Bundessozialgericht, Urteil vom 30.11.2011, Az. B 11 AL 22/10 R

11. Senat | REWIS RS 2011, 946

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Gegenstand

Insolvenzrechtliche Behandlung von Ansprüchen der BA auf Rückzahlung gewährter Eingliederungszuschüsse


Leitsatz

Kündigt der Insolvenzverwalter das Beschäftigungsverhältnis eines Arbeitnehmers, für den dem Schuldner vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein Eingliederungszuschuss gewährt worden ist, und verlangt die BA deswegen Rückzahlung des Zuschusses, ist die Rückzahlungsverpflichtung keine sonstige Masseverbindlichkeit.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 19. Mai 2010 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Verpflichtung zur Rückzahlung eines [X.] eine sonstige Masseverbindlichkeit i[X.] des § 55 Insolvenzordnung ([X.]) ist.

2

Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der G-GmbH, der die Beklagte wegen Einstellung des Arbeitnehmers [X.] einen Eingliederungszuschuss für die Dauer von zwölf Monaten ab 19.1.1999 bewilligt und insoweit im Förderungszeitraum insgesamt 34 848 DM ausgezahlt hatte.

3

Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens am [X.] kündigte der Kläger als Insolvenzverwalter das Beschäftigungsverhältnis des [X.] zum 30.9.2000. Daraufhin hob die Beklagte nach Anhörung des [X.] die Entscheidung über die Bewilligung des [X.] auf und erklärte, sie melde eine Masseverbindlichkeit in Höhe von 34 848 DM nach § 55 [X.] an (Bescheid vom 7.11.2001). Der Widerspruch des [X.], mit dem dieser geltend machte, es handle sich nicht um eine Masseverbindlichkeit, sondern die Forderung der Beklagten sei zur Insolvenztabelle anzumelden, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom [X.]).

4

Auf die Klage hat das [X.]ozialgericht ([X.]G) den Bescheid vom 7.11.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom [X.] aufgehoben, soweit die Bewilligung des [X.] aufgehoben wurde; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen (Urteil vom [X.]). Das [X.] (L[X.]G) hat auf die Berufung des [X.] das Urteil des [X.]G abgeändert und festgestellt, dass der Rückforderungsanspruch in Höhe von 34 848 DM keine Masseverbindlichkeit darstellt (Urteil vom [X.]). In den Entscheidungsgründen hat das L[X.]G ua ausgeführt: Für die Rückforderung des [X.] sei § 223 Abs 2 [X.]ozialgesetzbuch Drittes Buch ([X.]GB III) in der bis zum 31.7.1999 geltenden Fassung eine eigenständige Rechtsgrundlage, weshalb die ursprüngliche Bewilligung nicht aufzuheben sei. Der zulässige Feststellungsantrag sei begründet. Die Rückzahlungsverpflichtung sei keine Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs 1 [X.] 1 [X.], da nach dieser Vorschrift ein Anspruch auf bevorzugte Befriedigung nur anzuerkennen sei, wenn der Masse aufgrund einer Handlung des Insolvenzverwalters auch eine Gegenleistung zufließe; dies sei nicht der Fall bei Rückabwicklungsansprüchen der Beklagten. Es liege auch keine ungerechtfertigte Bereicherung der Masse i[X.] des § 55 Abs 1 [X.] 3 [X.] vor, da die Vermögensvermehrung mit der Auszahlung des Zuschusses und damit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingetreten sei.

5

Mit der vom L[X.]G zugelassenen Revision rügt die Beklagte Verletzungen des § 55 Abs 1 [X.] 1 [X.] und des § 55 Abs 1 [X.] 3 [X.]. [X.] durch den Insolvenzverwalter stelle eine Handlung zur Verwaltung und Verwertung der Masse i[X.] des § 55 Abs 1 [X.] 1 [X.] dar, die das Ziel habe, die Insolvenzmasse durch Einsparung von Aufwendungen zu erhöhen. Das eingesparte Arbeitsentgelt sei als "Zufluss" zu werten. Dem [X.]chutz des § 55 Abs 1 [X.] 1 [X.] unterfielen auch die aus Handlungen des Insolvenzverwalters entstehenden gesetzlichen Ansprüche wie [X.]chadensersatzforderungen. Der streitgegenständliche Rückforderungsanspruch stelle eine Art von [X.]chadensersatzforderung dar. Zumindest aber sei die Rückzahlungsverpflichtung als Masseverbindlichkeit i[X.] des § 55 Abs 1 [X.] 3 [X.]GB III zu qualifizieren. Denn die ungerechtfertigte Bereicherung der Masse liege nicht in der Auszahlung des [X.], sondern in dem bislang nicht ausgeglichenen Rückforderungsanspruch gemäß § 223 Abs 2 [X.]GB III, der erst nach der Kündigung des Arbeitsverhältnisses entstanden sei.

