Bundesfinanzhof, Urteil vom 24.05.2022, Az. IX R 28/21

9. Senat | REWIS RS 2022, 6152

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Gegenstand

(Privates Veräußerungsgeschäft bei unentgeltlicher Überlassung einer Wohnung an nicht nach § 32 EStG berücksichtigungsfähige Kinder)


Leitsatz

NV: Eine Wohnung, die der Steuerpflichtige unentgeltlich an (leibliche) Kinder überlässt, die im maßgeblichen Zeitraum des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3  2. Alternative EStG nicht (mehr) nach § 32 EStG berücksichtigungsfähig sind, wird nicht "zu eigenen Wohnzwecken" genutzt.

Tenor

Die Revision der Kläger gegen das Urteil des [X.] vom 16.06.2021 - 9 K 16/20 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens haben die Kläger zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Streitig ist, ob --und gegebenenfalls in welcher Höhe-- die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) im Streitjahr (2016) mit der Veräußerung einer Wohnung in [X.] einen Gewinn aus einem privaten Veräußerungsgeschäft (§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes --EStG--) erzielt hat oder ob der [X.]efreiungstatbestand des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG erfüllt ist, weil die Wohnung im [X.]raum zwischen Erwerb und Veräußerung von den leiblichen Kindern der Kläger (A, [X.] und [X.]) bewohnt worden ist.

2

Die Klägerin wird im Streitjahr mit ihrem Ehemann, dem Kläger und Revisionskläger (Kläger), zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr erklärten die Kläger lediglich Einkünfte des [X.] aus nichtselbständiger Arbeit sowie Einkünfte aus Kapitalvermögen. Der [X.]eklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt --[X.]--) erließ unter dem 18.05.2017 einen gemäß § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung ([X.]) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr, in dem er den Angaben der Kläger in ihrer Einkommensteuererklärung im Wesentlichen folgte.

3

Durch eine Veräußerungsanzeige erhielt das [X.] von dem Umstand Kenntnis, dass die Klägerin durch notariell beurkundeten Kaufvertrag vom 14.12.2016 eine Wohnung in [X.] zum [X.] (einschließlich … € für mitverkaufte Gegenstände) veräußert hatte. Auf Nachfrage teilten die Kläger mit, es habe sich bei der Veräußerung ihrer Auffassung nach um ein nicht einkommensteuerpflichtiges Veräußerungsgeschäft gehandelt. Die Wohnung sei im April 2010 zum Kaufpreis von … € erworben worden und im [X.]raum zwischen Erwerb und Veräußerung von den im Mai 1989 geborenen [X.] der Kläger --den [X.] und [X.]-- im Rahmen ihres Studiums in [X.] zu Wohnzwecken genutzt worden. Jeder der Söhne habe über [X.] zur eigenen Nutzung verfügt. Darüber hinaus habe es ein gemeinsames Wohnzimmer sowie eine gemeinsam genutzte Küche gegeben. [X.] sei von dem im Dezember 1991 geborenen dritten [X.] ([X.]) zunächst an einigen Wochenenden genutzt worden. Ab dem Wintersemester 2011 habe [X.] sich vermehrt in der Wohnung aufgehalten und ab Oktober 2013 sei er nach [X.] gezogen. Während eines halbjährigen Auslandsaufenthalts der [X.] und [X.] hätten diese [X.] "wohl untervermietet" und die Einnahmen zur [X.]egleichung ihrer Lebenshaltungskosten im Ausland verwendet. Die Klägerin habe aus der Wohnung keine Einnahmen erzielt.

