Bundesfinanzhof, Urteil vom 24.02.2011, Az. VI R 66/10

6. Senat | REWIS RS 2011, 9076

STEUERRECHT STEUERN BUNDESFINANZHOF (BFH)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Keine Dreimonatsfrist für den Abzug von Verpflegungspauschalen bei Fahrtätigkeit - Auswärtstätigkeit eines Seemanns


Leitsatz

Die Dreimonatsfrist für den Abzug der Verpflegungspauschalen (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 5 EStG) findet bei einer Fahrtätigkeit keine Anwendung (Änderung der Rechtsprechung) .

Tatbestand

1

I. Streitig ist, ob bei Tätigkeiten an Bord eines Schiffes die sog. Dreimonatsfrist zur Anwendung kommt.

2

Die Kläger und [[X.].] (Kläger) sind Eheleute und werden im Streitjahr (2007) gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger ist auf der Grundlage des [[X.].] vom ... als Seemann bei der Reederei [X.] (Arbeitgeber) beschäftigt. Er war im Streitjahr als technischer Offizier auf dem Motorschiff "[X.]", das zum Fischfang in der Hochseefischerei eingesetzt wird, tätig und fuhr auf diese Weise an 184 Tagen zur See.

3

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --[X.]--) lehnte es ab, die vom Kläger geltend gemachten Mehraufwendungen für die Verpflegung in Höhe von 4.248 € (170 x 24 € = 4.080 €; 14 x 12 € = 168 €) als Werbungskosten zu berücksichtigen. Das [X.] vertrat die Auffassung, dass Seeleute nur für die ersten drei Monate an Bord eines Schiffes Mehraufwendungen für die Verpflegung in Abzug bringen könnten. Die jeweilige Auswärtstätigkeit finde erst bei Rückkehr in den Heimathafen des Schiffes ihr Ende. Laufe das Schiff zu einer neuen Reise aus, beginne der Dreimonatszeitraum von neuem. Diese Voraussetzungen lägen beim Kläger nicht vor. Die "[X.]" habe ihren Heimathafen [X.] im Streitjahr nicht angelaufen.

4

Das Finanzgericht ([X.]) gab der Klage statt.

5

Mit der Revision rügt das [X.] eine Verletzung materiellen Rechts.

6

Das [X.] beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

8

II. Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Der Kläger hat Anspruch auf Berücksichtigung der Pauschbeträge für Mehraufwendungen für die Verpflegung nach § 9 Abs. 5 i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) im geltend gemachten Umfang.

9

Mehraufwendungen für die Verpflegung des Steuerpflichtigen sind gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 1 EStG nicht abziehbare Betriebsausgaben. Wird der Steuerpflichtige jedoch vorübergehend von seiner Wohnung und dem Mittelpunkt seiner dauerhaft angelegten betrieblichen Tätigkeit entfernt betrieblich tätig, so ist nach Satz 2 der Vorschrift für jeden Kalendertag, an dem der Steuerpflichtige wegen dieser vorübergehenden Tätigkeit von seiner Wohnung und seinem Tätigkeitsmittelpunkt über eine bestimmte Dauer abwesend ist, ein nach dieser Dauer gestaffelter Pauschbetrag abzusetzen. Dies gilt entsprechend, wenn der Steuerpflichtige bei seiner individuellen beruflichen Tätigkeit typischerweise nur an wechselnden Tätigkeitsstätten oder auf einem Fahrzeug tätig wird (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 3 EStG). Nach Satz 5 der Vorschrift beschränkt sich bei einer längerfristigen vorübergehenden Tätigkeit an derselben Tätigkeitsstätte der pauschale Abzug nach Satz 2 auf die ersten drei Monate (sog. Dreimonatsfrist; zur Verfassungsmäßigkeit s. Urteil des [X.] --BFH-- vom 8. Juli 2010 [X.], [X.], 352, [X.], 32). Nach § 9 Abs. 5 EStG sind die aufgeführten Regelungen bei der Ermittlung der Einkünfte des [X.] aus nichtselbständiger Arbeit sinngemäß anzuwenden.

a) Nach der Rechtsprechung des Senats ist nach den genannten Bestimmungen erwerbsbedingter Verpflegungsmehraufwand einkommensteuerrechtlich zu berücksichtigen, wenn sich der Arbeitnehmer aus beruflichen Gründen auf einer Auswärtstätigkeit befunden hat (s. dazu Senatsurteile vom 17. Juni 2010 [X.]/08, [X.], 147, [X.], 852; vom 17. Juni 2010 [X.], [X.], 533; jeweils m.w.N.). Ein auf einem Schiff eingesetzter Seemann übt eine Fahrtätigkeit aus und befindet sich auf Auswärtstätigkeit (Senatsurteile vom 19. Dezember 2005 [X.], [X.], 218, [X.], 378; vom 16. November 2005 [X.], [X.], 64, [X.], 267; [X.]/[X.], EStG, 29. Aufl., § 19 Rz 60, Stichwort Fahrtätigkeit, m.w.N.).

