Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 15.01.2019, Az. 1 C 29/18

1. Senat | REWIS RS 2019, 11512

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Gegenstand

"Verbleib" im Aussiedlungsgebiet im Regelfall nur bei durchgängig (deutlich) überwiegend tatsächlichem Aufenthalt


Leitsatz

1. Die nachträgliche Einbeziehung eines Ehegatten oder Abkömmlings in den Aufnahmebescheid des Spätaussiedlers nach § 27 Abs. 2 Satz 3 BVFG setzt voraus, dass sich der einzubeziehende Familienangehörige im Regelfall auch tatsächlich durchgängig (deutlich) überwiegend im Aussiedlungsgebiet aufgehalten hat; allein ein durchgängiger - gegebenenfalls zweiter - Wohnsitz reicht nicht aus (Fortführung von BVerwG, Urteil vom 27. September 2016 - 1 C 19.15 - BVerwGE 156, 171).

2. Kürzere Besuchsaufenthalte im Aussiedlungsgebiet begründen einen Ausnahmefall bei einem volljährigen Familienangehörigen auch dann nicht, wenn der Fortbestand eines dortigen Wohnsitzes sowie dortiger familiärer Bindungen unterstellt werden.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Einbeziehung seiner Enkelin in den ihm erteilten [X.].

2

Der 1935 geborene Kläger und seine 1984 geborene Enkelin stammen aus der [X.]. Der Kläger reiste im November 1998 auf der Grundlage eines ihm erteilten [X.] nach dem [X.] ([X.]) nach [X.] ein und beantragte im November 1998 die Ausstellung einer Spätaussiedlerbescheinigung. Diese wurde ihm im April 1999 erteilt.

3

Im April 2014 beantragte der Kläger beim [X.] die nachträgliche Einbeziehung unter anderem seiner Enkelin in den ihm erteilten [X.]. Das [X.] lehnte den Antrag mit der Begründung ab, die Voraussetzungen des § 27 Abs. 2 Satz 3 [X.] seien nicht erfüllt, weil die Enkelin des [X.] nicht im [X.] verblieben sei. Seit 2008 habe sie ihren Lebensmittelpunkt nicht mehr in der [X.]. Von 2008 bis 2014 habe sie in [X.] ([X.]) gelebt und seit Februar 2014 lebe sie in [X.].

4

Die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobene Klage des [X.] wies das Verwaltungsgericht ab. Das Oberverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 14. Mai 2018 die Beklagte unter Änderung des erstinstanzlichen Gerichtsbescheides und Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide verpflichtet, die Enkelin des [X.] in den ihm erteilten [X.] nachträglich einzubeziehen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Voraussetzungen für eine nachträgliche Einbeziehung lägen vor. Die Enkelin des [X.] sei ein im [X.] verbliebener Abkömmling, weil sie ihren Wohnsitz seit der Aussiedlung des [X.] ununterbrochen im [X.] gehabt habe. Sie habe einen Wohnsitz weder in [X.] noch in [X.] begründet. In [X.] sei der Aufenthalt von vornherein - wie bei einem Studium - auf einen bestimmten Zeitraum beschränkt gewesen. Der Aufenthalt in [X.] sei zwar angesichts der unbefristeten Anstellung nicht auf einen bestimmten Zeitraum beschränkt gewesen; jedoch habe [X.] der Enkelin des [X.] ersichtlich nur als Stützpunkt für ihre mehr als zwölfmal jährlich stattfindenden - bisweilen über mehrere Wochen dauernden - Dienstreisen gedient, was gegen eine Niederlassung spreche. Die Enkelin des [X.] habe zudem weder in [X.] noch in [X.] den Willen zur dortigen Niederlassung gehabt. Vielmehr habe sie ihren Wohnsitz in der [X.] nie aufgegeben. Sie sei seit ihrem 17. Lebensjahr an unveränderter Adresse in [X.] gemeldet. Dort verfüge sie weiterhin über eine familiäre Anbindung. Aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalles stehe fest, dass sie in subjektiver Hinsicht ihren Wohnsitz in der [X.] nicht aufgegeben habe. Die sonstigen Voraussetzungen für eine nachträgliche Einbeziehung seien gegeben.

