Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.06.2016, Az. IX ZR 23/15

IX. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 9838

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:160616UIXZR23.15.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

IM NAMEN [X.]S VOLKES

URTEIL
IX ZR 23/15

Verkündet am:

16. Juni 2016

Preuß

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
In dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
[X.] § 17 Abs. 2 Satz 2, § 130 Abs.
1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2
Kündigt der Schuldner dem Gläubiger einer in den Vormonaten deutlich angewach-senen fälligen Forderung an, im Falle des Zuflusses neuer Mittel die Verbindlichkeit nur durch eine Einmalzahlung und zwanzig folgende Monatsraten begleichen zu können, offenbart er dem Gläubiger seine Zahlungsunfähigkeit.
[X.], Urteil vom 16. Juni 2016 -
IX ZR 23/15 -
OLG [X.]

[X.]

-

2

-
Der IX.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 16. Juni
2016
durch [X.] [X.], den [X.], die Richterin [X.], [X.]
Pape und die Richterin [X.]

für Recht erkannt:

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des 5.
Zivilsenats des [X.] vom 16.
Dezember 2014
aufgeho-ben.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 5. Zivilkammer des [X.] vom 21. März 2014 wird [X.].
Die
Beklagte trägt die Kosten der Rechtsmittelverfahren.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger ist
Verwalter in dem auf den Antrag vom 6.
September
2011
am 1.
November 2011 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der B.

GmbH
(nachfolgend: Schuldnerin).
1
-

3

-

Die Schuldnerin, ein
im
Tiefbau
tätiges Unternehmen, stand mit der [X.], die Spezialtiefbaugeräte herstellt
und vermietet
sowie Serviceleistun-gen erbringt,
in langjähriger
Geschäftsbeziehung.
Spätestens ab Anfang des Jahres
2011 geriet die Schuldnerin
in
stetig anwachsende wirtschaftliche
Schwierigkeiten.
Ende
Juni 2011 betrugen ihre Zahlungsrückstände bei
der [X.] mindestens 200.000

. Aufgrund dieses Rückstands verhängte die [X.] am 11.
Juli 2011 einen Lieferstopp gegen die Schuldnerin,
drohte
die fristlose Kündigung bestehender
Mietverträge
an
und begann damit, einzelne
Mietverträge
fristlos zu kündigen.
Die Schuldnerin erklärte
daraufhin gegenüber der Beklagten mit Schreiben vom 27.
Juli 2011,
gegen Erfüllung verschiedener, nicht näher dargestellter
Auflagen
für das Geschäftsjahr 2012
weiter finanziert zu sein,
und kündigte an, auf ihre Rückstände bei der Beklagten
nach einem [X.]
eine Einmalzahlung in Höhe von 50.000

Ratenzahlungen in Höhe von jeweils 40.000

zu
erbringen.

Mitte August 2011 benötigte die Schuldnerin, deren Zahlungsrückstände bei der Beklagten sich auf inzwischen rund 800.000

e-stimmtes
Bauvorhaben
die Auslieferung
eines
[X.] durch die [X.]. Diese erklärte sich zu einer entsprechenden Lieferung nur bereit, wenn die Schuldnerin ihr zuvor eine Abschlagszahlung in einer Größenordnung von 200.000

auf
offene Forderungen
aus den Monaten April und
Mai 2011 leistete und eine Bankbürgschaft für die darüber hinaus
gehenden
ungedeckten [X.] in Höhe von 605.000

Weitere Belieferungen
sollten
nur noch gegen Vorkasse erfolgen.
Die Schuldnerin zahlte am 22.
August 2011 einen Betrag
von 201.486,39

August 2011 die Bankbürg-schaft.

2
3
-

4

-

Mit seiner Klage begehrt der Kläger
unter dem Gesichtspunkt der
De-ckungs-
und Vorsatzanfechtung
Erstattung
des an die Beklagte überwiesenen Betrags
zuzüglich Zinsen und
die Freistellung von
vorgerichtlichen
Anwaltskos-ten in Höhe von 1.277,10

Klage in vollem Umfang stattgegeben.
Das [X.] hat sie auf die Berufung der
Beklagten abgewiesen.
Mit der von dem Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren
weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Wiederherstellung
des
landge-richtlichen Urteils.