b) Danach ist der Kläger zeitlich unbegrenzt grundsätzlich zum Abzug erwerbsbedingter Mehraufwendungen für die Verpflegung berechtigt. Die Dreimonatsfrist des § 9 Abs. 5 i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 5 EStG kommt bei einer Fahrtätigkeit, auch wenn diese auf einem Schiff ausgeübt wird, nicht zur Anwendung. Der Abzug von Verpflegungsmehraufwand ist nur bei einer längerfristigen vorübergehenden Tätigkeit "an derselben Tätigkeitsstätte" auf die ersten drei Monate beschränkt. Zwar können solche Tätigkeiten in Gestalt einer Auswärtstätigkeit nach Satz 2 der Vorschrift auch im Zuge einer Einsatzwechseltätigkeit (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 3 EStG) vorkommen (BFH-Urteil vom 27. Juli 2004 [X.], [X.], 196, [X.], 357). Übt aber ein Arbeitnehmer auf einem Fahrzeug oder einem Schiff eine Fahrtätigkeit aus, so handelt es sich dabei nicht um eine auswärtige Tätigkeitsstätte. Dies ergibt sich schon daraus, dass in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 3 EStG zwischen "Tätigkeitsstätte" und "Fahrzeug" unterschieden wird. Im Übrigen setzt eine Tätigkeitsstätte eine in der Regel ortsfeste Einrichtung voraus.

Die Beschränkung der Dreimonatsfrist auf Tätigkeiten an einer ortsfesten Einrichtung erscheint auch sachgerecht. Liegt eine auf längerfristige Tätigkeit an einer solchen Einrichtung angelegte Arbeitsstätte vor, kann sich der Arbeitnehmer typischerweise nach einer Übergangszeit auf die [X.] dort einstellen, die Höhe der Kosten beeinflussen und damit den "Mehr"-Aufwand minimieren oder sogar vermeiden (Senatsurteil in [X.], 352, [X.], 32; s. auch Senatsurteil in [X.], 147, [X.], 852, m.w.N.). Davon kann regelmäßig in gleicher Weise bei einem Arbeitnehmer, der eine Fahrtätigkeit ausübt, auch dann nicht ausgegangen werden, wenn er auf einem Schiff eingesetzt ist.

Soweit der Senat bislang eine andere Auffassung vertreten hat (s. Senatsentscheidung in [X.], 218, [X.], 378), hält er daran nicht mehr fest. Der Senat ist zwar nach wie vor der Auffassung, dass im Rahmen des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 EStG grundsätzlich nicht zwischen bestimmten Formen von [X.] unterschieden werden kann (s. dazu BFH-Urteile in [X.], 218, [X.], 378; in [X.], 196, [X.], 357). Allerdings ergibt sich aus den genannten Erwägungen hinsichtlich der Nichtanwendung der Dreimonatsfrist auf die Fahrtätigkeit insoweit eine gewisse Sonderstellung dieser Auswärtstätigkeit.

c) Hinsichtlich der Höhe der Mehraufwendungen für Verpflegung begegnet die angefochtene Entscheidung keinen Bedenken.

Nach den Feststellungen des [X.] war der Kläger im Streitjahr an 170 Tagen ganztägig im Einsatz. Dazu kommen die Tage der An- und Abreise (14) zum bzw. vom Liegeplatz mit einer Abwesenheit von jeweils mindestens 14 Stunden. Entsprechend den in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 2 EStG für [X.] genannten Pauschalen beläuft sich die Gesamthöhe der Pauschalen damit auf 4.248 €. Da dies dem Antrag des [X.] entspricht, kann dahinstehen, ob und in welchem Umfang er auch die für Auslandsreisen geltenden, möglicherweise höheren Pauschbeträge entsprechend § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 4 EStG hätte in Anspruch nehmen können (s. dazu etwa [X.] der Lohnsteuer-Richtlinien 2005; Urteil des [X.] Düsseldorf vom 28. September 2007  18 K 638/06 E, [X.] 2008, 673).

Meta

VI R 66/10

24.02.2011

Bundesfinanzhof 6. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern, 26. Mai 2010, Az: 3 K 393/09, Urteil

§ 4 Abs 5 S 1 Nr 5 S 5 EStG 2002, § 9 Abs 5 EStG 2002

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 24.02.2011, Az. VI R 66/10 (REWIS RS 2011, 9076)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 9076

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

III R 94/10 (Bundesfinanzhof)

(Verpflegungsmehraufwandspauschale für einen Unternehmensberater - Dreimonatsfrist bei einer längerfristigen vorübergehenden Auswärtstätigkeit an derselben Tätigkeitsstätte ist …


VI R 41/12 (Bundesfinanzhof)

Verpflegungsmehraufwand für Leiharbeitnehmer


VI R 27/19 (Bundesfinanzhof)

Kürzung der Verpflegungspauschalen im Fall der Mahlzeitengestellung auch dann, wenn der Steuerpflichtige nicht über eine …


VI R 95/13 (Bundesfinanzhof)

Mehraufwendungen für die Verpflegung bei Einsatz an ständig wechselnden Tätigkeitsstätten


VI R 27/12 (Bundesfinanzhof)

(Teilweise inhaltsgleich mit BFH-Urteil vom 08.08.2013 VI R 72/12 - Keine regelmäßige Arbeitsstätte bei befristeter …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Literatur & Presse BETA

Diese Funktion steht nur angemeldeten Nutzern zur Verfügung.

Anmelden
Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.