Bundesgerichtshof, Urteil vom 13.01.2022, Az. III ZR 205/20

3. Zivilsenat | REWIS RS 2022, 2071

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BEFANGENHEIT ZIVIL- UND ZIVILVERFAHRENSRECHT BUNDESGERICHTSHOF (BGH) SCHADENSERSATZ ABGASAFFÄRE RICHTER

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Gegenstand

Herstellerhaftung bei Erwerb eines vom Dieselskandal betroffenen Gebrauchtwagens: Erstreckung der Verhaltensänderung des Volkswagenkonzerns auf andere Konzernmarken; objektive Sittenwidrigkeit bei Verwendung einer bereits zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Fahrzeugs vorhanden temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems


Leitsatz

1. Zur Erstreckung der Verhaltensänderung des Volkswagenkonzerns in dem "Dieselskandal" ab dem 22. September 2015 auf andere Konzernmarken (hier: AUDI AG; Anschluss an BGH, Urteil vom 23. November 2021 - VI ZR 818/20, juris Rn. 8; Beschluss vom 15. Juni 2021 - VI ZR 566/20, juris Rn. 6).

2. Die höchstrichterlich entwickelten Grundsätze zur Verwirklichung des Tatbestands der objektiven Sittenwidrigkeit im Sinne des § 826 BGB bei Verwendung einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems (Thermofenster) gelten nicht nur, wenn ein Thermofenster nachträglich im Rahmen eines Software-Updates installiert wurde, sondern erfassen auch den Fall, dass ein Thermofenster bereits zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Fahrzeugs vorhanden war (Anschluss an BGH, Urteile vom 13. Juli 2021 - VI ZR 128/20, WM 2021, 1609 und vom 16. September 2021 - VII ZR 190/20, NJW 2021, 3721; Beschluss vom 19. Januar 2021 - VI ZR 433/19, NJW 2021, 921).

Tenor

Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] - 10. Zivilsenat - vom 25. August 2020 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt den beklagten Fahrzeughersteller auf Schadensersatz wegen Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen für die Abgasreinigung in Anspruch.

2

Der Kläger erwarb am 17. November 2015 von einem Autohaus einen im Jahr 2012 erstmals zugelassenen [X.] zum Preis von 25.000 € (Stand des [X.]: 63.600 km), wobei der Kaufpreis teilweise finanziert wurde. Bis zum 17. Januar 2020 legte er mit dem Fahrzeug 61.674 Kilometer zurück.

3

In dem Fahrzeug ist ein von der [X.] entwickelter Dieselmotor des Typs [X.] verbaut. Für den Fahrzeugtyp wurde die Typgenehmigung nach der Verordnung ([X.]) Nr. 715/2007 des [X.] und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen ([X.] und [X.]) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (im Folgenden: [X.] ([X.]) Nr. 715/2007) mit der Schadstoffklasse [X.] erteilt. Die Motorsteuerung des Fahrzeugs war werkseitig mit einer die Abgasrückführung steuernden (unzulässigen) Software ausgestattet (sog. "Umschaltlogik"). Diese schaltete automatisch den "Modus 1" mit einer höheren Abgasrückführungsrate ein, wenn das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem [X.] (NEFZ) unterzogen wurde. Im normalen Fahrbetrieb außerhalb des [X.] schaltete der Motor dagegen in den "Modus 0", bei dem die Abgasrückführungsrate niedriger und der [X.] höher waren. Für die Erteilung der Typgenehmigung der [X.] maßgeblich war der [X.] auf dem Prüfstand. Die Stickoxidgrenzwerte der [X.]-Norm wurden nur im Abgasrückführungsmodus 1 eingehalten.

