Bundesgerichtshof, Beschluss vom 24.04.2023, Az. VIa ZR 1216/22

6a. Zivilsenat | REWIS RS 2023, 4973

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Tenor

Die Parteien werden darauf hingewiesen, dass der [X.] beabsichtigt, die Revision des [X.] gegen das Urteil des 19. Zivilsenats des [X.] vom 21. Juli 2022 durch Beschluss gemäß § 552a Satz 1 ZPO auf Kosten des [X.] zurückzuweisen.

Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 16.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Kläger nimmt die beklagte [X.] wegen der Verwendung von unzulässigen Abschalteinrichtungen im Zusammenhang mit der Abgasrückführung auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Der Kläger kaufte im Juni 2016 von einem Dritten einen gebrauchten [X.] mit einer Laufleistung von 44.000 Kilometern zum Preis von 22.000 €. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor der Baureihe [X.] ausgestattet. Die Motorsteuerungssoftware war mit einer sogenannten Umschaltlogik ausgestattet, die den Betrieb auf dem Prüfstand erkannte und das Emissionsverhalten entsprechend anpasste.

3

Die Beklagte hatte bereits im [X.] 2015 den Einbau der Motorsteuerungssoftware öffentlich bekannt gemacht, ihre Vertriebspartner hierüber informiert und eine Internetseite eingerichtet, auf der Halter die Betroffenheit ihres Fahrzeugs überprüfen konnten. Ferner hatte die Beklagte im Februar 2016 die Halter der mit der Umschaltlogik ausgestatteten Fahrzeuge angeschrieben. Außerdem hatte sie zur Beseitigung der Umschaltlogik ein mit einem [X.] versehenes Software-Update entwickelt, das vom [X.] freigegeben worden war. Der Kläger ließ das Software-Update nach dem Erwerb des Fahrzeugs aufspielen.

4

Der Kläger hat die Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Prozesszinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs, hilfsweise die Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten aufgrund des Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung, die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten, die Feststellung, dass der Zahlungsanspruch aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung der [X.], und die Freistellung von außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten beantragt. Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Dagegen hat der Kläger Berufung eingelegt. Im Berufungsverfahren hat er den [X.] einseitig in der Hauptsache teilweise für erledigt erklärt. Das Berufungsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge weiter.

II.

5

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, im Wesentlichen wie folgt begründet:

6

Im Hinblick auf den Einbau der Umschaltlogik stehe dem Kläger ein deliktischer Schadensersatzanspruch weder aus §§ 826, 31 [X.] noch aus § 823 Abs. 2 [X.], § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV, Art. 5 der Verordnung ([X.]) Nr. 715/2007 zu. Das Verhalten der Beklagten sei im Zeitpunkt des Kaufs aufgrund ihrer zwischenzeitlichen Verhaltensänderung nicht mehr als sittenwidrig anzusehen. Das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, liege nicht im Schutzbereich der unionsrechtlich determinierten Bestimmungen.

7

Ein Schadensersatzanspruch des [X.] sei auch nicht im Zuge des Software-Updates begründet worden. Selbst wenn mit dem [X.] eine neue unzulässige Abschalteinrichtung implementiert worden sein sollte, ergäbe sich daraus noch kein [X.] Verhalten der Beklagten. Zudem sei durch das Software-Update weder ein neuer Schaden entstanden noch der vom Kläger geltend gemachte Schaden in Form des Abschlusses eines ungewollten Kaufvertrags vertieft worden.

III.

8

Die Revision des [X.] wird gemäß § 552a Satz 1 ZPO durch Beschluss zurückzuweisen sein, weil die Voraussetzungen für ihre Zulassung nicht vorliegen und sie keine Aussicht auf Erfolg hat.

9

1. Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch ist eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Insbesondere ist im Streitfall die Rechtsfrage nicht von Bedeutung, ob die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV als Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 [X.] das Interesse des individuellen Käufers schützen, ein nicht mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenes Fahrzeug zu erwerben. Der vom Kläger geltend gemachte deliktische Schadensersatzanspruch ist insoweit jedenfalls aus anderen Gründen nicht gerechtfertigt (dazu [X.] b).

2. Die Revision des [X.] hat keine Aussicht auf Erfolg. Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, dass dem Kläger weder wegen der ursprünglichen Ausstattung des Fahrzeugs mit der Umschaltlogik noch im Hinblick auf die spätere Implementierung des [X.]s der geltend gemachte Anspruch auf den sogenannten großen Schadensersatz zusteht.

a) Die Annahme des Berufungsgerichts, die Beklagte habe den Kläger nicht im Sinne von §§ 826, 31 [X.] sittenwidrig vorsätzlich geschädigt, lässt keinen Rechtsfehler erkennen (vgl. [X.], Urteil vom 30. Juli 2020 - [X.], NJW 2020, 2798 Rn. 32 ff.; Beschluss vom 9. März 2021 - [X.] 889/20, NJW 2021, 1814 Rn. 15 ff. und 23 ff.) und wird von der Revision hingenommen.

