Bundesfinanzhof, Beschluss vom 12.03.2024, Az. IX B 24/23

9. Senat | REWIS RS 2024, 1322

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Gegenstand

Nichtzulassungsbeschwerde: Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung, Divergenz und Verfahrensfehlern; Verletzung des rechtlichen Gehörs durch Nichterteilen eines Hinweises und Nichtgewährung einer Schriftsatzfrist


Leitsatz

1. NV: Die Frage, ob ein Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften (§ 17 des Einkommensteuergesetzes) gesondert und einheitlich festgestellt wird oder die Erfassung im Rahmen der Einkommensteuerfestsetzung zu erfolgen hat, ist in der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs geklärt.

2. NV: Wurden die für die Entscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte sowohl im Verwaltungsverfahren als auch im finanzgerichtlichen Verfahren angesprochen und ist der Kläger vor dem Finanzgericht rechtskundig vertreten, bedarf es in der mündlichen Verhandlung keines richterlichen Hinweises.

Tenor

Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des [X.] vom 02.02.2023 - 8 K 73/22 E wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Gründe

1

Die Beschwerde ist nicht begründet.

2

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) liegen nicht vor. Es ist weder eine Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 [X.]O, dazu unter 1.) noch zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 [X.]O, dazu unter 2.) oder wegen eines qualifizierten Rechtsanwendungsfehlers (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 [X.]O, dazu unter 3.) oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 [X.]O, dazu unter 4.) möglich. Auch die vom Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) gerügten Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O, dazu unter 5.) liegen nicht vor.

3

1. Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 [X.]O).

4

a) Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Die Rechtsfrage muss klärungsbedürftig und in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig sein (vgl. Gräber/Ratschow, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 115 Rz 100, m.w.N.).

5

b) Dies ist hier nicht der Fall. Die Frage, wonach ein Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften (§ 17 des Einkommensteuergesetzes --EStG--) nicht gesondert und einheitlich festgestellt wird und die Erfassung im Rahmen der Einkommensteuerfestsetzung zu erfolgen hat, ist in der Rechtsprechung des [X.] ([X.]) bereits geklärt. Danach sind Kapitalbeteiligungen einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft den Gesellschaftern der Personengesellschaft für die Bestimmung des Veräußerungstatbestands nach § 17 EStG anteilig zuzurechnen (sogenannte Bruchteilsbetrachtung, vgl. [X.]-Urteile vom 13.07.1999 - VIII R 72/98, [X.]E 190, 87, [X.] 1999, 820, unter [X.]; vom 09.05.2000 - VIII R 41/99, [X.]E 192, 273, [X.] 2000, 686 und vom 01.12.2020 - VIII R 21/17, [X.]E 271, 482, [X.] 2021, 609, Rz 39). Dies gilt auch für [X.]en. Denn die gesonderte und einheitliche Feststellung von Einkünften (§§ 179, 180 der Abgabenordnung --AO--) setzt nach § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. [X.] voraus, dass an den Einkünften mehrere Personen beteiligt sind und die Einkünfte diesen Personen steuerlich zuzurechnen sind. Daran fehlt es, wenn die Einkünfte aufgrund der materiell-rechtlich vorrangigen Bruchteilsbetrachtung von jedem Mitglied der [X.] einzeln erzielt werden. Diese Rechtsfolge ergibt sich aus dem Gesetz (§ 39 Abs. 2 Nr. 2 AO und § 17 EStG).

6

Die Beschwerde führt hierzu keine Argumente an, die eine erneute Überprüfung erforderlich machen. Der Beschluss des Großen Senats des [X.] vom 11.04.2005 - GrS 2/02 ([X.]E 209, 399, [X.] 2005, 679) ist zu sogenannten "[X.]" ergangen. Dazu zählt die [X.] nicht. Zudem hält der Kläger die Beteiligung an der [X.] nicht in einem Betriebsvermögen. Im Übrigen sind im Bereich des § 17 EStG zahlreiche Fallgestaltungen denkbar, in denen sich das Überschreiten der maßgeblichen Beteiligungsgrenze (Relevanzschwelle) erst auf [X.] des Gesellschafters und damit in der Zuständigkeit des Wohnsitzfinanzamts ergibt.

7

2. Aus demselben Grund kommt eine Zulassung der Revision zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 [X.]O) nicht in Betracht.

