Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 27.09.2016, Az. 1 C 19/15

1. Senat | REWIS RS 2016, 4892

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Gegenstand

Keine nachträgliche Einbeziehung von Abkömmlingen, die seit der Aussiedlung des Spätaussiedlers nicht ununterbrochen im Aussiedlungsgebiet verblieben sind


Leitsatz

Familienangehörige eines Spätaussiedlers können nur dann nach § 27 Abs. 2 Satz 3 BVFG nachträglich in dessen Aufnahmebescheid einbezogen werden, wenn sie ihren Wohnsitz seit der Aussiedlung des Spätaussiedlers ununterbrochen im Aussiedlungsgebiet gehabt haben.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die Einbeziehung ihres [X.] in den ihr 1994 erteilten [X.].

2

Die 1936 geborene Klägerin und ihr 1971 geborener [X.] stammen aus [X.]. Sie reisten im November 1994 auf der Grundlage eines ihnen jeweils erteilten [X.] nach dem [X.] ([X.]) nach [X.] ein und beantragten im Dezember 1994 die Ausstellung einer Spätaussiedlerbescheinigung. Diese wurde ihnen im Juli 1995 erteilt. Bereits im Januar 1995 war der [X.] der Klägerin nach [X.] zu seiner schwangeren Lebensgefährtin zurückgekehrt.

3

Im Januar 1998 beantragte der [X.] der Klägerin bei der [X.] in [X.] die Erteilung eines Reisepasses bzw. eines Visums zur Rückkehr nach [X.]. Die Botschaft lehnte dies ab, weil er seine Rechtsstellung als [X.] ohne [X.] Staatsangehörigkeit durch die freiwillige Rückkehr nach [X.] wieder verloren habe. Dagegen eingelegte Rechtsbehelfe blieben ohne Erfolg.

4

Im März 2012 beantragte die Klägerin beim [X.] unter anderem die nachträgliche Einbeziehung ihres [X.] in den ihr 1994 erteilten [X.]. Das [X.] lehnte den Antrag mit der Begründung ab, die Voraussetzungen des § 27 Abs. 3 Satz 1 [X.] in der Fassung des 9. [X.]-Änderungsgesetzes seien nicht erfüllt, weil der [X.] der Klägerin nicht "im [X.] verblieben", sondern nach erfolgter Aussiedlung dorthin zurückgekehrt sei. Zudem fehle es an einer für die nachträgliche Einbeziehung erforderlichen Härte.

5

Die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobene Klage der Klägerin wies das Verwaltungsgericht ab. Das Oberverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 16. September 2015 die [X.] unter Änderung des erstinstanzlichen Urteils und Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide verpflichtet, den [X.] der Klägerin in den ihr 1994 erteilten [X.] nachträglich einzubeziehen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Voraussetzungen für eine nachträgliche Einbeziehung lägen vor. Ein Abkömmling sei auch dann im Sinne von § 27 Abs. 2 Satz 3 [X.] "im [X.] verblieben", wenn er sich vorübergehend außerhalb desselben aufgehalten habe. Aus dieser Voraussetzung folge zwar, dass die einzubeziehende Person zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Einbeziehungsantrag ihren Wohnsitz im [X.] haben müsse. Allein aus dem Wort "verbliebene" ergebe sich aber noch nicht, dass ein früherer (vorübergehender) Aufenthalt außerhalb des [X.]s den Anspruch entfallen lasse. Die Gesetzesmaterialien enthielten keine Hinweise, dass der Gesetzgeber die Fallgestaltung eines vorübergehenden Aufenthalts in [X.] gesehen habe oder als anspruchsschädlich habe berücksichtigt wissen wollen. Das Normverständnis des Senats werde insbesondere durch die teleologische Auslegung bestätigt: Dem Gesetzgeber sei es bei der Erleichterung der nachträglichen Einbeziehung von Ehegatten und Abkömmlingen darum gegangen, eine Regelung zu schaffen, die es ermögliche, die Einheit von Spätaussiedlerfamilien in möglichst vielen Fällen wieder herzustellen. Eine solche Familientrennung liege unabhängig davon vor, ob der jetzt im [X.] lebende Familienangehörige sich zwischenzeitlich vorübergehend in [X.] aufgehalten habe. Die sonstigen Voraussetzungen für eine nachträgliche Einbeziehung seien gegeben.

