Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 27.05.2014, Az. XI ZR 264/13

XI. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 5259

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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
XI [X.]
Verkündet am:
27. Mai 2014
Herrwerth,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
[X.] § 810 Fall 2
1.
Ein schutzwürdiges rechtliches Interesse an der Einsicht in eine Urkunde im Sinne von §
810 Fall
2 [X.] fehlt, wenn der Anspruchsteller die Einsicht nur aufgrund vager Vermutungen über den Inhalt der Urkunde verlangt, um erst durch die Einsicht Anhaltspunkte für eine spätere Rechtsverfolgung zu ge-winnen.
2.
Die Vorschrift des §
810 [X.] gewährt keinen Anspruch auf Einsicht in [X.], Urkundensammlungen oder in sämtliche, einen bestimmten Vertrag betreffende Schriftstücke. Der für die Voraussetzungen einer [X.]sgewährung nach §
810 [X.] darlegungs-
und beweispflichtige An-spruchsteller muss die konkrete Urkunde und deren angeblichen Inhalt ge-nau bezeichnen.
[X.], Urteil vom 27. Mai 2014 -
XI [X.] -
OLG [X.]

LG Gera

-
2
-
Der XI.
Zivilsenat des [X.] hat
auf die mündliche Verhandlung vom 27.
Mai 2014 durch den [X.] Dr.
Joeres als Vorsitzenden, die [X.] Dr.
Ellenberger und Dr.
Matthias sowie die [X.]innen Dr.
Menges und Dr.
Derstadt

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil
des 5.
Zivilsenats des [X.] in [X.] vom 2.
Juli 2013 aufgeho-ben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsge-richt zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:
Die Klägerin nimmt die [X.] im Wege der [X.] aus drei Kredit-bürgschaften in Anspruch.
Die [X.] war Kommanditistin der s.

GmbH & Co. KG (nachfol-gend: Hauptschuldnerin) sowie Geschäftsführerin der s.

GmbH,
der Komplementärin der Hauptschuldnerin. Im Zeitraum vom 22.
April 2002 bis 8.
Oktober 2004 schloss die [X.] für die Haupt-1
2
-
3
-
schuldnerin sieben Darlehensverträge, von denen für zwei Kredite ein Konto-korrent vereinbart wurde, über einen Kreditrahmen in Höhe von insgesamt 2.011.000

Die [X.] übernahm zu Gunsten der Klägerin [X.] von insgesamt 1.122.600

Für die Darlehensrückforderungen der Klägerin aus den Verträgen vom 4.
September 2002 Nr.

60 über 250.000

August 2002 Nr.

52 über 273.000

April 2002 Nr.

50 über 140.000

und vom 8.
Oktober 2004 Nr.

11 über 250.000

[X.] mit [X.] vom 15.
August 2002 bis zu einem Höchstbe-trag von 192.600

Für die Darlehensrückforderungen der Klägerin aus den Verträgen vom 22.
Oktober 2002 Nr.

40 über 100.000

September 2002 Nr.

60 über 250.000

September 2002 Nr.

30 über 150.000

September 2002 Nr.

22 über 848.000

8.
Oktober 2004 Nr.

11 über 250.000

mit [X.] vom 12.
September 2002 bis zu einem Höchstbetrag von 780.000

Für die Forderung der Klägerin aus dem Darlehensvertrag vom 8.
Oktober 2004 Nr.

11 über 250.000

mit [X.] vom 11.
Oktober 2004 bis zu einem Betrag von 150.000

Mit Schreiben vom 27.
September 2005 kündigte die Klägerin ihre ge-samte Geschäftsverbindung zur Hauptschuldnerin. Zugleich machte sie dieser gegenüber eine Hauptforderung in Höhe von 2.196.244,44

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4
-
Schreiben vom 27.
Oktober 2005 nahm die Klägerin die [X.] aus den o.g. Bürgschaften erfolglos in Anspruch. Am 27.
Mai 2006 entstand der [X.]nerin ein erheblicher Schaden durch einen Großbrand. Infolge eines Ei-genantrags der Hauptschuldnerin wurde daraufhin am 30.
Juni 2006 das Insol-venzverfahren
über deren Vermögen eröffnet. Außerdem wurde für das [X.] die Zwangsverwaltung angeordnet.
Nach eigenem Vortrag erlangte die Klägerin aus dem Verkauf des Be-triebsgrundstückes der Hauptschuldnerin 378.255

aus einer Garantie der

bank 1.161.455,34

aus der Zwangsvollstreckung gegenüber dem Kommanditisten
B.