8

3. Die Revision ist auch nicht wegen eines schweren materiellen Rechtsfehlers oder Willkür (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 [X.]O) des Finanzgerichts ([X.]) zuzulassen, dessen Fortbestand das Ansehen der Justiz gefährden würde. Das [X.] ist der höchstrichterlichen Rechtsprechung gefolgt und nicht davon abgewichen. Von einer gesetzwidrigen oder willkürlichen Rechtsprechung kann --wie [X.] keine Rede sein.

9

4. Ebenso wenig erfordert im Streitfall die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des [X.] (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 [X.]O).

a) Die Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung setzt voraus, dass das [X.] in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Gerichts abgewichen ist, dass dabei über dieselbe Rechtsfrage entschieden wurde und diese für beide Entscheidungen rechtserheblich war, dass die Entscheidungen zu gleichen oder vergleichbaren Sachverhalten ergangen sind, dass die abweichend beantwortete Rechtsfrage im Revisionsverfahren geklärt werden kann und dass eine Entscheidung des [X.] zur Wahrung der Rechtseinheit erforderlich ist (vgl. u.a. Senatsbeschluss vom 16.11.2021 - IX B 37/21, Rz 7).

b) Demnach liegt eine Divergenz der angefochtenen Entscheidung zu anderen Entscheidungen nicht vor. Soweit der Kläger eine Abweichung vom [X.] Nürnberg, Urteil vom 19.10.2022 - 3 K 1540/20 (juris) rügt, fehlt es an einem vergleichbaren Sachverhalt. Dort befand sich der Anteil an der Kapitalgesellschaft nicht in einem Gesamthandsvermögen und die Frage einer gesonderten und einheitlichen Feststellung des Veräußerungsgewinns stellte sich nicht.

5. Die vom Kläger gerügten Verfahrensfehler liegen nicht vor.

a) Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--) wegen Verletzung der richterlichen Hinweispflicht (§ 76 Abs. 2 [X.]O) ist nicht gegeben.

aa) Die Verletzung der richterlichen Hinweispflicht gemäß § 76 Abs. 2 [X.]O bedeutet regelmäßig die Verletzung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG). Der Anspruch auf rechtliches Gehör gewährleistet den Beteiligten das Recht, sich vor der Entscheidung des Gerichts zum entscheidungserheblichen Sachverhalt und zur Rechtslage ausreichend äußern zu können. Das Gericht verletzt daher das Recht auf Gehör, wenn die Verfahrensbeteiligten von einer Entscheidung überrascht werden, weil das Urteil auf tatsächliche oder rechtliche Gesichtspunkte gegründet ist, zu denen sie sich nicht geäußert haben und zu denen sich zu äußern sie nach dem vorherigen Verlauf des Verfahrens auch keine Veranlassung hatten. Art. 103 Abs. 1 GG schützt daher die Beteiligten davor, von neuen rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkten überfahren zu werden, die dem Rechtsstreit eine Wendung geben, mit der auch ein kundiger Beteiligter nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchte.

Wurden die für die Entscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte hingegen sowohl im Verwaltungsverfahren als auch im finanzgerichtlichen Verfahren angesprochen und ist der Kläger vor dem [X.] rechtskundig vertreten, bedarf es in der mündlichen Verhandlung keines richterlichen Hinweises, sich zu diesem entscheidungserheblichen Sachverhalt erneut zu äußern (ständige Rechtsprechung, vgl. u.a. [X.]-Beschluss vom [X.] - II B 35-37/18, [X.]E 265, 14, [X.] 2020, 394, Rz 10, m.w.N.). Bei einem im Klageverfahren durch einen sachkundigen Prozessbevollmächtigten vertretenen Beteiligten stellt das Unterlassen eines (seiner Ansicht nach notwendigen) Hinweises gemäß § 76 Abs. 2 [X.]O regelmäßig keinen Verfahrensmangel dar. Ein sachkundig vertretener Beteiligter muss gerade bei umstrittener Sach- und/oder Rechtslage grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und seinen Vortrag darauf einrichten (vgl. Senatsbeschluss vom 29.03.2022 - IX B 18/21, Rz 20; [X.]-Beschluss vom [X.] - II B 35-37/18, [X.]E 265, 14, [X.] 2020, 394, Rz 13, jeweils m.w.N.; Beschluss des [X.] vom 19.05.1992 - 1 BvR 986/91, [X.] 86, 133, unter C.I[X.]a; Gräber/Ratschow, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 119 Rz 15, m.w.N.).