4

Das [X.] vertrat die Auffassung, dass die Klägerin mit der Veräußerung der Wohnung in [X.] den Tatbestand eines privaten [X.] (§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG) erfüllt habe. Zwar seien Wohnungen, die im [X.]raum zwischen Anschaffung und Veräußerung ausschließlich zu eigenen Wohnzwecken oder im Jahr der Veräußerung und in den beiden vorangegangenen Jahren zu eigenen Wohnzwecken genutzt würden, nach der [X.]efreiungsvorschrift des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG von der [X.]esteuerung ausgenommen; eine "Nutzung zu eigenen Wohnzwecken" liege in diesem Zusammenhang auch vor, wenn der Steuerpflichtige die Wohnung einem Kind, für das er einen Anspruch auf Kindergeld habe, unentgeltlich zu Wohnzwecken überlassen habe. Die unentgeltliche Überlassung an andere --gegebenenfalls auch unterhaltsberechtigte-- Angehörige stelle indes keine Nutzung in diesem Sinne dar. Für die [X.] und [X.] hätten die Kläger lediglich bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres im Mai 2014 einen Anspruch auf Kindergeld gehabt. Daher sei die Wohnung ab Juni 2014 nicht mehr im Sinne der [X.]efreiungsvorschrift des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG zu eigenen Wohnzwecken genutzt worden, auch wenn die Kläger hinsichtlich des dritten [X.]es [X.] noch bis Ende 2016 kindergeldberechtigt gewesen seien. Unter dem 12.03.2019 erließ das [X.] einen gemäß § 164 Abs. 2 [X.] geänderten Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr, in dem ein Veräußerungsgewinn aus dem Verkauf der Wohnung in [X.] in Höhe von (Veräußerungspreis … € ./. Anschaffungskosten … € =) … € berücksichtigt wurde.

5

Der Einspruch der Kläger hatte nur insoweit Erfolg, als das [X.] Anschaffungskosten in Höhe von … € und mithin einen Gewinn aus privaten Veräußerungsgeschäften in Höhe von (… € ./. … € =) … € ansetzte.

6

Das Finanzgericht ([X.]) wies die Klage mit seiner in Entscheidungen der Finanzgerichte ([X.]) 2022, 670 veröffentlichten Entscheidung als unbegründet ab.

7

Hiergegen richtet sich die Revision der Kläger. Sie vertreten die Auffassung, dass die Veräußerung der Wohnung nach der [X.]efreiungsvorschrift des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG von der [X.]esteuerung gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 EStG ausgenommen sei. Im Streitfall führe die Unterhaltsverpflichtung der Kläger und die Nutzung der Immobilie durch die eigenen Kinder --auch mit [X.]lick auf die Regelung in Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes ([X.] zur tatbestandlichen "Eigennutzung" i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG, ohne dass es auf eine Kindergeldberechtigung ankomme. Die vorliegende Situation sei der Situation gleichzustellen, in der der Steuerpflichtige (hier: die Klägerin) die Wohnung unmittelbar selbst bezogen hätte; denn der Steuerpflichtige könne mehrere Wohnungen selbst zu Wohnzwecken nutzen. Vor diesem Hintergrund sei die Wohnung in der [X.] zwischen Anschaffung und Veräußerung i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG "ausschließlich zu Wohnzwecken" durch unterhaltsberechtigte Kinder der Kläger eigengenutzt worden. Ersatzweise sei entweder die Steuerbefreiung des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG anteilig ("pro rata temporis") für die Jahre bis 2014 zu gewähren, in denen die tatbestandlichen Voraussetzungen durch die Überlassung an die [X.] und [X.] unstreitig --auch nach Auffassung des [X.]-- vorgelegen hätten, oder die Steuer aus [X.]illigkeitsgründen abweichend festzusetzen.