I.

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausge-führt, die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine insolvenzrechtliche An-fechtung seien nicht gegeben. Zwar stelle die angefochtene Zahlung eine gläu-bigerbenachteiligende Rechtshandlung der bereits zahlungsunfähigen Schuld-nerin dar, die der Beklagten eine Befriedigung verschafft habe. Ein Rückge-währanspruch aus §
143 Abs.
1, §
130
Abs.
1
Satz 1
Nr.
1
[X.], bestehe aber nicht, weil der
insoweit beweisbelastete Kläger weder eine Kenntnis der Beklag-ten
von der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin noch eine Kenntnis von Um-ständen, die zwingend auf
diese Zahlungsunfähigkeit schließen ließen (§
130 Abs.
2 [X.]),
nachgewiesen
habe. Zahlungsunfähigkeit sei allerdings entgegen der Auffassung der Beklagten gegeben, weil die Schuldnerin ihre Zahlungen 4
5
6
-

5

-
zum Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlung eingestellt gehabt habe. Es hätten in erheblichem Umfang Verbindlichkeiten bestanden, die bis zur Verfah-renseröffnung nicht mehr beglichen worden seien. Von einer Kenntnis der [X.] auf Seiten der Beklagten könne aber nicht ausgegangen wer-den, denn
es habe schon in den
Jahren vor 2011
Zahlungsrückstände der Schuldnerin bei der Beklagten mit Mahnungen und der Androhung von [X.] gegeben.
Die Schuldnerin
habe
ihre Forderungen häufig mit einem Ver-zug von 10 bis 50 Tagen bezahlt. Außerdem habe die
Beklagte auf den in dem Schreiben vom 27.
Juli 2011 angekündigten [X.] vertrauen dürfen. Aus dem Umstand, dass die Schuldnerin am 22.
August 2011
eine Abschlag-zahlung von
über
200.000

e-sen sei,
eine Bürgschaft über mehr als 600.000

fortbestehende Kreditwürdigkeit der Schuldnerin schließen können. Aus diesen Gründen entfalle auch die für eine Anfechtung nach §
133 Abs.
1 [X.] erforder-liche Kenntnis der drohenden Zahlungsunfähigkeit oder von Umständen, [X.] zwingend auf diese schließen lassen könnten.

II.

Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung nicht stand. Die Klage ist in der Hauptsache gemäß
§
130 Abs.
1 Satz
1 Nr.
1, Abs.
2, §
143 Abs. 1 [X.]
begründet. Die Beklagte hat in Kenntnis von Umständen, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin schließen ließen, innerhalb der letzten drei Monate vor dem Antrag auf
Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Ver-mögen der Schuldnerin von dieser
in Höhe von
201.486,39

Befriedigung er-langt.

7
-

6

-

1. Die am 22.
August 2011 bewirkte Überweisung an die Beklagte hat infolge des [X.] eine objektive Gläubigerbenachteiligung im Sinne des §
129 Abs.
1 [X.] bewirkt (vgl. [X.], Urteil vom 5.
März 2015 -
IX
ZR 133/14, [X.]Z 204, 231
Rn. 47;
vom 7.
Mai 2015 -
IX
ZR 95/14, Z[X.] 2015, 1262
Rn. 8; vom 21.
Januar 2016 -
IX
ZR 32/14, Z[X.] 2016, 507 Rn. 7). Die Anfechtungsfrist ist gewahrt.

2. Das Berufungsgericht
ist
zutreffend von der
Zahlungsunfähigkeit
der Schuldnerin zu
dem für die Feststellung der Anfechtungsvoraussetzungen maßgeblichen Zeitpunkt ausgegangen. Die Zahlungsunfähigkeit
beurteilt sich im gesamten Insolvenzrecht und darum auch im Rahmen des [X.] nach §
17 [X.]
([X.], Urteil vom 18.
Juli 2013 -
IX
ZR 143/12, Z[X.] 2013, 2109
Rn. 7 mwN). Hat der Schuldner seine Zahlungen eingestellt, begründet dies auch für die Insolvenzanfechtung gemäß §
17 Abs.
2 Satz 2 [X.] die gesetzliche Vermutung der Zahlungsunfähigkeit ([X.], Urteil vom 20.
November 2001 -
IX
ZR 48/01, [X.]Z 149, 178, 184 f; vom 18.
Juli 2013, aaO Rn. 8 mwN).
Schon im Juli 2011 bestanden gegen die Schuldnerin [X.] in einer Größenordnung von knapp 6 Mio.