6

Die [X.] macht mit der Revision insbesondere geltend, ein Anspruch der Klägerin auf Einbeziehung ihres [X.] in ihren [X.] komme bereits deshalb nicht in Betracht, weil das Vertriebenenschicksal der Klägerin und ihres [X.] mit der gemeinsamen Aussiedlung im Jahr 1994 abgeschlossen sei. Unabhängig davon sei der [X.] auch nicht "im [X.] verblieben". Dieses Tatbestandsmerkmal sei nach grammatischer, historischer und systematischer Auslegung dahin zu verstehen, dass ein nach der Aussiedlung der Bezugsperson ununterbrochener Aufenthalt des Familienangehörigen erforderlich sei. Eine teleologische Auslegung führe zu keinem anderen Ergebnis. Das mit § 27 Abs. 2 Satz 3 [X.] verfolgte Ziel, dauerhafte Familientrennungen zu vermeiden und die Integration des [X.] in [X.] zu fördern, gelte nicht unbeschränkt, sondern nur im Kontext von Sinn und Zweck der generellen Einbeziehungsmöglichkeit für Ehegatten und Abkömmlinge eines [X.].

7

Die Klägerin verteidigt das Berufungsurteil. Sie ist insbesondere der Auffassung, dass die [X.] das mit § 27 Abs. 2 Satz 3 [X.] vom Gesetzgeber verfolgte Ziel der Familienzusammenführung zu eng fasse.

8

Der Vertreter des [X.] beteiligt sich am Verfahren und schließt sich im Wesentlichen der Auffassung der [X.]n an.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet. Die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, der [X.] der Klägerin sei im Sinne von § 27 Abs. 2 Satz 3 [X.] "im [X.] verblieben", ist mit Bundesrecht unvereinbar (§ 137 Abs. 1 VwGO). Da sich die Entscheidung auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 144 Abs. 4 VwGO), ist das angefochtene Urteil zu ändern und die Berufung zurückzuweisen.

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des von der Klägerin mit der Verpflichtungsklage verfolgten Anspruchs auf nachträgliche Einbeziehung ihres [X.]es in den ihr 1994 erteilten [X.] ist § 27 [X.] ([X.]) in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. August 2007 ([X.]), zuletzt geändert durch Gesetz vom 6. September 2013 ([X.] [X.] 3554). Die nachfolgende Änderung des [X.]es durch das Gesetz zur Bereinigung des Rechts der Lebenspartner (LPartRBerG) vom 20. November 2015 ([X.] [X.] 2010) hat diese Regelung unverändert gelassen.

1. Nach § 27 Abs. 2 Satz 3 [X.] kann abweichend von § 27 Abs. 2 Satz 1 [X.] der im [X.] verbliebene Ehegatte oder Abkömmling eines [X.], der seinen ständigen Aufenthalt im Geltungsbereich des Gesetzes hat, nachträglich nach Satz 1 in den [X.] des [X.] einbezogen werden, wenn die sonstigen Voraussetzungen vorliegen. Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Rechtsgrundlage sind hier nicht erfüllt. Der [X.] der Klägerin ist kein "im [X.] verbliebener" Abkömmling der Klägerin, weil er Ende November 1994 gleichzeitig mit der Klägerin selbst ausgesiedelt ist und seinen Wohnsitz in [X.] aufgegeben hat.

