Bundespatentgericht, Beschluss vom 09.02.2010, Az. 23 W (pat) 304/08

23. Senat | REWIS RS 2010, 9565

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Gegenstand

Patenteinspruchsverfahren - "Notruf-Kommunikationssystem" – unzulässiger Einspruch - Beendigung des Einspruchsverfahrens – Löschung der Patentinhaberin als Aktiengesellschaft im Handelsregister hat keine rechtlichen Auswirkungen auf Fortsetzung des Einspruchsverfahrens


Tenor

In der [X.]

betreffend das Patent 102 54 623

hat der 23. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des [X.] auf die mündliche Verhandlung vom 9. Februar 2010 unter Mitwirkung des Richters [X.] als Vorsitzendem, der Richterin [X.] sowie der Richter [X.] und Dr. Friedrich

beschlossen:

Das Patent wird widerrufen.

Gründe

I.

1

Das Patent 102 54 623 (Streitpatent) wurde am 22. November 2002 beim [X.] angemeldet. Die Prüfungsstelle für [X.] des [X.]s hat unter Berücksichtigung des Standes der Technik gemäß den Druckschriften

2

D1 [X.], [X.] 296 19 164 [X.] und D3 DE 93 12 460 [X.]

3

das Streitpatent mit Beschluss vom 23. Februar 2005 mit 4 Ansprüchen erteilt, wobei der Vorrichtungs- bzw. Verwendungsanspruch 1 bzw. 4 nebengeordnet und die Ansprüche 2 und 3 direkt auf den Patentanspruch 1 rückbezogen sind. Der Veröffentlichungstag der Patenterteilung mit der Bezeichnung „[X.] sowie Verwendung eines Endgerätes in einem [X.]“ ist der 28. Juli 2005.

4

[X.] hat mit [X.] vom 31. August 2005, beim [X.] fristgerecht am 1. September 2005 eingegangen, Einspruch erhoben und die Einsprechende zu 2 hat mit [X.] vom 14. Oktober 2005, beim [X.] fristgerecht am 17. Oktober 2005 eingegangen, ebenfalls Einspruch erhoben.

5

Beide Einsprüche werden auf den [X.] des § 21, Abs. 1, Nr. 1 in Verbindung mit § 3 [X.] (fehlende Neuheit) und § 4 [X.] (fehlende erfinderische Tätigkeit) gestützt.

6

Zum Stand der Technik verweisen die Einsprechende zu 1 u. a. auf die Druckschrift

7

[X.] EP 0 843 456 B1

8

und die Einsprechende zu 2 u. a. auf deren Offenlegungsschrift zu [X.] ([X.]) sowie auf die

9

[X.] 100 29 137 A1.

In ihren Einspruchsschriftsätzen führen beide Einsprechende u. a. aus, dass die Gegenstände der erteilten Ansprüche 1 bis 4 aus der Druckschrift [X.] bzw. deren Offenlegungsschrift neuheitsschädlich bekannt seien.

In der mündlichen Verhandlung vom 9. Februar 2010 legt die Einsprechende zu 1 einen Handelsregisterauszug vom 9. Dezember 2009 vor. Aus diesem ergibt sich, dass die Patentinhaberin am 28. Februar 2008 wegen Vermögenslosigkeit gemäß § 141 a [X.] gelöscht worden ist.

[X.] vertritt in der mündlichen Verhandlung vom 9. Februar 2010 die Auffassung, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 gegenüber der Druckschrift [X.] neu sei und auch auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.

[X.] stellt in der mündlichen Verhandlung den Antrag,

das Patent zu widerrufen.

[X.] stellt in der mündlichen Verhandlung den Antrag,

das Patent zu widerrufen.

[X.] stellt den Antrag,

das Patent in der erteilten Fassung aufrechtzuerhalten.

Der geltende Anspruch 1 hat folgenden Wortlaut:

„[X.] (1)

mit einem mobilen Endgerät (7a),

welches Mittel zur Kommunikation mit zu den Zellen eines Mobilfunknetzes (B) gehörenden [X.] (6a, 6b, 6c) aufweist

und einer zentralen, mit dem Mobilfunknetz (B) in [X.] stehenden [X.] (2),

welche Mittel aufweist, um nach Aussenden eines [X.], insbesondere [X.]s, durch das mobile Endgerät (7a) eine von mehreren [X.]en (4a, 4b), insbesondere einen von mehreren Rettungs-Leitstellen-Rechnern (4a, 4b), abhängig von von dem Mobilfunknetz (B) bereitgestellten, den ungefähren Aufenthalts-Ort eines mobilen Endgeräts (7a) kennzeichnenden Daten selbständig auszuwählen und ein entsprechendes Signal, insbesondere [X.] an die ausgewählte Daten-[X.] (4a, 4b), zu senden.“

