Bundessozialgericht, Urteil vom 15.09.2011, Az. B 2 U 22/10 R

2. Senat | REWIS RS 2011, 3300

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Gesetzliche Unfallversicherung - Berufskrankheit gem BKV Anl 1 Nr 3101 - Infektionskrankheit - besonders erhöhte Infektionsgefahr - Durchseuchung des beruflichen Umfeldes - Nachweis - Hepatitis-C-Erkrankung - Altenpflegehelferin - Insulinspritzen - Altenheim


Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des [X.] vom 13. Juli 2010 wird zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung einer Infektion der Klägerin mit dem Hepatitis C-Virus ([X.]) als Berufskrankheit ([X.]) nach [X.] der Anlage (seit [X.]) der [X.] ([X.]V; im Folgenden: [X.] 3101) streitig.

2

Die 1940 geborene Klägerin war seit Oktober 1995 als Altenpflegehelferin im [X.] beschäftigt. Sie wurde im Wesentlichen im Bereich "Betreutes Wohnen" eingesetzt. Zu ihren Aufgaben gehörte das Waschen, [X.] und [X.] der Pflegebedürftigen. Sie hatte [X.] zu wechseln sowie Wundbehandlungen und Bluttests durchzuführen. Außerdem gab sie einer Heimbewohnerin in den Monaten April und Mai 1999 87 Insulinspritzen, ohne zum Spritzen berechtigt zu sein. Eine überdurchschnittliche Durchseuchung der Heimbewohner mit dem [X.] ließ sich nicht feststellen.

3

Im August 1999 wurde bei der Klägerin eine [X.]-Infektion diagnostiziert. Auf eine ärztliche Anzeige wegen des Verdachts des Vorliegens einer [X.] 3101 lehnte die Beklagte es ab, diese [X.] anzuerkennen und Leistungen zu erbringen. Bei der Klägerin habe kein besonders erhöhtes Verletzungsrisiko bestanden (Bescheid vom 4.12.2000; Widerspruchsbescheid vom 27.6.2001).

4

Das [X.] hat die Klage abgewiesen (Urteil vom [X.]). Das [X.] hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom [X.]). Die Klägerin sei einem gesteigerten, nicht aber einem besonders erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt gewesen. Entgegen den gutachtlichen Ausführungen von Prof. [X.] könne nicht von einer im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung erhöhten Durchseuchung des [X.] ausgegangen werden. [X.]-Infektionen von Bewohnern des [X.] seien nicht bekannt. Wegen sich widersprechender Studien existiere auch kein allgemeiner Erfahrungssatz, dass in Pflegestationen von [X.] eine besondere Infektionsgefahr bestehe. Aktuelle Zahlen zum Durchseuchungsrisiko in Pflegeheimen gebe es nach der vom Gericht eingeholten Auskunft des [X.] ebenfalls nicht. Eine besondere Ansteckungsgefahr sei auch nicht mit den von der Klägerin konkret ausgeübten Tätigkeiten verbunden gewesen. Zwar habe wegen des nahezu täglichen Umgangs mit Insulinspritzen zweifellos ein Infektionsrisiko bestanden. [X.] wirke sich aber aus, dass die [X.] durch die Klägerin ordnungsgemäß entsorgt worden seien, ohne die Schutzkappe wieder aufzustecken. Insulinspritzen würden auch nur subkutan und nicht intravenös verabreicht. Wegen der von Prof. [X.] bestätigten geringeren Kanülendicke der Insulinspritzen im Vergleich zu "normalen" [X.] komme es schließlich zu einer geringeren Blutübertragung.

