig unsicheren Weg des § 321 ZPO ver-wiesen werden (vgl. [X.], Urteil vom 30. September 2009 - [X.]II ZR 29/09, aaO Rn. 20 ff.). Wäre davon auszugehen, dass das Amts[X.]icht bewusst nur über den Antrag aus dem Mahnbescheid entschieden hat, läge ein Teilurteil - mit unrichti[X.] Kostenentscheidung - vor (§ 301 ZPO), mit dem beiden [X.]en nicht gedient wäre. Dies gilt für die Beklagte schon deshalb, weil sie uneinge-schränkt die Abweisung der Klage begehrt hat. Die Klä[X.]in, deren Anhörungs-rüge keinen Erfolg gehabt hat, könnte, wenn der Rechtsstreit vor dem Amtsge-richt fortgesetzt und ein Schlussurteil über den Antrag aus ihrem Schriftsatz 11 - 7 - vom 12. Januar 2010 zu ihrem Nachteil ergehen würde, diese Entscheidung mangels Erreichens der Berufungssumme (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) grundsätz-lich nicht anfechten. Würde sie den Anspruch anderweitig erneut geltend ma-chen, liefe sie Gefahr, dass sich die Beklagte darauf beruft, hierüber sei bereits rechtskräftig entschieden worden. ee) Bei dieser Sachlage gebieten Rechtsklarheit und Rechtssicherheit die Annahme, dass sich die Klageabweisung auf beide Anträge der Klä[X.]in bezieht. 12 c) Hat das Amts[X.]icht über beide Klageanträge entschieden, übersteigt der Wert des [X.] mit 723,35 • die Wertgrenze von 600 •. Denn die mit der [X.] geltend gemachten Rechtsanwaltskosten in Höhe von 229,55 • sind ebenso wie die schon mit dem Mahnbescheid verlang-ten Rechtsanwaltskosten von 493,80 • nach der Rechtsprechung des Bundes-[X.]ichtshofs als gleichrangige Hauptforderungen zu behandeln und jeweils streitwerterhöhend zu berücksichtigen. 13 aa) Zwar wirken vorprozessual aufgewendete Kosten zur Durchsetzung eines im laufenden Verfahren geltend gemachten Hauptanspruchs nicht werter-höhend. Soweit aber die Hauptforderung nicht oder nicht mehr [X.] ist, wird die Nebenforderung zur Hauptforderung, weil sie sich von der sie bedingenden Forderung "emanzipiert" hat und es ohne Hauptforderung keine Nebenforderung gibt (Senatsbeschlüsse vom 4. Dezember 2007 - [X.] ZB 73/06, [X.], 999 Rn. 5; vom 13. Februar 2007 - [X.] ZB 39/06, NJW 2007, 1752 Rn. 9 und vom 17. Februar 2009 - [X.] ZB 60/07, [X.], 806 Rn. 6; [X.], Beschlüsse vom 21. September 2010 - [X.]II ZB 39/09, juris Rn. 4 und vom 11. Januar 2011 - [X.]II ZB 62/10 aaO Rn. 5). So liegt der Fall hier. Über die zugrunde liegende Schadensersatzforderung aus dem Verkehrsunfall wurde außer[X.]ichtlich Einigkeit erzielt; sie steht nicht mehr im Streit. Damit besteht 14 - 8 - kein Abhängigkeitsverhältnis mehr zwischen den hier verlangten Rechtsan-waltsgebühren und der Geltendmachung des ursprünglich gestellten [X.]. [X.]) Die [X.] für die Einholung der Deckungszusa-ge hängt auch nicht davon ab, ob der [X.] eine 1,6- oder 1,8-fache Gebühr für sein Tätigwerden bei der Regulierung mit dem Unfallgegner abrech-nen darf. Beide Forderungen bilden vielmehr gleichwertige Berechnungsposten des insgesamt geltend gemachten Schadensersatzanspruchs. Sie sind gleich-rangig bei der Festsetzung des Streitwerts und der Beschwer zu berücksichti-gen (vgl. Senatsbeschluss vom 13. Februar 2007 - [X.] ZB 39/06, aaO Rn. 10). 15 3. Danach ist der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache an das Land[X.]icht zurückzuverweisen. 16 [X.] Zoll [X.]
Pauge von [X.] Vorinstanzen: [X.], Entscheidung vom 07.06.2010 - 108 C 3019/10 - [X.], Entscheidung vom [X.] - 43 S 112/10 -

Meta

VI ZB 58/10

12.04.2011

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 12.04.2011, Az. VI ZB 58/10 (REWIS RS 2011, 7702)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 7702

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