8. Senat | REWIS RS 2020, 3716
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Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"
(Rechtsschutzinteresse eines Antrags auf mündliche Verhandlung gemäß § 90a Abs. 2 Satz 1 FGO)
NV: Die Möglichkeit, eine Prozesserklärung rechtsschutzgewährend als Antrag auf mündliche Verhandlung gemäß § 90a Abs. 2 Satz 1 FGO auszulegen, darf vom FG nicht mit dem Argument verneint werden, einem solchen Antrag fehle das Rechtsschutzinteresse, weil die Klage im Gerichtsbescheid als unzulässig abgewiesen worden sei und bei einer erneuten Entscheidung durch Urteil wiederum als unzulässig abgewiesen werden müsse.
Die Beschwerde der Kläger wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des [X.] vom [X.] - 15 K 3332/18 E,[X.] wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Kläger zu tragen.
Die Beschwerde ist unbegründet.
Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) legen keinen Zulassungsgrund gemäß § 115 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) dar, soweit sich ihre [X.] auf die Abweisung der Klage als unzulässig im Gerichtsbescheid vom [X.] beziehen (s. unter 1.). Soweit sie geltend machen, das Finanzgericht ([X.]) habe von einem rechtzeitig gestellten Antrag auf mündliche Verhandlung gemäß § 90a Abs. 2 Satz 1 [X.]O ausgehen müssen, ist die Beschwerde ebenfalls unbegründet, da der Schriftsatz der Kläger an das [X.] vom 13.05.2019 nicht in diesem Sinne ausgelegt werden kann (s. unter 2.).
1. Mit dem gegen die Entscheidung des [X.] im Gerichtsbescheid vom [X.] gerichteten Vorbringen, die Revision sei wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 [X.]O, zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 [X.]O und wegen Verfahrensmängeln gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O zuzulassen, weil das [X.] die Klage zu Unrecht mangels eines rechtzeitig bezeichneten Klagebegehrens gemäß § 65 [X.]O durch Prozessurteil als unzulässig abgewiesen habe, hat die Beschwerde keinen Erfolg.
Hat ein Urteil --wie im [X.] lediglich zum Gegenstand, dass der gemäß § 90a Abs. 2 Satz 1 [X.]O gestellte Antrag auf mündliche Verhandlung unzulässig ist und das Verfahren durch den Gerichtsbescheid beendet ist, der gemäß § 90a Abs. 3 Halbsatz 1 [X.]O als Urteil wirkt, und wird gegen die Nichtzulassung der Revision in einem solchen Urteil Beschwerde erhoben, muss dargelegt werden, dass insoweit Gründe für eine Zulassung der Revision gegeben sind (Beschlüsse des [X.] --[X.]-- vom 20.06.2012 - IV B 147/11, [X.], 1614, Rz 2; vom 20.11.2002 - VI B 90/02, [X.] 2003, 336, [Rz 5]). Daran fehlt es. Die Kläger setzen sich in ihrer Beschwerdebegründung unter Bezeichnung verschiedener Zulassungsgründe lediglich intensiv damit auseinander, dass das [X.] die erhobene Klage im Gerichtsbescheid vom [X.] nicht mangels eines innerhalb der gesetzten Ausschlussfrist bezeichneten Klagebegehrens als unzulässig habe abweisen dürfen. Mit diesem Vorbringen legen sie im Hinblick auf das angefochtene Urteil keinen relevanten Zulassungsgrund dar.
2. Soweit die Kläger vorbringen, sie hätten im Schriftsatz vom 13.05.2019 an das [X.] nach Ergehen des [X.] fristgerecht einen Antrag auf mündliche Verhandlung gemäß § 90a Abs. 2 Satz 1 [X.]O gestellt, hat ihr Vorbringen im Ergebnis keinen Erfolg. Zwar durfte das [X.] eine rechtsschutzgewährende Auslegung dieses Schriftsatzes als Antrag auf mündliche Verhandlung nicht mit der Begründung ablehnen, einem solchen Antrag fehle das Rechtsschutzinteresse (s. unter a). Dem Schriftsatz der Kläger vom 13.05.2019 lässt sich jedoch kein Antrag auf mündliche Verhandlung entnehmen (s. unter b).
a) Das [X.] durfte die Möglichkeit einer rechtsschutzgewährenden Auslegung des Schriftsatzes vom 13.05.2019 nicht deshalb verneinen, weil es die erhobene Klage mangels einer ausreichenden Bezeichnung des Klagebegehrens innerhalb der gesetzten Ausschlussfrist gemäß § 65 Abs. 2 Satz 2 [X.]O als unheilbar unzulässig ansah und den Klägern "materieller Rechtsschutz ... nicht mehr gewährt werden" könne. Einem fristgerechten Antrag der Kläger auf mündliche Verhandlung gemäß § 90a Abs. 2 Satz 1 [X.]O würde das Rechtsschutzinteresse nicht fehlen.
