Bundesgerichtshof, Urteil vom 30.04.2019, Az. II ZR 317/17

2. Zivilsenat | REWIS RS 2019, 7744

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Gegenstand

Prozessvertretung einer Sparkasse durch Verwaltungsrat


Leitsatz

Eine Sparkasse wird gegenüber einzelnen Vorstandsmitgliedern durch den Verwaltungsrat vertreten. Dies gilt auch für die Vertretung gegenüber einem ausgeschiedenen stellvertretenden Vorstandsmitglied, das lediglich dem Vorstand einer auf eine Sparkasse verschmolzenen früheren Sparkasse angehört hat.

Tenor

Auf die Rechtsmittel der Beklagten werden der Beschluss des 1. Zivilsenats des [X.] vom 28. August 2017 aufgehoben und das [X.] und Teilurteil der 3. Zivilkammer ([X.]) des [X.] vom 11. April 2016 abgeändert.

Die Klage wird insgesamt abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger war vom 1. Mai 1993 bis zum 30. April 1998 stellvertretendes Mitglied des Vorstands der Rechtsvorgängerin der [X.]n, der Stadt- und Kreissparkasse S.      . Die [X.] ging aus dem Zusammenschluss der Stadt- und Kreissparkasse S.      (später [X.]) und der [X.]          zum 1. Januar 2005 hervor. Der Kläger verfolgt Ansprüche auf Ruhegehalt aus einem Dienstvertrag vom 5. Mai 1993, teilweise im Wege der Stufenklage. Das [X.] hat der gegen die [X.], vertreten durch ihren Vorstand, gerichteten Klage vollständig stattgegeben, soweit der Kläger einen bereits bezifferten [X.] verfolgt, und die [X.] im Rahmen der Stufenklage verurteilt, dem Kläger Auskunft zu erteilen sowie den sich nach Auskunftserteilung ergebenden Anspruch des [X.] auf rückständige Versorgungsbezüge zu bezahlen. Das Berufungsgericht hat die Berufung der [X.]n durch Beschluss zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die vom erkennenden Senat zugelassene Revision der [X.]n.

Entscheidungsgründe

2

Die Revision der Beklagten ist begründet und führt zur Abweisung der gesamten Klage als unzulässig.

3

1. Die Beklagte ist im Verfahren nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten (§ 547 Nr. 4 ZPO). Die Klage wäre gegen die Beklagte, vertreten durch ihren Verwaltungsrat, zu richten gewesen, weil dieser gegenüber dem Kläger gemäß § 51 Abs. 1 ZPO, § 8 Abs. 6 Sparkassengesetz des [X.] ([X.]) zu deren gesetzlicher Vertretung berufen ist. Die Vertretungskompetenz des Verwaltungsrats erstreckt sich auch auf die Vertretung der Beklagten gegenüber dem Kläger als ausgeschiedenen, stellvertretenden Vorstandsmitglied der Rechtsvorgängerin der Beklagten.

4

a) Abweichend von der allgemeinen Vertretungszuständigkeit des Vorstands (§ 18 Abs. 1 Satz 2 und 3 [X.]) bestimmt § 8 Abs. 6 [X.], dass die Sparkasse gegenüber dem Vorstand durch den Verwaltungsrat vertreten wird. Zwar ist in der Vorschrift von der Vertretung gegenüber dem "Vorstand" die Rede. Sie betrifft aber die Vertretung der Sparkasse nicht nur gegenüber dem Vorstand als Organ oder der Gesamtheit der Vorstandsmitglieder, sondern auch gegenüber den einzelnen Mitgliedern des Vorstands. Der Regelung liegt der gleiche Zweck zugrunde wie § 112 [X.], der die Vertretung der Aktiengesellschaft gegenüber Mitgliedern des Vorstands regelt: Es soll eine unbefangene, von möglichen Interessenkollisionen und darauf beruhenden sachfremden Erwägungen freibleibende Vertretung der Gesellschaft, bzw. hier der Sparkasse, sichergestellt werden (vgl. [X.], Urteil vom 14. Juli 1997 - [X.], [X.], 1674, 1675 zur inhaltsgleichen Regelung im Sparkassengesetz des [X.]; [X.], Urteil vom 20. August 1998 - 2 [X.], juris Rn. 23 ff. zum [X.] Sparkassengesetz).