r-öffnung nicht mehr befriedigt werden konnten. Zweifel
daran, dass die Schuld-nerin am 22.
August 2011 ihre Zahlungen eingestellt hatte und dies für die be-teiligten Verkehrskreise nach außen hervorgetreten war, bestehen
nicht. Dies
wird auch von der Revisionserwiderung nicht in Frage gestellt.

3. Soweit das Berufungsgericht ausführt, trotz der
zum maßgeblichen Zeitpunkt gegebenen
Zahlungsunfähigkeit könne nicht
festgestellt werden, dass der Kläger den ihm obliegenden Beweis der Kenntnis von Umständen geführt habe, aus denen die Beklagte bei zutreffender rechtlicher Beurteilung auf eine Zahlungsunfähigkeit oder jedenfalls Zahlungseinstellung hätte
schließen kön-8
9
10
-

7

-
nen (§
130 Abs.
2 [X.]), kann dies die Abweisung der Klage nicht rechtfertigen.
Die
Schuldnerin hat die Überweisung der 201.486,39

zu einem Zeitpunkt vor-genommen, zu welchem die Beklagte zwingend die
Kenntnis von Umständen
hatte, welche nur den Schluss auf die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin zu-ließen.

a) Für die Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners genügt es, wenn der Gläubiger aus den ihm bekannten Tatsachen und dem Verhalten des Schuldners bei natürlicher Betrachtungsweise den zutreffenden Schluss zieht, dass jener wesentliche Teile, also 10
v.H. oder mehr, seiner ernsthaft eingeforderten Verbindlichkeiten im Zeitraum der nächsten drei Wochen nicht wird tilgen können ([X.], Urteil vom 12.
Oktober 2006 -
IX
ZR 228/03, Z[X.] 2006, 1210
Rn. 24; vom 18.
Juli 2013 -
IX
ZR 143/12, Z[X.] 2013, 2109 Rn. 17). Der Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit steht die Kenntnis von Umständen gleich, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit hinweisen ([X.], Urteil vom 24.
Mai 2007 -
IX
ZR 97/06, [X.], 1511
Rn. 25; vom 20.
November 2008 -
IX
ZR 188/07, Z[X.] 2009, 145
Rn. 10; vom 8.
Oktober 2009 -
IX
ZR 173/07, [X.], 2253
Rn. 10; vom 18.
Juli 2013, aaO). Es genügt daher, dass der [X.] die tatsächlichen Umstände kennt, aus denen bei [X.] rechtlicher Beurteilung die Zahlungsunfähigkeit zweifelsfrei
folgt ([X.], Urteil vom 19.
Februar 2009 -
IX
ZR 62/08, [X.]Z 180, 63
Rn. 13
f; vom 8.
Oktober 2009, aaO; vom 18.
Juli 2013, aaO). Zahlungsunfähigkeit ist auch dann anzunehmen, wenn der Schuldner die Zahlungen eingestellt hat. Kennt der Gläubiger die Tatsachen, aus denen sich die Zahlungseinstellung ergibt, kennt er damit auch die Zahlungsunfähigkeit. Bewertet er das ihm vollständig bekannte [X.] falsch, kann er sich nicht mit Erfolg darauf berufen, diesen Schluss nicht gezogen zu haben
([X.], Urteil
vom 20.
November 2001 11
-

8

-
-
IX
ZR 48/01, [X.]Z 149, 178, 185; vom 19.
Februar 2009, aaO Rn. 14; vom 18.
Juli 2013, aaO).

b) Die Feststellung der subjektiven Voraussetzungen der Anfechtung -
hier der Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit zum Zeitpunkt der Rechtshand-lung (§
130 Abs.
1
Satz 1 Nr.
1, Abs. 2 [X.]) -
obliegt in erster Linie dem Tatrichter (vgl. [X.], Urteil vom 19.
Februar 2009, aaO Rn.
15;
vom 17. Juni 2010 -
IX
ZR 134/09, Z[X.] 2010, 1324 Rn. 9; vom
18.
Juli 2013, aaO).