8

Die Kläger beantragen sinngemäß,
den Einkommensteuerbescheid 2016 vom 12.03.2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14.01.2020 dahin zu ändern, dass keine Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften berücksichtigt werden,
hilfsweise,
das Urteil des [X.] vom 16.07.2020 - 9 K 16/20 aufzuheben und die Sache an das [X.] zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

9

Das [X.] beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Nach Auffassung des [X.] reicht die zivilrechtliche Unterhaltspflicht der Eltern gegenüber den Kindern --ohne Vorliegen der Voraussetzungen des § 32 EStG-- für die Erfüllung des Tatbestands des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG ("...Nutzung zu eigenen Wohnzwecken...") nicht aus. Eine Nutzung des Eigentümers zu eigenen Wohnzwecken sei vielmehr (nur) dann anzunehmen, wenn die Wohnung von Kindern bewohnt werde, die bei ihm [X.] berücksichtigt würden; demgegenüber liege eine Nutzung zu eigenen Wohnzwecken nicht vor, wenn die Wohnung (teilweise) unentgeltlich an Dritte überlassen werde. Dritte in diesem Sinne seien dann aber auch jene Kinder, für die kein Anspruch auf Kindergeld oder Kinderfreibetrag (mehr) bestehe; die verfassungsrechtliche [X.]estimmung des Art. 6 Abs. 1 GG stehe diesem Ergebnis nicht entgegen. Für die von den Klägern ersatzweise begehrte abweichende [X.]erechnung des Veräußerungsgewinns im Sinne einer "pro-rata-temporis-Regelung" bestehe keine Rechtsgrundlage. Die von den Klägern begehrte abweichende Steuerfestsetzung aus [X.]illigkeitsgründen sei nicht Gegenstand des vorliegenden Festsetzungsverfahrens.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 [X.]bs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Das [X.] hat zu Recht angenommen, dass die Klägerin im Streitjahr den Tatbestand eines privaten [X.]S. des § 23 [X.]bs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 EStG verwirklicht hat (dazu unter 1.). Entgegen der [X.]nsicht der Revision wurde die Wohnung in [X.] im maßgeblichen Zeitraum nicht zu "eigenen Wohnzwecken" genutzt; die Veräußerung ist mithin nicht nach § 23 [X.]bs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG von der [X.]esteuerung ausgenommen (dazu unter 2.).

1. Die Klägerin hat im Streitjahr den Tatbestand der Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften gemäß § 22 Nr. 2 i.V.m. § 23 [X.]bs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 EStG verwirklicht.

a) Nach § 22 Nr. 2 EStG zählen zu den sonstigen Einkünften (§ 2 [X.]bs. 1 Satz 1 Nr. 7 EStG) auch Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften i.S. des § 23 EStG. Dazu gehören gemäß § 23 [X.]bs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG Veräußerungsgeschäfte bei Grundstücken und Rechten, die den Vorschriften des bürgerlichen Rechts über Grundstücke unterliegen (z.[X.]. Erbbaurecht, Mineralgewinnungsrecht), bei denen der Zeitraum zwischen [X.]nschaffung und Veräußerung nicht mehr als zehn Jahre beträgt.

b) [X.]usgenommen sind Wirtschaftsgüter, die im Zeitraum zwischen [X.]nschaffung oder Fertigstellung und Veräußerung ausschließlich zu eigenen Wohnzwecken (1. [X.]lternative) oder im Jahr der Veräußerung und in den beiden vorangegangenen Jahren zu eigenen Wohnzwecken (2. [X.]lternative) genutzt wurden (§ 23 [X.]bs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG). Die Freistellung nach § 23 [X.]bs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG bewirkt eine Rückausnahme von der [X.], den Grundsatz der im Dualismus der Einkunftsarten verankerten Nichtsteuerbarkeit von [X.] privater Wirtschaftsgüter durchbrechenden Steuerbarkeit privater Veräußerungsgeschäfte (Urteil des [X.] --[X.]FH-- vom 01.03.2021 - IX R 27/19, [X.], 393, [X.] 2021, 680, Rz 12; [X.]/[X.]/[X.], § 23 EStG Rz 10; [X.] EStG/[X.], 12. Ed. [01.03.2022], EStG § 23 Rz 6).