3.258

aus der Verwertung eines Pfandrechtes der Kommanditistin

Sc.

587,18

aus der Verwertung eines Pfand-rechtes der [X.]n 13.669,02

aus dem Verkauf des Inventars der [X.]nerin 90.978,26

aus der Verwertung von Lebensversicherungen der Kommanditisten 19.768,94

mithin insgesamt 1.687.660,56

Mit der vorliegenden [X.] macht die Klägerin zuletzt aus der [X.] der [X.]n vom 12.
September 2002 unter Bezug auf die Kontokor-rentvertragsnummer

40 einen Teilbetrag von 5.400

r-tragsnummer

60 einen Teilbetrag von 2.200

editvertrags-nummer

30 einen Teilbetrag von 5.400

m-mer

22 einen Teilbetrag von 5.400

m-mer

11 einen Teilbetrag von 2.200

Aus der Bürgschaft der [X.]n vom 11.
Oktober 2004 macht die Klä-gerin unter Bezug auf die [X.]

11 einen Teilbetrag von 50.000

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10
-
5
-
Aus der Bürgschaft der [X.]n vom 15.
August 2002 macht die Kläge-rin unter Bezug auf die [X.]

60 einen Betrag von 3.200

52 einen Betrag von 12.000

auf die Kontokorrentvertragsnummer

50 einen Teilbetrag von 12.000

auf die [X.]

11 einen Teilbetrag von 2.200

l-tend.
Das [X.] hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausge-führt, da die Klägerin entgegen einer gerichtlichen Anordnung gemäß §
258 Abs.
1 HGB ihre Handelsbücher, insbesondere ihren Schriftverkehr mit dem Insolvenz-
und dem Zwangsverwalter nicht vorgelegt habe, könne nicht ausge-schlossen werden, dass die [X.] erfüllt sei und die [X.] nicht mehr hafte.
Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit ihrer -
vom Beru-fungsgericht zugelassenen

Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe:
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit im Revisionsverfahren noch von Interesse, im Wesentlichen ausgeführt, die Berufung der Klägerin habe keinen Erfolg, weil mangels der ihr aufgegebenen 11
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-
6
-
Vorlage von Urkunden die Höhe ihrer Forderungen nicht festgestellt werden könne. Zwar sei die
Vorlegungsanordnung des [X.]s nicht durch §
258 HGB gedeckt gewesen, weil die dort geregelte Vorlagepflicht nur [X.], nicht aber Handelsbriefe oder andere kaufmännische Unterlagen [X.]. Die Klägerin sei zur Vorlage ihres
Schriftverkehrs
mit dem Insolvenz-
und dem Zwangsverwalter
jedoch nach §
422 ZPO i.V.m. §
810 [X.] verpflichtet gewesen. Unstreitig sei der [X.]n keine Einsicht in zwei Ordner mit dieser Korrespondenz gewährt worden.
Grundsätzlich treffe zwar den Bürgen die Darlegungs-
und Beweislast für die Erfüllung der Hauptschuld. Diese Beweisführung könne dem Bürgen aber nur gelingen, wenn ihm ein Anspruch auf Einsichtnahme in die Handelsbücher des Gläubigers zustehe. Nach seinem Sinn und Zweck erstrecke sich das [X.] aus §
810 [X.] auf sämtliche Geschäftsbücher und Unterlagen, aus denen sich Erfüllungshandlungen ergeben sollen. Dafür spreche auch, dass ein Bürge nur so überprüfen könne, ob Erlöse aus der Zwangsverwaltung erzielt und vollständig verrechnet worden seien. Dies sei der [X.]n allein auf Grundlage der von der Klägerin vorgelegten Abrechnungsschreiben nicht mög-lich. Zudem habe die Klägerin erst mit dem Schriftsatz vom 18.
Mai 2011
nach dem Hinweis des [X.]s auf ein Einsichtsrecht der [X.]n aus §
810 [X.]
zu weiteren Erlösen vorgetragen, obwohl die daraufhin eingeräumten [X.] erheblich früher erzielt worden seien. Um überprüfen zu können, ob in den Abrechnungen der Klägerin tatsächlich alle für die Bürgschaftsforderung rele-vanten Einnahmen berücksichtigt worden seien, sei die [X.] deshalb hier auf eine Einsichtnahme in den Schriftverkehr zwischen der Klägerin und dem Zwangs-
bzw. dem Insolvenzverwalter angewiesen. Der begehrten Einsicht stehe nicht der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegen. Zwar finde die [X.] regelmäßig ihre Grenze bei einem Ausforschungs-beweisantrag, bei dem erst durch die Beweisaufnahme Tatsachen für neue [X.]
-
7
-
hauptungen gewonnen werden sollten. Darum gehe es vorliegend jedoch nicht, da die Klägerin die Aktenordner, in denen ihr Briefwechsel mit den beiden Ver-waltern enthalten sei, der [X.]n nicht zur Einsicht überlassen habe und dies auch in zweiter Instanz
verweigere.