Die revisionsgerichtliche Kontrolle der vom Berufungsgericht zur Kennt-nis der
Zahlungsunfähigkeit
getroffenen Feststellungen
beschränkt sich
darauf, ob sich der Tatrichter entsprechend dem Gebot des §
286 ZPO
mit dem Pro-zessstoff umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Beweis-würdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkge-setze und Erfahrungssätze verstößt ([X.], Urteil vom 7.
November 2013 -
IX
ZR 49/13, Z[X.]
2013, 2434
Rn.
8; vom 10.
Juli 2014 -
IX
ZR 280/13, Z[X.] 2014, 1947 Rn.
18; vom 12.
Februar 2015 -
IX
ZR 180/12, Z[X.]
2015, 628
Rn. 15; vom 25.
Februar 2016 -
IX
ZR 109/15, Z[X.] 2016, 628 Rn. 12). Einer solchen Überprüfung hält die Würdigung des Berufungsgerichts nicht stand. Das Berufungsgericht hat maßgebliche, aus Sicht der Beklagten auf eine Zahlungseinstellung der Schuldnerin deutende Beweisanzeichen nicht beach-tet.
Mit
seiner Würdigung, der 2011 eingetretene
sich stetig erhöhende [X.] sei mit dem in früheren Jahren aufgetretenen
Zahlungsverzug vergleichbar, hat es ebenso
gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze versto-ßen
wie mit der Außerachtlassung des Umstandes, dass die Schuldnerin in dem Schreiben vom 27.
Juli 2011 ihre dauernde Zahlungsunfähigkeit ausdrück-lich eingestanden
hat.

12
13
-

9

-

aa) Das der Beklagten bekannte sprunghafte Anwachsen der [X.] in den Monaten Juni bis August 2011 trotz einzelner noch erbrach-ter Zahlungen stellt schon für sich gesehen ein
gewichtiges Indiz für die Kennt-nis der Zahlungseinstellung dar (vgl. [X.], Urteil vom 30.
Juni 2011 -
IX
ZR 134/10, Z[X.] 2011, 1410 Rn.
14 ff), welches das Berufungsgericht
bei seiner Würdigung
nur unzureichend beachtet hat.

(1) Die Auffassung, der gegenüber der Beklagten festgestellte [X.],
der im Juni 2011 bereits bei 200.000

2011 auf über 800.000

hätte nicht zu dem Schluss führen
müssen, dass der Beklagten im August
2011 die Zahlungseinstellung der Schuldnerin bekannt gewesen sei, weil dieser auch bewusst gewesen sei, dass die Schuld-nerin schon in der Vergangenheit Zahlungen nur mit erheblicher Verzögerung geleistet gehabt habe, ist nicht haltbar. Feststellungen
zu einem Zahlungsver-zug mit einem hohen sechsstelligen Betrag in der Vergangenheit hat das [X.] nicht getroffen. Soweit die Schuldnerin in der Vergangenheit über
einen Zeitraum, der sich auf
bis zu 50 Tage
erstreckte,
mit Zahlungen im
Rück-stand war, hat das Berufungsgericht
dies für Beträge in einer Größenordnung von bis zu
knapp
1.000

festgestellt. Für einen Zahlungsrückstand in sechs-stelliger Höhe
über einen mehrmonatigen Zeitraum, wie er 2011 aufgetreten ist, gibt es keine Anhaltspunkte.
Für ein stetiges Anwachsen von
Verbindlichkeiten über mehrere
Monate
ohne nennenswerte Tilgung, was eine erhebliche Indiz-wirkung für eine Zahlungseinstellung haben kann ([X.], Urteil vom 18.
Juli 2013 -
IX
ZR 143/12, Z[X.] 2013, 2109 Rn. 12; vom 7.
Mai 2015 -
IX
ZR 95/14, Z[X.] 2015, 1262
Rn. 19; vom 21.
Januar 2016 -
IX
ZR 32/14, Z[X.] 2016, 507 Rn. 25),
gibt der [X.] für frühere Zeiträume vor 2011 keinen Anhalt. Die vor 2011 aufgetretenen Zahlungsrückstände, bei denen es sich nach dem Vor-trag der Revisionserwiderung um angemahnte
rückständige
Einzelbeträge von 14
15
-