5

Mit der vom [X.] zugelassenen Revision rügt die Klägerin einen Verstoß gegen die Pflicht zur Amtsermittlung gemäß § 103 SGG und die Grenzen des Rechts auf freie Beweiswürdigung gemäß § 128 Abs 1 Satz 1 SGG. Das [X.] hätte in Erfahrung bringen müssen, wie viele der von ihr betreuten Personen mit dem [X.] infiziert gewesen seien. Auch hätte es wegen der von Prof. [X.] bestätigten deutlich erhöhten Infektionsgefahr des Ärzte- und Pflegepersonals aktuelle Informationen über die Seroprävalenz in Alten- und Pflegeheimen einholen müssen. Der vom Berufungsgericht berücksichtigte Durchseuchungsgrad der Gesamtbevölkerung beruhe auf einer Stichprobenerhebung unter Ausschluss von besonders gefährdeten Personen in Krankenhäusern, Pflegeheimen und Justizvollzugsanstalten. Abgesehen davon hätte das Fehlen einer virologischen Untersuchung der Heimbewohner zu einer Beweiserleichterung führen müssen. Bei der Würdigung der Übertragungsgefahr sei nicht berücksichtigt worden, dass Gummihandschuhe nur "in der Regel" benutzt worden seien und auch von kontaminierten Gegenständen ein Infektionsrisiko ausgehe. Die Gefahr von Mikroläsionen sowie die Umstände des Verabreichens und der Entsorgung der [X.] seien nicht ermittelt worden. Weshalb bei 87 [X.] nicht von einer "häufig" aufgetretenen Gefahr gesprochen werden könne und eine Vergleichbarkeit mit Tätowierungen ausscheide, sei nicht dargelegt worden.

6

Die Klägerin beantragt,
die Urteile des [X.] vom 13. Juli 2010 und des [X.] vom 29. Oktober 2002 sowie den Bescheid der Beklagten vom 4. Dezember 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juni 2001 aufzuheben und festzustellen, dass die bei ihr vorliegende Hepatitis C-Erkrankung eine Berufskrankheit nach [X.] der Anlage zur [X.] ist.

7

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision, mit der nur noch die Feststellung der [X.] begehrt wird, ist nicht begründet.

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist insoweit eine kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 und § 55 Abs 1 [X.] [X.]G), mit der unter Aufhebung der Ablehnungsentscheidung der [X.]eklagten die gerichtliche Feststellung begehrt wird, dass die Hepatitis [X.]-Infektion der Klägerin eine [X.] ist. Ein Versicherter, dem gegenüber ein Träger der gesetzlichen Unfallversicherung durch Verwaltungsakt entschieden hat, dass ein Anspruch auf Feststellung einer bestimmten [X.] nicht gegeben ist, kann deren Vorliegen als Grundlage in Frage kommender Leistungsansprüche vorab im Wege einer Kombination von Anfechtungs- und [X.] oder Feststellungsklage klären lassen (vgl [X.][X.] vom [X.] - [X.] U 30/07 R - [X.], 45 = [X.]-5671 Anl 1 [X.] [X.]V, jeweils Rd[X.]1 mwN; [X.] [X.] U 17/10 R - zur Veröffentlichung in [X.] und [X.] vorgesehen). Zwar hat die Klägerin vor dem [X.] und L[X.] die Verpflichtung der [X.]eklagten zur Anerkennung der [X.] beantragt. Dieser Übergang von der [X.] zur Feststellungsklage beruht aber auf einer nach § 99 Abs 3 [X.]G uneingeschränkt zulässigen Antragsänderung ([X.][X.] vom 25.2.1997 - 12 RK 4/96 - [X.] 80, 102, 103 = [X.] 3-2500 § 5 [X.] mwN).

Die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage ist nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung ihrer Hepatitis [X.]-Infektion als [X.]. Insoweit ist die Verwaltungsentscheidung der [X.]eklagten im [X.]escheid vom 4.12.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.6.2001 rechtmäßig und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt.

Der Anspruch der Klägerin richtet sich nach den Vorschriften des [X.][X.] VII sowie des auf seiner Grundlage erlassenen Rechts, weil ihre [X.] im August 1999 festgestellt worden ist und der geltend gemachte Versicherungsfall damit nach dem Inkrafttreten des [X.][X.] VII am [X.] eingetreten sein soll (Art 36 [X.], § 212 [X.][X.] VII).

Nach § 9 Abs 1 [X.][X.] VII sind [X.]en Krankheiten, welche die [X.]undesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des [X.]undesrates als [X.]en bezeichnet (Listen-[X.]) und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 [X.][X.] VII begründenden Tätigkeit erleiden (Satz 1). Die [X.]undesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als [X.]en zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige [X.]evölkerung ausgesetzt sind; sie kann [X.]en auf bestimmte Gefährdungsbereiche beschränken oder mit dem Zwang zur Unterlassung aller gefährdenden Tätigkeiten versehen (Satz 2).