4

Am 22. September 2015 veröffentlichte die [X.], die Muttergesellschaft der [X.], eine [X.] sowie eine im Wesentlichen gleichlautende Pressemitteilung, aus denen sich ergab, dass bei in Dieselfahrzeugen des [X.] verbauten Motoren des Typs [X.] eine auffällige Abweichung zwischen [X.]werten und realem Fahrbetrieb festgestellt worden sei und mit Hochdruck an der Aufklärung und Beseitigung dieser Unregelmäßigkeiten gearbeitet werde (siehe auch [X.], Urteil vom 30. Juli 2020 - [X.], NJW 2020, 2798 zum genauen Wortlaut der [X.]). Seitdem wurde über die Software in einer breiten Öffentlichkeit diskutiert und in den Medien ausführlich berichtet. Im Oktober 2015 richteten sowohl die [X.] als auch die Beklagte Websites ein, auf denen durch Angabe der Fahrzeugidentifizierungsnummer ([X.]) die Betroffenheit eines Fahrzeugs von den [X.] abgefragt werden konnte.

5

Mit Bescheid vom 15. Oktober 2015 beanstandete das Kraftfahrtbundesamt ([X.]) die verwendete Prüfstanderkennungssoftware ("Umschaltlogik") als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 [X.] ([X.]) Nr. 715/2007 und ordnete an, diese in den davon betroffenen Fahrzeugen zu entfernen und geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung der Vorschriftsmäßigkeit zu ergreifen. Das daraufhin entwickelte Software-Update wurde vom [X.] freigegeben und zu einem nicht näher festgestellten Zeitpunkt auch bei dem vom Kläger erworbenen Fahrzeug aufgespielt.

6

In dem streitgegenständlichen Fahrzeug ist ferner eine temperaturabhängige Steuerung des [X.] vorhanden ([X.]). Bei geringeren Außentemperaturen (z.B. unter 15 Grad Celsius) wird die Abgasrückführung reduziert oder ganz abgeschaltet, so dass die Stickoxidemissionen ansteigen. Dieses [X.] war entweder bereits beim Inverkehrbringen des Fahrzeugs installiert oder ist erstmals im Rahmen des vorgenannten Software-Updates aufgespielt worden.

7

Der Kläger hat geltend gemacht, die Beklagte habe die im Motor seines Fahrzeugs integrierte Software mit dem Ziel programmieren lassen, die Stickoxidemissionen so zu manipulieren, dass die gesetzlichen Grenzwerte nur bei [X.] auf dem Prüfstand zur Erlangung der EU-Typgenehmigung eingehalten würden. Dabei habe sie die Ziele der Gewinnmaximierung und Marktführerschaft verfolgt. Die Entwicklungsabteilung der [X.] habe mit Wissen des Vorstands entschieden, die als illegal erkannte [X.] serienmäßig in die Motoren des Typs [X.] zu integrieren. Der Vorsatz der [X.] sei auch nicht durch die am 22. September 2015 veröffentlichte [X.] entfallen. Die Beklagte habe nicht davon ausgehen dürfen, dass damit sämtliche Folgeerwerber über die [X.] in Kenntnis gesetzt würden. Jedenfalls werde noch heute über das Vorhandensein einer Abgasrückführung mit Abschaltautomatik getäuscht, weil das in das Abgasrückführungs([X.] implementierte [X.] eine unzulässige Abschalteinrichtung darstelle, die nicht mit dem Ausnahmetatbestand des Art. 5 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a [X.] ([X.]) Nr. 715/2007 gerechtfertigt werden könne.

8

Das [X.] hat die auf Zahlung von 26.067,23 € (Kaufpreis [X.] Kreditkosten) nebst [X.] um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs, Feststellung des Annahmeverzugs der [X.] und Freistellung von außergerichtlichen Anwaltskosten gerichtete Klage abgewiesen. In der Berufungsinstanz hat der Kläger unter Aufrechterhaltung der übrigen Anträge hinsichtlich der begehrten Zug-um-Zug-Zahlung den Abzug einer Nutzungsentschädigung von 4.672,43 € berücksichtigt sowie Delikts- und Prozesszinsen verlangt. Das [X.] hat die Berufung des [X.] zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt er seine zweitinstanzlich geltend gemachten Ansprüche in vollem Umfang weiter.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision des [X.] ist unbegründet.

I.