10

-
bis zu 35.000

handelte,
können deshalb bei
der
Würdigung nicht ausschlag-gebend sein. Sie lassen vielmehr nur den Schluss zu,
dass Mitte 2011 eine deutliche Liquiditätsverschlechterung eintrat,
die sich aus der Sicht der Beklag-ten von früheren Zahlungsengpässen bei der
Schuldnerin grundlegend unter-schied.

(2) Anders als in der Vergangenheit, für die das Berufungsgericht einen mittleren Zahlungsverzug von 56,20 Tagen festgestellt hat, ist es der Schuldne-rin ab April/Mai 2011
nicht mehr gelungen, ihre fälligen Zahlungen
wenigstens
mit einer
entsprechenden
Verzögerung zu leisten. Sie hat vielmehr -
gemessen an der Höhe der ständig anwachsenden Gesamtforderung der Beklagten
-
über mehr
als vier
Monate
hinweg
überhaupt keine nennenswerten Zahlungen mehr erbracht. Schon dies musste die Beklagte spätestens Mitte August zu der Er-kenntnis bringen, dass keine Situation vorlag, die mit den in der Vergangenheit aufgetretenen
und noch beherrschbaren
Zahlungsrückständen vergleichbar war. Für die Beklagte ergab
sich
vielmehr
im August 2011
das Bild einer am Rand des wirtschaftlichen Abgrunds handelnden Schuldnerin
(vgl. [X.], Urteil vom 30.
Juni 2011 -
IX
ZR 134/10, Z[X.] 2011, 1410 Rn. 16; vom 21.
Januar 2016 -
IX
ZR 32/14, Z[X.] 2016, 507 Rn.
26 mwN).

Dieses Bild verstärkte sich noch, als die Schuldnerin auch nach Verhän-gung der [X.] und Androhung der fristlosen Kündigung von
Mietverträ-gen und der
Kündigung
einzelner
Verträge, ihre Zahlungen im Juli 2011 nicht wieder aufnahm, sondern weitere Rückstände auflaufen ließ. Hieraus konnte die Beklagte
nur
auf eine sich weiter verschlechternde finanzielle Situation der Schuldnerin schließen. Die Annahme einer bloß vorübergehenden [X.] war ausgeschlossen, nachdem es der Schuldnerin über mehrere [X.] nicht gelungen
war, ihre fälligen Verbindlichkeiten spätestens innerhalb 16
17
-

11

-
von drei Wochen auszugleichen und die rückständigen Beträge insgesamt so erheblich waren, dass von lediglich geringfügigen Liquiditätslücken keine Rede sein konnte (vgl. [X.], Urteil vom 11.
Februar
2010 -
IX
ZR 104/07,
Z[X.] 2010, 673 Rn. 43; vom 30.
Juni 2011, aaO Rn. 12; vom 25.
Oktober 2012 -
IX
ZR 117/11, Z[X.] 2012, 2244 Rn. 22).

bb) Entgegen der Würdigung des Berufungsgerichts ist
aus dem [X.] der Schuldnerin vom 27.
Juli 2011 ein weiteres
gewichtiges
Indiz für die Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit
der Schuldnerin
zu entnehmen, weil es deren
nicht übersehbares
Bekenntnis, zahlungsunfähig zu sein, enthielt (vgl. [X.], Urteil vom 12.
Oktober 2006 -
IX
ZR 228/03, Z[X.] 2006,1210 Rn.
15; vom 20.
Dezember 2007 -
IX
ZR 93/06, Z[X.] 2008, 273 Rn. 21; vom 1.
Juli 2010 -
IX
ZR 70/08, Z[X.] 2010, 1598
Rn. 10; vom 15.
März 2012 -
IX
ZR 239/09, Z[X.] 2012, 696 Rn.
27; vom 8.
Januar 2015 -
IX
ZR 203/12, Z[X.] 2015, 396 Rn. 21). Die Schuldnerin teilte
in diesem Schreiben der Beklagten mit, dass sie selbst im Fall eines
ihr
auf einer Finanzierungssitzung am 21.
Juli 2011 in [X.] gestellten [X.]es nicht in der Lage sein würde, die Forderun-gen der Beklagten vollständig zu erfüllen. Vielmehr kündigte sie an, zu einem nicht näher genannten Zuflusszeitpunkt eine Abschlagzahlung in Höhe von 50.000

