Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 01.09.2010, Az. 4 B 31/10

4. Senat | REWIS RS 2010, 3683

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Gegenstand

Prägewirkung ehemaliger landwirtschaftlicher Betriebe


Gründe

1

Die Beschwerden beider Kläger bleiben ohne Erfolg.

2

1. Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde des [X.] zu 1 ist zulässig, aber nicht begründet.

3

1.1 Die Rechtssache hat nicht die vom Kläger zu 1 geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung.

4

1.1.1 Der Kläger zu 1 möchte rechtsgrundsätzlich geklärt wissen,

ob von einer "Gemengelage aus Wohngebiet und Dorfgebiet" im Sinne der [X.] ausgegangen werden kann, wenn in dem betreffenden Gebiet keine [X.] noch existierender landwirtschaftlicher Betriebe vorhanden sind und damit wesentliche Elemente des Dorfgebiets fehlen.

5

Diese Frage würde sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Das Oberverwaltungsgericht hat einen Gebietserhaltungsanspruch der Kläger nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 3 oder § 4 [X.] nicht verneint, weil die Eigenart der näheren Umgebung des streitgegenständlichen [X.] einer bestimmten Gemengelage entspricht, sondern weil sie kein faktisches reines oder allgemeines Wohngebiet darstellt ([X.], 11). Bei einer Ortsbesichtigung hat es festgestellt, dass sich in der näheren Umgebung zwar überwiegend Wohngebäude befinden, daneben aber auch gewerbliche Nutzungen - darunter ein immissionsträchtiger holzverarbeitender Betrieb ([X.] f.) - und mehrere Stallungen und Scheunen, die für Tierhaltungen und die Lagerung von Heu genutzt werden. Im Hinblick auf diese Nutzungen hat es eine Qualifizierung der Umgebung als reines oder allgemeines Wohngebiet verneint. Insoweit zeigt die Beschwerde einen rechtsgrundsätzlichen Klärungsbedarf nicht auf.

6

Eine Verletzung des im Merkmal des [X.] im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB enthaltenen Gebots der Rücksichtnahme hat das Oberverwaltungsgericht verneint, weil aufgrund der dörflichen Prägung des Gebiets mit zahlreichen Formen von Tierhaltungen (Pferde, Rinder, Schafe, Hühner) die Haltung von zwei Pferden in Nachbarschaft zu einem Wohnhaus nicht rücksichtslos sei ([X.]). Auch insoweit hat es nicht auf eine abstrakt umschriebene "Gemengelage aus Wohngebiet und Dorfgebiet", sondern auf die konkreten, durch eine Vielzahl von Tierhaltungen ([X.]) geprägten örtlichen Verhältnisse abgestellt.

7

Dass ein Baugebiet, in dem [X.] land- und forstwirtschaftlicher Betriebe nicht untergebracht werden können, nicht als Dorfgebiet im Sinne des § 5 [X.] festgesetzt werden kann, ist im Übrigen geklärt (Urteil vom 23. April 2009 - BVerwG 4 [X.]N 5.07 - BVerwGE 133, 377). Als faktisches Dorfgebiet im Sinne von § 5 [X.] hat auch das Oberverwaltungsgericht die Umgebung nicht qualifiziert.

8

1.1.2 Als rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig bezeichnet die Beschwerde weiter die Frage,

ob die Nutzung von [X.] ehemaliger landwirtschaftlicher Betriebe von Nichtlandwirten, z.B. zur Lagerhaltung, sowie die Einzäunung von Wiesen als Weideflächen zur Hobbyhaltung (gemeint: Hobbytierhaltung) dem Gebietscharakter eines allgemeinen Wohngebiets entgegenstehen.

9

Die Frage bedarf, soweit sie einer rechtsgrundsätzlichen Klärung zugänglich ist, nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren. Dass ehemalige landwirtschaftliche Betriebe, die von Nichtlandwirten zur Tierhaltung zu Hobbyzwecken und zur Lagerhaltung genutzt werden, der Qualifizierung eines Gebiets als faktisches allgemeines Wohngebiet entgegenstehen können, ergibt sich unmittelbar aus § 4 [X.]. Denn als Hauptnutzung sind Anlagen zur Tierhaltung und zur Lagerung landwirtschaftlicher Produkte in einem allgemeinen Wohngebiet nach § 4 Abs. 2 und 3 [X.] weder allgemein noch ausnahmsweise zulässig. Ob derartige Anlagen die nähere Umgebung prägen oder als Fremdkörper unbeachtlich sind, hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab (vgl. Urteil vom 15. Februar 1990 - BVerwG 4 [X.] 23.86 - BVerwGE 84, 322 <325 ff.>). Die Frage, ob auch eingezäunte Weideflächen für sich genommen der Qualifizierung eines Gebiets als allgemeines Wohngebiet entgegen stehen können, wäre in einem Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich, denn das Oberverwaltungsgericht hat die Weideflächen nur im Zusammenhang mit den Wirtschaftsgebäuden der ehemaligen landwirtschaftlichen Betriebe als mit einem allgemeinen Wohngebiet unvereinbar angesehen ([X.]).

1.2 Die geltend gemachte Divergenz zu den im Beschluss des [X.] vom 19. Januar 1996 - BVerwG 4 B 7.96 - ([X.]) dargelegten Anforderungen an ein Dorfgebiet im Sinne von § 5 [X.] liegt nicht vor. Einen Rechtssatz zur Auslegung von § 5 [X.] hat das Oberverwaltungsgericht nicht aufgestellt. [X.] war - wie bereits dargelegt - lediglich, ob die nähere Umgebung ein faktisches Wohngebiet im Sinne von § 3 oder § 4 [X.] darstellt.

1.3 Als Verfahrensmangel rügt die Beschwerde, dass das Oberverwaltungsgericht von einem unvollständigen bzw. unrichtigen Sachverhalt ausgegangen sei und dadurch den Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verletzt habe. Wenn ein Gericht bei seiner Beweiswürdigung entscheidungstragend von einem zweifelsfrei unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt ausgeht, kann darin zwar ein Verfahrensmangel liegen (Urteile vom 2. Februar 1984 - BVerwG 6 [X.] 134.81 - BVerwGE 68, 338 und vom 18. Mai 1990 - BVerwG 7 [X.] 3.90 - BVerwGE 85, 155 <157 f.>). Die Beschwerde legt aber nicht dar, dass diese Voraussetzungen hier gegeben sind. Sie kritisiert die tatrichterliche Würdigung der beim Ortstermin festgestellten tatsächlichen Gegebenheiten und die Rechtsanwendung im vorliegenden Einzelfall. Ein Verfahrensmangel ergibt sich aus diesem Vorbringen nicht.

2. Die Beschwerde der Klägerin zu 2 ist unzulässig. Sie wurde nicht - wie gemäß § 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO erforderlich - innerhalb von zwei Monaten nach der Zustellung des angefochtenen Urteils begründet.

Meta

4 B 31/10

01.09.2010

Bundesverwaltungsgericht 4. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, 30. April 2010, Az: 1 A 11294/09, Urteil

§ 4 BauNVO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 01.09.2010, Az. 4 B 31/10 (REWIS RS 2010, 3683)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 3683

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

9 CS 15.2118

M 8 K 14.3685, M 8 K 14.3687

AN 3 K 14.01270

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