Bundesfinanzhof, Beschluss vom 24.08.2022, Az. X B 31/21

10. Senat | REWIS RS 2022, 5750

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Gegenstand

Wiedereinsetzungsfristen nach Zugang eines PKH-Bewilligungsbeschlusses


Leitsatz

1. NV: Die Versäumung der gesetzlichen Frist für die wirksame Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde ist unverschuldet, wenn der Rechtsmittelführer infolge seiner Mittellosigkeit nicht in der Lage war, noch innerhalb der Frist einen Prozessbevollmächtigten für die wirksame Einlegung des Rechtsmittels zu beauftragen, jedoch fristgerecht einen PKH-Antrag gestellt und laienhaft begründet hat, der zur Gewährung von PKH geführt hat.

2. NV: Die Gewährung von Wiedereinsetzung setzt zusätzlich voraus, dass die versäumte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde innerhalb der zweiwöchigen Frist des § 56 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 FGO nachgeholt wird. Bei dieser zweiwöchigen Frist bleibt es ungeachtet dessen, dass die ständige höchstrichterliche Rechtsprechung hinsichtlich der Wiedereinsetzungsfrist für die versäumte Begründung des Rechtsmittels nicht die in § 56 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 FGO genannte Monatsfrist anwendet, sondern analog § 116 Abs. 3 Satz 1 FGO zugunsten des Unbemittelten von einer Zwei-Monats-Frist ausgeht.

3. NV: Eine vom nicht postulationsfähigen Kläger persönlich eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde kann vom später hinzugetretenen Prozessbevollmächtigten nicht rückwirkend genehmigt werden.

Tenor

Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des [X.] vom 25.02.2021 - 11 K 3168/17 wird als unzulässig verworfen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Das klageabweisende Urteil des Finanzgerichts wurde dem --seinerzeit nicht durch einen [X.]rozessbevollmächtigten vertretenen-- Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) am 06.03.2021 zugestellt. Am 06.04.2021 ging beim [X.] ([X.]) ein vom nicht postulationsfähigen Kläger persönlich verfasstes Schreiben ein, mit dem er Nichtzulassungsbeschwerde einlegte und die Beiordnung eines beim [X.] zugelassenen Vertreters beantragte. Der Senat sah dies als Antrag auf [X.]rozesskostenhilfe ([X.]KH) an. Am [X.] begründete der Kläger seinen Antrag ausführlich.

2

Die vom Kläger noch während des [X.] beauftragte [X.]rozessbevollmächtigte ([X.]) zeigte am 04.05.2021 ihre Bevollmächtigung an und übermittelte dem [X.] am 25.05.2021 ein Schreiben, in dem es u.a. hieß:

"Für den Fall des Erfolgs des [X.] bitten wir um Beiordnung als [X.]rozessbevollmächtigte des Beschwerdeführers und werden sodann beantragen,

dem Beschwerdeführer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 56 FGO (Beseitigung der Mittellosigkeit als Hindernis für die Fristwahrung) zu gewähren, sowie

die Revision gegen das Urteil des [X.] vom 25.02.2021 - Az. 11 K 3168/17 - zuzulassen."

3

Mit Beschluss vom 29.06.2021 bewilligte der Senat die beantragte [X.]KH und ordnete dem Kläger die [X.] als [X.]rozessbevollmächtigte bei. Dieser Beschluss wurde am 19.08.2021 mit einfachem Brief an [X.] abgesandt. [X.] hat mitgeteilt, der Beschluss sei am 23.08.2021 (Montag) bei ihr eingegangen.

4

Am 17.09.2021 beantragte [X.], "die bereits durch den Beschwerdeführer mit Schreiben vom [X.] eingelegte und mit Schreiben vom 07.04.2021 begründete Nichtzulassungsbeschwerde als beigeordnete [X.]rozessbevollmächtigte ergänzend begründen zu dürfen"; hierfür bat sie um eine Frist bis zum 22.10.2021. Die [X.] gewährte diese Frist; die Beschwerdebegründung ging am [X.] beim [X.] ein.

Entscheidungsgründe

II.

5

Die Beschwerde ist unzulässig.

6

1. Der Kläger hat die einmonatige Frist (§ 116 Abs. 2 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) zur Einlegung der Beschwerde versäumt. Diese Frist endete am 06.04.2021. Das vom Kläger persönlich verfasste, an jenem Tage beim [X.] eingegangene Schreiben konnte die Frist nicht wahren, da die Anforderungen an den gesetzlich angeordneten Vertretungszwang (§ 62 Abs. 4 FGO) nicht erfüllt waren.

7

2. Wegen der versäumten Frist kann keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden.

8

a) Gemäß § 56 Abs. 1 FGO ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Ein Verschulden des [X.]rozessbevollmächtigten steht dem Verschulden des Beteiligten gleich (§ 85 Abs. 2 der Zivilprozessordnung i.V.m. § 155 FGO). Der Antrag ist binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen; bei Versäumung von Rechtsmittelbegründungsfristen beträgt die Frist einen Monat (§ 56 Abs. 2 Satz 1 FGO). Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen (§ 56 Abs. 2 Satz 3 FGO). Ist dies geschehen, kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden (§ 56 Abs. 2 Satz 4 FGO).