bb) Demnach hat das [X.] seine Hinweispflicht nicht verletzt. Die vom Kläger aufgeworfenen Fragen der Erfassung des Gewinns aus § 17 EStG im [X.] oder im Veranlagungsverfahren, der Bindungswirkung eines Bescheids über die gesonderte und einheitliche Feststellung und der Umqualifizierung der Einkünfte im Rahmen der Einkommensteuerfestsetzung waren im Einspruchs- und im Klageverfahren streitig. Der Bevollmächtigte des Klägers hatte dazu in seiner Klagebegründung vom 03.06.2022 sowie mit Schriftsatz vom 02.09.2022 vorgetragen. Der Bevollmächtigte hatte zudem auf den Inhalt der "eindeutigen [X.]-Rechtsprechung zu dieser Thematik" hingewiesen. Die Bezugnahme des [X.] in der mündlichen Verhandlung auf den Beschluss des Großen Senats des [X.] vom 11.04.2005 - GrS 2/02 ([X.]E 209, 399, [X.] 2005, 679) konnte daher für die Prozessbeteiligten nicht überraschend sein.

Der Kläger bringt auch nicht vor, dass ihm zu dieser Frage in der mündlichen Verhandlung nicht hinreichend Gelegenheit zur mündlichen Stellungnahme eingeräumt worden war und er deswegen zwingend auf eine nachfolgende schriftliche Stellungnahme angewiesen war (vgl. zur Äußerungsmöglichkeit in der mündlichen Verhandlung [X.]-Beschluss vom [X.], Rz 9). Ebenfalls legt der Kläger nicht dar, was er noch vorgetragen hätte, falls seinem Prozessbevollmächtigten die beantragte [X.] gewährt worden wäre. Insoweit beschränkt sich sein Vortrag auf das nicht weiter konkretisierte Vorbringen, er hätte dann weiter Stellung genommen und das [X.] von seiner Ansicht überzeugen können.

Zudem lagen auch die Voraussetzungen für das Nachreichen eines Schriftsatzes gemäß § 283 der Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 155 [X.]O nicht vor. § 283 ZPO setzt voraus, dass sich eine Partei in der mündlichen Verhandlung auf ein Vorbringen des Gegners nicht erklären kann, weil es ihr nicht rechtzeitig vor dem Termin mitgeteilt worden ist. Der Kläger hat jedoch nicht vorgetragen, dass der Beklagte und Beschwerdegegner (Finanzamt) im Termin zur mündlichen Verhandlung neue Angriffs- oder Verteidigungsmittel vorgebracht hat. Dass der Kläger nach Gewährung einer weiteren [X.] seinen Sachvortrag hätte vertiefen und das [X.] von der Richtigkeit seiner Rechtsauffassung überzeugen können, genügt nicht zur Darlegung einer Gehörsverletzung (vgl. Senatsbeschluss vom 15.05.2019 - IX B 105/18, Rz 9).

b) Aus den vorgenannten Gründen liegt auch keine Überraschungsentscheidung des [X.] vor. Während des gesamten finanzgerichtlichen Verfahrens war die Frage streitig, ob ein Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften nach § 17 EStG gesondert und einheitlich festgestellt wird, ob eine Bindungswirkung eines solchen Feststellungsbescheids besteht oder ob eine eigenständige Ermittlung und gegebenenfalls Umqualifizierung der Einkünfte durch das Wohnsitzfinanzamt im Rahmen der Einkommensteuerfestsetzung erfolgt. Die entscheidungserhebliche Rechtsfrage war mithin bekannt und hat sich in der angefochtenen Entscheidung auch nicht geändert. Insoweit wurde mit dem Hinweis des [X.] auf den Beschluss des Großen Senats des [X.] vom 11.04.2005 - GrS 2/02 ([X.]E 209, 399, [X.] 2005, 679) kein neuer überraschender Gesichtspunkt in das Verfahren eingeführt, sondern nur die bisherige Streitfrage erläutert.

6. Von einer Darstellung des Sachverhalts und einer weitergehenden Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 [X.]O abgesehen.

7. [X.] beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

IX B 24/23

12.03.2024

Bundesfinanzhof 9. Senat

Beschluss

vorgehend FG Düsseldorf, 2. Februar 2023, Az: 8 K 73/22 E, Urteil

§ 155 FGO, § 115 Abs 2 Nr 1 FGO, § 115 Abs 2 Nr 2 Alt 1 FGO, § 115 Abs 2 Nr 2 Alt 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 76 Abs 2 FGO, Art 103 Abs 1 GG, § 17 EStG 2009, § 283 ZPO, EStG VZ 2015

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 12.03.2024, Az. IX B 24/23 (REWIS RS 2024, 1322)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2024, 1322

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