Bundesgerichtshof, Urteil vom 07.09.2016, Az. IV ZR 306/14

4. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 5832

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Gegenstand

Altvertrag über eine Rentenversicherung im Policenmodell: Fehlerhafte Widerspruchsbelehrung und Widerspruchsrechtsausübung nach jahrelanger Vertragsdurchführung; bereicherungsrechtliche Rückabwicklung


Tenor

Auf die Revision der Klägerseite wird das Urteil des 20. Zivilsenats des [X.] vom 11. Juli 2014 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert wird für das Revisionsverfahren auf 7.285 € festgesetzt.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerseite (Versicherungsnehmerin: im Folgenden d. [X.]) begehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer) Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer Rentenversicherung.

2

Diese wurde aufgrund eines Antrags d. [X.] mit Versicherungsbeginn zum 1. November 1998 nach dem so genannten Policenmodell des § 5a [X.] in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden § 5a [X.] a.F.) abgeschlossen. D. [X.] erhielt mit dem Versicherungsschein die Versicherungsbedingungen und eine Verbraucherinformation nach § 10a des Versicherungsaufsichtsgesetzes ([X.]) sowie ein Anschreiben, das eine Belehrung über das Widerspruchsrecht gemäß § 5a Abs. 2 Satz 1 [X.] a.F. enthielt. Mit Schreiben vom 13. Januar 2012 erklärte sie den Widerspruch gemäß § 5a [X.] a.F. und hilfsweise die Kündigung des Vertrages. Der Versicherer akzeptierte die Kündigung und zahlte den Rückkaufswert aus.

3

Mit der Klage verlangt d. [X.] Rückzahlung aller auf den Vertrag geleisteten Beiträge nebst Zinsen abzüglich des bereits gezahlten Rückkaufswerts.

4

Nach Auffassung d. [X.] ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam zustande gekommen, weil sie zum einen nicht ordnungsgemäß belehrt worden sei und zum anderen § 5a [X.] a.F. mit den [X.] der [X.] nicht vereinbar sei.

5

Das [X.] hat die Klage abgewiesen, das [X.] die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt d. [X.] das Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

6

Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

7

I. Dieses hat einen Prämienrückerstattungsanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung verneint. Der Versicherer habe d. [X.] inhaltlich noch hinreichend deutlich über das Widerspruchsrecht belehrt. Die Belehrung sei auch drucktechnisch ordnungsgemäß. D. [X.] hätte daher das Widerspruchsrecht innerhalb von 14 Tagen nach Zugang der Unterlagen ausüben müssen. § 5a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 [X.] a.F. stehe im Einklang mit [X.] Recht.

8

II. Die Revision ist begründet.

9

1. Ein Anspruch auf Prämienrückzahlung aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB kann d. [X.] nicht mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung versagt werden.

a) Der zwischen den Parteien geschlossene Versicherungsvertrag schafft keinen Rechtsgrund für die Prämienzahlung. Er ist infolge des Widerspruchs d. [X.] nicht wirksam zustande gekommen. Der Widerspruch war - ungeachtet des Ablaufs der in § 5a Abs. 2 Satz 4 [X.] a.F. normierten Jahresfrist - rechtzeitig.

aa) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts belehrte der Versicherer d. [X.] nicht ordnungsgemäß im Sinne von § 5a Abs. 2 Satz 1 [X.] a.F. über das Widerspruchsrecht. Die Widerspruchsbelehrung in dem maßgeblichen Policenbegleitschreiben genügt diesen inhaltlichen Anforderungen nicht, weil sie den Fristbeginn nur an die "Überlassung der Unterlagen" knüpft. Es fehlt eine eindeutige Benennung der nach § 5a Abs. 2 Satz 1 [X.] a.F. fristauslösenden Unterlagen. Danach beginnt der Lauf der Frist erst, wenn dem Versicherungsnehmer der Versicherungsschein und die Unterlagen nach § 5a Abs. 1 [X.] a.F. vollständig vorliegen; zu diesen Unterlagen gehören die Versicherungsbedingungen und die Verbraucherinformation nach § 10a [X.]. Diese werden nicht benannt und entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ergibt sich für d. [X.] auch nicht unter Einbeziehung des Gesamtinhaltes des Policenbegleitschreibens, welche Unterlagen ihm überlassen worden sein müssen, damit die Widerspruchsfrist in Gang gesetzt wird. Denn auch dort werden sie nirgends aufgeführt. Insoweit unterscheidet sich der Streitfall von den Konstellationen, die den Entscheidungen in den Verfahren [X.] und [X.] zugrunde lagen.