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

Dem Kläger stehe kein Anspruch gegen die [X.] auf Zahlung von Schadensersatz wegen des Erwerbs des mit dem Motor [X.] ausgestatteten Fahrzeugs zu, wobei ausschließlich deliktische Anspruchsgrundlagen in Betracht kämen. Das streitgegenständliche Fahrzeug sei zwar bei seinem Inverkehrbringen durch die [X.] mit einer im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 [X.] ([X.]) Nr. 715/2007 unzulässigen Abschalteinrichtung ("Umschaltlogik") versehen gewesen. Gleichwohl scheide eine Haftung der [X.]n wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung gemäß §§ 826, 31 BGB aus. Denn zum Zeitpunkt des Fahrzeugerwerbs durch den Kläger habe es an einer sittenwidrigen Veranlassung des Erwerbs seitens der [X.]n gefehlt. Die maßgebliche Schädigungshandlung der [X.]n sei das Herstellen und Inverkehrbringen des Dieselmotors [X.] mit der unzulässigen Abschalteinrichtung. [X.] - wie im vorliegenden Fall - das Inverkehrbringen des Fahrzeugs und dessen Erwerb durch einen Gebrauchtwagenkäufer zeitlich auseinander, müsse auch zum Zeitpunkt des Fahrzeugerwerbs (vorliegend durch den Kläger) noch eine sittenwidrige Veranlassung vonseiten der [X.]n vorliegen. Daran fehle es im Streitfall. Die Ad-hoc-Mitteilung und die gleichlautende Pressemitteilung vom 22. September 2015, die nachfolgende Berichterstattung über die Anordnungen des [X.] und die Einräumung der Möglichkeit, sich selbst im [X.] durch Eingabe der Fahrzeugidentifizierungsnummer Klarheit über die Betroffenheit des eigenen Fahrzeugs zu verschaffen, seien objektiv geeignet gewesen, das Vertrauen potenzieller Käufer von Gebrauchtwagen mit [X.] in eine vorschriftsmäßige Abgastechnik zu zerstören. Nach dieser Strategieänderung des [X.] sei für die Ausnutzung einer diesbezüglichen Arglosigkeit der Fahrzeugerwerber kein Raum mehr gewesen (Hinweis auf [X.], Urteil vom 30. Juli 2020 - [X.], NJW 2020, 2798 Rn. 37 f).

Ein [X.] Verhalten der [X.]n folge auch nicht aus dem Einbau eines [X.]s in das streitgegenständliche Fahrzeug, das nach dem Vortrag des [X.] so programmiert sei, dass die die Stickoxidemissionen verringernde Abgasrückführung "bereits bei bestimmten Außentemperaturen, z.B. unter 15° C" beziehungsweise "wohl erstmals bei 7° C" reduziert beziehungsweise ganz abgeschaltet werde. Die [X.] habe eingeräumt, dass eine volle Abgasrückführung (auch nach dem Software-Update) lediglich zwischen 15 und 33 Grad Celsius stattfinde. Sie habe sich darauf berufen, diese "Ausrampstrategie" sei zum Schutz des [X.] vor [X.] erforderlich und vom [X.] im Rahmen des Freigabeprozesses (für das Software-Update) geprüft und nicht beanstandet worden. Eine darüber hinausgehende sekundäre Darlegungslast der [X.]n zur genauen Funktionsweise der Emissionssteuerung bestehe nicht. Darauf, ob das [X.] eine objektiv unzulässige Abschalteinrichtung darstelle, komme es letztlich nicht an. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass aufseiten der [X.]n bewusst eine - unterstellt - objektiv unzulässige Abschalteinrichtung verwendet worden sei. Mangels anderweitiger Anhaltspunkte liege allenfalls eine fahrlässige Verkennung der Rechtslage vor. Dann fehle es aber an einem sittenwidrigen Verhalten und am notwendigen Schädigungsvorsatz. Mangels näherer Ausführungen des [X.] fehlten konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die [X.] in dem Bewusstsein gehandelt habe, durch die Verwendung eines [X.]s möglicherweise gegen die gesetzlichen Vorschriften zu verstoßen, und diesen Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen habe. Die Gesetzeslage sei nicht eindeutig, wie die kontrovers geführte Diskussion über Inhalt und Reichweite der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 Satz 2 Buchst. [X.] ([X.]) Nr. 715/2007 zeige. Dementsprechend hätten sich bislang weder das [X.] noch das [X.] von der Unzulässigkeit des von der [X.]n verwendeten [X.]s überzeugen können. Ein sämtliche Fahrzeuge betreffender Rückruf sei daher nicht angeordnet worden. Auch nach der Einschätzung der Untersuchungskommission "[X.]" (Bericht vom April 2016) liege ein Gesetzesverstoß durch die von allen Autoherstellern eingesetzten [X.] jedenfalls nicht eindeutig vor. Nach alledem sei eine Auslegung, wonach ein [X.] eine zulässige Abschalteinrichtung darstelle, jedenfalls nicht unvertretbar. Ein Handeln der [X.]n unter vertretbarer Auslegung des Gesetzes könne jedoch nicht als besonders verwerfliches Verhalten angesehen werden.

