Bundesverfassungsgericht, Kammerbeschluss vom 08.06.2012, Az. 1 BvR 349/09

1. Senat 3. Kammer | REWIS RS 2012, 5786

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Gegenstand

Ablehnung der Auslagenerstattung nach Erledigung und Rücknahme der Verfassungsbeschwerde - Wegfall der Beschwer durch Gesetzesänderung ohne Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber den bisherigen Rechtszustand für verfassungswidrig erachtete


Tenor

Der Antrag auf Anordnung der Erstattung der notwendigen Auslagen des [X.] wird abgelehnt.

Gründe

I.

1

Die am 17. April 2012 für erledigt erklärte Verfassungsbeschwerde betraf die Anrechnung einer Verletztenrente der Unfallversicherung auf die Regelaltersrente der gesetzlichen Rentenversicherung bei einem am 18. Mai 1990 und seither im Beitrittsgebiet wohnhaften Rentner. Sie richtete sich gegen die Entscheidungen im sozialverwaltungsrechtlichen Verfahren wie auch gegen die Urteile des [X.] und des [X.] (Sprungrevision) auf einen im August 2003 gestellten Antrag auf Überprüfung der Anrechnungsgrundentscheidung des Rentenversicherungsträgers vom 14. Dezember 1992. Mit der Verfassungsbeschwerde mittelbar angegriffen wurde § 84a [X.] ([X.]) in der Fassung des Gesetzes zur Änderung von Vorschriften des Sozialen Entschädigungsrechts und des Gesetzes über einen Ausgleich für Dienstbeschädigungen im Beitrittsgebiet vom 19. Juni 2006, rückwirkend gültig ab 1. Januar 1999 ([X.]) in Verbindung mit Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet IX Abschnitt III Nr. 1 Buchstabe a Einigungsvertrag vom 23. September 1990 ([X.]). Diese Bestimmung führte wie auch die Vorgängerbestimmung jeweils in Verbindung mit § 31 [X.] zu einem abgesenkten Anrechnungsfreibetrag für Rentner, die wie der Beschwerdeführer am 18. Mai 1990 im Beitrittsgebiet wohnhaft waren.

2

Der Beschwerdeführer rügte eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 und Art. 14 GG. Er berief sich insbesondere darauf, dass § 84a [X.] und der durch diese Bestimmung abgesenkte Freibetrag Ost "spätestens seit Anfang 1999" verfassungswidrig seien. Zur Begründung verwies der Beschwerdeführer unter anderem darauf, dass das [X.] in seinem Urteil zur Kriegsopferversorgung überwiegende finanzwirtschaftliche Belange ab diesem [X.]punkt nicht mehr zur Rechtfertigung der Ungleichbehandlung von Kriegsbeschädigtenrentnern anerkannt habe (vgl. [X.] 102, 41 <61 f.>). Er trug weiter vor, dass es sich bei § 84a [X.] um ein Überleitungsproblem handele. § 84a [X.] sei als Absenkungsvorschrift einmal für eine gewisse Übergangszeit gedacht gewesen, die nicht nur hinsichtlich der Kriegsopfer, sondern auch hinsichtlich der Altersrentner mit zusätzlicher Unfallrente spätestens seit Anfang 1999 als beendet anzusehen sei. Seit 1998 hätten sich die Renten in den alten und den neuen Bundesländern kaum mehr angeglichen, die Ungleichbehandlung hinsichtlich der Höhe des [X.] nach § 93 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe a Sechsten [X.] ([X.]) sei damit nicht über eine Rentenangleichung Ost - West schleichend weggefallen. Ein sachlicher Grund für die unterschiedliche Behandlung verschiedener Rentnergruppen anhand ihres Wohnortes am 18. Mai 1990 für die [X.] ab Anfang 1999 sei nicht ersichtlich.

3

Nachdem durch Art. 1 Nr. 30 des Gesetzes zur Änderung des [X.]es und anderer Vorschriften vom 20. Juni 2011 ([X.] 1114) § 84a [X.] geändert und durch Art. 6 dieses Gesetzes die Bezugnahme in § 93 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe a [X.] auf § 31 in Verbindung mit § 84a Satz 1 und 2 [X.] durch eine Bezugnahme auf das [X.] ersetzt worden ist, ist die Beschwer des Beschwerdeführers ab 1. Juli 2011 entfallen. Nach dieser Gesetzesänderung hat der Beschwerdeführer die Verfassungsbeschwerde nicht nur für den [X.]raum ab 1. Juli 2011, sondern auch für die in der Vergangenheit liegenden [X.]räume für erledigt erklärt und beantragt, seine notwendigen Auslagen nach § 34a Abs. 3 [X.] zu erstatten.

II.

4

Der Antrag des Beschwerdeführers auf Erstattung seiner notwendigen Auslegung ist abzulehnen.

