Bundespatentgericht, Beschluss vom 08.01.2019, Az. 29 W (pat) 4/17

29. Senat | REWIS RS 2019, 11803

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Markenbeschwerdeverfahren – Löschungsverfahren - "Prophysis" – Unterscheidungskraft – kein Freihaltungsbedürfnis


Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Wortmarke 305 62 781

(hier: Löschungsverfahren [X.])

hat der 29. Senat ([X.]) des [X.] auf die mündliche Verhandlung vom 17. Oktober 2018 durch die Vorsitzende Richterin [X.], die Richterin [X.] und die Richterin Seyfarth

beschlossen:

Die Beschwerde der Löschungsantragstellerin wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Die angegriffene Wortmarke 305 62 781

2

Prophysis

3

wurde am 20. Oktober 2005 angemeldet und am 18. Juli 2007 für die Waren der

4

Klasse 10: chirurgische und ärztliche Instrumente und Apparate, orthopädische Artikel, medizinische Geräte für Körperübungen, Massagegeräte, Geräte für die Physiotherapie, Spezialmöbel für medizinische Zwecke;

5

Klasse 20: Massagebank, Möbel, insbesondere für Massagetische;

6

Klasse 28: Turn und Sportartikel, soweit in Klasse 28 enthalten, Bodybuilding-Geräte, Heimtrainer, Gymnastik und Turngeräte, Geräte für Körperübungen,

7

in das beim [X.] ([X.]) geführte Markenregister eingetragen. Der Eintragung vorausgegangen war eine Zurückweisung der Anmeldung wegen fehlender Unterscheidungskraft nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.] durch Beschluss der Markenstelle für Klasse 28 des [X.] vom 22. November 2006. Auf die dagegen eingelegte Beschwerde hat der 27. [X.] des [X.] ([X.]) mit Beschluss vom 24. April 2007 die Bezeichnung als schutzfähig erachtet und den Zurückweisungsbeschluss der Markenstelle aufgehoben ([X.], Beschluss vom 24.04.2007, 27 W (pat) 54/07).

8

Am 10. Oktober 2014 hat die Antragstellerin die Löschung der angegriffenen Marke beantragt. Sie macht geltend, dass die angegriffene Marke wegen fehlender Unterscheidungskraft und als beschreibende freihaltebedürftige Angabe gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 und 2 [X.] nicht hätte eingetragen werden dürfen.

9

Der Markeninhaber und Antragsgegner hat dem Löschungsantrag, der ihm am 14. November 2014 zugestellt worden war, mit am 7. Januar 2015 beim [X.] eingegangenem Schriftsatz widersprochen.

Mit Beschluss vom 6. Oktober 2016 hat die Markenabteilung 3.4 den Löschungsantrag zurückgewiesen. Der Kostenantrag des Markeninhabers blieb ebenfalls erfolglos.

Zur Begründung ist ausgeführt, dass der Marke „Prophysis“ für die in Rede stehenden Waren nicht jegliche Unterscheidungskraft gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.] abgesprochen werden könne. Die angesprochenen Verkehrskreise fassten die Kennzeichnung „Prophysis“ nicht als rein beschreibende Angabe im Sinne „für den Körper“ auf. Wie das [X.] bereits im Anmeldeverfahren zutreffend festgestellt habe, handele es sich bei „Prophysis“ nicht um eine Sachaussage. Die Kombination des an sich gebräuchlichen Wortes „Pro“ im Sinne von „für“ mit dem Substantiv „Physis“ zu einem Wort sei ungewöhnlich. In Bezug auf ein Substantiv werde „pro“ eher im Sinne von „je“ verwendet (je Kopf), was vorliegend nicht zu einem verständlichen beschreibenden Gesamtbegriff führe („je Körper“). Hinzu komme, dass zwar grundsätzlich die notwendige Unterscheidungskraft nicht alleine dadurch begründet werden könne, dass zwei eigenständige Wörter ohne Leerzeichen hintereinander gehängt würden. Bei „Prophysis“ würden aber die Bestandteile zu einem Wort verschmelzen, welches entsprechend des natürlichen Sprachflusses auch „[X.]“ ausgesprochen und als Fantasiewort angesehen werden könne. Die Marke „Prophysis“ sei auch nicht entgegen § 8 Abs. 2 Nr. 2 [X.] eingetragen worden. Die Bezeichnung „Prophysis“ werde nicht als beschreibende Sachangabe verwendet. Da sich die Wortneuschöpfung auch nicht in einem rein beschreibenden Gesamtbegriff erschöpfe, sondern ungewöhnlich gebildet sei, bestünden auch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass sie künftig beschreibend verwendet werde.