Aus denselben Gründen, die zur Verneinung einer sittenwidrigen Veranlassung des Fahrzeugerwerbs führten, scheitere ein Anspruch des [X.] aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB, § 31 BGB. Die [X.] hafte auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 Satz 1 der [X.]-Fahrzeuggenehmigungsverordnung ([X.]-FGV) und Art. 5 [X.] ([X.]) Nr. 715/2007.

II.

Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung stand.

1. Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV oder Art. 5 der [X.] ([X.]) Nr. 715/2007 oder aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB, § 31 BGB bestehen nicht (vgl. Senatsurteile vom 23. September 2021 - [X.]/20, NJW 2021, 3725 Rn. 14 und vom 28. Oktober 2021 - [X.], juris Rn. 13; [X.], Urteile vom 30. Juli 2020 - [X.], NJW 2020, 2798 Rn. 10 ff, 17 ff; vom 8. Dezember 2020 - [X.]/20, [X.], 263 Rn. 20; vom 23. März 2021 - [X.] 1180/20, [X.], 732 Rn. 19 und vom 16. September 2021 - [X.]/20, NJW 2021, 3721 Rn. 35 ff; Beschluss vom 9. März 2021 - [X.] 889/20, NJW 2021, 1814 Rn. 10). Dies zieht die Revision nicht in Zweifel.

2. Dem Kläger steht auch kein Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 31 BGB zu. Ohne Erfolg wendet sich die Revision gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, die [X.] habe dem Kläger nicht in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise Schaden zugefügt.

Ob ein Verhalten sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB ist, ist eine Rechtsfrage, die der uneingeschränkten Kontrolle des [X.] unterliegt (st. Rspr.; vgl. nur Senatsurteile vom 23. September 2021 aaO Rn. 16 und vom 28. Oktober 2021 aaO Rn. 15; [X.], Urteile vom 25. Mai 2020 - [X.] 252/19, [X.]Z 225, 316 Rn. 14 und vom 16. September 2021 aaO Rn. 14; Beschluss vom 9. März 2021 aaO Rn. 14; [X.]. mwN).

a) Nach den Feststellungen der Vorinstanzen hat die [X.] die von der [X.] AG entwickelten Dieselmotoren der Baureihe [X.], deren Motorsteuerungssoftware so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand eingehalten, im normalen Fahrbetrieb aber überschritten wurden (sog. Umschaltlogik), in den von ihr hergestellten Fahrzeugen verbaut. Zugunsten des [X.] kann unterstellt werden, dass die [X.] die mit dieser offensichtlich unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeuge auf der Grundlage einer strategischen Entscheidung unter bewusster Ausnutzung der Arglosigkeit der Erwerber, die die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben und die ordnungsgemäße Durchführung des Typgenehmigungsverfahrens als selbstverständlich voraussetzten, in den Verkehr gebracht und dabei die damit einhergehende Belastung der Umwelt und die Gefahr, dass bei einer Aufdeckung dieses Sachverhalts eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung hinsichtlich der betroffenen Fahrzeuge erfolgen könnte, in Kauf genommen hat. Nach inzwischen gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung ist ein solches Verhalten im Verhältnis zu den Personen, die eines der betroffenen Fahrzeuge vor den im September 2015 ergriffenen ([X.] des [X.] (insbesondere Ad-hoc-Mitteilung und Presseerklärung vom 22. September 2015 der [X.] AG) erwarben und keine Kenntnis von der illegalen Abschalteinrichtung hatten, besonders verwerflich und objektiv sittenwidrig. Es steht [X.] einer unmittelbaren arglistigen Täuschung dieser Personen gleich (Senatsurteile vom 23. September 2021 aaO Rn. 17 und vom 28. Oktober 2021 aaO Rn. 16; [X.], Urteile vom 25. Mai 2020 aaO Rn. 16 ff, 23, 25 und vom 30. Juli 2020 aaO Rn. 33; Beschluss vom 9. März 2021 aaO Rn. 16).