a) Die Formulierung "der im [X.] verbliebene ..." legt nach dem Sprachgebrauch eher ein Verständnis nahe, wonach die genannte Voraussetzung mehr als ein nur punktuelles Zurückbleiben des [X.] im [X.] im Zeitpunkt der Aussiedlung der Bezugsperson umfasst. Der Begriff des Verbleibens schließt das Verb bleiben ein und enthält mithin nach allgemeinem Sprachverständnis auch eine zeitliche Komponente. Er lässt sich daher am ehesten als an einem Ort zurückbleiben und dort ausharren verstehen. Zwar schließt er eine Auslegung nicht schlechthin aus, nach der sich die Voraussetzung ausschließlich auf den Zeitpunkt der Aussiedlung der Bezugsperson bezieht (zurückbleiben). Danach wäre ausreichend, dass die Bezugsperson den Abkömmling oder Ehegatten bei ihrer Aussiedlung im [X.] zurückgelassen hat. Dieses Begriffsverständnis ist im vorliegenden Kontext aber nicht naheliegend, zumal der Gesetzgeber - wie die nachfolgend unter c) dargestellte Entstehungsgeschichte ergibt - davon ausgegangen ist, dass der Einzubeziehende auch im Zeitpunkt der Entscheidung über die Einbeziehung seinen Wohnsitz im [X.] haben muss. Noch ferner liegt ein Wortlautverständnis, nach dem es ausschließlich auf eine zum Einbeziehungszeitpunkt vorliegende Trennungssituation ankommt, der Angehörige also (nur) zu diesem Zeitpunkt seinen Wohnsitz im [X.] haben muss. Denn schon der Wortlaut deutet darauf hin, dass an ein bestimmtes früheres Ereignis (hier die Aussiedlung der Bezugsperson) rückangeknüpft und ein damit beginnendes kontinuierliches Aufenthaltserfordernis begründet wird. Andernfalls hätte schlicht die Formulierung aus § 27 Abs. 2 Satz 1 [X.] "der im [X.] lebende ..." übernommen werden können.

b) Dem systematischen Vergleich mit dem für den [X.]tatus vorausgesetzten Erfordernis eines ununterbrochenen Wohnsitzes im [X.] seit bestimmten Stichtagen (vgl. § 4 Abs. 1 Nr. 3 [X.]: "seit dem ...") und der in diesem Zusammenhang geregelten Wohnsitzfiktion des § 27 Abs. 1 Satz 3 [X.] lassen sich jedenfalls keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass ein zwischenzeitlicher - über einen Besuchsaufenthalt hinausgehender - Aufenthalt des [X.] im [X.] bei der Anwendung des § 27 Abs. 2 Satz 3 [X.] generell unschädlich ist.

Der Hinweis des Berufungsgerichts, im Gegensatz zu einem Spätaussiedler bedürfe der Familienangehörige für die Einbeziehung in einen [X.] keiner Wohnsitzfiktion, lässt sich dafür schon deshalb nicht anführen, weil er sich auf die hier nicht einschlägige Konstellation bezieht, dass die Bezugsperson und der Angehörige nach Ablehnung eines in [X.] gestellten Härtefallantrags in das [X.] zurückkehren und (in einem Folgeverfahren) von dort die gemeinsame Aussiedlung betreiben; die Einbeziehung des Familienangehörigen richtet sich in dieser Situation nach § 27 Abs. 2 Satz 1 [X.]. Demgegenüber geht es vorliegend um die Frage, ob der Familienangehörige, der eine nachträgliche Einbeziehung nach § 27 Abs. 2 Satz 3 [X.] begehrt, einer [X.] bzw. Aufenthaltsfiktion bedarf. Diese kann aber nicht a priori verneint werden, sondern lässt sich erst als Ergebnis der Auslegung des Tatbestandsmerkmals "im [X.] verbliebene ..." beantworten.

Aufschluss über die hier zu beantwortende Frage kann in systematischer Hinsicht daher allenfalls ein Vergleich zwischen der in § 27 Abs. 2 Satz 3 [X.] für den Familienangehörigen bestehenden Voraussetzung, dass er im [X.] verblieben sein muss, mit der für den Erwerb des [X.]tatus geltenden Voraussetzung eines kontinuierlichen Wohnsitzes im [X.] (§ 4 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 [X.]) geben. Insoweit dürfte eine parallele Deutung, nach der auch mit der Voraussetzung des Verbleibens in § 27 Abs. 2 Satz 3 [X.] ein Erfordernis ununterbrochenen Aufenthalts aufgestellt werden sollte, näher liegen als der gegenteilige Schluss. Denn der Begriff "verblieben" spricht - wie ausgeführt - für einen eine bestimmte Zeitspanne überdauernden Aufenthalt. Zudem ergibt sich aus der bloßen Existenz der [X.], dass der Gesetzgeber vorübergehende Aufenthalte im [X.] durchaus im Blick hatte und deren Unschädlichkeit - eng begrenzt - geregelt hat, wo ihm dies sachgerecht erschien. Ausgehend davon, dass die Wortlautauslegung deutlich in die Richtung eines [X.] weist, hätte daher zumindest ein entsprechender Zusatz ("im [X.] verbliebene oder dorthin zurückgekehrte ...") nahe gelegen, wenn ein Erfordernis ununterbrochenen Aufenthalts nicht begründet werden sollte.