Gegen die Zurückweisung ihres Löschungsantrags wendet sich die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde.

Sie ist der Auffassung, dass die beiden Bestandteile „Pro“ und „Physis“ jeweils für sich genommen einen beschreibenden Charakter aufwiesen. Der Begriffsinhalt der Wörter werde von den angesprochenen Verkehrskreisen ohne weiteres verstanden. Wie zahlreiche Presseartikel und Veröffentlichungen von Fachartikeln belegten, sei das Wort „Physis“ bereits vor dem Anmeldezeitpunkt in die [X.] eingegangen. Dem vor allem von den Waren der Klassen 10 und 20 angesprochenen Fachpublikum seien [X.] und [X.] Begriffe ohnehin geläufig. Aber auch die Durchschnittsverbraucher verstünden die in die [X.] Umgangssprache eingegangenen Begriffe; deren Sinngehalt sei damit so offensichtlich, dass ein Verständnis der ursprünglichen Sprachen nicht von Nöten sei. Dementsprechend gebe es zahlreiche zusammengesetzte Sachhinweise mit dem Wort „pro“, ebenso fänden sich Wortverbindungen mit dem Bestandteil „physis“ bzw. „physio“ in vielfachen Erscheinungsformen. Die Kombination der Begriffe erschöpfe sich damit in ihrer bloßen Summenwirkung; sie sei [X.] gebildet und werde für Waren, die „für den Körper“ ausgerichtet seien, verwendet. Die angegriffene Marke bedeute „für die körperliche Beschaffenheit (des Menschen), für den Körper, dem Körper zuträglich“ und weise daher darauf hin, dass die so gekennzeichneten Waren dem Bereich der Physiotherapie zuzuordnen seien und der körperlichen Fitness dienten. Soweit der Bestandteil „pro“ im Sinne von „Profi“ oder „professionell“ verstanden werden könne, sei das Zeichen auch nur als Hinweis auf die besondere Qualität der Produkte zu verstehen. Somit seien beide Alternativen beschreibend. Die Übersetzung „für den Körper“ sei zudem durch die vielen Veröffentlichungen den angesprochenen Verkehrskreisen bestens bekannt; gedankliche Zwischenschritte seien zur Erfassung des [X.] nicht erforderlich. Darüber hinaus existierten eine Reihe von Praxen mit dem Begriff „Physis“ oder „Prophysis“; selbst wenn diese nach der Markenanmeldung gegründet worden seien, so werde hierdurch deutlich, dass der Begriff „Physis“ ebenso wie „Physio“ im Bereich der Physiotherapie häufig zur Darbietung der Dienstleistungen verwendet werde. Daher habe zum Anmeldezeitpunkt ein Freihaltebedürfnis bestanden, welches auch fortbestehe. In der Bedeutung „für den Körper“ sei die streitgegenständliche Bezeichnung eine Bestimmungsangabe, die für eine Vielzahl von Waren und Dienstleistungen herangezogen werden könne. Es komme hierbei nicht darauf an, welche Waren und Dienstleistungen beansprucht würden, denn generell sei eine solche Aussage „für den Körper“ freihaltebedürftig, soweit diese Produkte für den Körper bestimmt seien. Hierunter fielen die Waren der Streitmarke, weil diese ausschließlich „für den Körper“ bestimmt seien.

Die Beschwerdeführerin beantragt,

den Beschluss des [X.]s vom 16. Juni 2016 aufzuheben und die Eintragung der Marke 305 62 781 zu löschen.

Der Beschwerdegegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er ist der Auffassung, die angegriffene Marke sei zu Recht eingetragen worden. Er verweist insbesondere auf den Beschluss des [X.] im Anmeldeverfahren sowie auf weitere Entscheidungen des [X.] und des [X.] ([X.]) zu Zeichen mit dem Bestandteil „Pro“. Zum einen sei der Wortbestandteil „pro“ mehrdeutig. Zum anderen sei die Gesamtmarke ungewöhnlich gebildet, da das [X.] „pro“ mit dem aus dem [X.] stammenden Substantiv „physis“ kombiniert werde. Die gegnerische Partei behaupte, der Verbraucher würde die Silbe „physis“ in dem Begriff „Physiotherapie“ wiedererkennen und daher auch dessen Bedeutung erfassen. Zugleich würde der Nichtfachmann davon ausgehen, dass es sich bei dem Bestandteil „physis“ um eine Abwandlung des Begriffs „physio“ handele. Diese Überlegung verkenne aber, dass die Streitmarke „Prophysis“ laute und nicht „pro Physio“; der Bestandteil „physis“ dürfe auch nicht einfach mit „physio“ gleichgesetzt werden. Bei der Marke handle es sich vielmehr um eine Wortneuschöpfung, deren Inhalt nicht leicht erschließbar sei.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