b) Die Revision wendet sich erfolglos gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, ein Schadensersatzanspruch des [X.] folge auch nicht aus § 823 Abs. 2 [X.], § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV. Die Ausstattung des Fahrzeugs mit der ursprünglich eingebauten Umschaltlogik und dem später implementierten [X.] könnte den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf großen Schadensersatz auch dann nicht begründen, wenn die vom Kläger als verletzt angesehenen Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV den Schutz des Käufers vor dem Abschluss eines ungewollten Vertrags bezweckten.

aa) Auch in diesem Fall könnte ein Schaden nur vorliegen, wenn der Kläger in Unkenntnis der eingebauten Umschaltlogik zum Abschluss eines Kaufvertrags gebracht worden wäre, den er sonst nicht geschlossen hätte, und der nach der Verkehrsanschauung als unvernünftig sowie den konkreten Vermögensinteressen des [X.] nicht angemessen anzusehen wäre (zu § 826 [X.] vgl. [X.], Urteil vom 25. Mai 2020 - [X.] 252/19, [X.]Z 225, 316 Rn. 46 f. und 49 ff.). Vorliegend ist indessen weder dargelegt noch ersichtlich, dass der Kläger im Berufungsverfahren behauptet hätte, trotz der vorangegangenen öffentlichen Aufklärungsmaßnahmen der Beklagten sei ihm bei Erwerb des Fahrzeugs nicht bekannt gewesen, dass dieses mit einer Umschaltlogik versehen war. Hat der Kläger den Kaufvertrag aber in dem Wissen geschlossen, dass das Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung aufwies, von der die Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung ausging, so ist sein wirtschaftliches Selbstbestimmungsrecht nicht verletzt worden, ohne dass es auf die Vernünftigkeit oder Unvernünftigkeit seines Willensentschlusses ankäme (vgl. auch zum fehlenden Zurechnungszusammenhang zwischen Verletzungshandlung und Willensentschluss des Verletzten [X.]/[X.], [X.], 82. Aufl., Vorb v § 249 Rn. 46).

bb) Entgegen der Ansicht der Revision kann ein deliktischer Anspruch des [X.] auf großen Schadensersatz auch nicht damit begründet werden, der Kläger habe bei Abschluss des Kaufvertrags darauf vertraut, dass durch das noch vorzunehmende Software-Update ein gesetzmäßiger, mit der [X.]-Typgenehmigung konformer Zustand hergestellt und die Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung gebannt sein werde. Im [X.] war das Fahrzeug noch nicht mit einem [X.] ausgestattet. Sofern der Kläger das Fahrzeug in der möglicherweise enttäuschten Hoffnung erworben haben mag, nach der vorzunehmenden Installation des Software-Updates drohe eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung nicht weiter, berührt eine solche Erwartung nicht sein deliktsrechtlich allein geschütztes Erhaltungsinteresse (vgl. dazu [X.], Urteil vom 18. Januar 2011 - [X.] 325/09, [X.]Z 188, 78 Rn. 8; Urteil vom 6. Juli 2021 - [X.] 40/20, [X.]Z 230, 224 Rn. 15).

cc) Ob die Beklagte durch das nachträglich aufgespielte [X.] eine eigenständige Haftung nach § 823 Abs. 2 [X.], § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV begründet hat, ist vorliegend ohne Bedeutung. Die vom Kläger mit dem großen Schadensersatz beanspruchte Befreiung von der mit dem Kaufvertrag eingegangenen ungewollten Verpflichtung beziehungsweise der verlangte Ersatz für die in deren Erfüllung aufgewendeten Geldmittel kann hierauf nicht gestützt werden (vgl. [X.], Beschluss vom 12. September 2022 - [X.], juris Rn. 17 mwN).

[X.]     

      

Möhring     

      

Krüger

      

Wille     

      

Liepin     

      

Hinweis: Das Revisionsverfahren ist durch Revisionszurückweisung erledigt worden.

Meta

VIa ZR 1216/22

24.04.2023

Bundesgerichtshof 6a. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Stuttgart, 21. Juli 2022, Az: 19 U 89/21

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 24.04.2023, Az. VIa ZR 1216/22 (REWIS RS 2023, 4973)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 4973


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 19 U 89/21

Oberlandesgericht Köln, 19 U 89/21, 19.08.2021.


Az. VIa ZR 1216/22

Bundesgerichtshof, VIa ZR 1216/22, 03.07.2023.

Bundesgerichtshof, VIa ZR 1216/22, 24.04.2023.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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28 U 266/19 (Oberlandesgericht Hamm)


Referenzen
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Zitiert

VI ZR 325/09

VI ZR 252/19

VI ZR 889/20

VI ZR 5/20

VI ZR 40/20

VI ZR 804/20

VI ZR 676/20

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