Bundesgerichtshof, Urteil vom 26.10.2015, Az. AnwSt (R) 4/15

Senat für Anwaltssachen | REWIS RS 2015, 3385

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Berufspflichten des Rechtsanwalts: Mitwirkung an Zustellungen von Anwalt zu Anwalt; Ermächtigungsgrundlage für eine entsprechende Regelung in der Berufsordnung


Tenor

Die Revision der Generalstaatsanwaltschaft [X.] gegen das Urteil des 2. Senats des Anwaltsgerichtshofs des Landes [X.] vom 7. November 2014 wird verworfen.

Die [X.] hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Rechtsanwalt hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das Anwaltsgericht hat den [X.]echtsanwalt vom Vorwurf einer Berufspflichtverletzung wegen Verweigerung der Mitwirkung an einer Zustellung von Anwalt zu Anwalt freigesprochen. Die hiergegen gerichtete Berufung hat der [X.] verworfen und die [X.]evision zugelassen. Die auf die Sachbeschwerde gestützte und vom [X.] vertretene [X.]evision der Generalstaatsanwaltschaft hat keinen Erfolg.

2

1. Der [X.] hat Folgendes festgestellt:

3

Der [X.]echtsanwalt vertrat eine Verfügungsbeklagte in einem wettbewerbsrechtlichen Eilverfahren. Das [X.] gab dem Verfügungsantrag mit Urteil vom 5. Juni 2012 statt. Die vollziehbare Ausfertigung des Urteils ging am 4. Juli 2012 beim Prozessbevollmächtigten der Verfügungsklägerin ein. Dieser übermittelte dem [X.]echtsanwalt das am 5. Juli 2012 zur Wahrung der Monatsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO im Parteibetrieb das Urteil gegen Empfangsbekenntnis.

4

Der [X.]echtsanwalt war unsicher, ob er das Empfangsbekenntnis erteilen dürfe. Entsprechend dem von ihm eingeholten [X.]at der [X.]echtsanwaltskammer klärte er seinen Mandanten darüber auf, dass ihm bei Erteilung des [X.] die Zahlung von rund 6.000 € drohe, und erläuterte die berufsrechtliche Situation. Der Mandant wies ihn an, an der Zustellung nicht mitzuwirken. Dieser Anweisung folgend verweigerte der [X.]echtsanwalt die Annahme des Schriftstücks und die Unterzeichnung des [X.]. Der gegnerische Prozessbevollmächtigte konnte daher das Urteil nicht mehr fristgerecht vollziehen und verzichtete auf die daraus herrührenden [X.]echte.

5

Das anwaltsgerichtliche Verfahren wurde auf Antrag des [X.]echtsanwalts selbst eingeleitet. Der [X.]echtsanwalt verfolgte das Anliegen, sich vom "Vorwurf einer Berufspflichtverletzung zu reinigen". Die [X.]echtsanwaltskammer D. hatte zuvor einem Antrag des Prozessbevollmächtigten der Verfügungsklägerin nicht entsprochen, berufsrechtliche Maßnahmen gegen den [X.]echtsanwalt zu ergreifen.

6

2. Der Freispruch vom Vorwurf einer Berufspflichtverletzung gemäß § 113 Abs. 1 [X.] i.V.m. § 14 Satz 1 [X.] hält rechtlicher Überprüfung stand. Zutreffend hat der [X.] die Auffassung vertreten, dass der [X.]echtsanwalt durch die Verweigerung der Ausstellung des [X.] keine ahndbare Berufspflichtverletzung begangen hat.

7

a) Nach soweit ersichtlich allgemeiner Ansicht im Schrifttum beansprucht allerdings die in § 14 Satz 1 [X.] bezeichnete Pflicht zur Annahme des zuzustellenden Schriftstücks und zur unverzüglichen Erteilung des [X.] für alle ordnungsgemäßen Zustellungen Geltung, bezieht mithin Zustellungen von Anwalt zu Anwalt gemäß § 195 ZPO ein (vgl. [X.] in [X.]/[X.], [X.], 8. Aufl., § 14 [X.] [X.]n. 1; [X.][X.], [X.], 4. Aufl., § 14 [X.] [X.]n. 3; [X.] in [X.]/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 2. Aufl., § 14 [X.]/§ 43 [X.] [X.]n. 1 f.; [X.] in Hartung, Berufs- und Fachanwaltsordnung, 5. Aufl., § 14 [X.] [X.]n. 11). Dies folgt aus dem insoweit keine Einschränkung enthaltenden Wortlaut der Vorschrift und entspricht dem Willen der Satzungsgeberin, der auch in der systematischen Stellung der Norm im Dritten Abschnitt der Berufsordnung ("Besondere Berufspflichten bei der Annahme, Wahrnehmung und Beendigung des Mandats"), nicht also in deren Viertem Abschnitt ("Besondere Berufspflichten gegenüber Gerichten und Behörden") zum Ausdruck kommt (vgl. [X.], [X.]. 2014, 294, 296 mwN). Die Satzungsversammlung hat in § 14 [X.] die vormals in §§ 12, 27 der [X.]ichtlinien des anwaltlichen Standesrechts getrennt normierten Berufspflichten bei Zustellungen in einer [X.]egelung zusammengefasst (vgl. [X.], aaO, § 14 [X.] [X.]n. 2; [X.], aaO).