5

Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 27 Abs. 2 [X.] und macht insbesondere geltend, ein Anspruch des [X.] auf Einbeziehung seiner Enkelin in seinen [X.] komme bereits deshalb nicht in Betracht, weil diese nicht im [X.] verblieben sei. Dieses Tatbestandsmerkmal sei nicht gleichbedeutend mit einem "Wohnsitz" im Sinne des § 7 BGB auszulegen. § 27 Abs. 2 Satz 3 [X.] bezwecke die Beseitigung von Familientrennungen, die durch die Aussiedlung des [X.] - und nicht aus sonstigen, beliebigen Gründen - eingetreten seien. Ein Verbleib im [X.] fordere einen kontinuierlichen, ununterbrochenen Aufenthalt. Wer weitere Wohnsitze außerhalb des [X.]s begründe, sei nicht im [X.] verblieben, weil keine aussiedlungsbedingte Familientrennung vorliege.

6

Der Kläger verteidigt das Berufungsurteil.

7

Der Vertreter des [X.] beteiligt sich am Verfahren und schließt sich im Wesentlichen der Auffassung der Beklagten an.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet. Die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, die Enkelin des [X.] sei im Sinne von § 27 Abs. 2 Satz 3 [X.] "im [X.] verblieben", ist mit Bundesrecht unvereinbar (§ 137 Abs. 1 VwGO) (1.). Da sich die Entscheidung auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 144 Abs. 4 VwGO), ist das angefochtene Urteil zu ändern und die Berufung zurückzuweisen (2.).

9

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des von dem Kläger mit der Verpflichtungsklage verfolgten Anspruchs auf nachträgliche Einbeziehung seiner Enkelin in den ihm 1998 erteilten [X.] ist § 27 des Gesetzes über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge ([X.] - [X.]) in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. August 2007 ([X.]), zuletzt geändert durch Gesetz vom 6. September 2013 ([X.] [X.] 3554). Die nachfolgenden Änderungen des [X.] (zuletzt durch das Gesetz zur Bereinigung des Rechts der Lebenspartner vom 20. November 2015 <[X.] [X.] 2010>) haben diese Regelung unverändert gelassen. Für die Sachlage ist aus Gründen des materiellen Rechts ebenfalls auf den Zeitpunkt der letzten Tatsachenentscheidung abzustellen, hier also den des Berufungsurteils (Mai 2018) (BVerwG, Urteil vom 27. September 2016 - 1 [X.] 17.15 - BVerwGE 156, 164 Rn. 10). § 27 Abs. 2 Satz 3 [X.] stellt für die Fortdauer des Verbleibs im [X.] erkennbar auf den Zeitpunkt der (positiven) Einbeziehungsentscheidung ab und lässt - entgegen der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgetragenen Rechtsauffassung - keinen Raum für eine Vorverlagerung des maßgeblichen Zeitpunktes auf jenen der Antragstellung oder einen Zeitpunkt, zu dem ein Einbeziehungsantrag positiv hätte beschieden werden können oder müssen.

1. Nach § 27 Abs. 2 Satz 3 [X.] kann abweichend von § 27 Abs. 2 Satz 1 [X.] der im [X.] verbliebene Ehegatte oder Abkömmling eines [X.], der seinen ständigen Aufenthalt im Geltungsbereich des Gesetzes hat, nachträglich nach Satz 1 in den [X.] des [X.] einbezogen werden, wenn die sonstigen Voraussetzungen vorliegen. Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Rechtsgrundlage sind hier nicht erfüllt. Die Enkelin des [X.] ist kein "im [X.] verbliebener" Abkömmling des [X.], weil sie sich seit 2008 - jedenfalls aber seit 2014 - nicht überwiegend im [X.] aufhält.