aa) Der Antrag nach § 90a Abs. 2 Satz 1 [X.]O setzt zwar wie jeder Rechtsbehelf ein Rechtsschutzinteresse voraus (vgl. [X.] vom 16.12.2015 - IV R 15/14, [X.], 1, [X.], 284, Rz 12; vom 06.06.2013 - VII R 16/12, [X.] 2013, 1440). Die Rechtsprechung stellt hieran aber keine hohen Anforderungen. Das Rechtsschutzinteresse für eine Antragstellung fehlt nach den vorgenannten [X.]n (nur), wenn dem Antrag des Beteiligten durch den Gerichtsbescheid in vollem Umfang entsprochen worden ist und der Beteiligte ein besonderes Rechtsschutzinteresse nicht geltend machen kann. Der [X.] hat zudem entschieden, dass ein Antrag auf mündliche Verhandlung auch dann gestellt werden darf, wenn sich der Antragsteller nicht gegen die sachliche Richtigkeit des [X.] wehrt, sondern die Entscheidung tatsächlich annimmt, sodass ein Kläger nach Ergehen eines [X.] mündliche Verhandlung beantragen darf, um die Klage zurückzunehmen. Ebenso darf ein Finanzamt einen Antrag auf mündliche Verhandlung stellen, um der Klage abzuhelfen (vgl. zum Ganzen [X.]-Urteil vom 30.03.2006 - V R 12/04, [X.]E 212, 411, [X.], 542, unter [X.] [Rz 19]). Ferner kann ein Beteiligter gegen einen Gerichtsbescheid mündliche Verhandlung beantragen, um für das darauf folgende Verfahren auf mündliche Verhandlung zu verzichten ([X.]-Urteil vom 06.10.2005 - V R 64/00, [X.]E 212, 132, [X.], 212, unter [X.] [Rz 43], m.w.N.).
bb) Auf dieser Grundlage durfte das [X.] eine Auslegung des Schriftsatzes der Kläger vom 13.05.2019 auch als Antrag der Kläger auf mündliche Verhandlung nicht mangels Rechtsschutzinteresses von vornherein ablehnen. Durch eine solche Handhabung des Verfahrens würde der Rechtsschutz der Kläger durch das [X.] in unzulässiger Weise verkürzt.
Hätten die Kläger keinen Antrag gestellt und würde der Gerichtsbescheid, mit dem die Klage durch Prozessurteil abgewiesen wurde, als Urteil wirken (§ 90a Abs. 3 Halbsatz 1 [X.]O), könnten sie dieses Prozessurteil nicht mit der Nichtzulassungsbeschwerde angreifen und Verfahrensmängel gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O geltend machen (vgl. [X.]-Beschluss vom [X.], [X.] 2005, 374, unter [X.] [Rz 7]). Dies wäre bei einem rechtzeitig gestellten Antrag der Kläger hingegen möglich, weil in diesem Fall der Gerichtsbescheid als nicht ergangen gegolten hätte (§ 90a Abs. 3 Halbsatz 2 [X.]O). Bei rechtzeitiger Antragstellung hätte das [X.] über die Zulässigkeit der Klage durch Urteil erneut entscheiden müssen. Wenn das [X.] die Klage erneut als unzulässig abgewiesen und die Revision nicht zugelassen hätte, hätten die Kläger hiergegen beim [X.] Nichtzulassungsbeschwerde erheben und einen Verfahrensmangel des [X.] gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O rügen können; im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde hätte das Prozessurteil des [X.] überprüft werden können. [X.] man einen rechtzeitig gestellten Antrag der Kläger auf mündliche Verhandlung mit der Erwägung, auch bei Fortsetzung des Verfahrens sei die Klage erneut durch Prozessurteil abzuweisen, nähme man den Klägern somit endgültig die Möglichkeit, das Prozessurteil durch den [X.] überprüfen zu lassen. Denn Zulassungsgründe, die sich auf die klageabweisende Entscheidung des [X.] als unzulässig im Gerichtsbescheid beziehen, können gegenüber der Vorentscheidung nicht mehr vorgebracht werden (s. unter 1.).
b) Dem Schriftsatz der Kläger vom 13.05.2019 lässt sich jedoch, wie das [X.] im Ergebnis zutreffend entschieden hat, weder ein ausdrücklicher noch schlüssiger Antrag der Kläger auf mündliche Verhandlung gemäß § 90a Abs. 2 Satz 1 [X.]O entnehmen.