II.
Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
1. Das Berufungsgericht
ist allerdings
zu Recht und von der Revision nicht angegriffen davon ausgegangen, dass die [X.] als [X.] die Darle-gungs-
und Beweislast für die Erfüllung der Hauptschuld trägt.
Nach der ständigen
Rechtsprechung des Bundesgerichthofes muss ein Bürge, der Erfüllung durch Leistungen des [X.] auf die [X.] oder durch Auf-
bzw. Verrechnungen des Gläubigers behauptet und [X.] die Befreiung von seiner Bürgschaftsschuld herleiten will, diese Leistungen darlegen und beweisen. Dies gilt sowohl für Rückforderungsansprüche des Gläubigers aus dem Hauptschuldner gewährten [X.] als auch für diesem eingeräumte Kontokorrentkredite und resultiert aus der strengen [X.] der Bürgschaft gegenüber der Hauptschuld. Zwischen dem Bürgen und dem Gläubiger muss deshalb hinsichtlich der [X.] dieselbe Darlegungs-
und Beweislastverteilung gelten wie zwischen diesem und dem Hauptschuldner ([X.], Urteile vom 18.
Mai 1995

IX
ZR 129/94, [X.], 1229,
1230
und
vom 7.
Dezember 1995

IX
ZR 110/95, [X.], 192
f. sowie Senatsbeschluss
vom 26.
Juni 2007

XI
ZR 201/06, juris Rn. 16).
2. Ebenfalls rechtsfehlerfrei ist das Berufungsgericht davon ausgegan-gen, dass dem Bürgen gegenüber
dem Gläubiger des [X.] grund-17
18
19
20
-
8
-
sätzlich ein Einsichtsrecht in die das Rechtsverhältnis des Gläubigers zum Hauptschuldner betreffenden Urkunden zusteht (§
810 Fall
2 [X.] i.V.m. §§
422, 423 ZPO).
a) Danach kann jeder die Gestattung der Einsicht in eine Urkunde von deren Besitzer verlangen, wenn in der Urkunde ein zwischen dem Anspruch-steller und einem anderen bestehendes Rechtsverhältnis beurkundet ist und der Anspruchsteller ein rechtliches Interesse an der [X.] hat. Dabei muss es sich nicht um ein zwischen dem Anspruchsteller und dem [X.] der Urkunde bestehendes Rechtsverhältnis handeln. Auf ein solches recht-liches Interesse kann sich vielmehr jeder berufen, der die Einsichtnahme in eine Urkunde zur Förderung, Erhaltung oder Verteidigung seiner rechtlich geschütz-ten Interessen benötigt ([X.], Urteil vom 31.
März 1971

VIII
ZR 198/69, [X.], 565, 567; [X.]/[X.], [X.], 73.
Aufl., §
810 Rn.
2; RGRK/[X.], [X.], 12.
Aufl., §
810 Rn. 6). Hierzu gehört auch ein Bürge im Hinblick auf die Geschäftsbücher seines Bürgschaftsgläubigers, soweit darin angebliche Zah-lungen des [X.] verbucht sind ([X.], 109, 112;
[X.], Urteile vom 10.
Dezember 1987

