Bundesgerichtshof, Beschluss vom 31.08.2017, Az. 4 StR 317/17

4. Strafsenat | REWIS RS 2017, 5901

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Gegenstand

Schwere Körperverletzung: Vorliegen einer „geistigen Krankheit“


Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] ([X.]) vom 5. Januar 2017 wird als unbegründet verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hatte den Angeklagten im ersten Rechtsgang wegen Bedrohung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt, das Verfahren wegen mehrerer Anklagevorwürfe eingestellt und den Angeklagten im Übrigen freigesprochen. Auf Revision des [X.] hob der [X.] mit Urteil vom 14. Januar 2016 das erstinstanzliche Urteil auf, soweit der Angeklagte vom Vorwurf der vorsätzlichen Körperverletzung (Fall 6 der Anklage) freigesprochen worden war, sowie im [X.] und soweit von der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus abgesehen worden war.

2

Im zweiten Rechtsgang hat das [X.] den Angeklagten nunmehr wegen schwerer Körperverletzung und wegen Bedrohung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt sowie seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die allgemeine Sachrüge gestützten Revision.

I.

3

Das [X.] hat bezüglich der Tat zum Nachteil des [X.] (Fall 6 der Anklage) nunmehr im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:

4

In der Nacht vom 15. auf den 16. August 2015 befand sich der Angeklagte auf dem Weinfest in [X.]     . Gegen 2:30 Uhr kam es dort zu einem kleineren Konflikt zwischen dem Nebenkläger und einem Bekannten des Angeklagten, dem [X.]    . Dieser versetzte dem Nebenkläger einen Stoß oder leichten Schlag, was der etwas entfernt stehende Angeklagte beobachtete. Er fühlte sich durch das aggressive Verhalten seines Bekannten animiert, gleichfalls körperlich auf den Nebenkläger einzuwirken. Er nahm Anlauf, sprang in Richtung des [X.] und schlug diesen mit der Faust gegen die Schläfe. Der Nebenkläger fiel hierdurch rücklings auf den asphaltierten Boden, wo er mit dem Hinterkopf aufschlug.

5

Durch den Sturz zog sich der Nebenkläger ein Schädelhirntrauma mit frontobasal beidseitiger Kontusionsblutung und eine Schädelfraktur zu. Dies führte zu einem organischen Psychosyndrom nach Schädel-Hirn-Trauma ([X.] F07.2), welches sich bis heute in erheblicher Weise auf das Leben des [X.] auswirkt. Er leidet an einer signifikanten Einschränkung des Konzentrationsvermögens und der Aufmerksamkeitszuwendung, einer gesteigerten Vergesslichkeit, einer Beeinträchtigung des Arbeitsgedächtnisses, einer gesteigerten Ermüdbarkeit, einer Reduktion der Frustrations- und [X.] sowie einem reduzierten [X.]. Zudem zeigt sich der Nebenkläger deutlich persönlichkeitsverändert, was insbesondere gekennzeichnet ist durch eine erhöhte Reizbarkeit mit teils paranoiden Zügen und durch eine Nivellierung der Emotionen. Weitere Folgeerscheinungen sind häufige, teils migräneartige Kopfschmerzen, ein Tinnitus, eine erhebliche Schädigung des Geruchssinns sowie gelegentliche Taubheitsgefühle in den [X.] und im Oberschenkel. Durch die genannten Beeinträchtigungen ist die Arbeitsfähigkeit des [X.] in seinem erlernten Beruf des Ingenieurs um mehr als 50 %, seine Erwerbsfähigkeit insgesamt jedoch um weniger als 50 % reduziert, ohne dass der [X.] eine genauere Bezifferung möglich gewesen wäre. Für die Zukunft sind allenfalls noch geringfügige Besserungen der Symptomatik zu erwarten. Der Eintritt dieser schweren Folgen war für den Angeklagten voraussehbar.

II.

6

Das Rechtsmittel des Angeklagten ist unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Erörterung bedarf lediglich das Folgende:

7

1. Die Verurteilung wegen schwerer Körperverletzung im Sinne von § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB hält rechtlicher Nachprüfung stand. Das [X.] ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Nebenkläger in eine geistige Krankheit verfallen ist (§ 226 Abs. 1 Nr. 3, 4. Var. StGB), nicht dagegen in Siechtum (2. Var.) oder eine geistige Behinderung (5. Var.).

8

a) Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen belegen das Vorliegen einer geistigen Krankheit im Sinne von § 226 Abs. 1 Nr. 3, 4. Var. StGB.

9

Da § 226 StGB allein die Folgen für das Tatopfer in den Blick nimmt, ist eine an medizinischen Kriterien orientierte Auslegung des Begriffs der geistigen Krankheit angezeigt, wonach im Ausgangspunkt sämtliche krankheitswertige Schäden an der psychischen Gesundheit erfasst werden (vgl. [X.], StGB, 60. Aufl., § 226 Rn. 13, MüKo-StGB/Hardtung, 2. Aufl., § 226 Rn. 40; [X.]., [X.], 1060, 1063). Dagegen wi[X.]präche es dem Sinn und Zweck der Vorschrift, den Begriff der „geistigen Krankheit“ inhaltlich an dem enger gefassten Merkmal der krankhaften seelischen Störung im Sinne des § 20 StGB auszurichten, da hier allein die tatbezogene Schuldfähigkeit des [X.] in Rede steht (an[X.] jedoch: NK-StGB/Paeffgen/Böse, 5. Aufl., § 226 Rn. 35; [X.]/[X.], 8. Aufl., 141. [X.]., § 226 Rn. [X.], [X.], 31, 38 - [X.], aaO, § 226 Rn. 13). Das bei dem Nebenkläger diagnostizierte organische Psychosyndrom - welches nach der [X.]-Klassifikation als psychische Krankheit eingeordnet wird (vgl. auch [X.]/[X.] in [X.]/[X.]/Leygraf/[X.], Handbuch der forensischen Psychiatrie, Band 2, 2010, [X.] ff.) - ist als krankheitswertiger psychischer Schaden somit vom Tatbestand erfasst.

