Bundesgerichtshof, Urteil vom 26.07.2016, Az. VI ZR 322/15

6. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 7595

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Gegenstand

Haftung des Binnenlotsen: Beschränkung auf grob fahrlässig und vorsätzlich herbeigeführte Schäden; Anwendbarkeit der zur Arbeitnehmerhaftung entwickelten Grundsätze


Leitsatz

1. Die Möglichkeit der Inanspruchnahme eines Binnenlotsen auf Schadensersatz ist in entsprechender Anwendung des § 21 Abs. 3 SeelotsG (BGH, Urteil vom 20. Februar 1989, II ZR 26/88, BGHZ 107, 32, 37) auf grob fahrlässig und vorsätzlich herbeigeführte Schäden beschränkt.

2. Eine Ausweitung dieses "Lotsenprivilegs" durch entsprechende Anwendung der zur Arbeitnehmerhaftung entwickelten Grundsätze mit der Folge einer unter Umständen bestehenden Quotierungsmöglichkeit bei grob fahrlässiger Schadensherbeiführung ist nicht zulässig.

Tenor

Die Revision gegen das Grundurteil des [X.] des [X.] vom 27. April 2015 wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin nimmt den Beklagten nach einem Schiffsunfall aus übergegangenem Recht auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Die Klägerin ist der Versicherer des Fahrgastkabinenschiffs "B.   ". Die "B.    " war am 17. April 2012 mit 114 Passagieren und Besatzung auf dem [X.] von [X.] nach [X.] unterwegs. Das 104,74 m lange und 11,61 m breite Schiff gehörte der [X.] [X.] Um 3:26 Uhr kollidierte es im [X.] Grund bei [X.]-km 338,9 mit einer Buhne, wodurch es erheblich beschädigt wurde.

3

Der 1933 geborene Beklagte ist Lotse für den [X.] und Inhaber des entsprechenden Streckenpatents sowie des Radarpatents. Er war für die [X.] in der Vergangenheit wiederholt tätig geworden. Vier Wochen vor der Kollision war dem Beklagten die Tauglichkeit als Schiffsführer ärztlich bescheinigt worden.

4

Der Beklagte war am 17. April 2012 um 2:00 Uhr bei der [X.] ([X.]-km 334,5) an Bord gekommen und sollte für eine Vergütung von 250 € das Schiff bis [X.] als Lotse begleiten. Der diensthabende Kapitän, der Zeuge D., besaß für den Streckenabschnitt von [X.] bis [X.] kein Streckenpatent. Er führte noch die Talschleusung in [X.] durch und übergab nach Ausfahrt aus der Schleusenkammer bei [X.]-km 336 dem Beklagten das Steuer des Schiffs. [X.] später kam starker Nebel auf. Der Beklagte steuerte das Schiff in Radarfahrt.

5

Im [X.] Grund ([X.]-km 338,9) macht das Fahrwasser rheinabwärts eine Linkskurve. Auf der rechten Seite neben dem Fahrwasser befinden sich Buhnen. Der Beklagte änderte um 3:25:40 Uhr [X.] des Schiffs bei einer Geschwindigkeit von 21,5 km/h nach [X.]. Der Zeuge D., der [X.] des Schiffes anhand GPS-gestützter Daten auf dem [X.] verfolgte, wies den Beklagten auf den zu weit [X.] angesetzten Kurs hin. Der Beklagte änderte [X.] nicht. 49 Sekunden nach der Kursänderung, um 3:26:29 Uhr, fuhr das Schiff mit einer Geschwindigkeit von 21 km/h auf die erste Buhne auf.

6

Die Klägerin ist der Ansicht, der Beklagte habe als verantwortlicher Schiffsführer die Kollision grob fahrlässig verursacht und sei deshalb zum Schadensersatz verpflichtet.

7

Das [X.]schifffahrtsgericht hat die zunächst auf Zahlung von 493.620,46 € nebst Prozesszinsen gerichtete Klage abgewiesen. Die Klägerin hat in der Berufungsinstanz ihre Klage auf 100.000 Rechnungseinheiten im Sinne des § 5l des [X.] ([X.]) nach Multiplikation mit [X.] des Sonderziehungsrechts des [X.] ([X.]) am [X.] nebst Zinsen reduziert. Das [X.]schifffahrtsobergericht hat den Anspruch der Klägerin dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte sein Begehren auf Zurückweisung der Berufung weiter.