1.1 Ein Verbleiben im [X.] erfordert ein - seit der Ausreise der Bezugsperson - ununterbrochenes, d.h. kontinuierliches Verbleiben; dies setzt zumindest voraus, dass der einzubeziehende Familienangehörige eines [X.] auch seinen Wohnsitz seit der Aussiedlung des [X.] ununterbrochen im [X.] gehabt haben muss (BVerwG, Urteile vom 27. September 2016 - 1 [X.] 19.15 - BVerwGE 156, 171 Rn. 11 ff., - 1 [X.] 20.15 - juris Rn. 18 ff. und - 1 [X.] 21.15 - juris Rn. 15 f.). Für die Anwendung des § 27 Abs. 2 Satz 3 [X.] reicht allein ein durchgängiger - gegebenenfalls zweiter - Wohnsitz allerdings nicht aus. Der einzubeziehende Ehegatte oder Abkömmling des [X.] muss sich im Regelfall vielmehr auch tatsächlich durchgängig (deutlich) überwiegend im [X.] aufgehalten haben.

a) § 27 Abs. 2 Satz 1 und 3 [X.] stellen für die Einbeziehung darauf ab, ob der Ehegatte oder Abkömmling des Aussiedlers im [X.] lebt bzw. dort verblieben ist. Dies ist bei Personen mit nur einem Wohnsitz und ohne längere Auslandsaufenthalte regelmäßig der Fall, wenn dort der Wohnsitz (fort)besteht. Entscheidend ist aber bereits nach dem insoweit klaren Wortlaut der durchgängig auch tatsächliche Aufenthalt bzw. Verbleib im [X.].

Der Begriff des "[X.]" lässt sich am ehesten als an einem Ort zurückbleiben und dort ausharren verstehen (BVerwG, Urteil vom 27. September 2016 - 1 [X.] 19.15 - BVerwGE 156, 171 Rn. 12). Dies setzt sprachlich neben einem kontinuierlichen auch einen tatsächlichen (deutlich überwiegenden) Aufenthalt im [X.] voraus. Dem genügt nicht ein nur gelegentlicher, zeitlich begrenzter Aufenthalt in den [X.]en, etwa zu Besuchszwecken oder zur Pflege familiärer Beziehungen.

Mit diesem grammatischen Verständnis nicht vereinbar ist, dass das Berufungsgericht tragend auf den Fortbestand allein eines Wohnsitzes abgestellt und auf der Grundlage des Wohnsitzbegriffs des § 7 BGB, dem der Begriff "Wohnsitz" im Sinne des [X.] entspricht (BVerwG, Urteile vom 29. Mai 1957 - 5 [X.] 407.56 - BVerwGE 5, 110 <112>, vom 29. August 1967 - 3 [X.] 158.64 - [X.] § 11 [X.] Nr. 39 S. 108 und vom 27. Juni 1989 - 9 [X.] 6.89 - BVerwGE 82, 177 <179>; Beschluss vom 19. Juni 2013 - 5 B 87.12 - juris Rn. 4), dessen Fortbestand bejaht hat. Das in § 27 Abs. 2 Satz 3 [X.] geforderte Verbleiben in den [X.]en ist gerade nicht gleichbedeutend mit einem fortdauernden Wohnsitz.

b) Ein systematischer Vergleich von § 27 Abs. 2 [X.] mit § 27 Abs. 1 [X.] bestätigt, dass der Begriff des [X.] in § 27 Abs. 2 [X.] nicht mit dem u.a. in § 27 Abs. 1 Satz 1 [X.] geforderten "Wohnsitz" in den [X.]en gleichbedeutend ist. Durch die Verwendung unterschiedlicher Begriffe hat der Gesetzgeber unterstrichen, dass für die Anwendung des § 27 Abs. 2 [X.] gerade nicht auf den Wohnsitz, sondern auf den tatsächlichen Aufenthalt abzustellen ist.