Das bei dem Nebenkläger festgestellte Krankheitsbild weist auch den im Rahmen von § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB erforderlichen Schweregrad auf.

Aus dem Wortlaut der Vorschrift („verfallen“) und einem Vergleich zu den sonstigen [X.] des § 226 StGB ergibt sich, dass die geistige Krankheit nicht nur unerheblich und nicht nur vorübergehend sein darf ([X.],  aaO, § 226 Rn. 10; LK-StGB/Hirsch, 12. Aufl., § 226 Rn. 22; MüKo-StGB/Hardtung, aaO, § 226 Rn. 35 + 40; [X.]/[X.]/[X.]/[X.], StGB, 29. Aufl., § 226 Rn. 7 - vgl. zur entsprechenden Auslegung des Begriffs der „geistigen Behinderung“: [X.], Beschlüsse vom 16. Dezember 2008 - 3 [X.], [X.], 284; vom 31. August 2016 - 4 [X.], [X.], 282). Angesichts der gravierenden Folgen des sich nachhaltig auf verschiedene Lebensbereiche des [X.] auswirkenden und zudem überdauernden [X.] sind diese Voraussetzungen erfüllt.

b) Die [X.] hat die Tatbestandsvariante des [X.] im Sinne von § 226 Abs. 1 Nr. 3, 2. Var. StGB dagegen tragfähig verneint, da ausweislich des angefochtenen Urteils nicht zu erwarten ist, dass sich das Krankheitsbild des [X.] verschlechtert, er nach wie vor zu eigenständiger Lebensführung in der Lage ist und seine allgemeine Erwerbsfähigkeit um weniger als 50 % gemindert ist (vgl. hierzu [X.], Urteil vom 22. Januar 1997 - 3 [X.], [X.], 188; Beschluss vom 19. Juli 1994 - 4 StR 348/94, [X.]R StGB § 224 Abs. 1 Siechtum 1).

c) Für die zusätzliche Annahme einer geistigen Behinderung im Sinne von § 226 Abs. 1 Nr. 3, 5. Var. StGB ist ebenfalls kein Raum, da hierunter nur solche Störungen der Gehirntätigkeit fallen, die nicht bereits - wie hier - als geistige Krankheit zu qualifizieren sind ([X.], Beschlüsse vom 16. Dezember 2008 - 3 [X.], aaO; vom 31. August 2016 - 4 [X.], aaO; [X.]/[X.]/[X.]-Pflanz, 3. Aufl., § 226 Rn. 22).

2. Auch der Strafausspruch hält im Ergebnis revisionsgerichtlicher Nachprüfung stand.

Zwar hat das [X.] dem Angeklagten im Rahmen der Strafzumessung rechtsfehlerhaft angelastet, dass „kein vernünftiger Anlass für die Tat“ bestanden und sich diese „quasi zufällig gegen einen völlig fremden Passanten“ gerichtet habe. Dass das Opfer keinen Anlass zur Tat geboten hat, darf jedoch - als Fehlen eines Strafmilderungsgrundes - nicht strafschärfend berücksichtigt werden ([X.], Beschlüsse vom 13. Juni 2017 - 3 StR 106/17, juris Rn. 3; vom 15. September 2015 - 2 StR 21/15, [X.], 40). Überdies hat die [X.] in diesem Zusammenhang nicht berücksichtigt, dass die Impulskontrolle des an einer [X.] Psychose leidenden Angeklagten bei Tatbegehung in [X.] beeinträchtigt war in Form einer erheblich eingeschränkten Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 21 StGB. Tatmodalitäten und Tatmotive dürfen jedoch dann nicht uneingeschränkt strafschärfend berücksichtigt werden, wenn sie ihre Ursache in einem psychischen Defekt finden, der seinerseits die [X.] mindert ([X.], Beschlüsse vom 16. Juli 2003 - 1 StR 251/03, [X.], 362; vom 21. August 1991 - 2 StR 447/90, NStZ 1991, 581; [X.], aaO, § 46 Rn. 27 mwN).

Angesichts der weiteren - bei der [X.] der [X.] ersichtlich im Vordergrund stehenden - erheblichen Strafschärfungsgründe, insbesondere des Umstands, dass der Angeklagte mehrfach einschlägig vorbestraft ist und bei Tatbegehung unter zwei laufenden Bewährungen stand, kann der [X.] jedoch ausschließen, dass die Höhe der moderat bemessenen Einzelstrafe (zwei Jahre und sieben Monate Freiheitsstrafe) auf der genannten rechtlich bedenklichen Erwägung beruht.

Sost-Scheible   

        

Roggenbuck   

        

Ri[X.] [X.] ist urlaubsbedingt
abwesend und daher
an der Unterschrift gehindert.

                                   

Sost-Scheible

        

Franke   

        

Quentin   

        

Meta

4 StR 317/17

31.08.2017

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Frankenthal, 5. Januar 2017, Az: 5204 Js 25105/14 - 1 KLs

§ 20 StGB, § 226 Abs 1 Nr 3 Alt 4 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 31.08.2017, Az. 4 StR 317/17 (REWIS RS 2017, 5901)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 5901

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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