Die nach § 66 [X.] zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

Denn die Markenabteilung 3.4 hat zu Recht den zulässigen Löschungsantrag als unbegründet zurückgewiesen (§§ 50 Abs. 1 und Abs. 2, 54 [X.]).

A) Der Zulässigkeit des Löschungsantrags steht nicht entgegen, dass die streitgegenständliche Marke aufgrund des Beschlusses des 27. [X.]s des [X.] vom 24. April 2007 eingetragen worden war. Eine im Eintragungsverfahren ergangene rechtskräftige Entscheidung über die absolute Schutzfähigkeit einer Marke entfaltet keine Bindungswirkung für den [X.], das [X.] oder die nachfolgenden Rechtsmittelgerichte in einem späteren Löschungsverfahren wegen Nichtigkeit der Marke. (vgl. [X.]/[X.], [X.], 3. Aufl., § 54 Rn. 5; [X.] in [X.]/[X.]/Thiering, [X.], 12. Aufl., § 54 Rn. 18 mit Hinweis u. a. auf [X.] BlPMZ 2013, 281, 284 – [X.] und [X.], Beschluss vom 19.11.2013, 27 W (pat) 91/11 – Farbmarke [X.] 1021 rapsgelb).

Der am 10. Oktober 2014 beim [X.] eingegangene und auf § 8 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 [X.] gestützte Löschungsantrag gegen die am 18. Juli 2007 eingetragene Streitmarke ist auch innerhalb der 10-Jahresfrist des § 50 Abs. 2 Satz 2 [X.] gestellt worden.

Der Inhaber der angegriffenen Marke hat dem Löschungsantrag zudem rechtzeitig innerhalb der Zweimonatsfrist des § 54 Abs. 2 Satz 2 [X.] widersprochen, so dass die Voraussetzung für die Durchführung des Löschungsverfahrens mit inhaltlicher Prüfung nach § 54 Abs. 2 Satz 3 [X.] erfüllt sind.

B) Der Löschungsantrag und mithin die Beschwerde der [X.]in müssen aber erfolglos bleiben. Es kann nicht festgestellt werden, dass zum Anmeldezeitpunkt am 20. Oktober 2005 Schutzhindernisse nach § 8 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 [X.] vorlagen.

1. Eine Marke wird nach § 50 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 [X.] auf Antrag wegen Nichtigkeit gelöscht, wenn sie entgegen § 8 [X.] eingetragen worden ist und wenn das Schutzhindernis im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 9 [X.] auch noch im Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag auf Löschung besteht. Für die im Eintragungsverfahren (§ 37 Abs. 1, § 41 Satz 1 [X.]) und im [X.] (§ 50 Abs. 1 [X.]) vorzunehmende Prüfung der Schutzhindernisse ist einheitlich auf den Zeitpunkt der Anmeldung des Zeichens und das zu diesem Zeitpunkt bestehende Verkehrsverständnis abzustellen ([X.], Beschluss vom 13. September 2018, [X.]/17 – [X.]; [X.], 1262 Rn. 13 – [X.]; [X.], 1012 Rn. 8 – [X.]; [X.], 565 Rn. 10 – [X.]; [X.], 483 Rn. 22 – test; [X.], 1143 Rn. 15 – [X.] werden Fakten).

Für die absoluten Löschungsgründe nach § 50 Abs. 1 [X.] gilt, dass eine Löschung nur erfolgen kann, wenn das Vorliegen von [X.] zu den jeweils maßgeblichen Zeitpunkten zweifelsfrei feststeht. Ist eine solche Feststellung auch unter Berücksichtigung der von den Beteiligten vorgelegten und von Amts wegen zusätzlich ermittelten Unterlagen nicht möglich, muss es - gerade in Grenz- oder Zweifelsfällen - bei der Eintragung der angegriffenen Marke sein Bewenden haben (vgl. [X.] a. a. O. Rn. 18 – [X.]; [X.] [X.], 155 – Salatfix).