6

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des L[X.]G vom [X.] aufzuheben und die Berufung des [X.] gegen das Urteil des [X.]G vom [X.] zurückzuweisen.

7

Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

8

Er hält das angefochtene Urteil des L[X.]G für zutreffend.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision der Beklagten ist unbegründet (§ 170 Abs 1 S 1 Sozialgerichtsgesetz <[X.]G>).

1. Das [X.] hat die Klage zu Recht als zulässig angesehen, soweit der Kläger die negative Feststellung begehrt, dass die Rückzahlungsverpflichtung keine sonstige Masseverbindlichkeit ist. Das [X.] hat in diesem Zusammenhang zutreffend auf die noch zur Konkursordnung (KO) ergangene Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (B[X.]) verwiesen, wonach der Konkursverwalter, gegen den ein Sozialleistungsträger einen Zahlungsanspruch mit der Begründung geltend macht, er sei [X.], ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat, die geschuldeten Beträge seien keine Masseschulden ([X.], 276 = [X.] 2200 § 28 [X.]). Diese Rechtsprechung ist auf die Rechtslage nach der [X.] zu übertragen, da der Insolvenzverwalter ähnlich wie früher der Konkursverwalter (vgl § 60 KO) alsbald Klarheit darüber haben muss, wer zu den [X.]n zählt (vgl § 53 [X.]).

2. Nicht zu beanstanden sind die Ausführungen des [X.] und des [X.] zur Aufhebung des angefochtenen Bescheids, soweit in diesem die ursprüngliche Bewilligung aufgehoben worden ist. Zwischen den Beteiligten ist nicht streitig, dass ein Anspruch der Beklagten auf Rückzahlung des [X.] auf der Grundlage des § 223 Abs 2 [X.]B III in der bis 31.7.1999 geltenden Fassung des [X.] ([X.]) vom [X.], [X.], besteht (zur Weitergeltung des § 223 Abs 2 [X.]B III in der vorbezeichneten Fassung auch für die [X.] nach dem 31.7.1999 vgl § 422 [X.]B III idF des [X.]). Auch die Beklagte bezweifelt nicht mehr, dass es wegen der Sondervorschrift des § 223 Abs 2 [X.]B III einer gesonderten Aufhebung der ursprünglichen Bewilligung nicht bedarf (vgl B[X.]E 89, 192 = [X.] 3-4300 § 422 [X.]; B[X.] [X.] 4-4300 § 223 [X.] f).

3. Die Verpflichtung zur Rückzahlung des [X.] ist - wie das [X.] zutreffend entschieden hat - keine sonstige Masseverbindlichkeit iS des § 55 [X.]. Sie wird von den in Betracht kommenden Regelungen in § 55 Abs 1 [X.] 1 [X.] und in § 55 Abs 1 [X.] [X.] nicht erfasst.

a) Nach § 55 Abs 1 [X.] 1 [X.] zählen zu den Masseverbindlichkeiten die Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu den Kosten des Verfahrens zu gehören. Kennzeichnend für Masseverbindlichkeiten in diesem Sinne ist, dass sie begründet werden, um dadurch eine Gegenleistung für die Masse zu erhalten (vgl Hefermehl in [X.] Kommentar zur [X.], 2. Aufl, § 55 Rd[X.] 15; [X.]/[X.] in [X.], [X.], Stand 2011, § 55 Rd[X.] 87). § 55 Abs 1 [X.] 1 [X.] begünstigt also typischerweise die Gläubiger, die nach der Verfahrenseröffnung etwas zur Insolvenzmasse geleistet haben ([X.] in [X.], [X.], § 55 Rd[X.] 5; zum Erfordernis, dass Erträge zur Masse gezogen sind, vgl [X.], 2114; [X.], 318). Folglich können Handlungen, die allein der Abwicklung der dem Grunde nach bei Verfahrenseröffnung schon bestehenden Rechtsbeziehungen dienen, keine Masseverbindlichkeiten begründen (Hefermehl aaO Rd[X.] 18; vgl bereits zu § 59 Abs 1 [X.] 1 KO: [X.], Großer [X.], Beschluss vom 13.12.1978 - [X.] 1/77 - Juris Rd[X.] 128 = [X.]E 31, 177).