Entscheidungsgründe

I.

8

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt, dass der [X.] als Lotse im Rahmen eines Dienstvertrages oder zumindest dienstvertragsähnlichen Verhältnisses gegenüber der Rechtsvorgängerin der Klägerin verpflichtet gewesen sei, den Schiffsführer während der Reise zu beraten. Zum [X.]punkt der Havarie sei der [X.] zudem verantwortlicher Schiffsführer gewesen; ihm sei bekannt gewesen, dass er als Einziger an Bord über das erforderliche Streckenpatent verfügte.

9

Die Pflichten eines [X.] aus § 1.04 [X.]schifffahrtspolizeiverordnung ([X.]), Schiff, Besatzung und Passagiere nicht zu gefährden, habe der [X.] objektiv verletzt, indem er das Schiff am frühen Morgen des 17. April 2012 in das [X.] im [X.] gesteuert habe.

Der Haftungsausschluss analog § 21 Abs. 3 des Gesetzes über das Seelotswesen ([X.]) für einfache Fahrlässigkeit greife nicht. Der [X.] habe sich objektiv grob fahrlässig verhalten, indem er ohne erkennbare Begründung um 3:25:40 Uhr [X.] der "B.    " nach Steuerbord geändert und das Schiff in Richtung des [X.]es gelenkt habe. Als Lotse für den [X.] und Inhaber des [X.] habe ihm das [X.] bekannt sein müssen. Die besondere Streckenkenntnis des [X.] stelle den Grund dar, warum dem [X.]n das Steuer und damit Befehl und Verantwortung für das Schiff übergeben worden seien.

Von einer geringfügigen und kurzfristigen Fehleinschätzung könne schon deshalb keine Rede sein, weil der Kollisionskurs 49 Sekunden vor der Havarie angelegt und trotz eines Hinweises des [X.] von dem [X.]n nicht korrigiert worden sei. Aber auch ohne diesen Hinweis habe dem [X.]n mehr als ausreichend [X.] zur Verfügung gestanden, den auf dem [X.] deutlich erkennbaren Kurs zu ändern. Auch rechtfertigten die Umstände einer Nachtfahrt, dichten Nebels und möglicherweise unzureichender Radarbetonnung keine andere Bewertung. Der [X.] habe den widrigen Umständen durch eine besonders umsichtige Fahrweise und Kursführung Rechnung tragen müssen.

Die Pflichtverletzung sei auch subjektiv unentschuldbar, wobei die festgestellte Verletzung einer zentralen beruflichen Kardinalpflicht den Schluss auf die inneren Vorgänge erlaube. Besondere, in seiner Person liegende Umstände, die sein Verhalten in subjektiver Hinsicht entschuldigen könnten, habe der [X.], dem insoweit die sekundäre Darlegungslast obliege, weder vorgetragen noch unter Beweis gestellt.

Die Revision sei zuzulassen, da die Frage nach dem Haftungsmaßstab der [X.] für grob fahrlässiges Verhalten angesichts der nach wie vor deutlichen Diskrepanz zwischen dem Haftungsrisiko und den Lotsgebühren sowie der Unmöglichkeit, dieses Risiko zu vernünftigen Prämien zu versichern, eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts erfordere.

II.