2. Danach liegen die Voraussetzungen für die Löschung der Marke für die hier in Rede stehenden Waren wegen fehlender Unterscheidungskraft nach §§ 50 Abs. 1, 8 Abs. 2 Nr. 1[X.]nicht vor.

Unterscheidungskraft im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.] ist die einer Marke innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel aufgefasst zu werden, das die in Rede stehenden Waren und Dienstleistungen als von einem bestimmten Unternehmen stammend kennzeichnet und diese Waren oder Dienstleistungen somit von denjenigen anderer Unternehmen unterscheidet ([X.] [X.], 228 Rn. 33 – [X.]/ [X.] [Vorsprung durch Technik]; [X.], 608 Rn. 66 f. – [X.]; [X.] [X.], 731 Rn. 11 – [X.]; [X.], 270 Rn.8 – Link economy; [X.], 825 Rn. 13 – [X.]; [X.], 935 Rn. 8 – [X.]). Denn die Hauptfunktion der Marke besteht darin, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren und Dienstleistungen zu gewährleisten ([X.] a. a. O. – [X.]/ [X.] [Vorsprung durch Technik]; [X.], 233 Rn. 45 – Standbeutel; [X.], 229 Rn. 27 – BioID; [X.] [X.], 949 Rn. 10 – [X.]; GRUR, 2008, 710 Rn. 12 – [X.]). Da allein das Fehlen jeglicher Unterscheidungskraft ein Eintragungshindernis begründet, ist ein großzügiger Maßstab anzulegen, so dass jede auch noch so geringe Unterscheidungskraft genügt, um das Schutzhindernis zu überwinden ([X.] a. a. O. – [X.]; [X.], 411 Rn. 8 – [X.]; [X.], 778 Rn. 11 – [X.]; a. a. O. - [X.]).

Maßgeblich für die Beurteilung der Unterscheidungskraft sind einerseits die beanspruchten Waren oder Dienstleistungen und andererseits die Auffassung der beteiligten inländischen Verkehrskreise, wobei auf die Wahrnehmung des Handels und/oder des normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers der fraglichen Waren oder Dienstleistungen abzustellen ist ([X.] [X.], 411 Rn. 24 – Matratzen Concord/[X.]; [X.], 943 Rn. 24 – [X.] 2; [X.] WRP 2014, 449 Rn. 11 – grill meister).

Ausgehend hiervon besitzen Wortzeichen dann keine Unterscheidungskraft, wenn ihnen die angesprochenen Verkehrskreise lediglich einen im Vordergrund stehenden beschreibenden Begriffsinhalt zuordnen ([X.] [X.], 674, Rn. 86 – Postkantoor; [X.] [X.], 270 Rn. 11 – Link economy; [X.], 952 Rn. 10 – [X.]; [X.], 850 Rn. 19 – [X.]) oder wenn diese aus gebräuchlichen Wörtern oder Wendungen der [X.]n Sprache oder einer geläufigen Fremdsprache bestehen, die - etwa wegen einer entsprechenden Verwendung in der Werbung oder in den Medien - stets nur als solche und nicht als Unterscheidungsmittel verstanden werden ([X.] [X.], 872 Rn. 21 – [X.]; [X.], 1100 Rn. 20 – [X.]!; a. a. O. - [X.]; GRUR 2003, 1050 – [X.]; [X.], 1043 – [X.]). Auch Angaben, die sich auf Umstände beziehen, die die Ware oder die Dienstleistung selbst nicht unmittelbar betreffen, fehlt die Unterscheidungskraft, wenn durch die Angabe ein enger beschreibender Bezug zu den angemeldeten Waren oder Dienstleistungen hergestellt wird und deshalb die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Verkehr den beschreibenden Begriffsinhalt als solchen ohne weiteres und ohne Unklarheiten erfasst und in der Bezeichnung nicht ein Unterscheidungsmittel für die Herkunft der angemeldeten Waren oder Dienstleistungen sieht. Weil der Verkehr die Marke so wahrnimmt, wie sie ihm entgegentritt, ohne sie einer analysierenden Betrachtung zu unterziehen, kann ein Bedeutungsgehalt, der erst in mehreren gedanklichen Schritten ermittelt wird, die Annahme einer fehlenden Unterscheidungskraft nicht tragen (vgl. [X.] GRUR 2018, 301 Rn. 15 – [X.], m. w. N.).