9

b) Vorliegend hat der Kläger die Frist zur Einlegung der Beschwerde zwar unverschuldet versäumt, da er infolge seiner Mittellosigkeit nicht in der Lage war, noch innerhalb der Frist einen [X.]rozessbevollmächtigten für die wirksame Einlegung der Beschwerde zu beauftragen, jedoch fristgerecht einen [X.] gestellt und laienhaft begründet hat, der zur Gewährung von [X.]KH geführt hat.

c) Allerdings ist die versäumte Rechtshandlung --die (wirksame) Einlegung der [X.] entgegen § 56 Abs. 2 Satz 3 FGO nicht innerhalb der Antragsfrist nachgeholt worden.

aa) Diese Antragsfrist beträgt gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 FGO zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses. Das Hindernis --die infolge der Mittellosigkeit des Klägers bestehende Unfähigkeit, einen [X.]rozessbevollmächtigten zu beauftragen-- ist mit dem Zugang des [X.] am 23.08.2021 entfallen. Die zweiwöchige Frist für die Stellung des [X.] und die Nachholung der versäumten Rechtshandlung lief damit bis zum 06.09.2021. Bis zu diesem Zeitpunkt ist die Beschwerde jedoch nicht in wirksamer Form beim [X.] eingelegt worden, so dass es an einer notwendigen Voraussetzung für die Gewährung von Wiedereinsetzung fehlt.

bb) Zwar gilt hinsichtlich der [X.] für die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (abweichend vom Wortlaut des § 56 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 FGO, wonach die versäumte Rechtshandlung im Falle der Versäumung einer Rechtsmittelbegründungsfrist innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses nachzuholen ist) analog § 116 Abs. 3 Satz 1 FGO eine Frist von zwei Monaten ab Zugang des [X.], um eine Gleichstellung von Unbemittelten und [X.] zu erreichen ([X.]-Beschlüsse vom 13.03.2003 - VII B 196/02, [X.]E 201, 425, [X.] 2003, 609, unter [X.], mit Nachweisen der gleichlautenden Rechtsprechung der anderen obersten Gerichtshöfe des [X.], und vom 22.03.2012 - XI B 1/12, [X.]/NV 2012, 1170, Rz 14).

Diese Rechtsprechung wird vom [X.] allerdings nicht auf die --im vorliegenden Verfahren einschlägige-- [X.] für die Einlegung der Beschwerde übertragen (z.B. [X.]-Beschluss vom 31.05.2016 - V B 26/16, [X.]/NV 2016, 1479, Rz 5). Insoweit bleibt es daher bei der im Wortlaut des § 56 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 FGO verankerten Zwei-Wochen-Frist.

Diese Differenzierung trägt zwar zur [X.] in [X.] nach [X.]KH-Gewährung bei und erhöht damit das Risiko, dass es in derartigen Situationen zu Fristversäumnissen kommt. Nach Auffassung des Senats erfordert die Gleichstellung von Unbemittelten und [X.] jedoch bei der bloßen Einlegung einer Beschwerde keine mit dem Gesetzeswortlaut des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO nicht im Einklang stehende Übertragung der Ein-Monatsfrist des § 116 Abs. 2 Satz 1 FGO. Die Beschwerdeeinlegung nach dem Zugang einer [X.]KH gewährenden Entscheidung verursacht nämlich --im Gegensatz zur Anfertigung einer Beschwerdebegründung-- keinen besonderen Aufwand und ist daher ohne Weiteres innerhalb der gesetzlichen Frist von zwei Wochen zu leisten.

cc) [X.] hat die Beschwerde nicht bereits zu einem früheren Zeitpunkt eingelegt.

Das am [X.] eingegangene Schreiben, in dem [X.] formuliert, für den Fall des Erfolgs des [X.]s werde sie sodann beantragen, die Revision zuzulassen, kann noch nicht als (bedingte) Einlegung der Beschwerde angesehen werden. Der Wortlaut dieses Schreibens spricht nicht für die bedingte Einlegung eines Rechtsmittels, sondern für die bloße Ankündigung einer erst künftig noch vorzunehmenden Rechtsmitteleinlegung ("wir werden sodann beantragen").

dd) [X.] konnte die vom Kläger ohne rechtliche Wirkung eingelegte Beschwerde auch nicht rückwirkend genehmigen.

Insbesondere bewirkt die Bezugnahme in der am 17.09.2021 eingegangenen Beschwerdebegründung "auf die bereits durch den Beschwerdeführer mit Schreiben vom [X.] eingelegte ... Nichtzulassungsbeschwerde" nicht, dass das am 06.04.2021 eingegangene Schreiben, das vom nicht postulationsfähigen Kläger persönlich verfasst worden ist, rückblickend als von [X.] genehmigte wirksame Einlegung der Beschwerde gilt. Eine Bezugnahme des [X.]rozessbevollmächtigten auf einen vom nicht postulationsfähigen Kläger persönlich verfassten Schriftsatz erfüllt die Anforderungen des § 62 Abs. 4 FGO nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht ([X.]-Beschluss vom 30.06.2005 - III B 176/04, [X.]/NV 2005, 2018).

3. [X.] beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

4. Von einer weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO ab.

Meta

X B 31/21

24.08.2022

Bundesfinanzhof 10. Senat

Beschluss

vorgehend FG Köln, 25. Februar 2021, Az: 11 K 3168/17, Urteil

§ 56 Abs 2 S 1 FGO, § 56 Abs 2 S 3 FGO, § 116 Abs 2 S 1 FGO, § 116 Abs 3 S 1 FGO, § 62 Abs 4 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 24.08.2022, Az. X B 31/21 (REWIS RS 2022, 5750)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 5750

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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X S 16/21, X S 17/21 (PKH), X S 20/21 (PKH), X S 16/21, X S 17/21 (PKH), X S 20/21 (PKH) (Bundesfinanzhof)

Gebührenhöhe für nach dem 31.12.2020 eingegangene Anhörungsrügen


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