8

b) § 59b Abs. 2 [X.] enthält jedoch keine den Grundsätzen des Vorbehalts sowie des Vorrangs des Gesetzes genügende Ermächtigungsgrundlage für die Schaffung einer Berufspflicht des [X.]echtsanwalts, an einer Zustellung von Anwalt zu Anwalt mitzuwirken.

9

aa) Entgegen der im Schrifttum ganz herrschenden Meinung (vgl. [X.] aaO § 14 [X.] [X.]n. 1; [X.] aaO § 14 [X.] [X.]n. 1; [X.] aaO § 14 [X.] [X.]n. 1; [X.] aaO § 14 [X.] [X.]n. 3; [X.] aaO S. 297) ist die erforderliche Ermächtigung nicht in § 59b Abs. 2 Nr. 6 Buchst. b [X.] zu finden. Die Vorschrift regelt ausweislich ihrer Eingangsformel "die besonderen Berufspflichten gegenüber Gerichten und Behörden", zu denen der gegnerische An- walt nicht gehört. Der Anwalt tritt im [X.]ahmen des § 195 ZPO auch nicht etwa als deren "verlängerter Arm” an die Stelle des Gerichts oder einer Behörde. Zweck des § 195 ZPO ist es, für Parteierklärungen eine vereinfachte, zeitsparende und kostengünstige Form der Zustellung zu ermöglichen (vgl. z.B. [X.]/[X.], ZPO, 30. Aufl., § 195 [X.]n. 1). Die Zustellung ist dem [X.]echtsanwalt als unabhängigem Organ der [X.]echtspflege anvertraut (vgl. [X.], 4. Aufl., § 195 [X.]n. 1). Er wird dadurch aber nicht zum Sachwalter eines Gerichts oder einer Behörde. Vielmehr bleibt er Vertreter seiner Partei (vgl. [X.], Urteil vom 7. Juli 1959 - [X.], [X.]Z 30, 299, 305).

Teilweise wird geltend gemacht, es habe bei Schaffung des § 59b [X.] ein Wille des für das Berufsrecht der [X.]echtsanwälte innerhalb der Bundesregierung federführenden [X.] (dazu [X.] aaO S. 297 mwN) und dem folgend des Gesetzgebers bestanden, eine auf Mitwirkung bei sämtlichen Zustellungen zielende Berufspflicht auf § 59b Abs. 2 Nr. 6 Buchst. b [X.] zu stützen. Abgesehen davon, dass sich der Gesetzesbegründung hierzu nichts entnehmen lässt (vgl. den Entwurf eines [X.] und der Patentanwälte, [X.] Drucks. 12/4993, [X.]), hätte ein solcher Wille indessen im Gesetz keinen Niederschlag gefunden. Denn der Anwendungsbereich dieser Bestimmung ist nach dem Wortlaut und Wortsinn ihrer Eingangsformel eindeutig auf gerichtliche und behördliche Zustellungen beschränkt. Die [X.]egelung könnte deshalb nicht durch [X.] im Sinne eines so gearteten etwaigen Willens des historischen Gesetzgebers korrigierend erweitert werden.

bb) Auch die die kollegialen Pflichten der [X.]echtsanwälte betreffende Vorschrift des § 59b Abs. 2 Nr. 8 [X.] bietet keine hinreichende [X.]echtsgrundlage.

(1) Eröffnen Ermächtigungsnormen einer autonomen Körperschaft [X.] für Berufspflichten, die sich über den Berufsstand hinaus auswirken, so reichen sie nur so weit, wie der Gesetzgeber ersichtlich selbst zu einer solchen [X.]echtsgestaltung den Weg bereitet (vgl. [X.] 38, 373, 381 ff.; 101, 312, 323). Sollen die durch die Zivilprozessordnung ausgeformten Handlungsspielräume der Prozessparteien im Wege des Satzungsrechts eingeschränkt werden, so bedarf es demnach erkennbarer gesetzgeberischer Entscheidungen in der Ermächtigungsnorm, andernfalls sowohl der Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes als auch der des Vorrangs des Gesetzes verletzt sein können ([X.] 101, 312, 324, 328 f. mwN).