Die Richtigkeit einer vom Wohnsitzbegriff abweichenden Auslegung des Begriffs des "[X.]", die maßgeblich auf den tatsächlichen Aufenthalt abstellt, belegt auch der systematische Vergleich mit § 27 Abs. 2 Satz 1 [X.]. Nach dieser Vorschrift kann der "im [X.] lebende Ehegatte" oder der "im [X.] lebende Abkömmling" in den [X.] einbezogen werden. In einem Gebiet "leben" bedeutet weit mehr als nur gelegentliche Aufenthalte, etwa im Rahmen von Besuchen (s.a. [X.]/[X.], [X.], 2. Aufl. 2014, § 27 [X.] Rn. 14). Erforderlich ist regelmäßig eine durch deutlich überwiegende Ortsanwesenheit nach außen dokumentierte und in diesem Sinne "gelebte" Verbindung mit dem [X.], die jedenfalls einem (durchgängigen) gewöhnlichen Aufenthalt entspricht. Nach dem systematischen Zusammenhang und der identischen Zielrichtung beider Normen ist "Verbleib" im [X.] die Fortsetzung des "Lebens" dort (nur eben ohne den bereits übergesiedelten Spätaussiedler); das [X.]erfordernis, das zudem die Übersiedlung als Trennungsgrund betont, ändert aber nichts an der erforderlichen Intensität der Bindungen an das [X.] und unterstreicht, dass neben der gemeinsamen Aussiedlung (§ 27 Abs. 2 Satz 1 [X.]) auch die nachträgliche Aussiedlung zur Bezugsperson möglich sein soll. Diese - seit dem 10. [X.]-Änderungsgesetz von einer Härte unabhängige - Erweiterung der Einbeziehungsmöglichkeit in zeitlicher Hinsicht senkt aber nicht im Verhältnis zu § 27 Abs. 2 Satz 1 [X.] die sachlichen Anforderungen an das "Leben" im [X.] als Einbeziehungsvoraussetzung ab. Das erklärte Ziel des Gesetzgebers, dem Ehegatten oder Abkömmling "für die Zukunft keine Nachteile" ([X.]. 17/13937 S. 7) aufzubürden, bezweckte ersichtlich keine Besserstellung gegenüber der Einbeziehung zum Zweck der gemeinsamen Ausreise.

c) Soweit die Entstehungsgeschichte der Regelung über die (nachträgliche) Einbeziehung von Ehegatten und Abkömmlingen Rückschlüsse zulässt, weist auch sie darauf, dass für die Einbeziehung regelmäßig neben dem durchgängigen auch ein deutlich überwiegender tatsächlicher Aufenthalt erforderlich ist.