b) Ab September 2015 trat jedoch eine Zäsur ein, da sowohl die [X.] AG als auch die [X.] als deren Tochtergesellschaft ihr Verhalten nach außen erkennbar im Sinne eines grundlegenden Strategiewechsels maßgeblich geändert haben. Durch diese Verhaltensänderung wurden wesentliche Elemente, die das bisherige Verhalten gegenüber den zuvor betroffenen Fahrzeugkäufern als besonders verwerflich erscheinen ließen, derart relativiert, dass der Vorwurf der Sittenwidrigkeit bezogen auf ihr Gesamtverhalten gegenüber späteren Käufern von mit einem Motor des Typs [X.] ausgestatteten Fahrzeugen und im Hinblick auf den Schaden, der bei ihnen durch den Abschluss eines ungewollten Kaufvertrags entstanden sein könnte, nicht mehr gerechtfertigt ist. Der [X.]konzern ist an die Öffentlichkeit getreten, hat Unregelmäßigkeiten eingeräumt und Maßnahmen zur Beseitigung des gesetzwidrigen Zustandes erarbeitet, um die Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung zu bannen (vgl. Senatsurteile vom 23. September 2021 aaO Rn. 18 und vom 28. Oktober 2021 aaO Rn. 17; vgl. auch [X.], Urteile vom 30. Juli 2020 aaO Rn. 34, 37 und vom 8. Dezember 2020 aaO Rn. 14 f; Beschluss vom 9. März 2021 aaO Rn. 17). Auf dieser Grundlage kann das Verhalten sowohl der [X.] AG als auch der [X.]n bei der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht mehr einer arglistigen Täuschung gleichgesetzt werden (vgl. Senatsurteile vom 23. September 2021 und 28. Oktober 2021, [X.]. aaO; siehe auch [X.], Urteile vom 30. Juli 2020 aaO Rn. 38 und vom 8. Dezember 2020 aaO Rn. 17; Beschluss vom 9. März 2021 aaO Rn. 17 ff).

c) Dieses Ergebnis wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Kläger im Streitfall ein Fahrzeug der Marke [X.] und nicht der Marke [X.] erworben hat. Die dargestellte Verhaltensänderung beschränkte sich nicht auf die Kernmarke [X.]. Bereits in der Ad-hoc-Mitteilung der [X.] AG vom 22. September 2015 wurde darauf hingewiesen, dass die betreffende Steuerungssoftware auch in anderen Dieselfahrzeugen des [X.] vorhanden sei und der Motor [X.] Auffälligkeiten aufweise. Dabei wurde keine Einschränkung auf eine bestimmte Marke des Konzerns vorgenommen. Mit diesem Schritt an die Öffentlichkeit und der damit verbundenen Mitteilung, mit den zuständigen Behörden und dem [X.] bereits in Kontakt zu stehen, hat die [X.] AG als Muttergesellschaft ihre strategische unternehmerische Entscheidung, das [X.] und letztlich die Fahrzeugkäufer zu täuschen, auch bezüglich der weiteren Konzernmarken ersetzt durch die Strategie, Unregelmäßigkeiten einzuräumen und in Zusammenarbeit mit dem [X.] Maßnahmen zur Beseitigung des gesetzwidrigen Zustands zu erarbeiten. Auf Grund dieses - beginnend mit der Ad-hoc-Mitteilung vom 22. September 2015 - nach außen erkennbaren Strategiewechsels war das Verhalten des [X.] generell, das heißt hinsichtlich aller Konzernmarken, nicht mehr darauf angelegt, das [X.] und arglose Erwerber zu täuschen (vgl. [X.], Urteil vom 8. Dezember 2020 - [X.]/20, [X.], 263 Rn. 17). Demgemäß gab die [X.] als Tochtergesellschaft der [X.] AG - wie das [X.] festgestellt hat - bereits am 2. Oktober 2015 eine Pressemitteilung heraus, in der sie darauf hinwies, dass Kunden auf der am selben Tag freigeschalteten Website überprüfen könnten, ob ihr Fahrzeug mit der auffälligen Abschalteinrichtung versehen und damit von dem "Dieselabgasskandal" betroffen sei. Auch ihr Verhalten stellt sich bis zum Eintritt des Schadens beim Kläger in der gebotenen Gesamtschau nicht als sittenwidrig dar, ohne dass es auf die Kenntnis des [X.] vom "Dieselskandal" im Allgemeinen und seine Vorstellungen von der Betroffenheit des Fahrzeugs im Besonderen ankommt (vgl. zur Haftung der [X.]n [X.], Urteil vom 23. November 2021 - [X.] 818/20, juris Rn. 8; Beschluss vom 15. Juni 2021 - [X.] 566/20, juris Rn. 6).

