Bundesfinanzhof, Beschluss vom 08.01.2019, Az. IX R 8/17

9. Senat | REWIS RS 2019, 11791

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Gegenstand

Gerichtsbescheid - Antrag auf mündliche Verhandlung - Wiedereinsetzung


Leitsatz

NV: Die Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen können, sind innerhalb der Frist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO vollständig, substantiiert und in sich schlüssig darzulegen .

Tenor

Der Gerichtsbescheid vom 29. Mai 2018 wirkt als Urteil.

Tatbestand

I.

1

Mit Gerichtsbescheid vom 29. Mai 2018 hat der Senat die Revision des [X.] und Revisionsklägers (Kläger) gegen das Urteil des [X.] vom 6. Februar 2017 11 K 2879/15 E (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2017, 1150) als unbegründet zurückgewiesen. Der Gerichtsbescheid wurde dem vormaligen Prozessbevollmächtigten des [X.] mit [X.] am 3. Juli 2018 zugestellt. Mit Schreiben vom 6. August 2018, beim [X.] ([X.]) eingegangen am selben Tag, zeigte der (derzeitige) Prozessbevollmächtigte seine Bestellung an und beantragte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Dem vorausgegangen war ein Telefonat am selben Tag zwischen dem vormaligen Prozessbevollmächtigten des [X.] und der Geschäftsstelle des Senats; in diesem wurde die Rechtskraft des [X.] erörtert und die Möglichkeit der Wiedereinsetzung aufgezeigt. Mit Schreiben vom 7. August 2018 teilte die Geschäftsstelle des Senats dem neuen Prozessbevollmächtigten mit, dass der Gerichtsbescheid vom 29. Mai 2018 dem vormaligen Prozessbevollmächtigten des [X.] am 3. Juli 2018 zugestellt worden sei und die Frist für einen Antrag auf mündliche Verhandlung mit Ablauf des 3. August 2018 geendet habe. Zudem wurde auf § 56 der Finanzgerichtsordnung (FGO) hingewiesen. Mit Schreiben vom 7. August 2018, beim [X.] eingegangen am 9. August 2018, zeigte der vormalige Prozessbevollmächtigte die Mandatsbeendigung an. Mit [X.] vom 2. Oktober 2018, per [X.] zugestellt am 5. Oktober 2018, wurde dem Prozessbevollmächtigten u.a. mitgeteilt, dass trotz des Schreibens der [X.] vom 7. August 2018 bislang weder ein Antrag auf Wiedereinsetzung in die Frist für den Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt noch Wiedereinsetzungsgründe vorgetragen worden seien. Mit Schreiben vom 9. Oktober 2018, beim [X.] eingegangen am selben Tag, erläuterte der Prozessbevollmächtigte, der vormalige Prozessbevollmächtigte habe dem Kläger von einem Antrag auf mündliche Verhandlung abgeraten. Der Prozessbevollmächtigte habe den Antrag auf mündliche Verhandlung verspätet gestellt, da er keine Möglichkeit gehabt habe, den Fristlauf zu berechnen.

Entscheidungsgründe

II.

2

Der Antrag auf mündliche Verhandlung ist unzulässig und daher durch Beschluss zu verwerfen (§ 126 Abs. 1 FGO analog; vgl. z.B. [X.] vom 10. Januar 2008 VII R 49/06, juris, Rz 1, und vom 11. August 2008 XI R 51/06, juris, Rz 5). Der Kläger hat die Antragsfrist i.S. des § 90a Abs. 2 Satz 1, § 121 Satz 1 FGO versäumt. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (vgl. § 56 FGO) ist nicht zu gewähren.

3

1. Nach § 90a Abs. 2 Satz 1, § 121 Satz 1 FGO können die Beteiligten innerhalb eines Monats nach Zustellung des [X.] mündliche Verhandlung beantragen. Der Gerichtsbescheid ist dem vormaligen Prozessbevollmächtigten des Klägers ausweislich der [X.] am 3. Juli 2018 zugestellt worden.

4

a) Die Zustellung des [X.] war wirksam; der (derzeitige) Prozessbevollmächtigte hat seine Bestellung erst mit Schreiben vom 6. August 2018 angezeigt, die Mandatsbeendigung wurde dem [X.] durch den vormaligen Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom 7. August 2018, beim [X.] eingegangen am 9. August 2018, mitgeteilt. Angesichts des für Verfahren beim [X.] bestehenden Vertretungszwangs (§ 62 Abs. 4 FGO) wird nicht nur der Widerruf der Bevollmächtigung, sondern auch die Mandatsniederlegung nach § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 87 der Zivilprozessordnung (ZPO) erst mit der Anzeige der Bestellung eines anderen Prozessbevollmächtigten wirksam (vgl. z.B. [X.]-Beschluss vom 8. Oktober 2014 I B 197/13, [X.]/NV 2015, 224, Rz 3, m.w.N.).