aa) Die Senatsrechtsprechung hat den [X.]usdruck "Nutzung zu eigenen Wohnzwecken" in der dem Dualismus der Einkunftsarten wieder Geltung verschaffenden [X.]usnahmeregelung des § 23 [X.]bs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG --entsprechend deren Zweck, die [X.]esteuerung eines Veräußerungsgewinns bei [X.]ufgabe eines Wohnsitzes (z.[X.]. wegen eines [X.]rbeitsplatzwechsels) zu vermeiden ([X.]TDrucks 14/265, S. 181)-- stets sehr weit gefasst und eigenständig ausgelegt. Danach setzt der [X.]usdruck "Nutzung zu eigenen Wohnzwecken" in beiden [X.]lternativen des § 23 [X.]bs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG voraus, dass eine Immobilie zum [X.]ewohnen dauerhaft geeignet ist und vom Steuerpflichtigen auch bewohnt wird. Der Steuerpflichtige muss das Gebäude zumindest auch selbst nutzen; unschädlich ist, wenn er es gemeinsam mit seinen Familienangehörigen oder einem Dritten bewohnt ([X.]FH-Urteil in [X.], 393, [X.] 2021, 680, Rz 14, m.w.N.; vgl. auch [X.]FH-Urteile vom 18.01.2006 - IX R 18/03, [X.], 936, unter [X.], Rz 10; vom 25.05.2011 - IX R 48/10, [X.], 72, [X.] 2011, 868, Rz 12; vom 27.06.2017 - IX R 37/16, [X.], 490, [X.] 2017, 1192, Rz 12; vom [X.] - IX R 6/18, [X.], 1227, Rz 16; vom [X.] - IX R 8/18, [X.], 173, [X.] 2020, 122, Rz 22; vom [X.] – [X.], [X.], 507, [X.] 2020, 310, Rz 10; [X.] vom 28.05.2002 - IX [X.] 208/01, [X.] 2002, 1284, unter [X.], zu § 4 des Eigenheimzulagengesetzes ([X.]); Schreiben des [X.] vom [X.], [X.], 1383, Rz 22).

Ein Gebäude wird auch dann zu eigenen Wohnzwecken genutzt, wenn es der Steuerpflichtige nur zeitweilig bewohnt, sofern es ihm in der übrigen Zeit als Wohnung zur Verfügung steht (vgl. [X.]FH-Urteile vom 31.05.1995 - X R 140/93, [X.], 140, [X.] 1995, 720, beginnend unter den Entscheidungsgründen ab 2.; vom 28.03.1990 - X R 160/88, [X.], 481, [X.] 1990, 815, beginnend unter den Entscheidungsgründen ab 2.a, beide jeweils zu § 10e EStG; vom 23.07.1997 - X R 143/94, [X.] 1998, 160, unter [X.]; [X.] in [X.] 2002, 1284, unter [X.]; [X.]FH-Urteil vom 28.11.2001 - X R 27/01, [X.], 218, [X.] 2002, 145, unter [X.]). Denn eine Nutzung zu "eigenen Wohnzwecken" setzt weder die Nutzung als Hauptwohnung voraus noch muss sich dort der Schwerpunkt der persönlichen und familiären Lebensverhältnisse befinden. Ein Steuerpflichtiger kann deshalb mehrere Gebäude gleichzeitig zu eigenen Wohnzwecken nutzen. Erfasst sind daher auch Zweitwohnungen, nicht zur Vermietung bestimmte Ferienwohnungen und Wohnungen, die im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung genutzt werden. Ist deren Nutzung auf Dauer angelegt, kommt es nicht darauf an, ob der Steuerpflichtige noch eine (oder mehrere) weitere Wohnung(en) hat und wie oft er sich darin aufhält ([X.]FH-Urteil in [X.], 393, [X.] 2021, 680, Rz 15, m.w.N.). Eine sich auf mehrere Wohnungen beziehende Nutzung zu Wohnzwecken kann gerade auch dann vorliegen, wenn sich der Haushalt einer Familie auf mehrere Örtlichkeiten --etwa auf Familienwohnsitz einerseits und den doppelten Haushalt am Ort der [X.]erufstätigkeit sowie einen weiteren Haushalt am Studienort von [X.] zu berücksichtigenden Kindern andererseits-- verteilt.