(2) Die Schaffung einer Berufspflicht zur Mitwirkung an der Zustellung von Anwalt zu Anwalt hätte einer eindeutigen Ermächtigung durch den Gesetzgeber bedurft, weil sie prozessuale Handlungsspielräume im vorgenannten Sinn einengt. Nach der [X.]echtsprechung des [X.] verpflichtet nämlich § 195 ZPO den Anwalt, an den zugestellt werden soll, nicht zu einer Mitwirkung an der Zustellung; er empfängt die zugestellte Urkunde vielmehr nur als Vertreter seiner Partei und ist nicht gehindert, die Annahme der Urkunde und die Ausstellung des [X.] zu verweigern, ohne dass hieran prozessuale Nachteile geknüpft wären (vgl. [X.], Urteil vom 7. Juli 1959 - [X.] aaO [X.]; [X.] aaO § 195 [X.]n. 7 i.V.m. § 174 [X.]n. 12; [X.]/[X.] aaO § 195 [X.]n. 7 i.V.m. § 174 [X.]n. 6). Demgegenüber ordnet § 14 Satz 1 [X.] für den [X.]echtsanwalt die Berufspflicht an, an der Zustellung mitzuwirken; dies gilt selbst dann, wenn dies wie vorliegend einen Nachteil für seinen Mandanten mit sich bringt und so die primären Verpflichtungen aus dem Mandantenvertrag zurückdrängt (vgl. [X.] 101, 312, 328 f.).

(3) Die damit notwendige ausdrückliche und klare gesetzliche Grundlage (vgl. [X.] 101, 312, 328) kann dem Wortlaut des § 59 Abs. 2 Nr. 8 [X.] nicht ansatzweise entnommen werden. Sie wäre aber vor dem Hintergrund der Entscheidungen des [X.] zum anwaltlichen Standesrecht aus dem [X.] ([X.] 76, 171; 76, 196) und angesichts dessen, dass § 59b Abs. 2 Nr. 6 Buchst. b [X.] eine solche [X.]egelung für gerichtliche und behördliche Zustellungen trifft, zwingend zu erwarten gewesen (vgl. auch [X.] 101, 312, 329). Hinzu kommt, dass dem Gesetzgeber bei Schaffung des § 59b [X.] die zwischen behördlichen sowie gerichtlichen Zustellungen einerseits und Zustellungen von Anwalt zu Anwalt andererseits differenzierenden Bestimmungen in §§ 12, 27 der vormaligen [X.]ichtlinien des anwaltlichen Standesrechts vor Augen standen. Auch dies hätte ihm die Notwendigkeit ausdrücklicher Erstreckung der Ermächtigung auf anwaltliche Zustellungen anzeigen müssen.

3. [X.] beruht auf § 116 Abs. 1 Satz 2, § 198 Abs. 1 [X.], § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO (vgl. [X.], Urteil vom 2. Dezember 1991 - [X.] ([X.]) 12/91, [X.]St 38, 138, 143).

Limperg                            König                       [X.]emmert

                    [X.]

Meta

AnwSt (R) 4/15

26.10.2015

Bundesgerichtshof Senat für Anwaltssachen

Urteil

Sachgebiet: False

vorgehend Anwaltsgerichtshof Hamm, 7. November 2014, Az: 2 AGH 9/14, Urteil

§ 195 ZPO, § 59b Abs 2 BRAO, § 113 Abs 1 BRAO, § 123 BRAO, § 14 S 1 RABerufsO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 26.10.2015, Az. AnwSt (R) 4/15 (REWIS RS 2015, 3385)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 3385

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

AnwSt (R) 4/15 (Bundesgerichtshof)


AnwSt (R) 5/14 (Bundesgerichtshof)

Berufsrecht des Anwalts: Berufsrechtliche Pflicht zur Herausgabe einer Handakte


AnwSt (R) 5/14 (Bundesgerichtshof)


AnwZ (Brfg) 72/13 (Bundesgerichtshof)

Anwaltgerichtliches Verfahren: Pflicht des Rechtsanwalts zur Herausgabe benötigter Mandantenunterlagen; Berufspflichtverletzung bei Verweigerung der Herausgabe ohne …


AnwZ (Brfg) 72/13 (Bundesgerichtshof)


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.