ö-he von 40.000

s-verständlich ein, zu einer Befriedigung ihrer Forderungen
selbst bei der erhöh-ten günstigen Liquiditätsentwicklung innerhalb eines Zeitraums von drei Wo-chen
nicht in der Lage zu sein. Bei dem im August aufgelaufenen [X.] von 800.000

ohne weiteres
ausrechnen, dass es mindestens 20 Monate dauern würde, allein den bei ihr bestehenden Rückstand zu tilgen.

18
-

12

-

cc) Die Beklagte hat im Übrigen nichts dafür vorgetragen, dass sie sich nach
dem
Schreiben der Schuldnerin auf eine ratenweise Begleichung ihrer Forderung eingelassen hat. Für den Abschluss einer entsprechenden Vereinba-rung und die Rücknahme des Lieferstopps sowie einen Verzicht auf die ange-drohte fristlose
Kündigung
ist nichts ersichtlich. Sie hat vielmehr die erste sich bietende Gelegenheit, nämlich die Bitte der Schuldnerin um Auslieferung des [X.], genutzt, um von dieser höhere Zahlungen als die in dem Schreiben angebotenen Beträge zu erlangen. Damit
erscheint ausgeschlossen, dass sie im Hinblick auf das Schreiben vom 27.
Juli 2011, aus dem im Übrigen nicht hervorging, worin die Ursachen für die schlechte finanzielle Situation der der
Schuldnerin
lagen und wie sie
ihre Liquiditätsprobleme konkret überwinden wollte,
angenommen
haben könnte, die Schuldnerin habe ihre finanziellen Probleme behoben.
Mit der Abschlagszahlung von
rund
200.000

dass die Schuldnerin ihren in dem Schreiben angekündigten Zahlungsplan nicht halten konnte.

dd)
Schließlich kommt dem Umstand, dass die Beklagte die Bitte der Schuldnerin um die Auslieferung des [X.] genutzt hat, um die nach-trägliche Besicherung ihrer Forderungen durch eine Bürgschaft über 600.000

zu erzwingen und eine Abschlagzahlung von mehr als 200.000

entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts eine indizielle Bedeutung für die Kenntnis der Zahlungseinstellung zu.
Diese Zahlung, die weit oberhalb der von der Schuldnerin für August
angekündigten Sofortzahlung von 50.000

lag, konnte die Beklagte nur herbeiführen, indem sie die ihr
bekannte Zwangslage der Schuldnerin ausnutzte, welche darin bestand, dass diese den [X.] benötigte, um auf einer Baustelle weiterarbeiten zu können. Da die
Beklagte davon ausgehen musste, dass es bei der
gewerblich tätigen Schuldnerin
weite-re Gläubiger mit ungedeckten Ansprüchen gab
(vgl. [X.], Urteil vom 7.
Mai 19
20
-

13

-
2015
-
IX
ZR 95/14, [X.], 1262 Rn. 19 mwN; vom 21.
Januar 2016 -
IX
ZR 32/14, Z[X.] 2016, 507 Rn.
25),
musste
sie
damit rechnen, dass
sie
der
Schuldnerin
mit der erzwungenen Zahlung von mehr als 200.000

weitere
Li-quidität entzog.

ee) Soweit das Berufungsgericht eine Kenntnis der Beklagten von der im August eingetretenen Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin verneint hat, weil diese
auf Druck der Beklagten im August 2011
eine Zahlung von mehr als 200.000

geleistet
und eine Bürgschaft über 600.000

gestellt hat, ist diese Würdigung
rechtlich nicht tragfähig.