Nach diesen Grundsätzen kann der angegriffenen Marke „Prophysis“ die erforderliche Unterscheidungskraft nicht abgesprochen werden.

a) Die hier relevanten Waren der Klasse 10 „chirurgische und ärztliche Instrumente und Apparate, orthopädische Artikel, medizinische Geräte für Körperübungen, Massagegeräte, Geräte für die Physiotherapie, Spezialmöbel für medizinische Zwecke“ und der Klasse 20 „Massagebank, Möbel, insbesondere für Massagetische“ richten sich in erster Linie an Ärzte oder an medizinische bzw. physiotherapeutisch ausgebildete [X.]. Die Waren der Klasse 28 „Turn- und Sportartikel, soweit in Klasse 28 enthalten, Bodybuilding-Geräte, Heimtrainer, Gymnastik- und Turngeräte, Geräte für Körperübungen“ werden (auch) vom Endverbraucher nachgefragt.

b) Der [X.] teilt schon nicht die Auffassung der Beschwerdeführerin, die Streitmarke „Prophysis“ sei ohne weiteres erkennbar aus zwei unmittelbar beschreibenden Bestandteilen zusammengesetzt. Vielmehr besteht das angegriffene Zeichen aus einer Buchstabenfolge, die ohne Binnengroßschreibung oder sonstige optische Unterbrechung der Buchstabenfolge zu einem einheitlichen Zeichen zusammengefügt ist. Der inländische Verkehr hat daher zunächst keinen Anlass, in dem einheitlichen Zeichen eine Kombination aus mehreren Wortelementen zu erkennen. Die konkrete Trennung in „Pro-physis“ ergibt sich auch nicht zwangsläufig aus der Aussprachegewohnheit, denn zutreffend hat bereits die Markenabteilung ausgeführt, dass die Bezeichnung entsprechend des natürlichen Sprachflusses auch „Profffüs(s)is“ wiedergegeben werden kann. Das angesprochene Publikum wird erst überlegen, ob es einen eigenständigen Begriff „Prophysis“ - vergleichbar dem ihm bekannten Begriff „Prophylaxe“ - gibt. Der Begriff „Prophysis“ als solcher existiert aber nicht. Das von der Beschwerdeführerin angenommene Verständnis des Einwortzeichens „Prophysis“ als Kombination der Wortelemente „Pro“ und „physis“ erschließt sich mithin nicht unmittelbar, sondern setzt gegenüber der Wahrnehmung als einheitliches Fantasiewort einen analysierenden Zwischenschritt voraus (vgl. hierzu auch [X.], Beschluss vom 2.07.2015, 30 W (pat) 547/13 – [X.]).

c) Auch wenn der angesprochene Verkehr bzw. das Fachpublikum die Marke (daraufhin) getrennt in seiner Kombination aus zwei Worten im Sinne von „Pro Physis“ erfasst, so ist zwar davon auszugehen, dass die Einzelbestandteile dem angesprochenen Publikum bekannt sind, worauf die Beschwerdeführerin durchaus zutreffend hinweist. Ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass sich aus dieser Verbindung eine im Vordergrund stehende beschreibende Sachaussage für die hier relevanten Waren der Klassen 10, 20 und 28 ergibt, sind aber nicht gegeben.

Das aus dem [X.] kommende Wort „Physis“ (phýsis = Natur, natürliche Beschaffenheit) bedeutet (bildungssprachlich) „Körper, körperliche Beschaffenheit des Menschen“ ([X.], Online-Wörterbuch unter www.duden.de). Der Begriff war bereits vor dem Anmeldezeitpunkt im Oktober 2005 auch in den allgemeinen Medien - insbesondere im Zusammenhang mit philosophischen und wissenschaftlichen Themen wie auch bei der Berichterstattung über sportliche Veranstaltungen oder bestimmte Sportarten - in Gebrauch.