Für die Feststellung einer Listen-[X.] ist danach im Regelfall erforderlich, dass die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von [X.]elastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und die Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-[X.]. Dabei gilt für die Überzeugungsbildung des [X.]s hinsichtlich der "versicherten Tätigkeit", der "Verrichtung", der "Einwirkungen" und der "Krankheit" der [X.]eweisgrad des [X.], also der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit. Für die Überzeugungsbildung vom Vorliegen der naturphilosophischen [X.] und der rechtlich zu bewertenden Wesentlichkeit einer notwendigen [X.]edingung genügt indes der [X.]eweisgrad der hinreichenden Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit ([X.][X.] vom [X.] - [X.] U 30/07 R - [X.], 45 = [X.]-5671 Anl 1 [X.] [X.]V, jeweils Rd[X.]6 mwN und - [X.] U 9/08 R - [X.], 59 = [X.]-2700 § 9 [X.]4 [X.]V, jeweils Rd[X.] 9 mwN; [X.] [X.] U 17/10 R - zur Veröffentlichung in [X.] und [X.] vorgesehen).

Die [X.]V umschreibt den Tatbestand der [X.] wie folgt: "Infektionskrankheiten, wenn der Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war". Die Voraussetzungen dieses Tatbestandes iVm § 9 Abs 1 [X.][X.] VII sind nach den für den Senat bindenden (§ 163 [X.]G) tatsächlichen Feststellungen des L[X.] nicht erfüllt. Die Klägerin war zwar seit Oktober 1995 als Altenpflegehelferin eines [X.] beschäftigt und damit im Gesundheitsdienst tätig sowie nach § 2 Abs 1 [X.] [X.][X.] VII versichert. Hepatitis [X.] ist auch eine Infektionskrankheit. Die Klägerin war aber keinen "Einwirkungen" iS einer besonders erhöhten Infektionsgefahr ausgesetzt. Diese beurteilt sich nach dem Grad der Durchseuchung des versicherten Tätigkeitsbereichs und dem Übertragungsrisiko der im Gefahrenbereich vorgenommenen Verrichtungen (dazu 1.). Anhand beider Kriterien hat das L[X.] das Vorliegen einer besonders erhöhten Infektionsgefahr verneint (dazu 2.). Die Rüge der Klägerin, dabei habe das [X.]erufungsgericht gegen die Pflicht zur Amtsermittlung verstoßen und die Grenzen des Rechts auf freie [X.]eweiswürdigung überschritten, greift nicht durch (dazu 3.).

1. Eine besondere Ansteckungsgefahr kann sich im Einzelfall aufgrund der Durchseuchung des Umfelds der Tätigkeit oder der Übertragungsgefahr der ausgeübten Verrichtungen ergeben. Der Grad der Durchseuchung ist sowohl hinsichtlich der kontaktierten Personen als auch der Objekte festzustellen, mit oder an denen zu arbeiten ist. Lässt sich das Ausmaß der Durchseuchung nicht aufklären, kann aber das Vorliegen eines Krankheitserregers im Arbeitsumfeld nicht ausgeschlossen werden, ist vom [X.] der Gesamtbevölkerung auszugehen. Das weitere Kriterium der mit der versicherten Tätigkeit verbundenen Übertragungsgefahr richtet sich nach dem [X.] der jeweiligen Infektionskrankheit sowie der Art, der Häufigkeit und der Dauer der vom Versicherten verrichteten gefährdenden Handlungen.