IX
ZR 269/86, [X.], 209, 210 und vom 18.
Mai 1995

IX
ZR 129/94, [X.], 1229, 1230; RGRK/[X.], [X.], 12.
Aufl., §
810 Rn.
12; MünchKomm[X.]/[X.], 6.
Aufl., §
810 Rn.
8; [X.]/
[X.], [X.], 73.
Aufl., §
810 Rn.
7; [X.], [X.] 1996, 269,
270).
b) Gleichfalls noch zutreffend hat das Berufungsgericht
angenommen, dass es sich bei der von der [X.]n zur Einsicht begehrten Korrespondenz der Klägerin mit dem Insolvenzverwalter der Hauptschuldnerin und dem Zwangsverwalter von deren Betriebsgrundstück um Urkunden im Sinne von §
810 [X.] handelt. Im Hinblick auf das sich aus §
810 [X.] ergebende [X.] ist von den Vorschriften der §§
422, 423
ZPO, mithin vom zivilpro-zessualen Urkundenbegriff auszugehen. Urkunden sind danach durch Nieder-21
22
-
9
-
schrift verkörperte [X.], die Aussagen über Rechtsgeschäfte oder Rechtsverhältnisse zum Inhalt haben, gleichgültig, in welcher Weise die Niederschrift erfolgt ([X.], Urteil vom 28.
November 1975

V
ZR 127/74, [X.]Z 65, 300, 301; [X.]/[X.], [X.], Neubearb.
2009, §
810 Rn.
6; MünchKomm[X.]/[X.], 6.
Aufl., §
810 Rn.
3; Soergel/Hadding, [X.], 13.
Aufl., §
810 Rn.
3).
3. Die Revision rügt jedoch zu Recht, dass das Berufungsgericht der [X.] aus §
810 [X.] i.V.m. §
422 ZPO ein Einsichtsrecht in mehrere Akten-ordner, die den kompletten Schriftwechsel der Klägerin mit
Dritten, also eine undifferenzierte Vielzahl von Urkunden beinhalten, zugebilligt hat.
a) Zur Begründung des rechtlichen Interesses eines Anspruchstellers im Sinne von §
810 [X.] müssen hinreichend bestimmte Anhaltspunkte vorliegen, die auf einen Zusammenhang zwischen dem Inhalt der zur Einsichtnahme be-gehrten Urkunde und dem Rechtsverhältnis hinweisen, zu dessen Klarstellung die Einsicht verlangt wird. [X.] Anspruchsvoraussetzung des [X.]s ist dabei die Schutzwürdigkeit dieses rechtlichen Interesses des Anspruchstellers (MünchKomm[X.]/[X.], 6.
Aufl., §
810 Rn.
11; [X.]/
Buck-Heeb, [X.], 8.
Aufl., §
810 Rn.
3). Hieran fehlt es, wenn ein Anspruchstel-ler lediglich aufgrund vager Vermutungen Urkundeneinsicht verlangt, um erst dadurch Anhaltspunkte für eine spätere Rechtsverfolgung gegen den Besitzer der Urkunde oder gegen Dritte zu gewinnen. In einem solchen Fall zielt das Einsichtsverlangen auf eine unzulässige Ausforschung ([X.], Urteil vom 30.
November 1989

