Bundesgerichtshof, Urteil vom 19.11.2014, Az. IV ZR 329/14

4. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 1190

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Gegenstand

Rentenversicherungsvertrag im Policenmodell: Folgen einer unzureichenden Widerspruchsbelehrung


Tenor

Auf die Revision der Klägerseite wird das Urteil des 20. Zivilsenats des [X.] vom 3. Februar 2012 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert wird für das Revisionsverfahren auf 6.488,80 € festgesetzt.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerseite (Versicherungsnehmer/in: im Folgenden [X.]) begehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer) Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer Rentenversicherung nebst Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung.

2

Der Versicherungsvertrag wurde aufgrund eines Antrags [X.] mit Vertragsbeginn zum 1. Oktober 2001 nach dem so genannten Policenmodell des § 5a [X.] in der bei Antragstellung gültigen Fassung (im Folgenden § 5a [X.] a.F.) abgeschlossen. Mit Schreiben vom 9. März 2008 erklärte [X.] die Kündigung. Der Versicherer akzeptierte diese und zahlte den Rückkaufswert aus. Mit Schreiben vom 29. August 2008 erklärte [X.] den Widerspruch nach § 5a Abs. 1 Satz 1 [X.] a.F.

3

Mit der Klage verlangt [X.] - soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung - Rückzahlung aller auf den Vertrag geleisteten Beiträge nebst Zinsen abzüglich des bereits gezahlten [X.] (insgesamt 6.488,80 €).

4

Nach Auffassung [X.] ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam zustande gekommen. Auch nach Ablauf der Frist des - gegen Gemeinschaftsrecht verstoßenden - § 5a Abs. 2 Satz 4 [X.] a.F. habe der Widerspruch noch erklärt werden können.

5

Das [X.] hat die Klage abgewiesen, das [X.] die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt [X.] das Klagebegehren hinsichtlich des [X.] weiter.

Entscheidungsgründe

6

Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

7

I. Dieses hat einen Prämienrückerstattungsanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung verneint. Es hat die Auffassung vertreten, dass die Widerspruchsbelehrung unzureichend gewesen sei. Nach der gesetzlichen Regelung sei nicht allein der Erhalt des Versicherungsscheins ausschlaggebend für den Beginn des Laufs der Frist, sondern d. [X.] müssten auch die Versicherungsbedingungen und die Verbraucherinformation vorliegen. Dies verschweige die Belehrung; auch fehle der notwendige Hinweis auf die einzuhaltende Textform des Widerspruchs. Der Vertrag sei aber gemäß § 5a Abs. 2 Satz 4 [X.] a.F. ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie rückwirkend endgültig wirksam geworden.

8

II. Die Revision ist begründet.

9

1. Der Anspruch auf Prämienrückzahlung folgt dem Grunde nach aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB.

a) Der zwischen den Parteien geschlossene Versicherungsvertrag schafft keinen Rechtsgrund für die Prämienzahlung. Er ist infolge des Widerspruchs d. [X.] nicht wirksam zustande gekommen. Der Widerspruch war - ungeachtet des Ablaufs der in § 5a Abs. 2 Satz 4 [X.] a.F. normierten Jahresfrist - rechtzeitig.

aa) Wie das Berufungsgericht richtig gesehen hat, fehlte in der maßgeblichen Widerspruchsbelehrung in dem Policenbegleitschreiben der Hinweis auf die gemäß § 5a Abs. 1 Satz 1 [X.] in der ab dem 1. August 2001 gültigen Fassung erforderliche Textform des Widerspruchs sowie der Hinweis darauf, dass für den Beginn des Fristenlaufs d. [X.] nicht nur den Versicherungsschein sondern auch die Versicherungsbedingungen und die Verbraucherinformation erhalten haben muss. Mithin belehrte der Versicherer d. [X.] nicht ordnungsgemäß i.S. von § 5a Abs. 2 Satz 1 [X.] a.F. über das Widerspruchsrecht. Für einen solchen Fall bestimmte § 5a Abs. 2 Satz 4 [X.] a.F. zwar, dass das Widerspruchsrecht ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erlischt.

Das Widerspruchsrecht bestand hier aber nach Ablauf der Jahresfrist und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort.

Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2 Satz 4 [X.] a.F. auf der Grundlage der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der [X.] vom 19. Dezember 2013 ([X.], 225). Der Senat hat mit Urteil vom 7. Mai 2014 ([X.], [X.], 817 Rn. 17-34 für [X.] vorgesehen) entschieden und im Einzelnen begründet, die Regelung müsse richtlinienkonform [X.] dergestalt reduziert werden, dass sie im Anwendungsbereich der [X.] und der [X.] keine Anwendung findet und für davon erfasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen zur Lebensversicherung grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht, wenn d. [X.] - wie hier - nicht ordnungsgemäß über das Recht zum Widerspruch belehrt worden ist und/oder die Verbraucherinformation oder die Versicherungsbedingungen nicht erhalten hat.

bb) Die erklärte Kündigung des Versicherungsvertrages steht dem Widerspruch nicht entgegen (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 36 m.w.N.). Ein Erlöschen des Widerspruchsrechts nach beiderseits vollständiger Leistungserbringung kommt ebenfalls nicht in Betracht (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 37 m.w.N.).

b) Die bereicherungsrechtlichen Rechtsfolgen der Europarechtswidrigkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 [X.] a.F. sind nicht auf eine Wirkung ab Zugang des Widerspruchs (ex nunc) zu beschränken, sondern nur eine Rückwirkung entspricht dem [X.] (dazu im Einzelnen Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 42-44).

2. Der Höhe nach umfasst der [X.] nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien. Vielmehr muss sich d. [X.] bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung den jedenfalls bis zur Kündigung des Vertrages genossenen Versicherungsschutz anrechnen lassen. Der Wert des Versicherungsschutzes kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation bemessen werden; bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil Bedeutung zukommen (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 45 m.w.N.).

Da es hierzu an Feststellungen fehlt, ist der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Es wird den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu geben haben (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 46).

Mayen                            Harsdorf-Gebhardt                                      Dr. Karczewski

                [X.] Brockmöller

Meta

IV ZR 329/14

19.11.2014

Bundesgerichtshof 4. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Köln, 3. Februar 2012, Az: 20 U 123/11, Urteil

§ 5a Abs 2 S 1 VVG vom 13.07.2001, § 5a Abs 2 S 4 VVG vom 13.07.2001, § 812 Abs 1 S 1 Alt 1 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 19.11.2014, Az. IV ZR 329/14 (REWIS RS 2014, 1190)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 1190

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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