aa) Der Antrag auf mündliche Verhandlung gemäß § 90a Abs. 2 Satz 1 [X.]O ist eine Prozesshandlung, die eindeutig sein muss. Der Inhalt der Erklärung ist unter Berücksichtigung der dem Gericht bekannten Umstände durch Auslegung zu ermitteln. Der Antrag braucht nicht ausdrücklich gestellt zu werden; es genügt nach dem Grundsatz der rechtsschutzgewährenden Auslegung von Verfahrensvorschriften (Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes), dass ein Beteiligter zu erkennen gibt, dass er es nicht bei dem Gerichtsbescheid belassen will (vgl. [X.] in Gosch, [X.]O § 90a Rz 39). Ziel der Auslegung einer Prozesserklärung ist es, den wirklichen Willen des Erklärenden zu erforschen (§ 133 des Bürgerlichen Gesetzbuchs). Auf die Wortwahl und die Bezeichnung kommt es nicht entscheidend an, sondern auf den gesamten Inhalt der Willenserklärung. Dabei können auch außerhalb der Erklärung liegende weitere Umstände berücksichtigt werden (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 28.11.2016 - VIII B 47/16, [X.] 2017, 468; [X.]-Beschluss vom 19.09.2017 - IV B 85/16, [X.] 2018, 51, Rz 4; zum Antrag gemäß § 90a Abs. 2 Satz 1 [X.]O [X.]-Beschluss vom 27.05.2004 - IV B 64/04, juris, unter 2. [Rz 7]). In der Auslegung prozessualer Willenserklärungen, die im erstinstanzlichen Klageverfahren abgegeben worden sind, ist das Revisionsgericht frei; es ist insoweit nicht gemäß § 118 Abs. 2 [X.]O an die Auslegung durch die Vorinstanz gebunden ([X.]-Beschluss in [X.] 2018, 51, Rz 4).
bb) Die Würdigung des [X.], dass der Schriftsatz der Kläger vom 13.05.2019 keinen Antrag auf mündliche Verhandlung gemäß § 90a Abs. 2 Satz 1 [X.]O enthielt, ist nach diesen Vorgaben nicht zu beanstanden.
Die Kläger waren vor dem [X.] durch die Prozessbevollmächtigten fachkundig vertreten. Der Gerichtsbescheid vom [X.], mit dem das [X.] die Klage wegen nicht hinreichender Bezeichnung des Klagebegehrens innerhalb der nach § 65 Abs. 2 Satz 2 [X.]O gesetzten Ausschlussfrist als unzulässig abgewiesen hatte und der den Prozessbevollmächtigten zugestellt worden war, enthielt eine ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung, wonach gegen einen Gerichtsbescheid innerhalb eines Monats nach dessen Zustellung die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt werden kann. Der im Namen der Kläger durch die Prozessbevollmächtigten eingereichte Schriftsatz vom 13.05.2019 enthielt lediglich die vom [X.] zuvor mehrfach angeforderte Klagebegründung nebst dem Sachantrag, ohne auf den zuvor ergangenen Gerichtsbescheid Bezug zu nehmen. Weder ist aus diesem Schriftsatz ersichtlich, dass eine mündliche Verhandlung stattfinden soll noch ist erkennbar, dass die Kläger die drohende Urteilswirkung des [X.] (vgl. § 90a Abs. 3 [X.]O) angreifen möchten. Ausgehend davon, dass es ein Gebot der Rechtssicherheit ist, Rechtskundige --hier die [X.] mit ihren [X.] beim Wort zu nehmen (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 07.01.2007 - VIII B 157/06, [X.] 2007, 931, unter [X.] [Rz 14]), konnte und musste der Schriftsatz vom 13.05.2019 vom [X.] nicht als Antrag auf mündliche Verhandlung verstanden werden.
Der Umstand, dass nach Ergehen des [X.] vom [X.] ein Antrag auf mündliche Verhandlung die zielführendste Prozesserklärung war, die die Kläger abgeben konnten, gebietet es angesichts der Umstände des Streitfalls nicht, im Rahmen einer rechtsschutzgewährenden Auslegung von [X.] im Schriftsatz vom 13.05.2019 einen Antrag auf mündliche Verhandlung zu sehen. Denn der Berichterstatter des [X.] hat die Prozessbevollmächtigten mit Verfügung vom 15.05.2019 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Schriftsatz vom 13.05.2019 nicht als Antrag auf mündliche Verhandlung gemäß § 90a Abs. 2 Satz 1 [X.]O angesehen werden könne. Die einmonatige Antragsfrist war zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgelaufen. Die Kläger hätten noch rechtzeitig einen ausdrücklichen Antrag auf mündliche Verhandlung gemäß § 90a Abs. 2 [X.]O stellen können, was jedoch unterblieben ist.
3. [X.] beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O.
Meta
23.11.2020
Beschluss
vorgehend FG Düsseldorf, 5. November 2019, Az: 15 K 3332/18 E,F, Urteil
§ 90a Abs 2 S 1 FGO, § 90a Abs 3 Halbs 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO
Zitiervorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 23.11.2020, Az. VIII B 174/19 (REWIS RS 2020, 3716)
Papierfundstellen: REWIS RS 2020, 3716
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