Pro-„ ist eine [X.] Vorsilbe, der im Medizinbereich die Bedeutung „vor(stehend), vorn, stellvertretend, vorzeitig“ zukommt (vgl. [X.], Klinisches Wörterbuch). In die [X.] eingegangen ist „Pro“ als Ausdruck für „vor, für, anstatt“ (vgl. [X.], Deutsches Universalwörterbuch, 6. Aufl. [X.] 2006 (CD-ROM)). In Wortbildungen mit einem Adjektiv (z. B. prowestlich) drückt es als Präfix eine wohlwollende, zustimmende Einstellung/Haltung aus. Als Präposition bedeutet „pro“ „jeweils, je“ (z. B. pro Person, 100 km pro Stunde), vgl. [X.] Online-Wörterbuch. Ferner kann „Pro“ eine Abkürzung für „professionell“ oder „Profi“ darstellen (so u. a. [X.], Beschluss vom 21.05.2003, 29 W (pat) 159/02 – GPRS Pro; Beschluss vom [X.], 33 W (pat) 68/04 – Musikmesse-Pro Light & Sound; Beschluss vom 9.04.2002, 27 W (pat) 273/00 – ProRaid).

Damit können zwar beide Wortelemente jeweils für sich genommen beschreibend für die hier relevanten Waren sein. Dies genügt indes nicht, um der in der Wortbildung enthaltenen Gesamtaussage die Unterscheidungskraft abzusprechen. Das Vorliegen des Schutzhindernisses bemisst sich nämlich nicht nur danach, ob etwaige Wortbestandteile für sich betrachtet unterscheidungskräftig sind; entscheidend ist vielmehr, ob dem durch die Verbindung der Bestandteile entstandenen Gesamtzeichen die Eignung zur betrieblichen Herkunftskennzeichnung fehlt (vgl. [X.] [X.], 674, 678 Rn. 99 – Postkantoor; [X.], 680, 681 Rn. 40 – [X.]). Insoweit ist anerkannt, dass ein beschreibender Sinngehalt eines Markenwortes im Einzelfall durch eine hinreichend fantasievolle Wortbildung soweit überlagert sein kann, dass der Marke in ihrer Gesamtheit die erforderliche Unterscheidungskraft nicht mehr abzusprechen ist (vgl. z. B. [X.] [X.], 1143 – [X.]; [X.], Beschluss vom 13.01.2016, 29 W (pat) 12/13 – getprint; Beschluss vom 2.07.2015, 30 W (pat) 547/13 – [X.]; Beschluss vom 7.04.2009, 24 W (pat) 124/06 – derma fit). Dies ist vorliegend zu bejahen.

Zu einer Sachaussage über die hier geschützten Waren gelangt der angesprochene Verkehr nämlich nur über gedankliche Zwischenschritte. Die - eigentlich - im medizinischen Bereich im Vordergrund stehende Bedeutung des [X.] „Pro-„ als „vor(stehend), vorn, stellvertretend, vorzeitig“ ergibt in der Verbindung mit „Physis“ keine sinnvolle Aussage. Dies gilt auch im Zusammenhang mit den übrigen Bedeutungen von „pro“ als „jeweils“, „je“ oder „anstatt“, so dass der angesprochene Verkehr diese Bedeutungen jeweils in einem gedanklichen Schritt ausschließen muss. Soweit dem [X.] „Pro-„ die Bedeutung „Profi“ oder „professionell“ zukommt, kann die streitgegenständliche Marke im Sinne von „professioneller Körper“ aufgefasst werden. Da schon unklar bleibt, was ein „professioneller Körper/[X.]“ sein soll, insoweit die Wortverbindung ungewöhnlich ist und nicht zu einem ohne weiteres erkennbaren beschreibenden Inhalt führt, dürfte der Verkehr die Kombination sodann eher als „professionelle körperliche Verfassung“ interpretieren. Die Zuordnung eines solchen Bedeutungsgehalts erfolgt aber über gedankliche Schritte und somit über eine für die Prüfung der Unterscheidungskraft unzulässige analysierende Betrachtungsweise. Aus dem gleichen Grund ist „Prophysis“ auch nicht als Hinweis auf die besondere Qualität der hier in Rede stehenden Produkte zu verstehen.

Selbst wenn dem angegriffenen Zeichen der Aussagegehalt „für den Körper“ beigemessen wird, steht ein Sachhinweis nicht im Vordergrund. Der Wortbildung „Prophysis“ kann nicht ohne weiteres der Hinweis entnommen werden, dass die so gekennzeichneten Waren dem Bereich der Physiotherapie zuzuordnen sind und der körperlichen Fitness dienen – was im Übrigen in Bezug auf die Waren „chirurgische Instrumente und Apparate“ offensichtlich ist. Das Wort „physio“ ist zwar von dem [X.]n Wort „physis“ abgeleitet und seit langem aus den Wörtern „Physiotherapie“ und „Physiotherapeut“ bekannt; das Wort „physio“ hat sich zudem als Kurzwort für „Physiotherapie“ bzw. „Physiotherapeut“ durchgesetzt (vgl. [X.], Beschluss vom 15.02.2012, 30 W (pat) 18/11 – physiomobil), so dass es eine beschreibende Angabe über deren Art und Bestimmung für die hier in Rede stehenden Waren der Physiotherapie sein mag. Zutreffend weist aber der Beschwerdegegner darauf hin, dass das Wort „physis“ nicht mit dem Begriff „physio“ gleichgesetzt werden kann. Für ein entsprechendes Verkehrsverständnis von „Physis/physis“ gibt es keine Anhaltspunkte.