Eine schlichte Infektionsgefahr genügt nicht. Vielmehr wird eine (zT typisierend nach Tätigkeitsbereichen) besonders erhöhte Infektionsgefahr vorausgesetzt (§ 9 Abs 1 Satz 2 Halbs 1 [X.][X.] VII). Deshalb kommt es darauf an, welche einzelnen Arbeitshandlungen im Hinblick auf den Übertragungsweg besonders gefährdend sind. Die Durchseuchung des Arbeitsumfeldes auf der einen und die Übertragungsgefahr der versicherten Verrichtungen auf der anderen Seite stehen in einer Wechselbeziehung zueinander (dazu kritisch [X.], [X.] 4/2010, [X.], 298 ff). An den Grad der Durchseuchung können umso niedrigere Anforderungen gestellt werden, je gefährdender die spezifischen Arbeitsbedingungen sind. Je weniger hingegen die Arbeitsvorgänge mit dem Risiko der Infektion behaftet sind, umso mehr erlangt das Ausmaß der Durchseuchung an [X.]edeutung. Erscheint eine Infektion nicht ausgeschlossen, ist im Wege einer Gesamtbetrachtung der Durchseuchung und der Übertragungsgefahr festzustellen, ob sich im Einzelfall eine Infektionsgefahr ergibt, die nicht nur geringfügig gegenüber der Allgemeingefahr erhöht ist ([X.][X.] vom [X.] - [X.] U 30/07 R - [X.], 45 = [X.]-5671 Anl 1 [X.] [X.]V, jeweils Rd[X.] 22 f). Damit bedarf es der tatsächlichen Feststellungen zum Vorliegen einer konkret erhöhten Infektionsgefahr. Dies beinhaltet Feststellungen zu der Frage, ob die Verrichtungen der Klägerin sie mit einer infizierten Person oder einem durchseuchten Objektbereich in [X.]erührung gebracht haben oder ob die Verrichtungen im Hinblick auf den [X.] der Hepatitis [X.]-Infektion sowie ihrer Art, Häufigkeit und Dauer nach besonders infektionsgefährdend waren ([X.][X.] vom [X.] - [X.] U 33/07 R - [X.], 54 = [X.]-5671 Anl 1 [X.] [X.]V, jeweils Rd[X.]9).

2. Einem solchen besonders erhöhten Infektionsrisiko war die Klägerin nicht ausgesetzt. Das [X.]erufungsgericht hat zwar nicht die Möglichkeit der Infektion mit dem H[X.]V, aber eine erhöhte Durchseuchung im [X.] ausgeschlossen. Damit ist der Grad der Durchseuchung bezüglich H[X.]V-Antikörper in der Gesamtbevölkerung maßgebend, der [X.] beträgt (vgl [X.]/Schüler/[X.]/[X.], Epidemiologie der Virushepatitis A, [X.] und [X.], in [X.]/[X.], Virushepatitis als [X.]erufskrankheit, 2. Aufl, [X.]; [X.]/[X.]/[X.], Arbeitsunfall und [X.]erufskrankheit, 8. Aufl 2010, [X.]; [X.] Institut, Epidemiologisches [X.]ulletin 29/2011 [X.]). Auf der Grundlage einer Arbeitgeberauskunft hat das L[X.] festgestellt, dass [X.]en von Heimbewohnern nicht bekannt geworden sind. Die Stellungnahme der [X.] hat ergeben, dass aktuelle Zahlen zum Durchseuchungsrisiko in Pflegeheimen nicht existieren. Daher ist nach den bindenden Feststellungen des L[X.] (§ 163 [X.]G) für die Annahme eines deutlich überdurchschnittlichen [X.]es im [X.] [X.]. kein Raum.

Die erforderliche besondere Infektionsgefahr lässt sich auch nicht auf die Übertragungsgefahr der ausgeübten Tätigkeiten zurückführen, wie das L[X.] aufgrund der von ihm festgestellten Arbeitsvorgänge der Klägerin sowie des Gutachtens von Prof. Dr. [X.]. und der Zeugenvernehmung angenommen hat. Die Klägerin war im Wesentlichen im [X.]ereich "[X.]etreutes Wohnen" eingesetzt und trug bei den Verrichtungen der Grundpflege, der Wundbehandlung und den [X.]luttests regelmäßig Gummihandschuhe. Eine Nadelstichverletzung ist nicht festgestellt. [X.]ei maximal 87 Inokulationsvorgängen wurden Insulinspritzen mit einer im Vergleich zu anderen Hohlnadelspritzen dünneren Injektionskanüle verwendet, die mit einem geringeren [X.]lutaustausch einhergehen. Sie sind ordnungsgemäß entsorgt worden, ohne die Schutzkappe wieder aufzustecken. Die Klägerin ist danach weder aufgrund einer erhöhten Durchseuchung noch infolge ihrer Arbeitsverrichtungen besonders infektionsgefährdet tätig gewesen.