bb) Keine Nutzung "zu eigenen Wohnzwecken" liegt vor, wenn der Steuerpflichtige die Wohnung entgeltlich oder unentgeltlich an einen Dritten überlässt, ohne sie zugleich selbst zu bewohnen ([X.]FH-Urteile in [X.], 490, [X.] 2017, 1192, Rz 12, und in [X.], 393, [X.] 2021, 680, Rz 14). Hingegen ist eine Nutzung zu eigenen Wohnzwecken --wie im [X.]nwendungsbereich des § 10e EStG und des § 4 [X.]-- zu bejahen, wenn der Steuerpflichtige Teile einer zu eigenen Wohnzwecken genutzten Wohnung oder die Wohnung insgesamt einem [X.] zu berücksichtigenden Kind unentgeltlich zur teilweisen oder alleinigen Nutzung überlässt. Die Nutzung der Wohnung durch das Kind ist dem Eigentümer in diesem Fall als eigene zuzurechnen, weil es ihm im Rahmen seiner unterhaltsrechtlichen Verpflichtung obliegt, für die Unterbringung des Kindes zu sorgen ([X.]FH-Urteile in [X.], 1227, Rz 18; vom 18.01.2011 - X R 13/10, [X.] 2011, 974, Rz 14, m.w.N., zu § 10f [X.]bs. 1 EStG).

cc) Überlässt der Steuerpflichtige die Wohnung nicht ausschließlich einem [X.] zu berücksichtigenden Kind (oder mehreren [X.] zu berücksichtigenden Kindern) unentgeltlich zur Nutzung, sondern zugleich einem Dritten, liegt keine begünstigte Nutzung des Steuerpflichtigen zu eigenen Wohnzwecken vor.

2. Die Klägerin hat im Streitjahr die Merkmale des Tatbestands der Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften gemäß § 22 Nr. 2 i.V.m. § 23 [X.]bs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 EStG verwirklicht, indem sie die im [X.]pril 2010 angeschaffte Wohnung in [X.] mit notariell beurkundetem Kaufvertrag vom 14.12.2016 wieder veräußert hat; dies ist zwischen den [X.]eteiligten nicht weiter streitig. Das [X.] ist auch zu Recht davon ausgegangen, dass die Veräußerung der Wohnung in [X.] der [X.]esteuerung unterfällt; denn im Streitfall ist der [X.]efreiungstatbestand des § 23 [X.]bs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG nicht erfüllt.

a) Nach den eingangs dargestellten Grundsätzen stellt die Überlassung einer Wohnung zur teilweisen oder alleinigen Nutzung an ein unterhaltsberechtigtes Kind eine Form der dem Steuerpflichtigen zuzurechnenden "mittelbaren Eigennutzung" dar ([X.]FH-Urteil in [X.], 1227, Rz 18; vgl. auch [X.]FH-Urteile vom 26.01.1994 - X R 94/91, [X.], 345, [X.] 1994, 544, unter 1.a, zu § 10e EStG; in [X.] 2011, 974, Rz 14, zu § 10f EStG). Nach den nicht mit Revisionsrügen angegriffenen und mithin den Senat gemäß § 118 [X.]bs. 2 [X.]O bindenden Feststellungen des [X.] hat die Klägerin die Wohnung in [X.] seit dem Erwerb im [X.]pril 2010 zunächst den im Mai 1989 geborenen [X.] und [X.] zu diesem Zeitpunkt noch nach § 32 EStG [X.] bei der Veranlagung der Kläger zu berücksichtigen waren-- im Rahmen ihrer Studien zur Nutzung überlassen. (Spätestens) ab 2013 hat die Klägerin die Wohnung zusätzlich auch dem [X.] unentgeltlich zu Wohnzwecken überlassen.