Nach diesen Grundsätzen ist in der Kündigung des Beschäftigungsverhältnisses des Arbeitnehmers S durch den Kläger keine zu einer Masseverbindlichkeit führende Handlung iS des § 55 Abs 1 [X.] 1 [X.] zu sehen. Das nicht auf die Erzielung von Erträgen zugunsten der Insolvenzmasse ausgerichtete Vorgehen des [X.] ist vielmehr dem Bereich der Abwicklung eines Rechtsverhältnisses zuzuordnen, das vor der Verfahrenseröffnung durch den Schuldner begründet worden war. Eine Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs 1 [X.] 1 [X.] scheidet deshalb auch dann aus, wenn - wie die Beklagte behauptet - der Anspruch auf Rückzahlung des Zuschusses als eine "Art von Schadensersatzforderung" anzusehen wäre, was allerdings zu verneinen sein dürfte.

Dem Einwand der Beklagten, Ziel der Handlung des [X.] sei gewesen, die Insolvenzmasse durch Einsparung von Aufwendungen zu erhöhen und das eingesparte Arbeitsentgelt sei als "Zufluss" zu werten, folgt der [X.] nicht. Die Beklagte verkennt zunächst, dass Insolvenzmasse das gesamte Vermögen ist, das dem Schuldner zur [X.] der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt (§ 35 Abs 1 [X.]). Durch die Entlassung des Arbeitnehmers war deshalb ein "Zufluss" nicht zu erzielen. Unabhängig davon ist zwischen den arbeitsrechtlichen Beziehungen zum Arbeitnehmer und dem leistungsrechtlichen Verhältnis zur Beklagten zu unterscheiden. Die Rückzahlungspflicht beruht auf der Zweckverfehlung der in der [X.] vor Verfahrenseröffnung gewährten Förderung (vgl B[X.] [X.] 4-4300 § 223 [X.] 1 S 5) und ist nicht Gegenleistung für die Befreiung von künftigen Ansprüchen des Arbeitnehmers. Für § 55 Abs 1 [X.] 1 [X.] ist aber allein maßgebend, ob der Gläubiger nach Verfahrenseröffnung etwas zur Insolvenzmasse geleistet hat; dies ist bei der Beklagten nicht der Fall.

b) Nach § 55 Abs 1 [X.] [X.] sind Masseverbindlichkeiten auch Verbindlichkeiten aus einer ungerechtfertigten Bereicherung der Masse. Die Vorschrift erfasst nur Vermögensvermehrungen, die der Insolvenzmasse nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zufließen ([X.], 295; NJW 2009, 1414; [X.], 475; Hefermehl in [X.] Kommentar zur [X.], 2. Aufl, § 55 Rd[X.] 197; [X.] in [X.], [X.], 13. Aufl, § 55 Rd[X.] 85). Dies folgt bereits daraus, dass das Gesetz auf eine Bereicherung der "Masse" abstellt, die als Haftungssondervermögen erst mit der Verfahrenseröffnung entsteht (§ 35 Abs 1 [X.]; vgl [X.] in [X.], [X.], § 55 Rd[X.] 78 f).

Da die Vermögensverschiebung zwischen der Beklagten und dem Schuldner durch die Auszahlung der Fördermittel vollständig in der [X.] vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens stattgefunden hat, kann § 55 Abs 1 [X.] [X.] nicht zugunsten der Beklagten eingreifen. Unerheblich ist, ob der rechtliche Grund von Anfang an fehlt oder nachträglich wegfällt (vgl [X.] [X.], 475; [X.] in [X.], [X.], § 55 Rd[X.] 79). Dem Vorbringen der Beklagten, es komme auf den [X.]punkt des Entstehens des Rückforderungsanspruchs an, ist deshalb nicht zu folgen.

           

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 [X.]G.

Meta

B 11 AL 22/10 R

30.11.2011

Bundessozialgericht 11. Senat

Urteil

Sachgebiet: AL

vorgehend SG Stuttgart, 9. Februar 2006, Az: S 22 AL 1658/02, Urteil

§ 223 Abs 2 S 1 SGB 3 vom 24.03.1997, § 55 Abs 1 Nr 1 InsO, § 55 Abs 1 Nr 3 InsO

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 30.11.2011, Az. B 11 AL 22/10 R (REWIS RS 2011, 946)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 946

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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