(a) Der Gesetzgeber hat den Begriff des "[X.]" vorausgesetzt, ohne ihn legal zu definieren oder seine Bedeutung in den Gesetzesmaterialien ausdrücklich näher zu bestimmen. Nach dem Verwendungszusammenhang ist er zu beziehen auf den Zweck, [X.] zu beseitigen, die durch die Aussiedlung des [X.] - und nicht aus sonstigen, beliebigen Gründen - eingetreten sind (BVerwG, Urteil vom 27. September 2016 - 1 [X.] 19.15 - BVerwGE 156, 171 Rn. 20). Bereits die im geltenden Recht nunmehr in § 27 Abs. 2 Satz 1 [X.] getroffene Regelung zielte auf die Sicherung der [X.] auch im Falle der Aussiedlung - durch gemeinsame Aussiedlung -, um so möglichen Härten durch die Aussiedlung zu begegnen. Mit der Einfügung des heutigen § 27 Abs. 2 Satz 3 [X.] wollte der Gesetzgeber denjenigen, denen eine gemeinsame Ausreise nicht möglich war, "für die Zukunft keine Nachteile mehr" ([X.]. 17/13937 S. 7) aufbürden. Dem Gesetzgeber, der auch sonst der familiären Anbindung besonderes Gewicht beimisst (§ 1 Abs. 1 Satz 3 [X.]), ging es auch hierbei allein um die Beseitigung aussiedlungsbedingter [X.]. Für die Schaffung eines umfassenden vertriebenenrechtlichen Familiennachzugsregimes neben den aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen zum Familiennachzug zu [X.] (§ 28 [X.]) fehlt jeder Anhalt. Ist das gemeinsame Familienleben (auch oder vorrangig) aus anderen, von der Aussiedlung unabhängigen Gründen (nachträglich) tatsächlich entfallen, so entfällt auch ungeachtet fortbestehender familienrechtlicher Bindungen der rechtfertigende Grund für eine Einbeziehung des Ehegatten oder der Abkömmlinge. Dies bestätigt, dass - selbst bei unterstellt rechtlich fortbestehendem Wohnsitz - eine nachträgliche Aufnahme in den [X.] in aller Regel auszuscheiden hat, wenn ein Abkömmling nicht mehr im [X.] "lebt", sich also nicht (deutlich überwiegend) dort, sondern - aus welchen Gründen auch immer - tatsächlich außerhalb dieser Gebiete aufhält. Dabei kann für den vorliegenden Fall offen bleiben, in welchem Umfange kurzfristige Aufenthalte außerhalb des [X.], etwa zu Besuchs- oder Urlaubszwecken bzw. für Saison- oder Montagearbeiten, für einen Verbleib unerheblich sind. Jedenfalls bedarf es nicht eines Willens, auch einen etwa fortbestehenden (weiteren) Wohnsitz aufzugeben.

(b) Diese Zwecksetzung bestätigt auch die Entwicklung der Regelungen zur Einbeziehung von Familienangehörigen.

Die mit dem Kriegsfolgenbereinigungsgesetz vom 21. Dezember 1992 ([X.] [X.] 2094) erstmals eingeführte Möglichkeit, Ehegatten und Abkömmlinge in den [X.] eines [X.] einbeziehen zu lassen, war zunächst auf die Fälle einer beabsichtigten gemeinsamen Ausreise beschränkt. Dieser Grundfall ist heute - inhaltlich unverändert - in § 27 Abs. 2 Satz 1 [X.] geregelt. Sinn und Zweck dieser Einbeziehung von Familienangehörigen ist es, dem Spätaussiedler die Entscheidung zur Aussiedlung zu erleichtern, indem er nicht vor die Wahl gestellt wird, entweder auszusiedeln und damit die Aufrechterhaltung seiner Familie zu gefährden oder auf die Aussiedlung zu verzichten (BVerwG, Urteil vom 27. September 2016 - 1 [X.] 19.15 - BVerwGE 156, 171 Rn. 17). Auch wenn dies nicht auf die Kernfamilie und minderjährige Abkömmlinge beschränkt war und auch nicht eine Lebens- oder [X.] voraussetzte, war Ziel nicht die Berücksichtigung rein familienrechtlicher Beziehungen.

Die Möglichkeit einer nachträglichen Einbeziehung von Ehegatten und Abkömmlingen in den [X.] eines [X.], dessen Aussiedlung bereits vollständig abgeschlossen ist, wurde erstmals mit dem 9. [X.]-Änderungsgesetz vom 4. Dezember 2011 ([X.] [X.] 2426) geschaffen (§ 27 Abs. 3 i.d.F. des 9. [X.]-ÄndG). Sie war vom Vorliegen einer Härte abhängig und sollte der Vermeidung von Härtefällen dienen, die durch dauerhafte [X.] entstehen ([X.]. 17/5515 S. 1, 6 f.). Am Erfordernis, das Einbeziehungsverfahren im [X.] abzuwarten, wie dies auch bei der Einbeziehung zum Zwecke der gemeinsamen Ausreise der Fall ist, sollte nichts geändert werden ([X.]. 17/5515 S. 7). Ein dies in Frage stellender Änderungsantrag der Fraktion [X.]/[X.] im Innenausschuss ([X.] f.; vgl. auch [X.] [X.], [X.] 17/130 S. 15368) fand gerade keine Mehrheit.