3. Diese Feststellungen des L[X.] binden den Senat (§ 163 [X.]G), weil sie nicht mit zulässig erhobenen Verfahrensrügen angegriffen worden sind. Eine ordnungsgemäße Verfahrensrüge setzt die [X.]ezeichnung der Tatsachen voraus, die den behaupteten Mangel ergeben (§ 164 Abs 2 Satz 3 [X.]G) und aus denen die Möglichkeit folgt, dass das Gericht ohne die geltend gemachte Verfahrensverletzung anders entschieden hätte. Das Revisionsgericht muss in die Lage versetzt werden, sich allein anhand der Revisionsbegründung ein Urteil darüber zu bilden, ob die angegriffene Entscheidung auf einem Verfahrensmangel beruhen kann ([X.][X.] vom [X.] - [X.] 4 RS 3/06 R - [X.]-8570 § 1 [X.]6 Rd[X.] 31). Diesen Anforderungen wird die Revisionsbegründung nicht gerecht.

a) Die Rüge der Klägerin, das L[X.] habe gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 103 [X.]G) verstoßen, ist nicht ordnungsgemäß erhoben. Sie hätte insoweit aufzeigen müssen, dass sich das L[X.] von seinem sachlich-rechtlichen Standpunkt aus zu weiteren Ermittlungen hätte gedrängt fühlen müssen. Dabei ist darzulegen, inwiefern nach den dem L[X.] vorliegenden [X.]eweismitteln Fragen zum tatsächlichen und medizinischen Sachverhalt aus seiner rechtlichen Sicht erkennbar offen geblieben sind und damit zu einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts zwingende Veranlassung bestanden hat und die so zu ermittelnden Tatsachen nach der Rechtsauffassung des L[X.] entscheidungserheblich sind. Außerdem ist anzugeben, wann und in welcher Form die zu ermittelnden Tatsachen in der [X.]erufungsinstanz vorgebracht wurden ([X.][X.] vom 11.12.2008 - [X.] 9 VS 1/08 R - Juris Rd[X.] 69 f).

Das Vorbringen der Klägerin, das L[X.] hätte die Anzahl der von ihr betreuten, mit dem H[X.]V infizierten Personen in Erfahrung bringen und die Gefahr von Mikroläsionen sowie die Umstände des Verabreichens und der Entsorgung der [X.] ermitteln müssen, genügt diesen Anforderungen nicht. Es hätte nicht nur der [X.]ezeichnung der zu ermittelnden Tatsachen bedurft, sondern vor allem auch der weiteren Darlegung, inwieweit diese Tatsachen bereits in der [X.]erufungsinstanz so vorgebracht wurden, dass sich das L[X.] auf Grund des [X.]erufungsvorbringens trotz der eingeholten Auskünfte zur Durchseuchung und den Arbeitsbedingungen im [X.] zu einer weiteren Tatsachenermittlung hätte gedrängt fühlen müssen.

b) Auch die Rüge der Klägerin, das [X.]erufungsgericht habe die Grenzen der freien [X.]eweiswürdigung überschritten, ist unzulässig. Die [X.]eweiswürdigung des L[X.] ist nur eingeschränkt überprüfbar. Da das [X.] gemäß § 128 Abs 1 Satz 1 [X.]G nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung entscheidet, ist diese Vorschrift nur dann verletzt, wenn das Gericht gegen allgemeine Erfahrungssätze oder Denkgesetze verstoßen oder das Gesamtergebnis des Verfahrens nicht ausreichend und umfassend berücksichtigt hat. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen muss im Einzelnen dargelegt werden ([X.][X.] vom 31.5.2005 - [X.] U 12/04 R - [X.]-5671 Anl 1 [X.] 2108 [X.] 2 Rd[X.] 9). Daran fehlt es hier.

Die Klägerin hat kein Denkgesetz benannt, gegen das das L[X.] verstoßen haben soll. Es hätte aufgezeigt werden müssen, dass das [X.]erufungsgericht zu einer bestimmten, aus seiner Sicht erheblichen Frage aus den gesamten rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten nur eine Folgerung hätte ziehen können, jede andere nicht folgerichtig "denkbar" ist und das Gericht die allein in [X.]etracht kommende nicht gesehen hat (vgl [X.][X.] vom 11.6.2003 - [X.] 5 RJ 52/02 R - Juris Rd[X.]3 mwN). Dass und weshalb die Feststellung der [X.] die einzig denkbare Folgerung gewesen sein soll, legt die Revision indes nicht dar.