Die Beschwerdeführerin hat zwar vorgetragen, dass sich der Bestandteil „physis“ in Wortverbindungen in vielfachen Erscheinungsformen finde und dem angesprochenen Verkehrskreisen aus vielen Veröffentlichungen bestens bekannt sei. Sie hat jedoch keine Belege vorzulegen vermocht, in denen neben „physio“ auch „physis“ als Kurzwort für „Physiotherapeut/Physiotherapie“ verwendet wird oder in Wortverbindungen als Synonym für „physio“ dient. Auch der [X.] konnte im Rahmen seiner Recherche nicht ermitteln, dass solche Wortbildungen üblich sind.

Ferner kann auch nicht festgestellt werden, dass die hier relevanten Waren bereits mit ähnlichen Bezeichnungen versehen sind und dort als Sachhinweise dienen, so dass der angesprochene Verkehr gegebenenfalls deshalb in der Streitmarke ohne weiteres einen beschreibenden Inhalt erkennen würde. Soweit die Beschwerdeführerin auf einige Namen von [X.] - also auf entsprechende Dienstleistungen und nicht Waren - hinweist - vgl. „[X.] │KONSTANTIN [X.], [X.]“; „physis-berlin.de Praxis Rogalski“, „[X.] Physiotherapie“, „[X.] Praxis für Physiotherapie“, „Gesundheitspraxis Prophysis“, „Prophysis Praxis für Physiotherapie“, „Pro-Physis Physiotherapie“, „[X.] LINE Praxis für Physiotherapie“, „[X.]“, „Art of Physis Physiotherapie“, „Physis - Praxis für Physiotherapie“, „prophysis GbR Zentrum für Physiotherapie“ - so wird hier jeweils der Praxisname rein kennzeichenmäßig verwendet. Die Bezeichnung „PRO-[X.]“ der Praxis aus [X.] ist im Übrigen als Marke im [X.]-Register eingetragen (Nr. 30 2009 059 262). Beispiele für eine beschreibende Verwendung von „Prophysis“ oder - was noch am ehesten zu erwarten wäre - von getrennt geschriebenen vergleichbaren Begriffen wie „Pro Physis/pro Physis/pro-physis“ etc. hat die Beschwerdeführerin nicht vorgelegt und konnte der [X.] auch nicht ermitteln.

Die Streitmarke erschöpft sich daher auch nicht in einer Bezeichnung, die in [X.]er Weise auf die Bestimmung der Waren hinweist. Ohnehin dürfte der Verkehr andere Einsatzmöglichkeiten der Waren schon gar nicht erwarten; eine Bestimmungsangabe mag zwar noch für die [X.] Angabe „für den Körper“ in Betracht kommen, in der konkreten Verbindung der hier interpretationsbedürftigen Vorsilbe „Pro-„ mit einem [X.]n Begriff zu einem einheitlichen Wort wirkt aber die Wortbildung „Prophysis“ u. a. für chirurgische und ärztliche Instrumente und Apparate, orthopädische Artikel, medizinische Geräte für Körperübungen, Massagegeräte, Geräte für die Physiotherapie, Spezialmöbel für medizinische Zwecke und Massagebänke eigentümlich und wird nicht ernsthaft (nur) als Sachhinweis gesehen werden.