Der geltende, nebengeordnete Anspruch 4 lautet:

„Verwendung eines Endgeräts, welches aufweist:

eine oder mehrere Sende- oder [X.] (10, 11),

welche so eingerichtet ist oder sind, um von dem Endgerät - neben von einem Mobilfunknetz (B) auswertbaren Signalen, insbesondere Ruf- und/oder Melde-Signalen - außerdem zusätzlich separate Peil-Signale auszusenden,

als mobiles Endgerät (7a) in einem [X.] nach einem der Ansprüche 1 bis 3.“

Bezüglich der [X.] wird auf das Streitpatent, bezüglich der weiteren Einzelheiten auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

Das anhängige Einspruchsverfahren wurde gemäß § 147 Abs 3, 1. Alternative [X.] i. d. F. vom 1. Januar 2002 an das [X.] abgegeben. Diese zeitlich bis zum 30. Juni 2006 begrenzte Verlagerung der Zuständigkeit hat der [X.] als nicht verfassungswidrig beurteilt

Demnach besteht eine vor dem 1. Juli 2006 begründete Zuständigkeit des [X.]s für die Entscheidung über den Einspruch auch nach der Aufhebung des § 147 Abs 3 [X.] fort.

III.

Die Löschung der Patentinhaberin als Aktiengesellschaft im Handelsregister hat keine rechtlichen Auswirkungen auf die Fortsetzung des [X.], da sie die gemäß § 99 Abs 1 [X.] i. V. m. §§ 50 Abs 1, 51 Abs 1 ZPO erforderliche Rechts- und Beteiligtenfähigkeit nicht berührt. Denn die durch Eintragung in das Handelsregister gemäß § 39 Abs 1 AktG erlangte Rechts- und Parteifähigkeit verliert eine Aktiengesellschaft nicht durch die erfolgte Löschung im Register.

Die Rechtsprechung, die sich mit dieser Frage im Zusammenhang mit der Löschung einer GmbH nach § 2 [X.] (jetzt: § 141 a Abs. 1 Satz 1 [X.]) wiederholt beschäftigt hat, nimmt nämlich zutreffend an, dass die Vermögenslosigkeit zwar das Ende der [X.] bewirke, das durch die Löschung nur bekundet werde. Falls aber trotz der Löschung noch Vermögen vorhanden sei, bestehe auch die [X.] weiter (

IV.

Die Zulässigkeit des Einspruchs ist zwar nicht angegriffen worden, jedoch ist diese von Amts wegen zu prüfen, da ein unzulässiger - einziger - Einspruch zur Beendigung des [X.] ohne weitere Sachprüfung über die Rechtsbeständigkeit des Streitpatents führt

[X.] und fristgerecht erhobenen Einsprüche sind zulässig, weil in beiden Einspruchsschriftsätzen der [X.] der fehlenden Patentfähigkeit nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 [X.], insbesondere der fehlenden Neuheit angegeben ist und die Tatsachen, die den Einspruch rechtfertigen, im einzelnen aufgeführt sind (§ 59 Abs. 1 Satz 4 [X.]), da in den zugehörigen Begründungen u. a. ein konkreter Bezug der einzelnen Merkmale des erteilten Anspruchs 1 zum Stand der Technik nach der Druckschrift [X.] bzw. deren Offenlegungsschrift gebracht wird, um die fehlende Neuheit zu belegen

V.

Ausweislich der geltenden Beschreibungseinleitung betrifft das vorliegende Patent ein [X.], sowie die Verwendung eines Endgeräts in einem [X.],

Herkömmliche Mobilfunknetze sind in eine Vielzahl von „Zellen" unterteilt, innerhalb derer eine Sende-/Empfangseinrichtung vorgesehen ist, die mit den sich in der jeweiligen Zelle befindlichen Mobiltelefonen kommuniziert. In Notfällen muss ein Mobilfunknutzer erst eine spezielle und länderspezifisch oft unterschiedliche Notruf-Telefonnummer wählen und nach dem Verbindungsaufbau der zuständigen Rettungsleitstelle genaue Angaben z. B. hinsichtlich des genauen Aufenthaltsorts machen. Dies ist umständlich und zeitaufwändig,

Vor diesem Hintergrund liegt der vorliegenden Erfindung als technisches Problem die Aufgabe zugrunde, ein [X.] zu schaffen bzw. die Verwendung eines Endgeräts in einem solchen [X.] anzugeben, mit dem bei einem Notruf die Auswahl der günstigst gelegenen Leitstelle vereinfacht wird,