Für einen solchen Fall einer nicht ordnungsgemäßen Widerspruchsbelehrung bestimmte § 5a Abs. 2 Satz 4 [X.] a.F. zwar, dass das Widerspruchsrecht ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erlischt. Das Widerspruchsrecht bestand hier aber nach Ablauf der Jahresfrist und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort.

Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2 Satz 4 [X.] a.F. auf der Grundlage der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der [X.] vom 19. Dezember 2013 ([X.], 225). Der Senat hat mit Urteil vom 7. Mai 2014 ([X.], [X.], 101 Rn. 17-34) entschieden und im Einzelnen begründet, die Regelung müsse richtlinienkonform teleologisch dergestalt reduziert werden, dass sie im Anwendungsbereich der [X.] und der [X.] keine Anwendung findet und für davon erfasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen zur Lebensversicherung grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht, wenn d. [X.]  wie hier  nicht ordnungsgemäß über das Recht zum Widerspruch belehrt worden ist und/oder die Verbraucherinformation oder die Versicherungsbedingungen nicht erhalten hat.

bb) Die hilfsweise Kündigung des [X.] steht dem Widerspruch nicht entgegen (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 36 m.w.N.). Ein Erlöschen des Widerspruchsrechts nach beiderseits vollständiger Leistungserbringung kommt ebenfalls nicht in Betracht (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 37 m.w.N.).

b) Die bereicherungsrechtlichen Rechtsfolgen der Europarechtswidrigkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 [X.] a.F. sind nicht auf eine Wirkung ab Zugang des Widerspruchs (ex nunc) zu beschränken, sondern nur eine Rückwirkung entspricht dem [X.] (dazu im Einzelnen Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 42-44).

2. Der Höhe nach umfasst der [X.] nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien. Vielmehr muss sich d. [X.] bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung den jedenfalls bis zur Kündigung des Vertrages genossenen Versicherungsschutz anrechnen lassen. Der Wert des Versicherungsschutzes kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation bemessen werden; bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil Bedeutung zukommen (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 45 m.w.N.).

Da es hierzu an Feststellungen fehlt, ist der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Es wird den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu geben haben (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 46) und dabei auch die Vorgaben der Senatsurteile vom 29. Juli 2015 ([X.], [X.], 1101 Rn. 35 ff.; [X.], [X.], 1104 Rn. 34 ff.) sowie vom 11. November 2015 ([X.], [X.], 33 Rn. 31 ff.) zu beachten haben.

[X.]                        [X.]                        Dr. Karczewski

              [X.]                                Dr. Brockmöller

Meta

IV ZR 306/14

07.09.2016

Bundesgerichtshof 4. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Köln, 11. Juli 2014, Az: 20 U 61/14, Urteil

§ 5a Abs 1 S 1 VVG vom 21.07.1994, § 5a Abs 2 S 1 VVG vom 21.07.1994, § 5a Abs 2 S 4 VVG vom 21.07.1994, § 10a VAG vom 21.07.1994, § 812 Abs 1 S 1 Alt 1 BGB, Art 15 Abs 1 S 1 EWGRL 619/90, Art 31 Abs 1 EWGRL 96/92

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 07.09.2016, Az. IV ZR 306/14 (REWIS RS 2016, 5832)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 5832


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. IV ZR 306/14

Bundesgerichtshof, IV ZR 306/14, 07.09.2016.


Az. 20 U 61/14

Oberlandesgericht Köln, 20 U 61/14, 11.07.2014.

Oberlandesgericht Hamm, 20 U 61/14, 25.06.2014.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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