Mit ihrem Vorbringen, das L[X.] habe Pflegestationen in [X.] als nicht besonders hepatitisgefährdend angesehen und daher einen [X.] der Gesamtbevölkerung von [X.] angenommen, ist auch ein fehlerhaft angewendeter Erfahrungssatz nicht aufgezeigt worden. Es trifft zwar zu, dass der vom [X.] Institut 1998 durchgeführte "[X.]undesGesundheitssurvey" Personen aus Heil- und Pflegeanstalten, Krankenhäusern sowie Justizvollzugsanstalten nicht umfasst (vgl [X.]/[X.], Hepatitis [X.] - Epidemiologie und Prävention, [X.]undesgesundheitsbl - [X.] - Gesundheitsschutz 6/2001 S 554, 555). Aus einer durch diese Personengruppen bedingten höheren Durchseuchungsrate in der Gesamtbevölkerung folgt aber noch nicht zwingend eine deutlich höhere Durchseuchung gerade in den genannten Einrichtungen. Anhaltspunkte dafür, dass der vom L[X.] herangezogene Erfahrungssatz, dass Pflegeeinrichtungen in [X.] nicht als besonders hepatitisgefährdend angesehen werden können, nach Verfahren oder Inhalt falsch festgestellt worden wäre, sind nicht ersichtlich (vgl [X.]/[X.] aaO [X.], wonach in mehreren internationalen Studien eine signifikant höhere Durchseuchung bei Ärzten, Zahnärzten und sonstigen [X.]eschäftigten im Gesundheitswesen im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung nicht festzustellen war). In einem solchen Fall besteht für das Revisionsgericht keine rechtliche Veranlassung, das [X.]estehen und den Inhalt des vom L[X.] festgestellten Erfahrungssatzes ohne eine zulässig erhobene Verfahrens- oder [X.] selbst von Amts wegen zu prüfen (vgl [X.][X.] vom 5.7.2011- [X.] U 17/10 R - Juris Rd[X.] 31 mwN). Zu Ermittlungen ohne konkrete Anhaltspunkte "ins [X.]laue hinein" besteht auch unter verfassungsrechtlichen Erwägungen keine Verpflichtung (vgl [X.]VerfG vom 9.10.2007 - 2 [X.]vR 1268/03 , Juris Rd[X.]9).

Aus dem Vortrag der Klägerin, bei der Würdigung der Übertragungsgefahr habe [X.]eachtung finden müssen, dass Gummihandschuhe nur "in der Regel" benutzt worden seien und von kontaminierten Gegenständen ein Infektionsrisiko ausgehe, wird nicht deutlich, dass hierdurch das Gesamtergebnis des Verfahrens nicht hinreichend berücksichtigt worden wäre. Die weitere zitierte [X.]egründung des L[X.], dass Umstände teils risikosteigernd teils risikomindernd gewertet worden seien, macht gerade die durchgeführte Gesamtwürdigung deutlich. Inwieweit Gegenstände kontaminiert gewesen seien und dass das [X.] dem Sachverständigengutachten nicht gefolgt wäre, ohne die Abweichung ausreichend begründet zu haben, ist nicht dargetan. Im [X.] zieht die Klägerin für sich trotz der vom L[X.] festgestellten Tatsachen den Schluss, dass sich ein erhöhtes Infektionsrisiko begründen lasse. Eine formgerechte Rüge der Verletzung der Grenzen des Rechts auf freie [X.]eweiswürdigung liegt indes nicht vor, wenn die Revision ihre [X.]eweiswürdigung an die Stelle derjenigen des L[X.] setzt ([X.][X.] vom [X.] - [X.] 4 RS 3/06 R - [X.]-8570 § 1 [X.]6 Rd[X.] 33).