5

Diese Vertretungsregelung gilt auch gegenüber einem ausgeschiedenen Vorstandsmitglied sowie in Fällen der Rechtsnachfolge aufgrund von Verschmelzungen, selbst wenn das ausgeschiedene Vorstandsmitglied dem Vorstand der übernehmenden Gesellschaft niemals angehört hat ([X.], Urteil vom 14. Juli 1997 - [X.], [X.], 1674, 1675; Urteil vom 1. Dezember 2003 - [X.], [X.]Z 157, 151, 154; Urteil vom 28. Februar 2005 - [X.], [X.], 900; Urteil vom 16. Oktober 2006 - [X.], [X.], 2213 Rn. 5). Im Interesse der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit ist es ohne Belang, ob im Einzelfall die Gefahr besteht, dass die Sparkasse von dem Vorstand nicht sachgerecht vertreten werden kann, weil möglicherweise [X.] oder Interessenkollisionen drohen. Es kommt allein auf eine typisierende Betrachtung an ([X.], Urteil vom 14. Juli 1997 - [X.], [X.], 1674, 1675; Urteil vom 16. Oktober 2006 - [X.], [X.], 2213 Rn. 5; Urteil vom 15. Januar 2019 - [X.], [X.], 564 Rn. 23; vgl. auch Urteil vom 20. März 2018 - [X.], [X.], 926 Rn. 25 z.[X.]. in [X.]Z 218, 122).

6

b) Entgegen der Sicht der Revisionserwiderung wäre die Zuständigkeit des Vorstands der Beklagten zur Prozessvertretung nach § 18 Abs. 1 Satz 2 und 3 [X.] auch dann nicht begründet, wenn der Kläger - wie dieser im Revisionsverfahren geltend macht - stellvertretendes Mitglied des [X.] gemäß § 19 Abs. 1 Satz 3 [X.] gewesen wäre.

7

aa) Wer als Mitglied des Vorstands anzusehen ist, ist in § 19 Abs. 1 [X.] geregelt. Nach Satz 2 und 3 dieser Vorschrift können neben ordentlichen Mitgliedern des Vorstands stellvertretende Mitglieder bestellt werden, die nach Maßgabe der Bestellung ständiges und volles Stimmrecht im Vorstand besitzen oder an den Sitzungen des Vorstands nur beratend teilnehmen und im Falle der Verhinderung von Vorstandsmitgliedern deren Aufgabe wahrnehmen. Angesichts dessen bedarf es keiner § 94 [X.] nachgebildeten Regelung, um zum Ausdruck zu bringen, dass als "Vorstand" gemäß § 8 Abs. 6 [X.] dessen hauptamtliche und stellvertretende Mitglieder anzusehen sind.

8

Das Sparkassengesetz des [X.] enthält im Übrigen differenzierte Regelungen dazu, welche Bestimmungen nur für ordentliche Mitglieder des Vorstands bzw. nur für stellvertretende Mitglieder mit vollem Stimmrecht und welche für jedes Vorstandsmitglied gelten sollen (vgl. § 19 Abs. 2 bis 5, §§ 20, 24 Abs. 3 Satz 1 [X.]). Die Bestellung, Anstellung, Abberufung und Kündigung der ordentlichen und stellvertretenden Mitglieder des Vorstands ist nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.] Aufgabe des Verwaltungsrats, wobei § 19 Abs. 2 bis 5 [X.] Bestimmungen zur Wahrnehmung dieser Zuständigkeit enthält. Soweit § 24 Abs. 3 Satz 1 [X.] dem Vorsitzenden des Verwaltungsrats die Funktion des Dienstvorgesetzten nur bezogen auf die ordentlichen und stellvertretenden Vorstandsmitglieder mit Stimmrecht zuweist, spricht dies angesichts der weiteren Regelungen nicht dafür, dass für die Gruppe der stellvertretenden Mitglieder des [X.] auch in Bezug auf die Vertretungsbefugnis eine solche Differenzierung gewollt ist. Gleiches gilt, soweit § 8 Abs. 2 Nr. 3 [X.] dem Verwaltungsrat die Beschlussfassung über die Bedingungen des [X.] nur für die Mitglieder und stellvertretenden Mitglieder des Vorstands nach § 19 Abs. 1 Satz 2 SpKG MV zuweist. Die vorgenannten Regelungen unterstreichen nur, dass der Gesetzgeber die Fälle, in denen er die grundsätzlich bestehende Zuständigkeit des Verwaltungsrats durch eine Zuständigkeit des Vorstands ersetzen wollte, ausdrücklich geregelt hat, von einer solchen Regelung in Bezug auf die Vertretungszuständigkeit jedoch abgesehen hat.