c) Die Entstehungsgeschichte der Regelung über die nachträgliche Einbeziehung von Ehegatten und Abkömmlingen vermag die Auslegung des Berufungsgerichts ebenfalls nicht zu stützen. Sie deutet im Gegenteil eher darauf hin, dass der Gesetzgeber von der Vorstellung eines kontinuierlichen Verbleibens im [X.] ausgegangen ist.

aa) Die mit dem [X.] vom 21. Dezember 1992 ([X.] [X.] 2094) erstmals eingeführte Möglichkeit, Ehegatten und Abkömmlinge in den [X.] eines [X.] einbeziehen zu lassen, war ursprünglich auf die Fälle einer beabsichtigten gemeinsamen Ausreise beschränkt. Dieser Grundfall ist heute - inhaltlich unverändert - in § 27 Abs. 2 Satz 1 [X.] geregelt. Sinn und Zweck dieser Einbeziehung von Familienangehörigen ist es, dem Spätaussiedler die Entscheidung zur Aussiedlung zu erleichtern, indem er nicht vor die Wahl gestellt wird, entweder auszusiedeln und damit die Aufrechterhaltung seiner Familie zu gefährden, oder auf die Aussiedlung zu verzichten.

Die Möglichkeit einer nachträglichen Einbeziehung von Ehegatten und Abkömmlingen in den [X.] eines [X.], dessen Aussiedlung bereits vollständig abgeschlossen ist, wurde erstmals mit dem 9. [X.]-Änderungsgesetz vom 4. Dezember 2011 ([X.] [X.] 2426) geschaffen (§ 27 Abs. 3 i.d.F. des 9. [X.]-ÄndG). Sie war vom Vorliegen einer Härte abhängig und sollte der Vermeidung von Härtefällen dienen, die durch dauerhafte Familientrennungen entstehen.

Mit dem 10. [X.]-Änderungsgesetz vom 6. September 2013 ([X.] [X.] 3554) verzichtete der Gesetzgeber schließlich auf Empfehlung des Innenausschusses auf das Härteerfordernis und erhielt die Regelung - nunmehr als § 27 Abs. 2 Satz 3 [X.] - ihre heutige Fassung. An der bisher für das Aufnahmeverfahren maßgeblichen Regelungsidee, wonach die Aussiedlung grundsätzlich gemeinsam zu erfolgen hatte, sollte nicht weiter festgehalten werden. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Praxis habe gezeigt, dass die durch die Aussiedlung verursachten Trennungen der Familien der Spätaussiedler nicht ausreichend zu beseitigen seien. Selbst die Härtefallregelung des 9. [X.]-Änderungsgesetzes habe nicht die Hoffnungen erfüllt, die die Politik und die Verbände in sie gesetzt hätten. Eine praktikable Regelung, die es ermögliche, die Einheit von Spätaussiedlerfamilien in möglichst vielen Fällen wiederherzustellen, müsse daher die grundsätzlich jederzeitige Einbeziehung von Ehegatten und Abkömmlingen erlauben. Dementsprechend lasse § 27 Abs. 2 Satz 3 [X.] die nachträgliche Einbeziehung nunmehr unabhängig vom Nachweis eines Härtefalles und ohne zeitliche Einschränkungen zu. Die nachträgliche Einbeziehung werde so zu einer weiteren Option, die neben die Möglichkeit der Einbeziehung zum Zwecke der gemeinsamen Aussiedlung nach § 27 Abs. 2 Satz 1 [X.] trete; wer Letztere aus welchen Gründen auch immer nicht nutze, müsse daher für die Zukunft keine Nachteile mehr befürchten ([X.]. 17/13937 S. 6). Der Personenkreis, dem die nachträgliche Einbeziehung so ermöglicht bzw. erleichtert werden sollte, wurde dabei unverändert mit der Formulierung "der im [X.] verbliebene Ehegatte oder Abkömmling eines [X.]" umschrieben.