(1) Hatte die Beklagte im August 2011 im Blick auf das bisherige [X.] der Schuldnerin und deren einseitiger Ankündigung von Raten-zahlungen sowie das Bekenntnis zahlungsunfähig zu sein,
die [X.] der Schuldnerin erkannt, oblag es ihr, darzulegen und zu beweisen, warum sie später davon ausging, die Schuldnerin habe ihre Zahlungen möglicherweise allgemein wieder aufgenommen ([X.], Urteil vom 6.
Dezember 2012 -
IX
ZR 3/12, Z[X.] 2013, 190 Rn. 33 mwN; vom 25.
Februar 2016 -
IX
ZR 109/15, Z[X.] 2016, 628 Rn. 24; vom 24.
März 2016 -
IX
ZR 242/13, Z[X.] 2016, 910 Rn. 14 mwN). Die erzwungene Abschlagszahlung und die nachfolgende inkon-gruente Besicherung
ihrer restlichen Forderung ließen ihre Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin nicht entfallen. Allein diese
Umstände
leg-ten
nicht nahe, dass die Schuldnerin ihre Zahlungsfähigkeit zurückgewonnen und ihre Zahlungen im Wesentlichen vollständig wieder aufgenommen hatte. Konkrete Tatsachen, denen zufolge sich die Liquiditätslage der Schuldnerin verbessert hatte, waren der Beklagten nicht bekannt geworden.

21
22
-

14

-

(2) Ein Gläubiger, dem der Schuldner nach Eintritt der [X.] Ratenzahlungen zur Abwendung der allein aus seiner Forderung herzulei-tenden Insolvenz anbietet, kann regelmäßig nicht davon ausgehen, dass die Forderungen anderer Gläubiger, mit denen bei einem gewerblich tätigen Schuldner immer zu rechnen ist ([X.], Urteil vom 6.
Dezember 2012, aaO Rn. 15; vom 25.
Februar 2016, aaO Rn. 11 mwN; vom 24.
März 2016, aaO Rn. 15), in vergleichbarer Weise bedient werden wie seine eigenen. Er kann sich nicht der Erkenntnis verschließen, dass andere Gläubiger davon absehen, in gleicher Weise wie er Druck auf den Schuldner
auszuüben, um ihre Forderungen einzu-treiben. Vielmehr muss er damit rechnen, dass andere Gläubiger die schlep-pende Zahlungsweise des Schuldners und damit die Nichtbegleichung ihrer Forderungen hinnehmen. Darum entspricht es einer allgemeinen [X.], dass
ein
Schuldner -
um sein
wirtschaftliches Überleben zu sichern
-
unter dem Druck eines besonders auf Zahlung drängenden Gläubigers Zahlungen bevorzugt an diesen leistet, um ihn zum Stillhalten oder -
wie vorliegend
-
zur Lieferung dringend benötigter Gerätschaften zu bewegen. Vor diesem Hinter-grund verbietet sich im Regelfall ein Schluss des Gläubigers dahin, dass der Schuldner seine Zahlungen auch im Allgemeinen wieder aufgenommen habe (vgl. [X.], Urteil vom 6.
Dezember 2012, aaO Rn. 42 mwN; vom 25.
Februar 2016, aaO Rn. 30; vom 24.
März 2016, aaO).
Diese Grundsätze gelten auch für den hier gegeben Fall einer erzwungenen einmaligen Abschlagzahlung in er-heblicher Höhe, welche aber den bestehenden Zahlungsrückstand längst nicht abdeckt.

23
-

15

-
III.

Das angefochtene Urteil kann folglich keinen Bestand haben. Es ist auf-zuheben (§
562 Abs. 1 ZPO). Weiterer
Feststellungen bedarf
es nicht.
Der Se-nat
kann daher
in der Sache selbst entscheiden (§
563 Abs. 3 ZPO) und das Urteil des [X.] wiederherstellen.

Kayser
Vill
[X.]

Pape
[X.]

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 21.03.2014 -
51 O 1524/13 -

OLG [X.], Entscheidung vom 16.12.2014 -
5 U 1614/14 -

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Meta

IX ZR 23/15

16.06.2016

Bundesgerichtshof IX. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.06.2016, Az. IX ZR 23/15 (REWIS RS 2016, 9838)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 9838

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IX ZR 23/15

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