9

bb) Etwas anderes lässt sich auch aus dem Sinn und Zweck der Regelung in § 8 Abs. 6 [X.] nicht ableiten. Die Sicht der Revisionserwiderung, die die fehlende Beteiligung an Entscheidungen des Vorstands in den Blick nimmt und hieraus ableitet, es könne bei stellvertretenden Vorstandsmitgliedern nicht allgemein angenommen werden, dass stets eine abstrakte Gefahr der Beeinflussung von Vorstandsentscheidungen durch sachfremde Erwägungen bestehe, verengt sich auf bestimmte Fallkonstellationen, die die gebotene typisierende Betrachtung außer Betracht lässt. Dies gilt ebenso für die von der Revisionserwiderung angestellte Erwägung, es sei lebensfremd, in der hier vorliegenden Konstellation eine abstrakte Gefahr fehlender Unabhängigkeit zu sehen. Insbesondere bei einer - auch hier vorliegenden - Streitigkeit über Ansprüche auf Ruhegehalt aus dem Anstellungsverhältnis kommt es im Übrigen für die Frage, ob die Unbefangenheit des Vorstands bei der Wahrnehmung der Interessen der Sparkasse gewahrt ist, nicht darauf an, ob das Vorstandsmitglied, gegenüber dem die Sparkasse zu vertreten ist, am Zustandekommen von [X.] tatsächlich mitgewirkt hat.

2. Der [X.] ist nicht geheilt worden. Eine Genehmigung der Prozessführung des Vorstands ist nicht festgestellt und wird vom [X.] weder behauptet noch in Aussicht gestellt.

3. Der angefochtene Beschluss ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1, § 522 Abs. 3 ZPO). Der [X.] kann in der Sache selbst entscheiden, weil die Aufhebung des Beschlusses nur wegen einer Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3, § 522 Abs. 3 ZPO). Das Verbot der reformatio in peius steht der Abweisung der Klage als unzulässig in dritter Instanz nicht entgegen ([X.], Urteil vom 16. Oktober 2006 - [X.], [X.], 2213 Rn. 9). Die Klageabweisung bezieht sich auch auf die weiteren vom Kläger im Rahmen der Stufenklage verfolgten Ansprüche, weil der [X.] auch diesen Teil der Klage betrifft. Ist auf eine Stufenklage hin der vorbereitende Auskunftsanspruch in der Rechtsmittelinstanz anhängig, hat das Rechtsmittelgericht die Befugnis zur Abweisung der gesamten Klage ([X.], Urteil vom 8. Mai 1985 - [X.], [X.]Z 94, 268, 275; Urteil vom 4. April 2017 - [X.], [X.], 1108 Rn. 23).

[X.]     

      

Born     

      

B. Grüneberg

      

V. Sander     

      

von Selle     

      

Meta

II ZR 317/17

30.04.2019

Bundesgerichtshof 2. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Rostock, 28. August 2017, Az: 1 U 61/16

§ 51 Abs 1 ZPO, § 8 Abs 6 SparkG MV

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 30.04.2019, Az. II ZR 317/17 (REWIS RS 2019, 7744)

Papier­fundstellen: MDR 2019, 877-878 NJW 2019, 2473 REWIS RS 2019, 7744

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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