bb) Den Gesetzesmaterialien lässt sich zweifelsfrei entnehmen, dass der Gesetzgeber die Voraussetzung "im [X.] verbliebene ..." jedenfalls auch auf den Zeitpunkt der Aussiedlung der Bezugsperson bezogen wissen wollte. In dieser Voraussetzung sah der Gesetzgeber unter anderem die Klarstellung, dass der für den Familiennachzug nach § 27 Abs. 2 Satz 3 [X.] in Betracht kommende Personenkreis auf diejenigen begrenzt ist, die bereits zum Zeitpunkt der Aussiedlung der Bezugsperson dessen Familienangehörige waren (vgl. die Begründung zum 9. [X.]-ÄndG, [X.]. 17/5515 S. 7). Das impliziert, dass der Angehörige bei der Aussiedlung der Bezugsperson zusammen mit dieser im [X.] aufhältig war und es durch diese Aussiedlung zu einer Trennung der Familie gekommen ist. Es ging dem Gesetzgeber mithin um die Beseitigung von Familientrennungen, die durch die Aussiedlung des [X.] - und nicht aus sonstigen, beliebigen Gründen - eingetreten sind.

cc) Aus der Entstehungsgeschichte des Anspruchs auf nachträgliche Einbeziehung ergibt sich weiter, dass der Familienangehörige nach dem Willen des Gesetzgebers auch zum Zeitpunkt der nachträglichen Einbeziehung im [X.] leben muss. In der Gesetzesbegründung zum 9. [X.]-ÄndG wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Verpflichtung für den [X.], das Einbeziehungsverfahren im [X.] abzuwarten, weiterhin besteht ([X.]. 17/5515 S. 7). Änderungsvorschläge der Opposition und des [X.] auf Streichung der Worte "im [X.] verbliebene ..." bzw. deren Ergänzung um die Worte "der bereits ausgereiste ..." (vgl. [X.]. 17/7215 S. 2 sowie [X.]. 57/2/11 S. 2) haben sich im Gesetzgebungsverfahren nicht durchgesetzt, weil an den bestehenden Strukturen des geltenden Vertriebenenrechts festgehalten werden sollte. Begründet wurde dies damit, dass die Fälle tragischer Familientrennungen nicht denkbar seien, wenn sämtliche Familienangehörige bereits in [X.] lebten (vgl. Parlamentarischer Staatssekretär [X.], [X.] 17/130 S. 15369).

dd) Bezieht sich das Merkmal "im [X.] verbliebene ..." mithin jedenfalls auf zwei auseinanderliegende Zeitpunkte, liegt es nahe, dass der Gesetzgeber von der Vorstellung eines auch im Zwischenzeitraum ununterbrochenen Aufenthalts des Familienangehörigen im [X.] ausgegangen ist. In diese Richtung weist etwa die Äußerung im Gesetzgebungsverfahren, denjenigen, die die Möglichkeit einer gemeinsamen Aussiedlung nicht genutzt haben, solle eine "zweite Chance" zur [X.] Aussiedlung eröffnet werden (vgl. Parlamentarischer Staatssekretär [X.], [X.] 17/130 S. 15369). Dass davon auch eine erneute Aussiedlung hätte umfasst sein sollen, ist nicht zu erkennen.