Unabhängig davon ist beiläufig anzumerken, dass unter [X.]erücksichtigung der aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse zu den Übertragungsformen des H[X.]V auch kein Überschreiten der Grenzen der freien [X.]eweiswürdigung durch das L[X.] festzustellen ist. Das H[X.]V wird parenteral durch direkten [X.]lut- oder Schleimhautkontakt übertragen (vgl [X.]/[X.], Die Stabilität und Dauer der Infektiosität von Hepatitis A-Viren, Hepatitis [X.]-Viren und Hepatitis [X.]-Viren außerhalb des menschlichen Organismus als wichtige Kriterien für die [X.]eurteilung des berufsbedingten Infektionsrisikos, in [X.]/[X.] aaO, [X.]). Im Gesundheitswesen ist die Nadelstichverletzung insbesondere mit einer Hohlnadel daher ein geeigneter Übertragungsweg, der ein besonders hohes Übertragungsrisiko beinhaltet, weil hier regelmäßig der Transfer relativ großer Mengen frischen [X.]lutes möglich ist (vgl [X.]/[X.], Vorgehen nach Nadelstichverletzung bei Hepatitis [X.]- und [X.]-Infektion in der Klinik, in [X.]/[X.] aaO, [X.]; [X.], Arbeitsmedizinische Grundlagen für die Konkretisierung von [X.]eweiserleichterungen im [X.]erufskrankheitenfeststellungsverfahren - Fallgruppen und Einzelfallermittlungen, in [X.]/[X.] aaO, [X.]; [X.]/[X.]/[X.] aaO, [X.]; [X.]/[X.]randenburg, [X.]V, [X.] Rd[X.]3.2). Die Injektionskanülen von Insulinspritzen sind aber dünner als andere Hohlnadeln. Das [X.]eweisergebnis des L[X.], dass gerade unter [X.]erücksichtigung der geringeren Kanülendicke keine besondere Infektionsgefahr bestehe, ist daher in sich schlüssig und widerspruchsfrei.

Dabei hat das L[X.] zutreffend den von der Klägerin zu führenden Vollbeweis der "Einwirkungen" iS einer besonders erhöhten Infektionsgefahr gefordert. Die geltend gemachten [X.]eweisschwierigkeiten rechtfertigen weder eine [X.]eweislastumkehr noch die Annahme eines [X.]eweisnotstandes und eine daraus abzuleitende Notwendigkeit zu [X.]eweiserleichterungen. Typische [X.]eweisschwierigkeiten, die sich aus den [X.]esonderheiten des Einzelfalles ergeben, sind im Rahmen der freien richterlichen [X.]eweiswürdigung zu berücksichtigen. Eine allgemeingültige [X.]eweiserleichterung für den Fall des [X.]eweisnotstandes würde dem Grundsatz der freien [X.]eweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 [X.]G) widersprechen ([X.][X.] Urteil vom 7.9.2004 - [X.] U 25/03 R - Juris Rd[X.]7 mwN).

Der Einwand der Klägerin, dass nach dem Urteil des Senats vom [X.] ([X.] U 30/07 R - [X.], 45 = [X.]-5671 Anl 1 [X.] [X.]V) selbst bei zehn Nadelstichverletzungen und einem Infektionsrisiko von [X.] eine erhöhte Infektionsgefahr in [X.]etracht komme, sofern die Wahrscheinlichkeit einer Infektion in der Allgemeinbevölkerung noch geringer sei, das L[X.] aber mindestens 87 Inokulationsereignisse festgestellt habe, führt zu keinem anderen Ergebnis. Abgesehen davon, dass dort nicht der Senat, sondern der beteiligte Unfallversicherungsträger ein Infektionsrisiko von [X.] errechnet hatte, wird dabei übersehen, dass sich die erhöhte Infektionsgefahr auf die konkreten Arbeitsverrichtungen zurückführen lassen muss. Als Spritzen hat die Klägerin aber keine dickeren Hohlnadeln, sondern dünne Insulinnadeln verwendet.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 [X.]G.

Meta

B 2 U 22/10 R

15.09.2011

Bundessozialgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: U

vorgehend SG Frankfurt, 29. Oktober 2002, Az: S 10 U 2444/01, Urteil

§ 9 Abs 1 SGB 7, Anl 1 Nr 3101 BKV

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 15.09.2011, Az. B 2 U 22/10 R (REWIS RS 2011, 3300)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 3300

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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