b) Der [X.]efreiungstatbestand des § 23 [X.]bs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG wird im Streitfall indes durch den Umstand ausgeschlossen, dass die [X.] und [X.] ab Juni 2014 --nach der Vollendung ihres 25. Lebensjahres (§ 32 [X.]bs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG)-- bis zur Veräußerung der Wohnung nicht mehr nach § 32 EStG [X.] bei der Veranlagung der Kläger zu berücksichtigen waren.

aa) Ob der Zurechnung einer "mittelbaren" Nutzung zu eigenen Wohnzwecken --in Form der Nutzung durch das [X.] zu berücksichtigende Kind [X.] im Jahr der Veräußerung und in den beiden vorangegangenen Jahren, § 23 [X.]bs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 2. [X.]lternative EStG -- die fortdauernde Mitbenutzung der Wohnung durch die im maßgeblichen Zeitraum nicht mehr nach § 32 EStG [X.] zu berücksichtigen [X.] und [X.] entgegensteht, ist umstritten. In Rechtsprechung und Schrifttum wird einerseits die [X.]uffassung vertreten, dass im Fall der Nutzungsüberlassung an ein [X.] zu berücksichtigendes Kind die Mitbenutzung der Wohnung durch andere (auch unterhaltsberechtigte) [X.]ngehörige --etwa ein [X.] nicht zu berücksichtigendes Kind oder die/der ehemalige Lebensgefährtin/e und Kindesmutter/-vater-- entgegensteht (so [X.]/[X.]/[X.], § 23 EStG Rz 51; in diesem Sinne auch [X.] EStG/[X.], 12. Ed. [01.03.2022], § 23 Rz 184, zur Nutzung durch getrennt lebende Ehepartner oder Eltern; [X.] in Kirchhof/Seer, EStG, 21. [X.]ufl., § 23 Rz 6; [X.], Neue Wirtschafts-[X.]riefe 2001, 567, 584, zur Nutzung durch andere, auch unterhaltsberechtigte [X.]ngehörige; Hessisches [X.] vom 30.09.2015 - 1 K 1654/14, E[X.] 2016, 201, rechtskräftig, zur Nutzung durch die ehemalige Lebensgefährtin und Kindesmutter mit unterhaltsberechtigtem Kind; Niedersächsisches [X.] vom 04.03.2010 - 10 K 259/08, E[X.] 2010, 1133, zur Nutzung durch den volljährigen, [X.] nicht mehr zu berücksichtigenden [X.]). [X.]ndere Stimmen im Schrifttum gehen davon aus, dass im Fall der Nutzungsüberlassung an ein [X.] zu berücksichtigendes Kind die Mitbenutzung der Wohnung durch andere unterhaltsberechtigte [X.]ngehörige unschädlich sei (in diesem Sinne Wernsmann in [X.][X.] --[X.]--, EStG, § 23 Rz [X.] 49; [X.] in [X.]/[X.], Immobilien im Zivil- und Steuerrecht, 3. [X.]ufl., Rz 12.39; Sagmeister, [X.] --DStR-- 2011, 1589, 1591, für den Fall des § 1568a des [X.]ürgerlichen Gesetzbuchs unter Verweis auf [X.]rt. 6 [X.]bs. 1 GG; [X.], DStR 2002, 1065, 1067; [X.]/Wälzholz, [X.] 2001, 380, 386).

bb) Der erkennende Senat hält die fortdauernde Mitbenutzung der Wohnung durch die nicht mehr nach § 32 EStG [X.] zu berücksichtigenden Kinder [X.] und [X.] im Streitfall für schädlich.

