Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 12.03.2012, Az. 2 BvR 2606/11, 2 BvR 2607/11

2. Senat 1. Kammer | REWIS RS 2012, 8289

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Mangels Rechtswegerschöpfung unzulässige Verfassungsbeschwerde gegen eine an Patentprüfer gerichtete dienstliche Weisung, ihre Dienstgeschäfte unter Verwendung einer qualifizierten elektronischen Signatur zu verrichten


Gründe

1

Die Beschwerdeführer wenden sich gegen die dienstliche Weisung, ihre Dienstgeschäfte unter Verwendung einer qualifizierten elektronischen Signatur zu verrichten.

I.

2

1. Die Beschwerdeführer stehen als Regierungsdirektoren im Dienst der [X.]. Als Patentprüfer beim [X.] - [X.] - unterschreiben sie im Patentprüfungsverfahren ergehende Beschlüsse. Im Rahmen der Einführung der elektronischen Aktenführung wies die Präsidentin des [X.] die Beschwerdeführer an, Beschlüsse fortan nicht mehr eigenhändig zu unterschreiben, sondern elektronisch zu signieren und sich die hierzu erforderliche Signaturkarte ausstellen zu lassen. Das [X.] wählte einen bestimmten [X.] aus. Die Ausstellung der Signaturkarte setzt gemäß den organisatorischen Vorgaben des [X.] voraus, dass die Beschwerdeführer ein Vertragsverhältnis mit dem ausgewählten [X.] begründen. Hierzu haben die Beschwerdeführer dem [X.] ihren Namen, ihre Adresse, Personalausweis- oder [X.] und weitere Daten mitzuteilen. Die dem Vertragsverhältnis zwischen dem [X.] und dem ausgewählten [X.] zugrunde liegenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen statuieren Sorgfaltspflichten des Karteninhabers im Umgang mit der Signaturkarte sowie ein an näher bestimmte Voraussetzungen geknüpftes [X.] für Dritte.

3

Die Beschwerdeführer legten Widerspruch gegen die dienstliche Weisung ein und remonstrierten. Zudem ersuchten die Beschwerdeführer das Verwaltungsgericht um vorläufigen Rechtsschutz und beantragten die Feststellung, bis zur Entscheidung in der Hauptsache die Weisung nicht befolgen zu müssen.

4

Mit Beschlüssen vom 1. Juni 2011 lehnte das Verwaltungsgericht die Anträge ab.Die auch die subjektive Rechtsstellung der Beschwerdeführer berührende gemischt dienstlich-persönliche Weisung erweise sich bei summarischer Prüfung als rechtmäßig. Das Grundrecht der Beschwerdeführer auf informationelle Selbstbestimmung werde in verhältnismäßiger Weise beschränkt. Zwar bestimme § 5 Abs. 2 der Verordnung über die elektronische Aktenführung bei dem Patentamt, dem Patentgericht und dem [X.] - [X.] -, dass eine fortgeschrittene elektronische Signatur (§ 2 Nr. 2 Signaturgesetz - [X.] -) zu verwenden sei und nicht eine qualifizierte elektronische Signatur (§ 2Nr. 3 [X.]), welche zu verwenden die Beschwerdeführer angewiesen worden seien. Mit der Abweichung von § 5 Abs. 2 [X.] sei für die Beschwerdeführer aber kein zusätzlicher Eingriff in ihre Rechte verbunden. Soweit den Beschwerdeführern im Verhältnis zum [X.] Haftungsrisiken aufgebürdet würden, sei dies insbesondere aufgrund einer im Innenverhältnis zum [X.] geltenden Haftungsfreistellung zumutbar. Auch erhöhe sich für die Beschwerdeführer die Gefahr, Opfer von Internetkriminalität zu werden, nicht dadurch, dass sie einen Vertrag mit dem ausgewählten [X.] abzuschließen hätten.

5

Die gegen die Entscheidungen gerichteten Beschwerden wies der Verwaltungsgerichtshof mit Beschlüssen vom 2. November 2011 zurück. Nach Aktenlage gebe es kein milderes Mittel als die in Streit stehende Weisung, um den vom Dienstherrn mit der Einführung der elektronischen Aktenführung beabsichtigten Zweck zu erreichen.

6

2. Mit ihren im Wesentlichen textidentischen [X.] rügen die Beschwerdeführer eine Verletzung ihres Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung und ihrer verfassungsrechtlich gewährleisteten Vertragsfreiheit. Der Zulässigkeit der [X.] stehe die fehlende Erschöpfung des Rechtswegs in der Hauptsache nicht entgegen. Dem Widerspruch gegen die Weisung komme keine aufschiebende Wirkung zu. Die Möglichkeit des Missbrauchs entstehe bereits ab dem Moment der Antragstellung gegenüber dem ausgewählten [X.] und der Entgegennahme der Signaturkarte. Eine Rückabwicklung des Vertragsverhältnisses könne nicht mit Wirkung für die Vergangenheit erfolgen, denn qualifizierte Zeitstempel fänden beim [X.] keine Verwendung.

II.

7

Die [X.] sind nicht zur Entscheidung anzunehmen, da [X.] gemäß § 93a Abs. 2 [X.] nicht vorliegen. Die [X.] haben weder grundsätzliche Bedeutung noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten der Beschwerdeführer angezeigt. Sie sind unzulässig, weil ihnen der Grundsatz der Subsidiarität entgegensteht.