Mit dem 10. [X.]-Änderungsgesetz vom 6. September 2013 ([X.] [X.] 3554) verzichtete der Gesetzgeber schließlich auf Empfehlung des Innenausschusses auf das Härteerfordernis und erhielt die Regelung - nunmehr als § 27 Abs. 2 Satz 3 [X.] - ihre heutige Fassung. An der bisher für das Aufnahmeverfahren maßgeblichen Regelungsidee, wonach die Aussiedlung grundsätzlich gemeinsam zu erfolgen hatte, sollte nicht weiter festgehalten werden. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Praxis habe gezeigt, dass die durch die Aussiedlung verursachten Trennungen der Familien der Spätaussiedler nicht ausreichend zu beseitigen seien. Selbst die Härtefallregelung des 9. [X.]-Änderungsgesetzes habe nicht die Hoffnungen erfüllt, die die Politik und die Verbände in sie gesetzt hätten. Eine praktikable Regelung, die es ermögliche, die Einheit von Spätaussiedlerfamilien in möglichst vielen Fällen wiederherzustellen, müsse daher die grundsätzlich jederzeitige Einbeziehung von Ehegatten und Abkömmlingen erlauben ([X.]. 17/13937 S. 6 f.). Die nachträgliche Einbeziehung wurde so zu einer weiteren Option, die neben die Möglichkeit der Einbeziehung zum Zwecke der gemeinsamen Aussiedlung nach § 27 Abs. 2 Satz 1 [X.] treten sollte ([X.]. 17/13937 S. 7). Die nachträgliche Einbeziehung war aber weiterhin bezogen und beschränkt auf "de[n] im [X.] verbliebene[n] Ehegatte[n] oder Abkömmling eines [X.]"; dies impliziert, dass der Angehörige bei der Aussiedlung der Bezugsperson zusammen mit dieser im [X.] aufhältig war und es durch diese Aussiedlung zu einer Trennung der Familie gekommen ist, es dem Gesetzgeber mithin um die Beseitigung von [X.] ging, die durch die Aussiedlung des [X.] - und nicht aus sonstigen, beliebigen Gründen - eingetreten sind (BVerwG, Urteil vom 27. September 2016 - 1 [X.] 19.15 - BVerwGE 156, 171 Rn. 20).

(c) Nur eine Auslegung, die auf den tatsächlich (deutlich überwiegenden) durchgängigen Aufenthalt im [X.] abstellt, entspricht auch dem Sinn und Zweck der durch das 10. [X.]-Änderungsgesetz neugefassten Regelung des Anspruchs auf nachträgliche Einbeziehung von Familienangehörigen. Beabsichtigt war die - möglichst umfangreiche - Beseitigung von heute noch fortdauernden aussiedlungsbedingten [X.] im Rahmen der weiteren gesetzlichen Voraussetzungen (BVerwG, Urteil vom 27. September 2016 - 1 [X.] 19.15 - BVerwGE 156, 171 Rn. 24). Damit unvereinbar ist eine Erstreckung auch auf Fälle, in denen die Familientrennung nicht nur in der Aussiedlung der Bezugsperson ihre Grundlage findet, sondern im Wegzug des Ehegatten oder Angehörigen. Das Vertriebenenrecht mit seinen weitreichenden, auch staatsangehörigkeitsrechtlichen Rechtsfolgen (s. § 15 Abs. 2 i.V.m. § 7 [X.]) erfasst erkennbar nur den direkten Zuzug aus den [X.]en. Weitere Fälle des [X.] zu Familienangehörigen sind nach allgemeinem Aufenthaltsrecht (§ 27 [X.]) zu beurteilen.