aaa) Die höchstrichterliche Rechtsprechung zu § 10e EStG hat die Zurechnung der Wohnnutzung durch unterhaltsberechtigte Kinder (als "mittelbare Eigennutzung") damit begründet, dass der Steuerpflichtige die Wohnung nach dem Wortsinn auch dann zu eigenen Wohnzwecken nutzt, wenn er "in Erfüllung seiner unterhaltsrechtlichen Verpflichtung seinem Kind außerhalb des [X.] eine Wohnung zur Verfügung stellt". Die Nutzung der Wohnung durch das Kind ist dem Eigentümer als eigene zuzurechnen, weil es ihm obliegt, für die Unterbringung des Kindes zu sorgen ([X.]FH-Urteil in [X.], 345, [X.] 1994, 544, unter 1.b). Soweit die höchstrichterliche Rechtsprechung im Zusammenhang mit dem [X.]egriff der "eigenen Wohnzwecke" tatbestandlich auf die Vorschrift des § 32 EStG abgestellt hat, geschah dies vor dem Hintergrund der [X.]nnahme, dass der Gesetzgeber --aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung-- bei den nach dieser Vorschrift zu berücksichtigenden Kindern typisierend eine Unterhaltspflicht und das Entstehen von [X.]ufwendungen unterstellt. Eine Ermittlung im Einzelfall, ob dem Kind Unterhalt zu gewähren ist oder gegebenenfalls wegen eigener Einkünfte des Kindes keine Unterhaltspflicht besteht, sollte --auch wegen des damit für die Finanzbehörden und -gerichte verbundenen, nicht unerheblichen [X.] durch diese typisierende Wertung vermieden werden (so ausdrücklich [X.]FH-Urteil in [X.], 345, [X.] 1994, 544, unter 1.g, zu § 10e EStG).

bbb) Zwar ist das Merkmal "Nutzung zu eigenen Wohnzwecken" in § 23 [X.]bs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG im [X.]usgangspunkt so zu verstehen wie in § 10e EStG und § 4 [X.] ([X.]FH-Urteile vom 26.10.2021 - IX R 5/21, [X.]FHE 275, 36, [X.] 2022, 403, und in [X.], 936, unter [X.]). [X.]llerdings ist in diesem Zusammenhang auch die unterschiedliche Zweckrichtung der Tatbestände zu beachten. Zweck der gesetzlichen Freistellungsregelung des § 23 [X.]bs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG ist nicht der Erwerb von Wohnungseigentum durch möglichst viele [X.]ürger und damit die Förderung der Vermögensbildung (vgl. [X.]FH-Urteil in [X.], 481, [X.] 1990, 815, unter 2.a, zu § 10e EStG), sondern die Vermeidung der [X.]esteuerung eines Veräußerungsgewinns bei [X.]ufgabe eines Wohnsitzes und eine damit einhergehende [X.]ehinderung der beruflichen Mobilität ([X.]TDrucks 14/265, S. 181; [X.]FH-Urteil in [X.]FHE 275, 36, [X.] 2022, 403, Rz 25). Vor diesem Hintergrund setzt die [X.]nwendbarkeit des [X.] in § 23 [X.]bs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG entsprechend seiner Zweckrichtung dem Grunde nach voraus, dass eine [X.]esteuerung der beruflichen Mobilität des Steuerpflichtigen entgegenstünde, was regelmäßig dann der Fall ist, wenn der Unterhaltsberechtigte --d.h. das nach § 32 EStG zu berücksichtigende Kind-- im Falle eines beruflichen Wohnsitzwechsels des Steuerpflichtigen mitgehen würde (Wernsmann in [X.], EStG, § 23 Rz [X.] 49).