Diese Aufgabe wird gemäß dem geltenden Anspruch 1 gelöst durch ein [X.] mit einem mobilen Endgerät und einer zentralen, mit dem Mobilfunknetz in [X.] stehenden [X.], wobei das mobile Endgerät innerhalb des Mobilfunknetzes kommuniziert und die [X.] nach Aussenden eines [X.] durch das mobile Endgerät eine von mehreren [X.]en selbständig auswählt und ein entsprechendes Signal an die ausgewählte [X.] sendet, wobei die Auswahl der [X.] in Abhängigkeit von durch das Mobilfunknetz bereitgestellten und den ungefähren Aufenthalts-Ort des mobilen Endgeräts kennzeichnenden Daten erfolgt.

Bei dem [X.] nach Anspruch 1 ist demnach wesentlich, dass das mobile Endgerät nach Aussenden eines [X.]s selbständig und abhängig von den durch das Mobilfunknetz bereitgestellten Angaben zur Position des mobilen Endgeräts einen Rettungs-Leitstellen-Rechner auswählt und an diesen ein entsprechendes [X.] sendet.

Ferner wird die Aufgabe durch die Angabe einer Verwendung eines Endgeräts in einem [X.] nach einem der Ansprüche 1 bis 3 gelöst.

VI.

Die Zulässigkeit der Patentansprüche ist im Einspruchsverfahren von Amts wegen auch dann zu überprüfen, wenn von den Einsprechenden der [X.] der unzulässigen Erweiterung - wie vorliegend - nicht geltend gemacht worden ist

Im vorliegenden Fall kann jedoch dahinstehen, ob die Patentansprüche zulässig sind, denn die Einsprüche haben jedenfalls deshalb Erfolg, weil das zweifelsohne gewerblich anwendbare [X.] des geltenden Anspruchs 1 sich nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung als nicht neu erweist

Als zuständiger Fachmann ist hier ein berufserfahrener Diplom-Ingenieur der Nachrichtentechnik mit Hochschulabschluss und mehrjähriger Berufserfahrung auf dem Gebiet der Telekommunikationstechnik zu definieren, der mit der Entwicklung von [X.]en betraut ist.

VII.

Druckschrift [X.] offenbart in Übereinstimmung mit der Lehre des Streitpatents ein [X.] mit einem mobilen Endgerät

Das aus Druckschrift [X.] bekannte [X.] weist daher sämtliche Merkmale des [X.] nach Anspruch 1 des Streitpatents auf. Der verteidigte Anspruch 1 ist daher wegen fehlender Neuheit seines Gegenstands nicht rechtsbeständig.

Die Verwendung eines mobilen Endgerätes gemäß dem nebengeordneten Anspruch 4 in einem derartigen [X.], wobei das Endgerät eine Sendeeinrichtung aufweist, die neben von einem Mobilfunknetz auswertbaren Signalen zusätzlich separate Peil-Signale aussenden kann, wird in Druckschrift [X.] ebenfalls offenbart

Auch dieser Anspruch ist daher wegen fehlender Neuheit seines Gegenstands nicht rechtsbeständig.

Die vom Patentinhaber in der mündlichen Verhandlung angeführte vorteilhafte Ausgestaltung des Endgeräts als Handy zum Übertragen von Sprache und mit akustischen Signalisier-Einrichtungen ist dabei nicht Merkmalsbestandteil des Gegenstands des Anspruchs 1 bzw. der Verwendung des Endgeräts nach Anspruch 4. Die entsprechende Argumentation vermag daher nicht die Patentfähigkeit des Gegenstands des Anspruchs 1 bzw. der Verwendung des Anspruchs 4 zu begründen. Lediglich der Vollständigkeit halber wird jedoch darauf verwiesen, dass die entsprechenden Merkmale aus der Druckschrift [X.] bekannt sind

VIII.

Die [X.] fallen wegen der Antragsbindung mit dem Patentanspruch 1

IX.

Bei dieser Sachlage war das Patent zu widerrufen.

Meta

23 W (pat) 304/08

09.02.2010

Bundespatentgericht 23. Senat

Beschluss

Sachgebiet: W (pat)

§ 50 Abs 1 ZPO § 51 Abs 1 ZPO § 39 Abs 1 AktG § 141a Abs 1 S 1 FGG

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Beschluss vom 09.02.2010, Az. 23 W (pat) 304/08 (REWIS RS 2010, 9565)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 9565

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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