8

1. Sind im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ergangene Entscheidungen Gegenstand der Verfassungsbeschwerde, verlangt § 90 Abs. 2 Satz 1 [X.] zwar nicht ohne weiteres, dass der Rechtsweg auch im Verfahren der Hauptsache erschöpft wird (vgl. [X.] 69, 315<339 f.>; 79, 275 <278 f.>). Der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde fordert jedoch, dass der Beschwerdeführer alle Maßnahmen ergreift, um eine Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzung zu erreichen. Dieser Grundsatz soll sicherstellen, dass dem [X.] ein regelmäßig in mehreren Instanzen geprüftes Tatsachenmaterial unterbreitet wird und ihm die Fallanschauung und Rechtsauffassung der Gerichte, insbesondere auch der obersten Bundesgerichte, vermittelt wird (vgl. [X.] 77, 381 <401>). Dies bedeutet, dass die Erschöpfung des Rechtswegs in der Hauptsache geboten sein kann, wenn dort nach der Art des gerügten Grundrechtsverstoßes die Gelegenheit besteht, der verfassungsrechtlichen Beschwer abzuhelfen (vgl. [X.] 79, 275 <278 f.>; 86, 15 <22 f.>; 104,65 <71>). Dies ist regelmäßig dann der Fall, wenn mit der Verfassungsbeschwerde Grundrechtsverletzungen gerügt werden, die sich auch auf die Hauptsache beziehen (vgl. [X.], 280 <282>).

9

Ausnahmen vom Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde bei [X.] gegen Entscheidungen im vorläufigen Rechtsschutz sind dann anzuerkennen, wenn es für den Beschwerdeführer unzumutbar ist, auf die Hauptsache verwiesen zu werden (vgl. [X.], 206 <209 f.>; 12, 280 <282 f.>).Dies kann der Fall sein, wenn die Durchführung des Verfahrens von vornherein aussichtslos erscheint (vgl. [X.] 70, 180 <186>; 79, 275 <279>) oder wenn die Entscheidung in der Hauptsache von keiner weiteren tatsächlichen oder rechtlichen Klärung abhängt und diejenigen Voraussetzungen gegeben sind, unter denen das [X.] gemäß § 90 Abs. 2 Satz 2 [X.] sofort entscheiden kann (vgl. [X.] 79, 275 <279>; 86, 15 <22 f.>; 104, 65 <71>).

2. Die Beschwerdeführer sind auf den Rechtsweg in der Hauptsache zu verweisen. Das Hauptsacheverfahren eröffnet die Möglichkeit, der verfassungsrechtlichen Beschwer abzuhelfen. Die geltend gemachten Verletzungen des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung und der Vertragsfreiheit beziehen sich nicht spezifisch auf das Verfahren des verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutzes. Vielmehr eröffnet ein Hauptsacheverfahren die Möglichkeit, die - bisher nur summarisch und nach Aktenlage erfassten - Unterschiede zwischen der fortgeschrittenen und der qualifizierten elektronischen Signatur zu würdigen, soweit diese für die Beurteilung etwa von Erforderlichkeit und Angemessenheit der mit der Einführung der qualifizierten elektronischen Signatur beim [X.] verbundenen Grundrechtseingriffe von Belang sind.

Der Umstand, dass die Beschwerdeführer im Zeitpunkt einer Entscheidung in der Hauptsache möglicherweise bereits weisungsgemäß Anträge bei dem ausgewählten [X.] gestellt und Signaturkarten entgegengenommen haben werden, rechtfertigt kein Abrücken vom Grundsatz der Subsidiarität. Ein schwerer und unabwendbarer Nachteil im Sinne des § 90 Abs. 2 Satz 2 [X.] trifft die Beschwerdeführer durch die Befolgung der Weisung nicht. Im Falle des Obsiegens der Beschwerdeführer in der Hauptsache ist es möglich, die Nutzung qualifizierter elektronischer Signaturen mit Wirkung für die Zukunft zu beenden. Bis zu jenem Zeitpunkt - im Falle einer Rückdatierung des Signiervorgangs auch darüber hinaus - besteht zwar eine Gefahr des Missbrauchs zum Nachteil der Beschwerdeführer. Diese Gefahr entspricht derjenigen, die mit dem elektronischen Rechtsverkehr unter Nutzung qualifizierter elektronischer Signaturen allgemein verbunden ist. Dass sie verfassungsrechtlich nicht hinnehmbar sei, wird von den Beschwerdeführern nicht dargelegt.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

2 BvR 2606/11, 2 BvR 2607/11

12.03.2012

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 1. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 2. November 2011, Az: 6 CE 11.1342, Beschluss

§ 90 Abs 2 S 1 BVerfGG, § 61 Abs 1 S 1 BBG, § 62 Abs 1 S 3 BBG, § 5 Abs 2 EAPatV, § 1 Abs 2 SigG, § 2 Nr 3 SigG, § 123 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 12.03.2012, Az. 2 BvR 2606/11, 2 BvR 2607/11 (REWIS RS 2012, 8289)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 8289

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

6 ZB 14.291 (VGH München)

Dienstrechtliche Weisung zur Beantragung einer Signaturkarte bei einem ausgewählten Zertifizierungsdiensteanbieter rechtmäßig


6 ZB 14.314 (VGH München)

Einführung der qualifizierten elektronischen Signatur in Behörde


10 AZR 270/12 (Bundesarbeitsgericht)

Verpflichtung zur Nutzung einer elektronischen Signaturkarte


19 W (pat) 16/12 (Bundespatentgericht)

Patentbeschwerdeverfahren – „Elektrischer Winkelstecker“ – zur Voraussetzung eines Beschluss-Urdokuments bei der schriftlichen Ausfertigung eines Beschlusses …


VII ZB 112/08 (Bundesgerichtshof)

Form vorbereitender Schriftsätze: Erfordernis einer qualifizierten elektronischen Signatur bei elektronischen Dokumenten


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.