5

b) Die Monatsfrist für die Stellung eines Antrags auf mündliche Verhandlung endete mit Ablauf des 3. August 2018, einem Freitag. Der Antrag auf mündliche Verhandlung ging beim [X.] jedoch erst am Montag, dem 6. August 2018 ein und war somit verspätet.

6

2. Dem Kläger ist auch nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (vgl. § 56 FGO) zu gewähren.

7

a) Einem Beteiligten, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 56 Abs. 1 FGO). Der Antrag ist binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen; innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen (§ 56 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 und Satz 3 FGO). Ist dies geschehen, kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden (§ 56 Abs. 2 Satz 4 FGO). Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] ist aus § 56 Abs. 2 FGO zu folgern, dass die Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen können, innerhalb der Frist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO vollständig, substantiiert und in sich schlüssig darzulegen sind (vgl. z.B. [X.]-Beschluss vom 2. Dezember 2014 III B 36/14, [X.]/NV 2015, 505, Rz 13, m.w.N.). Ob der Beteiligte die Frist schuldlos versäumt hat, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles und den persönlichen Verhältnissen des Beteiligten. Nach der Rechtsprechung des [X.] schließt jedes Verschulden --auch einfache Fahrlässigkeit-- die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus (vgl. z.B. [X.]-Beschluss vom 6. November 2012 VIII R 40/10, [X.]/NV 2013, 397, Rz 6, m.w.N.).

8

b) Zwar wäre vorliegend Wiedereinsetzung auch ohne Antrag möglich, da die versäumte Rechtshandlung (hier: Antrag auf mündliche Verhandlung) innerhalb der Antragsfrist i.S. des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO nachgeholt worden ist. Der Prozessbevollmächtigte hat aber, trotz des Schreibens der [X.] vom 7. August 2018, mit dem er über den Ablauf der Frist für den Antrag auf mündliche Verhandlung unter Hinweis auf § 56 FGO unterrichtet worden ist, erstmals mit dem beim [X.] am 9. Oktober 2018 eingegangenen Schreiben Gründe für die Fristversäumung vorgebracht.

9

c) Das Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten --selbst weisungswidriges Verhalten (vgl. [X.]-Beschluss vom 26. November 2004 VIII B 77/03, [X.]/NV 2005, 331)-- muss sich der Kläger wie eigenes Verschulden zurechnen lassen (vgl. § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO). Abweichendes ergibt sich nicht aus dem Beschluss des [X.] vom 19. September 2007 VIII ZB 44/07 (Monatsschrift für Deutsches Recht 2007, 1444). Im dort entschiedenen Fall musste sich die Klägerin ein nach Beendigung des Mandats eingetretenes Versäumnis ihres früheren Prozessbevollmächtigten nicht mehr zurechnen lassen; der Kläger hat die Beendigung des Mandatsverhältnisses mit dem vormaligen Prozessbevollmächtigten jedoch erst nach Ablauf der Antragsfrist i.S. des § 90a Abs. 2 Satz 1 FGO mitgeteilt. Vor diesem Hintergrund war auch der im Schriftsatz vom 1. Januar 2019 erbetene Hinweis entbehrlich.

3. Der Gerichtsbescheid vom 29. Mai 2018 wirkt damit als Urteil (vgl. § 90a Abs. 3 Halbsatz 1, § 121 Satz 1 FGO). Das Revisionsverfahren ist beendet.

4. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei (vgl. [X.] vom 6. Juni 2013 VII R 16/12, [X.]/NV 2013, 1440, Rz 6, und vom 16. Dezember 2015 IV R 15/14, [X.]E 252, 1, [X.], 284, Rz 16; vgl. auch [X.] in Tipke/[X.], Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 90a FGO Rz 12).

Meta

IX R 8/17

08.01.2019

Bundesfinanzhof 9. Senat

Beschluss

vorgehend BFH, 29. Mai 2018, Az: IX R 8/17, Urteil

§ 56 Abs 2 FGO, § 90a Abs 2 S 1 FGO, § 62 Abs 4 FGO, § 121 S 1 FGO, § 155 S 1 FGO, § 85 Abs 2 ZPO, § 87 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 08.01.2019, Az. IX R 8/17 (REWIS RS 2019, 11791)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 11791


Verfahrensgang

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Az. IX R 8/17

Bundesfinanzhof, IX R 8/17, 08.01.2019.

Bundesfinanzhof, IX R 8/17, 29.05.2018.


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