Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11.05.2016, Az. 1 StR 71/16

1. Strafsenat | REWIS RS 2016, 11547

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Gegenstand

Verständigung im Strafverfahren: Beruhen des Urteils auf einer verspäteten Belehrung über die Bindungswirkung einer Verständigung


Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 11. August 2014 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen unerlaubten bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 19 Fällen sowie wegen unerlaubten bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in acht Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und neun Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten hat bereits mit der [X.] der Verletzung des § 257c Abs. 5 StPO Erfolg. Eines [X.] auf die weiteren Verfahrensrügen oder die Sachrüge bedarf es daher nicht.

2

1. Der [X.] liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

3

Am zweiten Hauptverhandlungstag, dem 3. Juli 2014, teilte der Vorsitzende mit, bei einer Verfahrensweise nach § 154 Abs. 2 StPO für einige der angeklagten Taten könne ein zuvor erfolgtes "Angebot der Kammer hinsichtlich der Vereinbarung einer verfahrensbeschleunigenden Regelung gemäß § 257c StPO dahingehend geändert werden, dass … der Rahmen, aus dem die Gesamtstrafe für die verbliebenen Taten [X.] bis [X.] gegebenenfalls zu entnehmen wäre, auf sieben Jahre und sechs Monate bis acht Jahre und sechs Monate reduziert werden würde". Zugleich gab er bekannt, dass eine Verständigung noch nicht erzielt worden sei, der Angeklagte aber bis zu seiner Vernehmung zur Sache eine abschließende Stellungnahme abgeben werde. Dies sei der letzte Zeitpunkt für die Vereinbarung, danach "sehe sich die Kammer an ihren Vorschlag nicht mehr gebunden". Daraufhin wurde die Sitzung unterbrochen. Am nächsten Verhandlungstag fragte der Vorsitzende nach, ob der vom Gericht unterbreitete Vorschlag angenommen werde, woraufhin der [X.] der Staatsanwaltschaft, die Verteidigerin und der Angeklagte erklärten, dem am letzten Hauptverhandlungstag gemachten Vorschlag zuzustimmen.

4

Erst danach belehrte der Vorsitzende den Angeklagten über den Inhalt des § 257c Abs. 4 StPO. Die Verteidigerin gab eine Erklärung zur Sache ab, wonach die Taten [X.] – 27 in vollem Umfang eingeräumt werden, was vom Angeklagten als richtig bestätigt wurde.

5

2. a) [X.] ist zulässig erhoben. Der Angeklagte hat einen Sachverhalt vorgetragen, der es dem Revisionsgericht ohne weiteres ermöglicht, allein aufgrund des [X.] zu überprüfen, ob der gerügte Rechtsfehler vorläge, wenn die behaupteten Tatsachen erwiesen wären (vgl. [X.], Beschluss vom 15. Januar 2014 – 1 [X.] mwN) und damit die Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO erfüllt. Soweit der [X.] den Vortrag des den Verteidigern des Angeklagten vorab schriftlich mitgeteilten [X.] des Gerichts vermisst, bedarf es dessen für die Prüfung der Frage, ob ein Rechtsfehler vorliegt, nicht.

6

b) [X.] ist auch begründet. Der von dem Angeklagten gerügte Rechtsfehler liegt vor. Denn der Vorsitzende der [X.] hätte den Angeklagten bereits bei Unterbreitung des [X.] über die in § 257c Abs. 4 StPO geregelte Möglichkeit eines Entfallens der Bindung des Gerichts an die Verständigung belehren müssen. Eine Verständigung ist regelmäßig nur dann mit dem Grundsatz des fairen Verfahrens zu vereinbaren, wenn der Angeklagte vor ihrem Zustandekommen nach § 257c Abs. 5 StPO über deren nur eingeschränkte Bindungswirkung für das Gericht belehrt worden ist (vgl. hierzu [X.] 133, 168, 237; [X.] NStZ 2014, 721; [X.], Beschlüsse vom 10. Februar 2015 – 4 StR 595/14 mwN und vom 25. März 2015 – 5 StR 82/15).

7

[X.] und damit auch das Urteil beruhen auf dem Verstoß gegen die [X.] (§ 337 Abs. 1 StPO). Der [X.] kann die Ursächlichkeit des [X.] für das Geständnis nicht ausnahmsweise ausschließen. Der Angeklagte hat die ihm zur Last gelegten Taten auf der Grundlage der Verständigung eingeräumt. Hierauf hat die [X.] die Verurteilung gestützt. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass dem nicht vorbestraften und in [X.] wohnhaften Angeklagten die Voraussetzungen für den Wegfall der Bindungswirkung bekannt waren, bestehen nicht.

8

3. Sollte sich das neue Tatgericht erneut von der Täterschaft des Angeklagten überzeugen, wird für die Rechtsfolgenentscheidung in den Blick zu nehmen sein, dass [X.] nach Eingang der Revisionsentscheidung die Akten unverzüglich an die Staatsanwaltschaft übersandte, diese von dort aber erst 14 Monate später an den [X.] weitergegeben wurden und der Angeklagte sich in dieser Zeit in Untersuchungshaft befand.

Raum                           Jäger                         [X.]

                 Fischer                          Bär

Meta

1 StR 71/16

11.05.2016

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Mannheim, 11. August 2014, Az: 6 KLs 810 Js 17954/13

§ 257c Abs 4 StPO, § 257c Abs 5 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11.05.2016, Az. 1 StR 71/16 (REWIS RS 2016, 11547)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 11547

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