d) Die Verwerflichkeit des Verhaltens der [X.]n setzte sich entgegen der Auffassung der Revision ("Unrechtskontinuität") auch nicht in lediglich veränderter Form fort, weil die [X.] mit dem Software-Update, wodurch die unzulässige Umschaltlogik entfernt wurde, eine temperaturabhängige Steuerung des [X.] ([X.]) implementiert hat. Der revisionsrechtlichen Prüfung ist dabei der vom Berufungsgericht festgestellte übereinstimmende Sachvortrag der Parteien zugrunde zu legen, wonach die Abgasrückführung nach dem Software-Update nur in einem Temperaturbereich von 15 bis 33 Grad Celsius uneingeschränkt funktioniert.

aa) Dies rechtfertigt den Vorwurf besonderer Verwerflichkeit in der gebotenen Gesamtbetrachtung aber nicht. Dabei kann - wovon auch das Berufungsgericht ausgegangen ist (weshalb die Frage der sekundären Darlegungslast der [X.]n keine Rolle spielt) - unterstellt werden, dass mit dem Update eine neue unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung ([X.]) Nr. 715/2007 implementiert worden ist. Der darin liegende - unterstellte - Gesetzesverstoß reicht nicht aus, um das Gesamtverhalten der [X.]n als sittenwidrig zu qualifizieren. Hierfür bedürfte es weiterer Umstände im Zusammenhang mit der Entwicklung und Genehmigung des Software-Updates (Senatsurteile vom 23. September 2021 aaO Rn. 22 und vom 28. Oktober 2021 aaO Rn. 22; [X.], Beschluss vom 9. März 2021 aaO Rn. 25 ff; siehe auch [X.], Urteile vom 13. Juli 2021 - [X.] 128/20, [X.], 1609 Rn. 13 und vom 16. September 2021 aaO Rn. 16 ff, 30; Beschluss vom 19. Januar 2021 - [X.] 433/19, NJW 2021, 921 Rn. 16 ff). Erforderlich ist insoweit, dass die für die [X.] handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Applikation der temperaturabhängigen Steuerung des [X.] in dem Bewusstsein handelten, eine (weitere) unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen (Senatsurteile vom 23. September 2021 und 28. Oktober 2021, [X.]. aaO; [X.], Urteil vom 16. September 2021 aaO Rn. 16; Beschluss vom 9. März 2021 aaO Rn. 28). Soweit die Revision geltend macht, die [X.] habe mit dem Software-Update [X.] eine von vornherein rechtswidrige Beseitigungsmaßnahme entwickelt und genehmigen lassen, bedarf es der Behauptung einer erneuten Täuschung des [X.] (Senatsurteile vom 23. September 2021 und 28. Oktober 2021, [X.]. aaO; [X.], Beschluss vom 9. März 2021 aaO Rn. 24). Dafür fehlen vorliegend greifbare Anhaltspunkte.