Ferner spricht die aus den Materialien ersichtliche Reaktion auf die Änderungsanträge dafür, dass der Gesetzgeber einen kontinuierlichen Wohnsitz im [X.] seit der Aussiedlung der Bezugsperson voraussetzen wollte. Mit der ausdrücklichen Begründung der Änderungsanträge, auch diejenigen Familienmitglieder von der nachträglichen Einbeziehung erfassen zu wollen, die ohne einen Einbeziehungsbescheid das Herkunftsland verlassen haben oder hier weder vertriebenenrechtlich Aufnahme gefunden noch ausländerrechtlich einen gesicherten Aufenthalt erlangt haben (vgl. [X.]. 17/7215 S. 2; [X.]. 57/2/11 S. 2), wurde auch die Fallgestaltung eines vorübergehenden Aufenthalts im [X.] zumindest ansatzweise in das Blickfeld gerückt. Wäre es dem Gesetzgeber nur um ein formales Aufenthaltserfordernis zur Ermöglichung einer Zuzugskontrolle gegangen, hätte es sich aufgedrängt, bei der Zurückweisung dieser Anträge darauf hinzuweisen, dass die betreffenden Familienangehörigen die nachträgliche Einbeziehung durch eine Rückkehr ins [X.] und erneute Antragstellung noch erreichen können. Eine derartige Aussage ist den [X.] jedoch nicht zu entnehmen.

d) Die Annahme, eine zwischenzeitliche Wohnsitzverlegung in das [X.] stehe dem Anspruch auf nachträgliche Einbeziehung gemäß § 27 Abs. 2 Satz 3 [X.] nicht entgegen, lässt sich vor dem Hintergrund der bisherigen [X.] auch nicht mit teleologischen Erwägungen begründen. Sinn und Zweck der durch das 10. [X.]-ÄndG neugefassten Regelung des Anspruchs auf nachträgliche Einbeziehung von Familienangehörigen ist die - möglichst umfangreiche - Beseitigung von heute noch fortdauernden aussiedlungsbedingten Familientrennungen im Rahmen der weiteren gesetzlichen Voraussetzungen. Zu letzteren zählt auch das unverändert gebliebene Merkmal "im [X.] verbliebene ...". An den bestehenden Strukturen des Vertriebenenrechts sollte ausdrücklich festgehalten werden; dies ist den Erwiderungen verschiedener [X.] auf die Änderungsanträge des [X.] und der Opposition zu entnehmen (vgl. [X.] 17/130 S. 15365, 15367 und 15369).

Damit war nicht lediglich eine formale Zuzugskontrolle gemeint, wie sie auch bei einer Antragstellung aus jedem beliebigen Drittland erreicht werden könnte. Vielmehr ist mangels jeglicher gegenteiliger Anhaltspunkte davon auszugehen, dass auch der innere Zusammenhang zwischen der fortbestehenden Familientrennung und dem Grund ihres Eintritts, der Aussiedlung der Bezugsperson, gewahrt bleiben sollte.

Das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel, die Einheit von Spätaussiedlerfamilien in möglichst vielen Fällen wieder herzustellen, rechtfertigt für sich genommen nicht die Annahme, eine vorübergehende Aufgabe des Wohnsitzes im - als Gesamtgebiet verstandenen - [X.] schließe die nachträgliche Einbeziehung nicht aus. Diese Aussage ist zu unspezifisch, um das im Übrigen naheliegende Verständnis der Voraussetzung "im [X.] verbliebene ..." in eine andere Richtung zu wenden. Das gilt auch vor dem Hintergrund, dass das genannte Ziel durch die Neufassung der Vorschrift unabhängig davon erreicht wird, ob die ([X.] miterfasst sind, in denen sich der Familienangehörige nach der Aussiedlung des [X.] eine Zeitlang außerhalb der [X.]e aufgehalten hat und später dorthin zurückgekehrt ist. Denn bereits die zeitliche Entkoppelung der Einbeziehung von der Aussiedlung des [X.] in Verbindung mit dem Wegfall des [X.] stellt gegenüber der früheren Rechtslage eine Erleichterung dar, die Familientrennungen in einer großen Vielzahl von Fällen nachträglich beseitigen hilft.