III
ZR
112/88, [X.]Z 109, 260, 267; [X.]/
[X.], [X.], Neubearb.
2009, §
810 Rn.
10;
MünchKomm[X.]/[X.], aaO; [X.]/Buck-Heeb, aaO; [X.]/[X.], [X.], 73.
Aufl., §
810 Rn.
2; RGRK/[X.], [X.], 12.
Aufl., §
810 Rn.
6).
23
24
-
10
-
Außerdem muss eine vorzulegende Urkunde stets genau bezeichnet werden, insbesondere wenn sie sich in Akten
befindet. Deshalb
genügt es nicht, wenn der Anspruchsteller beantragt, ihm Einsicht in komplette Akten, andere Urkundensammlungen oder in sämtliche, einen bestimmten Vertrag betreffende Schriftstücke zu gewähren (RG, Das Recht 1912 Nr.
1604; Baumgärtel/
Laumen/Prütting, Hdb Beweislast
Schuldrecht BT II, 3.
Aufl., §
810 Rn.
1 [X.]). Der für die Voraussetzungen einer [X.] nach §
810 [X.] darle-gungs-
und beweispflichtige Anspruchsteller muss deshalb außer dem objekti-ven Zusammenhang des konkreten Rechtsverhältnisses mit der Urkunde und seinem rechtlichen Interesse auch die Urkunde selbst und deren angeblichen Inhalt genau bezeichnen (RG, aaO; Soergel/Hadding, [X.], 13.
Aufl., §
810 Rn.
18 [X.]).
b) Gemessen an diesen Grundsätzen hat das Berufungsgericht verkannt, dass die der Klägerin auferlegte Vorlage ihres gesamten [X.] mit dem Insolvenz-
und dem Zwangsverwalter der Hauptschuldnerin auf eine unzu-lässige Ausforschung neuer Tatsachen gerichtet ist, aus denen die [X.] erst weitere [X.]n herleiten möchte. Da es an einer genauen Be-zeichnung konkreter Urkunden fehlt, besteht auf der Grundlage ihres bisherigen Sachvortrages kein materiell-rechtlicher Anspruch der [X.]n auf die [X.] in die Korrespondenz der Klägerin mit den o.g. Verwaltern aus §
810 [X.] i.V.m. §
422 ZPO.

III.
Das Berufungsurteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als rich-tig dar (§
561 ZPO), denn die Anordnung der
Vorlage des gesamten Schrift-25
26
27
-
11
-
wechsels der Klägerin mit dem Insolvenz-
bzw. Zwangsverwalter der [X.]nerin
kann auch nicht mit Erfolg auf
§
142 ZPO
gestützt werden.

Zwar dient diese Vorschrift nicht unmittelbar Beweiszwecken, sondern primär der materiellen Prozessleitung, mit deren Hilfe sich das Gericht mög-lichst frühzeitig einen umfassenden Überblick über den Prozessstoff verschaf-fen bzw. das Parteivorbringen richtig verstehen können soll. Dabei darf das [X.] jedoch einer Urkunde nichts entnehmen, was von den Parteien im Prozess noch nicht vorgetragen worden ist, denn auch §
142 ZPO ermöglicht keine Amtsaufklärung. Das Gericht darf mit seiner Anordnung deshalb keinesfalls die Grenzen des [X.] überschreiten. Die Bedeutung einer konkret zu bezeichnenden Urkunde für die begehrte Entscheidung muss sich vielmehr aus dem schlüssigen
Parteivortrag ergeben. Die pauschale Aufforderung zur Vorla-ge ganzer Urkundensammlungen, Dokumentationen oder einer kompletten Kor-respondenz ist deshalb auch nach §
142 ZPO unzulässig ([X.], Beschluss
vom 14.
Juni 2007

VII
ZR 230/06, NJW-RR 2007, 1393 Rn.
10

für Aktenordner mit Berechnungsunterlagen; [X.] in [X.], ZPO, 22.
Aufl., §
142 Rn.
4
f. sowie 9
ff. [X.]; [X.]/[X.], ZPO, 30.
Aufl. §
142 Rn.
1
f.;
[X.], [X.], 589, 590).
Aus diesem Grunde hat auch der erkennende Senat in seinem Be-schluss
vom 15.
Juni 2010
(XI
ZR 318/09, [X.], 1448 Rn. 25)
nochmals betont, dass für eine Anordnung der Vorlegung einer Urkunde anders als im Falle des §
423 ZPO zwar die Bezugnahme der [X.] auf konkret benannte Urkunden, die sich im Besitz der nicht beweisbelasteten Ge-genpartei befinden, ausreicht. Bezeichnet also eine Prozesspartei die von ihr zur Vorlegung begehrte Urkunde so genau, wie in dem dort entschiedenen Fall eine datierte Notiz über die Besichtigung einer konkreten Immobilie, so liegt darin keine prozessordnungswidrige Ausforschung.
Auch die Vorschrift des 28
29
-
12
-
§
142 Abs.
1 ZPO befreit die Partei, die sich auf eine Urkunde bezieht, aber nicht von ihrer Darlegungs-
und Substantiierungslast (vgl. BT-Drucks.
14/6036, S.
121; [X.] in
[X.], ZPO, 22.
Aufl., §
142 Rn.
9). Dem entsprechend darf das Gericht die Urkundenvorlegung nicht zum Zwecke bloßer [X.], sondern nur bei Vorliegen eines schlüssigen, auf konkrete [X.] bezogenen Vortrags anordnen (Senatsurteil
vom 26.
Juni 2007