5

1. Über die Auslagenerstattung ist, nachdem der Beschwerdeführer die Verfassungsbeschwerde für erledigt erklärt hat, gemäß § 34a Abs. 3 [X.] nach [X.] zu entscheiden (vgl. [X.] 85, 109 <114>). Dabei prüft das [X.] die Erfolgsaussichten der Verfassungsbeschwerde nicht, da auch eine kursorische Prüfung der Erfolgsaussichten der Aufgabe des [X.]s widerspräche, verfassungsrechtliche Zweifelsfragen mit bindender Wirkung inter omnes zu klären (vgl. [X.] 33, 247 <264 f.>). Wesentliche Bedeutung kann aber insbesondere dem Grund zukommen, der zur Erledigung geführt hat (vgl. [X.] 85, 109 <114 ff.>; 87, 394 <397 f.>; [X.]K 3, 326 <327 f.>). Beseitigt die öffentliche Gewalt von sich aus den mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Akt oder hilft sie der Beschwer auf andere Weise ab, kann, vorbehaltlich dessen, dass keine anderweitigen Gründe ersichtlich sind, davon ausgegangen werden, dass sie das Begehren des Beschwerdeführers selbst für berechtigt erachtet hat. In diesem Fall ist es billig, die öffentliche Hand ohne weitere Prüfung an ihrer Auffassung festzuhalten und sie zu verpflichten, die Auslagen des Beschwerdeführers in gleicher Weise zu erstatten, wie wenn der Verfassungsbeschwerde stattgegeben worden wäre (vgl. [X.] 87, 394 <397>; [X.], Beschluss des [X.] vom 16. März 2004 - 1 BvR 1778/01 -, juris, Rn. 5; Beschluss der [X.] des [X.] vom 8. März 2012 - 1 BvR 872/10 -, juris).

6

2. Nach diesen Maßstäben ist vorliegend die Anordnung der Erstattung der Auslagen des Beschwerdeführers nicht veranlasst.

7

Vorliegend betraf die Verfassungsbeschwerde, soweit sie sich gegen die im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren ergangenen Entscheidungen richtete, allein die Überprüfung eines Bescheids aus dem [X.]. Prüfungsgegenstand des Urteils des [X.] war die Anrechnungs(grund)entscheidung in einem Bescheid vom 14. Dezember 1992, der aufgrund eines Antrags nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Zehntes [X.] ([X.]) im August 2003 vom Beschwerdeführer zur Überprüfung gestellt worden war. Nach dieser Bestimmung ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Die mit der Verfassungsbeschwerde gerügte fortdauernde Absenkung des Freibetrags Ost auch für den [X.]raum ab 1. Januar 1999 war nicht Streitgegenstand der angegriffenen Entscheidungen, auch wenn das [X.] in dem angegriffenen Urteil obiter feststellt, dass es keinen Bedenken begegne, dass der Gesetzgeber die differenzierende Verweisung in § 93 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe a [X.] auf die Grundrente "West" beziehungsweise "Ost" trotz fortschreitender Angleichung der Lebensverhältnisse zwischen den alten Bundesländern und dem Beitrittsgebiet bislang beibehalten habe.

8

Dem Gesetz zur Änderung des [X.]es und anderer Vorschriften und der Begründung des Gesetzentwurfes lässt sich nichts dazu entnehmen, dass der Gesetzgeber eine Angleichung des streitgegenständlichen [X.] rückwirkend zum [X.] für verfassungsrechtlich geboten hält und also das Begehren des Beschwerdeführers im angegriffenen Urteil für berechtigt erachtet.

9

3. Auch soweit sich die Verfassungsbeschwerde mittelbar gegen § 84a [X.] richtet, lässt sich nicht feststellen, dass die der Gesetzgeber aus verfassungsrechtlichen Gründen die Gesetzeslage geändert hat.

Die Begründung des Gesetzentwurfs für die Rechtsänderung ab 1. Juli 2011 verweist auf die - aufgrund des Urteils des [X.]s vom 14. März 2000 ([X.] 102, 41) - schon erfolgte Anhebung der Rentenleistung für Kriegsopfer und darauf, dass europarechtlich, aufgrund eines Urteils des [X.] zur Hinterbliebenenversorgung von Kriegsopfern vom 4. Dezember 2008 - [X.]/07 - (Slg 2008, [X.]) eine Vereinheitlichung der Leistungen nach dem [X.] an Berechtigte im gesamten [X.] erforderlich sei. Eine Aufrechterhaltung der Teilversorgung nur für Berechtigte in ehemaligen Ostblockstaaten, die nicht oder noch nicht [X.] seien, erscheine nicht begründbar, da Berechtigte in allen anderen [X.] Leistungen in voller Höhe bekämen. Leistungen an Berechtigte im Ausland würden also künftig nach einheitlichen Regeln erbracht. Deshalb solle die das Absenken der Leistungen im Beitrittsgebiet regelnde Vorschrift des [X.] keine Anwendung mehr finden. Davon seien nicht nur alle Berechtigten nach dem [X.], sondern auch nach den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des [X.]es vorsähen, betroffen (Gesetzentwurf der Bundesregierung BTDrucks 17/5311 vom 30. März 2011, [X.], 22 f., 26).

Dieser Begründung des Gesetzentwurfs lässt sich weder entnehmen, dass der Gesetzgeber den für Rentner, die ihren Wohnsitz am 18. Mai 1990 im Beitrittsgebiet hatten, abgesenkten Freibetrag für die Anrechnung ihrer Unfallrente auf ihre Rente der gesetzlichen Altersversorgung für verfassungswidrig hält, noch dass der Gesetzgeber eine Angleichung der Freibeträge aus verfassungsrechtlichen Gründen schon für einen [X.]raum ab 1. Januar 1999 für notwendig erachtet.

Auch wenn der Gesetzgeber der Beschwer des Beschwerdeführers für die Zukunft abgeholfen hat, kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass er selbst das Begehren des Beschwerdeführers einer Angleichung des Freibetrags Ost schon ab 1. Januar 1999 für berechtigt erachtet hat. Eine Kostenerstattung ist folglich abzulehnen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 349/09

08.06.2012

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 3. Kammer

Kammerbeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend BSG, 13. November 2008, Az: B 13 R 129/08 R, Urteil

§ 34a Abs 3 BVerfGG, § 84a BVG vom 19.06.2006, § 93 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB 6

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Kammerbeschluss vom 08.06.2012, Az. 1 BvR 349/09 (REWIS RS 2012, 5786)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 5786

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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