e) Nach diesen Maßstäben hat das Berufungsgericht die Beklagte zu Unrecht verpflichtet, den [X.] der Klägerin nachträglich in den ihr 1994 erteilten [X.] einzubeziehen. Dieser ist nicht im Sinne des § 27 Abs. 2 Satz 3 [X.] "im [X.] verblieben", weil er Ende November 1994 gleichzeitig mit der Klägerin auf der Grundlage eines eigenen [X.]es nach [X.] ausgesiedelt ist. Damit hat er seinen Wohnsitz in [X.] aufgegeben. Dies belegt nicht zuletzt der Ende Dezember 1994 in [X.] gestellte Antrag auf Erteilung einer Spätaussiedlerbescheinigung. Dass der [X.] der Klägerin schon Anfang 1995 - unter Verlust der Eigenschaft als [X.] ohne [X.] Staatsangehörigkeit nach der bis 31. Juli 1999 geltenden Regelung des § 7 [X.] - wieder nach [X.] zurückgekehrt ist, ändert an der zwischenzeitlichen Aufgabe des dortigen Wohnsitzes nichts.

Ob bei einer Rückkehr in das [X.] ein ununterbrochenes Verbleiben in Ausnahmefällen nach dem Rechtsgedanken des § 27 Abs. 1 Satz 3 [X.] fingiert werden kann, ist im vorliegenden Fall nicht zu entscheiden. Eine vergleichbare Fallgestaltung liegt hier schon deshalb nicht vor, weil der frühere Versuch des [X.]es der Klägerin, in [X.] Aufnahme zu finden, nicht gescheitert ist, sondern Erfolg hatte.

3. Das angefochtene Urteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Die Voraussetzungen der allenfalls noch als weitere Anspruchsgrundlage für die begehrte Einbeziehung in Betracht kommenden Regelung des § 27 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 [X.] liegen nicht vor. Nach § 27 Abs. 1 Satz 2 [X.] kann abweichend von § 27 Abs. 1 Satz 1 [X.] Personen, die sich ohne [X.] im Geltungsbereich des Gesetzes aufhalten, ein [X.] erteilt werden oder es kann die Eintragung nach Absatz 2 Satz 1 nachgeholt werden, wenn die Versagung eine besondere Härte bedeuten würde und die sonstigen Voraussetzungen vorliegen. Die Nachholung der "Eintragung nach Absatz 2" ist ebenfalls auf eine Einbeziehung von Abkömmlingen oder Ehegatten in den [X.] eines [X.] und damit auf dieselbe Rechtsfolge gerichtet.

Der Senat kann offenlassen, ob diese Regelung auch nach Schaffung einer Rechtsgrundlage für die nachträgliche Einbeziehung von Angehörigen durch das 9. bzw. 10. [X.]-Änderungsgesetz einen sich mit dieser überschneidenden Anwendungsbereich hat, oder ob sich ihr Anwendungsbereich nunmehr auf die Fallgestaltung beschränkt, dass sich der Familienangehörige schon in [X.] aufhält.

Die Nachholung der Einbeziehung nach dieser Regelung bleibt jedenfalls an die Voraussetzung des § 27 Abs. 2 Satz 1 [X.] gebunden, dass es sich um eine Einbeziehung zum Zweck der gemeinsamen Aussiedlung handeln muss. Ungeachtet der Frage, wie diese Voraussetzung in Grenzfällen zu definieren ist, kann von einer Einbeziehung zum Zweck der gemeinsamen Aussiedlung jedenfalls keine Rede mehr sein, wenn diese erst nach vollständigem Abschluss der Aussiedlung des [X.] und ohne jeden noch erkennbaren zeitlichen Zusammenhang mit dieser beantragt wird. Eine derartige nachträgliche Einbeziehung ist allein auf der Grundlage von § 27 Abs. 2 Satz 3 [X.] möglich. Ausgehend davon kann die Einbeziehung des [X.]es der Klägerin nicht gemäß § 27 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 [X.] nachgeholt werden, weil die bereits 1994 ausgesiedelte Klägerin den Antrag auf nachträgliche Einbeziehung erst im [X.] gestellt hat.

4. [X.] beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Meta

1 C 19/15

27.09.2016

Bundesverwaltungsgericht 1. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 16. September 2015, Az: 11 A 1882/14, Urteil

§ 27 BVFG, § 27 Abs 1 S 2 BVFG, § 27 Abs 2 S 1 BVFG, § 27 Abs 2 S 3 BVFG, § 4 Abs 1 Nr 3 BVFG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 27.09.2016, Az. 1 C 19/15 (REWIS RS 2016, 4892)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 4892

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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