XI
ZR 277/05, [X.]Z 173, 23 Rn.
18
ff. und Senatsbeschluss vom 15.
Juni 2010

XI
ZR 318/09, [X.], 1448 Rn. 25).
Da der Vortrag der [X.]n diesen Anforderungen nicht genügt, sind die Voraussetzungen, unter denen der Tatrichter eine Anordnung gemäß § 142 Abs. 1 Satz 1 ZPO treffen kann, nicht gegeben.

IV.
Da die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist, ist sie zur erneuten [X.] und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§
563
Abs.
1 Satz
1 ZPO).
Nachdem das Berufungsgericht bislang keine Feststellungen zum [X.] der Hauptforderung getroffen hat, wird es, nachdem die Parteien [X.] zu ergänzendem Sachvortrag hatten, zunächst die diesbezüglichen Feststellungen nachzuholen haben. Dabei wird das Berufungsgericht zu be-rücksichtigen haben, dass in Fällen, in denen
-
wie hier

Streit darüber
besteht, welche Zahlungen in welcher Höhe auf eine bestimmte Forderung anzurechnen sind, zunächst der Gläubiger darzulegen und zu beweisen
hat, dass und in wel-cher Höhe ihm noch eine weitere Forderung zusteht, und zwar unabhängig da-von, ob es sich dabei um den Rest einer einheitlichen Forderung oder um For-30
31
32
-
13
-
derungen aus verschiedenen Schuldverhältnissen handelt. Erst wenn ihm die-ser Nachweis gelungen ist, hat der Schuldner darzulegen und zu beweisen, warum die streitige
Forderung getilgt sein soll (Senatsurteile
vom 6.
November 1990

XI
ZR 262/89, [X.], 195 und vom 30.
März 1993

XI
ZR 95/92, NJW-RR 1993, 1015;
[X.], Urteil vom 7.
Dezember 1995

IX
ZR 110/95, [X.], 192, jeweils [X.]).
Vorliegend hat die Klägerin im Schriftsatz vom 18.
Mai 2011 die Zusam-mensetzung der Hauptschuld substantiiert dargelegt und unter Beweis gestellt. Insbesondere hat die Klägerin im Einzelnen vorgetragen, in welcher konkreten Höhe ihr Rückforderungsbeträge aus welchen Darlehen zustehen. Zugleich hat sie die Verrechnung verschiedener Verwertungserlöse eingeräumt, die zu einer Reduzierung der Hauptschuld auf den von ihr zuletzt geltend gemachten Betrag in Höhe von 1.224.243,22

. Demgegenüber hat die [X.] in ihrer Stellungnahme vom 20.
Juni 2011 auch die von der Klägerin zu-letzt behaupteten Darlehens-
bzw. [X.] bestritten. Um beurteilen zu können, ob die von der [X.]n daraufhin im selben Schriftsatz behaupte-ten weiteren Verwertungserlöse zu einer vollständiger Erfüllung der [X.] geführt haben, hätte das Berufungsgericht denknotwendig zunächst de-ren Höhe feststellen
müssen.
33
-
14
-
Sodann wird es den von der [X.]n zu den erhobenen Erfüllungsein-reden angebotenen Beweisen nachzugehen haben, soweit sich diese

auch hinsichtlich der Einsicht
in
konkret zu benennende Urkunden

an den darge-stellten Grundsätzen orientieren.

Joeres
Ellenberger
Matthias

Menges
Derstadt

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 16.07.2012 -
2 O 700/06 -

OLG [X.], Entscheidung vom 02.07.2013 -
5 [X.] -

34

Meta

XI ZR 264/13

27.05.2014

Bundesgerichtshof XI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 27.05.2014, Az. XI ZR 264/13 (REWIS RS 2014, 5259)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 5259

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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