1.2 Nach diesen Maßstäben hat das Berufungsgericht die Beklagte zu Unrecht verpflichtet, die Enkelin des [X.] nachträglich in den ihm 1998 erteilten [X.] einzubeziehen. Das Berufungsgericht ist für seine Bewertung, ob die Enkelin des [X.] im [X.] "verblieben" ist, von einem bundesrechtlich unzutreffenden Ansatzpunkt ausgegangen. Seine Erwägungen zum Fortbestand eines Wohnsitzes in der [X.] tragen jedenfalls nicht die Bewertung, die Enkelin des [X.] sei im Sinne des § 27 Abs. 2 Satz 3 [X.] "im [X.] verblieben". Es fehlt damit an dem erforderlichen (deutlich) überwiegenden Aufenthalt im [X.].

1.3 Bei dieser Sachlage ist nicht zu vertiefen, ob die - allerdings nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffenen - tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts geeignet waren, die berufungsgerichtliche Bewertung zu tragen, die Enkelin des [X.] habe weiterhin im Sinne des § 7 BGB über einen Wohnsitz in der [X.] verfügt, oder ob diese Bewertung auf einer zu schmalen Tatsachengrundlage getroffen worden ist. Nicht zu vertiefen ist auch, ob an der bisherigen vertriebenenrechtlichen Rechtsprechung zum Wohnsitzbegriff für Fallkonstellationen eines nachhaltigen Auseinanderfallens von tatsächlichem Aufenthalt und fortbestehendem Domizilwillen für einen Wohnsitz an einem anderen Ort uneingeschränkt festzuhalten oder diese für grenzüberschreitende Sachverhalte, welche die bisherige Rechtsprechung nicht systematisch im Blick hatte, fortzuentwickeln ist.

2. Das angefochtene Urteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO).

Nach den tatsächlichen Feststellungen lebte und arbeitete die Enkelin des [X.] zwischen 2008 und 2014 in [X.]hina und seit 2014 in [X.]. In der [X.] hält sie sich nur wenige Tage im Jahr auf. Diese bindenden (§ 137 Abs. 2 VwGO) Feststellungen tragen vielmehr die revisionsgerichtliche Bewertung, dass die Enkelin des [X.] gerade nicht "im [X.] verblieben" ist, weil sie sich (weit überwiegend) außerhalb der [X.]e aufgehalten hat. Die Feststellung, die Enkelin des [X.] halte sich "nur wenige Tage eines jeden Jahres in der [X.] auf", ist zwar hinsichtlich der genauen Dauer nicht spezifiziert; sie schließt aber einen (weit überwiegenden) fortbestehenden Aufenthalt eindeutig aus. Für einen möglichen Ausnahmefall geben die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts ebenfalls nichts her. Die vom Berufungsgericht festgestellten kürzeren Besuchsaufenthalte im [X.] begründen einen Ausnahmefall bei dem volljährigen Enkelkind auch dann nicht, wenn der Fortbestand eines dortigen Wohnsitzes sowie dortiger familiärer Bindungen unterstellt werden.

§ 27 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 i.V.m. § 27 Abs. 2 Satz 1 [X.] scheidet als Rechtsgrundlage für eine Einbeziehung ebenfalls aus, nachdem der Kläger bereits im November 1998 ausgesiedelt und seine Aussiedlung bereits bei Antragstellung vollständig abgeschlossen war. Weitere Anspruchsgrundlagen für die begehrte Einbeziehung bestehen nicht.

3. [X.] beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Meta

1 C 29/18

15.01.2019

Bundesverwaltungsgericht 1. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 14. Mai 2018, Az: 11 A 1373/17, Urteil

§ 27 Abs 2 S 3 BVFG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 15.01.2019, Az. 1 C 29/18 (REWIS RS 2019, 11512)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 11512

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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10 K 2417/20 (Verwaltungsgericht Köln)


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