bb) Die Revision zeigt weder vom Berufungsgericht festgestellten noch von diesem übergangenen Sachvortrag des insoweit darlegungsbelasteten [X.] auf, dem konkrete Anhaltspunkte für eine bewusste Täuschung des [X.] durch für die [X.] handelnden Personen entnommen werden könnten. Entgegen der Auffassung der Revision genügt es nicht, lediglich zu behaupten, die [X.] habe im Zusammenhang mit dem Software-Update den Einbau eines [X.]s verheimlicht und das Inverkehrbringen eines [X.]s könne mangels technischer Rechtfertigung nur darauf abzielen, eine Täuschung öffentlicher Stellen sowie einer Vielzahl von möglichen Abnehmern über die Abgasrückführung in den betreffenden Fahrzeugen herbeizuführen. Dabei übergeht die Revision, dass der Kläger mit Schriftsatz vom 23. April 2020 ([X.]) ausdrücklich eingeräumt hat, "dass hier die verwendete Ausrampstrategie gegenüber dem [X.] im Freigabeprozess offengelegt wurde".

Aus dem - auch im [X.] veröffentlichten - Bericht der vom [X.] und digitale Infrastruktur eingesetzten Untersuchungskommission "[X.]" vom April 2016 ergibt sich, dass in dem hier fraglichen Zeitraum [X.] von allen Autoherstellern verwendet wurden. Begründet wurde dies mit dem Erfordernis des Motorschutzes, wobei diese Frage vor allem die Auslegung der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 Satz 2 Buchst. [X.] ([X.]) Nr. 715/2007 betraf. Dementsprechend haben sowohl das [X.] als auch das zuständige Fachministerium den Einsatz eines [X.]s, bei dem die Hersteller die Abgasreinigung temperaturabhängig zurückfahren, jedenfalls dann nicht grundsätzlich in Frage gestellt, wenn die Einrichtung notwendig sei, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen (Senatsbeschluss vom 25. November 2021 - [X.]/20, juris Rn. 15; [X.], Urteil vom 16. September 2021 aaO Rn. 31). Im Hinblick auf diese nicht eindeutige Rechtslage - der [X.] hat sich erstmals mit Urteil vom 17. Dezember 2020 (C-693/18, NJW 2021, 1216) mit der Auslegung der vorgenannten Ausnahmevorschrift befasst - können allein aus dem Einsatz eines [X.]s keine Anhaltspunkte dafür hergeleitet werden, dass die für die [X.] handelnden Personen dies als illegal angesehen und gebilligt haben. Eine möglicherweise fahrlässige Verkennung der Rechtslage durch die [X.] genügt für die Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit nicht.

Auch aus einer etwaig unterbliebenen Offenlegung der genauen Wirkungsweise des [X.]s gegenüber dem [X.] folgen keine Anhaltspunkte dafür, dass die für die [X.] handelnden Personen in dem Bewusstsein agierten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Denn dem [X.] war die Verwendung von [X.]n bei allen Herstellern und die in diesem Zusammenhang geführte rechtliche Diskussion um den Motorschutz bekannt. Es war deshalb zu einer Überprüfung des [X.] der Fahrzeuge - gegebenenfalls nach weiteren Rückfragen beim Hersteller - ohne weiteres in der Lage (vgl. Senatsbeschluss vom 25. November 2021 aaO; [X.], Urteil vom 16. September 2021 aaO Rn. 26).

e) Soweit die Revision - wohl hilfsweise - geltend macht, in dem streitgegenständlichen Fahrzeug sei (möglicherweise) bereits vor dem Aufspielen des Software-Updates ein [X.] installiert gewesen (Revisionsbegründung, S. 3), kann dies dahinstehen. Denn die vorgenannten Grundsätze und Erwägungen gelten nicht nur dann, wenn ein [X.] nachträglich im Rahmen eines Software-Updates installiert wurde, sondern erfassen auch den Fall, dass das Emissionskontrollsystem des Fahrzeugs bereits zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens temperaturabhängig gesteuert und dabei die Abgasrückführung bei kühleren Außentemperaturen reduziert wurde (vgl. [X.], Urteile vom 13. Juli 2021 aaO Rn. 10 ff und vom 16. September 2021 aaO Rn. 12 ff; Beschluss vom 19. Januar 2021 aaO Rn. 13 ff).