Unter [X.]erücksichtigung dieses Gesetzeszwecks hat die höchstrichterliche Rechtsprechung --in Fortsetzung ihrer Rechtsprechung zu §§ 10e, 10f EStG und § 4 [X.]-- die Regelung in § 23 [X.]bs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG dahin gedeutet, dass der [X.]egriff der "eigenen" Wohnzwecke nicht nur die Wohnzwecke des Steuerpflichtigen, sondern (mittelbar) auch die Wohnzwecke von Kindern, die nach § 32 EStG zu berücksichtigen sind, umfasst ([X.]FH-Urteil in [X.], 1227, Rz 18, m.w.N.); denn bei Kindern, für die der Steuerpflichtige kinderbezogene Leistungen beanspruchen kann, können auch das [X.]estehen einer Unterhaltspflicht und das Entstehen von [X.]ufwendungen typisierend unterstellt werden. Nach Maßgabe dieser typisierenden Wertung wird eine vom Steuerpflichtigen zu Unterhaltszwecken unentgeltlich bereitgestellte Wohnung dann nicht mehr i.S. des § 23 [X.]bs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG (mittelbar) zu "eigenen Wohnzwecken" (des Steuerpflichtigen) genutzt, wenn die Immobilie neben einem [X.] nach § 32 EStG zu berücksichtigenden Kind auch anderen --gegebenenfalls auch aufgrund bürgerlich-rechtlicher Vorschriften unterhaltsberechtigten-- [X.]ngehörigen überlassen wird. Vor diesem Hintergrund führt auch die (Mit-)Nutzung durch ein weiteres, wegen seines [X.]lters nicht (mehr) nach § 32 EStG [X.] zu berücksichtigendes Kind dazu, dass die Wohnung insgesamt nicht mehr als zu eigenen Wohnzwecken des Steuerpflichtigen genutzt anzusehen ist (vgl. [X.]FH-Urteil in [X.], 1227, Rz 23).

c) Nach den insoweit getroffenen, den Senat bindenden (§ 118 [X.]bs. 2 [X.]O) Feststellungen des [X.] hat die Klägerin ihre Wohnung in [X.] im Jahr der Veräußerung und in den beiden vorangegangenen Jahren nicht nur dem nach § 32 EStG [X.] zu berücksichtigenden Kind [X.], sondern auch den [X.] und [X.], für die die Kläger ab Juni 2014 keine kindbezogenen Leistungen mehr beanspruchen konnten, unentgeltlich zur Nutzung überlassen; der [X.]efreiungstatbestand des § 23 [X.]bs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3  2. [X.]lternative EStG ist mithin nicht erfüllt. Die Mitbenutzung der Wohnung durch [X.] und [X.] ist unbeschadet der Tatsache, dass die Klägerin für die Unterbringung der steuerlich nicht mehr berücksichtigungsfähigen Zwillinge durch die [X.]ereitstellung der Wohnung in [X.] gesorgt hat, schädlich.

d) Nach den gesetzlichen Regelungen in § 23 [X.]bs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 und § 23 [X.]bs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG besteht für eine von den Klägern hilfsweise begehrte zeitanteilige Steuerbefreiung ("pro rata temporis") für die Jahre bis 2014, in denen eine [X.]erechtigung zum [X.]ezug kindbezogener Leistungen (auch) hinsichtlich der [X.] und [X.] vorgelegen hat, keine Rechtsgrundlage.

e) Die von den Klägern begehrte abweichende Steuerfestsetzung aus [X.]illigkeitsgründen (§ [X.]) ist nicht Gegenstand des vorliegenden ([X.]esteuerungs-)Verfahrens, sondern gegebenenfalls in dem hierfür vorgesehenen Verfahren zu prüfen.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 [X.]bs. 2 [X.]O.

Meta

IX R 28/21

24.05.2022

Bundesfinanzhof 9. Senat

Urteil

vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 16. Juni 2021, Az: 9 K 16/20, Urteil

§ 23 Abs 1 S 1 Nr 1 S 1 EStG 2009, § 23 Abs 1 S 1 Nr 1 S 3 EStG 2009, § 10e EStG 2009, § 32 Abs 4 S 1 Nr 2 EStG 2009, § 4 EigZulG, § 63 Abs 1 S 2 EStG 2009, EStG VZ 2016

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 24.05.2022, Az. IX R 28/21 (REWIS RS 2022, 6152)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 6152

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IX R 10/19

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