Der streitgegenständlichen Marke ist daher auch in der Bedeutung „für die Physis, für die körperliche Beschaffenheit des Menschen“ wegen der sprachunüblichen Wortbildung die erforderliche Unterscheidungskraft nicht abzusprechen. Es liegt zwar nahe, dass der Verkehr in die Marke Aussagen im Sinne von „dem Körper förderlich“, „für eine gute Physis“, „für die Stärkung der Physis“ oder auch „für eine professionelle körperliche Verfassung“ hineinliest. Bei der angegriffenen Marke drängt sich damit vordergründig die Vorstellung auf, dass die Waren zur Verbesserung oder Wiederherstellung der körperlichen Verfassung beitragen. Zu einem solchen Verständnis gelangt der Verkehr aber nur dadurch, indem er den gebildeten Gesamtbegriff über seine Wortbedeutung ergänzt durch Angaben wie „pro starke Physis/für eine gute Physis“ bzw. „der Physis förderlich/zuträglich“ oder die Marke gedanklich analysiert. Der Verkehr ist auch nicht durch eine werbliche Verwendung an eine solche Ergänzung ohne gedankliche Zwischenschritte gewöhnt (wie es beispielsweise für die Angabe „[X.]“ festgestellt werden konnte, vgl. [X.], Beschluss vom 5.12.1995, 24 W (pat) 290/94). Der [X.] hat für ein entsprechendes Verkehrsverständnis zum hier maßgeblichen Anmeldezeitpunkt nichts feststellen können.

Der Umstand, dass eine Marke als sog. sprechendes Zeichen einen Hinweis nicht nur auf die betriebliche Herkunft, sondern auch auf die gekennzeichnete Ware oder Dienstleistung gibt, steht der Annahme der Unterscheidungskraft nicht entgegen (vgl. [X.] GRUR 2018, 301 Rn. 18 – [X.], m. w. N.).

Die streitgegenständliche Marke hat mithin zwar zweifellos deutlich beschreibende Anklänge, ist aber in seiner Gesamtheit eine Wortschöpfung, die aus sich auch individualisierend wirkt und deshalb als betrieblicher Herkunftshinweis geeignet ist. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass der Schutzbereich der angegriffenen Marke eng zu bemessen ist, und zwar nach Maßgabe der Eigenprägung, die dem Zeichen die Schutzfähigkeit erst verleiht. Als schutzbegründendes Element kommt hier die konkrete Verbindung der Wörter „Pro-“ und „physis“ in Bezug auf die hier in Rede stehenden Waren in Betracht. Ein hiervon losgelöster Schutz für die einzelnen Begriffe oder eingebunden in andere Wortbildungen kann nicht beansprucht werden.

Der Streitmarke kann daher nicht die Eignung als betrieblicher Herkunftshinweis abgesprochen werden. Eine Löschung wegen des Fehlens jeglicher Unterscheidungskraft ist daher nicht gerechtfertigt.

2. Die angegriffene Marke unterlag zum Anmeldezeitpunkt ungeachtet etwaiger beschreibender Anklänge auch keinem Freihaltebedürfnis im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 2 [X.].

3. Da schon nicht festgestellt werden kann, dass der Streitmarke im Anmeldezeitpunkt Schutzhindernisse nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 [X.] entgegengestanden haben, kommt es in der Sache nicht mehr darauf an, ob im Zeitpunkt der Entscheidung über den Löschungsantrag Schutzhindernisse bestehen.

C) Zur Auferlegung von Kosten auf einen Beteiligten aus Billigkeitsgründen gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 [X.] besteht kein Anlass.

Meta

29 W (pat) 4/17

08.01.2019

Bundespatentgericht 29. Senat

Beschluss

Sachgebiet: W (pat)

§ 8 Abs 2 Nr 1 MarkenG, § 8 Abs 2 Nr 2 MarkenG, § 50 Abs 1 MarkenG

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Beschluss vom 08.01.2019, Az. 29 W (pat) 4/17 (REWIS RS 2019, 11803)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 11803

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

30 W (pat) 547/13 (Bundespatentgericht)

Markenbeschwerdeverfahren – "Physioup" – Unterscheidungskraft – kein Freihaltungsbedürfnis


27 W (pat) 213/09 (Bundespatentgericht)

Markenbeschwerdeverfahren – Löschungsverfahren - "Physio-Fit" - zur Antragsbefugnis - Antragsgegner kann in der Person des …


30 W (pat) 61/11 (Bundespatentgericht)

Markenbeschwerdeverfahren "JuraTel" – Löschungsverfahren – Unterscheidungskraft – kein Freihaltungsbedürfnis -


30 W (pat) 83/11 (Bundespatentgericht)

Markenbeschwerdeverfahren – Löschungsverfahren - „for you“ – keine Unterscheidungskraft


26 W (pat) 71/13 (Bundespatentgericht)

Markenbeschwerdeverfahren – Löschungsverfahren - "Watt" – keine Unterscheidungskraft


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.