f) Die Behauptung der Revision, bei dem eingebauten [X.] handele es sich um eine unzulässige Abschalteinrichtung, die den Prüfstand erkenne und in der regulären Nutzung ein völlig anderes Abgasverhalten als im Testzyklus zeige (Revisionsbegründung, S. 17 Abs. 3), widerspricht dem in den Vorinstanzen gehaltenen Sachvortrag des [X.] und ist revisionsrechtlich unbeachtlich (§ 559 Abs. 1 ZPO). Der Kläger hat erst- und zweitinstanzlich vorgetragen, das streitgegenständliche Fahrzeug sei zum einen mit einer Software (Abschalteinrichtung) versehen, die erkenne, ob sich das Fahrzeug auf einem technischen Prüfstand zur Ermittlung der Emissionswerte oder im üblichen Straßenverkehr befinde, und sei zudem [Hervorhebung durch den Kläger] mit einem von der [X.]n entwickelten [X.] ausgerüstet, das die Abgasrückführung bei bestimmten Außentemperaturen ("z.B. unter 15°C") reduziere oder ganz abschalte (Klageschrift vom 15. August 2019, [X.]; Schriftsatz vom 19. Dezember 2019, S. 28 ff; Berufungsbegründung vom 6. März 2020, S. 17 f).

Zu Recht weist die [X.] in der Revisionserwiderung darauf hin, dass das (neue) [X.] auch in technischer Hinsicht nicht nachvollziehbar ist. Denn die temperaturabhängige Steuerung des [X.] über ein [X.] ist nicht mit der Verwendung der Prüfstanderkennungssoftware zu vergleichen, die die [X.] (zunächst) unzulässigerweise zum Einsatz gebracht hat und die durch das Software-Update entfernt worden ist. Ein [X.] führt nicht dazu, dass bei erkanntem Prüfstandbetrieb eine verstärkte Abgasrückführung aktiviert und der [X.] gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziert wird, sondern arbeitet in beiden Fahrsituationen im Grundsatz in gleicher Weise. Unter den für den Prüfzyklus maßgebenden Bedingungen (Umgebungstemperatur, Luftfeuchtigkeit, Geschwindigkeit, Widerstand etc.) entspricht die Rate der Abgasrückführung im normalen Fahrbetrieb derjenigen auf dem Prüfstand (vgl. [X.], Beschluss vom 9. März 2021 - [X.] 889/20, NJW 2021, 1814 Rn. 27).

[X.]     

      

Reiter     

      

Kessen

      

Herr     

      

Liepin     

      

Meta

III ZR 205/20

13.01.2022

Bundesgerichtshof 3. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend BGH, 25. Februar 2021, Az: III ZR 205/20, Beschluss

§ 31 BGB, § 249 BGB, §§ 249ff BGB, § 826 BGB, Art 3 Nr 10 EGV 715/2007, Art 5 Abs 1 EGV 715/2007, § 6 EG-FGV, § 27 EG-FGV

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 13.01.2022, Az. III ZR 205/20 (REWIS RS 2022, 2071)

Papier­fundstellen: WM 2022, 539 REWIS RS 2022, 2071 MDR 2022, 762-763 REWIS RS 2022, 2071

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Herstellerhaftung bei Erwerb eines vom Dieselskandal betroffenen Gebrauchtwagens: Sittenwidrigkeit des Herstellerverhaltens nach der öffentlichen Einräumung …


VI ZR 435/20 (Bundesgerichtshof)

Deliktische Haftung eines Automobilherstellers in einem sog. Dieselfall: Darlegungserfordernisse bei Behauptung einer sog. "Umschaltlogik" und …


VI ZR 526/20 (Bundesgerichtshof)

Diesel-Abgasskandal: Deliktische Haftung des Motorenherstellers; Darlegungsanforderungen des Fahrzeugkäufers


VI ZR 889/20 (Bundesgerichtshof)

Zulassung einer Nichtzulassungsbeschwerde bei zwischenzeitlicher Entscheidung des Bundesgerichtshofs in anderer Sache; Diesel-Skandal: Bewertung eines schädigenden …


III ZR 200/20 (Bundesgerichtshof)

Deliktische Haftung des Automobilherstellers in einem sog. Dieselfall: Schadensersatzanspruch des Käufers eines im Jahr 2017 …


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