Das angegriffene Urteil hält revisionsrechtlicher Nachprüfung stand. Zutreffend hat das Berufungsgericht den Anspruch der Klägerin gegen den [X.]n auf Schadensersatz infolge der Havarie vom 17. April 2012 dem Grunde nach für gerechtfertigt erachtet. Der [X.] haftet der Klägerin aus übergegangenem Recht für durch die Havarie entstandene Schäden am Schiff nach § 280 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 86 Abs. 1 Satz 1 [X.]. Zwischen dem [X.]n und der Rechtsvorgängerin der Klägerin bestand ein [X.]vertrag, der in seinen wesentlichen Zügen ein Dienstvertrag ist oder zumindest ein dienstvertragsähnliches Verhältnis beinhaltet ([X.], Urteile vom 14. April 1958 - [X.], [X.]Z 27, 79, 81; vom 20. Juni 1968 - [X.], [X.]Z 50, 250, 255; vom 28. September 1972 - [X.], [X.]Z 59, 242, 246; vom 20. Februar 1989 - [X.], [X.]Z 107, 32, 33). Zum [X.]punkt der Havarie war der [X.] darüber hinaus verantwortlicher Schiffsführer. Die ihn treffenden Sorgfaltspflichten hat er grob fahrlässig verletzt, so dass ihm der Haftungsausschluss für einfache Fahrlässigkeit entsprechend § 21 Abs. 3 [X.] ([X.], Urteil vom 20. Februar 1989 - [X.], aaO, 37) nicht zugute kommt. Eine entsprechende Anwendung der zur [X.] entwickelten Grundsätze, die bei Vorliegen grober Fahrlässigkeit zugunsten des Schädigers eine Quotierung erlauben würden, scheidet aus.

1. Die Revision wendet sich ohne Erfolg gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, der [X.] sei zum [X.]punkt der Havarie verantwortlicher Schiffsführer im Sinne von § 1.02 [X.] gewesen und habe deshalb nicht nur die Beratung des [X.] in seiner eigentlichen Funktion als Lotse geschuldet, sondern darüber hinaus die allgemeinen Sorgfaltspflichten eines [X.] nach § 1.04 [X.] einhalten, insbesondere die Gefährdung von Menschenleben vermeiden müssen. Nach den Feststellungen des [X.], an deren Richtigkeit und Vollständigkeit das Berufungsgericht keine Zweifel hatte, wusste der [X.] bei Übergabe des Steuerruders an ihn unter anderem aufgrund einer Mitteilung des diensthabenden Kapitäns, dass dieser - ebenso wie die übrigen Besatzungsmitglieder - nicht über das notwendige Schifferpatent für die vor ihnen liegende Strecke verfügte. Diese Mitteilung im Sinne des § 14 Abs. 3 Satz 2 der [X.]ordnung für den [X.] zwischen [X.] und [X.]/[X.] ([X.]LotsO) ist dem ausdrücklichen Verlangen des (bisherigen) [X.] an den [X.], Ruder und Befehl zu übernehmen (§ 14 Abs. 3 Satz 1 [X.]LotsO), gleichgestellt. Sie führt nach § 14 Abs. 3 Satz 3 [X.]LotsO dazu, dass der Lotse zum verantwortlichen Schiffsführer im Sinne des § 1.02 [X.] wird.

Soweit sich die Revision auf den Vortrag des [X.]n in den Vorinstanzen beruft, diesem sei das Fehlen des [X.] des diensthabenden Kapitäns unbekannt gewesen, wendet sie sich ohne Erfolg gegen die vom Berufungsgericht zugrunde gelegte Feststellung des [X.]. Das Berufungsgericht ist gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO an die erstinstanzlichen Feststellungen gebunden, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit dieser Feststellungen gebieten. Solche Anhaltspunkte lägen etwa dann vor, wenn die erstinstanzliche Beweiswürdigung unvollständig oder in sich widersprüchlich wäre. Die Rüge der Revision, dies sei hier der Fall, greift nicht durch. Eine Widersprüchlichkeit oder Unvollständigkeit der Beweiswürdigung ergibt sich insbesondere nicht aus dem Umstand, dass im Bordbuch der "B.     " für den 16./17. April 2012 der [X.] als Lotse und der Zeuge D. als Kapitän eingetragen sind. Die Angaben im Bordbuch des Schiffs sind bereits nicht konstitutiv für die Rechtsstellung der Beteiligten im Sinne der [X.]schifffahrtspolizeiverordnung. Das Bordbuch dient, ähnlich einem Fahrtenschreiber, der schifffahrtspolizeilichen Überprüfbarkeit von Ruhezeiten und der Bestimmbarkeit der diensthabenden Mannschaft (vgl. § 3.13 [X.]SchPersV). Dass der [X.] als Lotse an Bord kam, gibt das Bordbuch - wenngleich aufgrund der eingetreten Verzögerungen im [X.] mit falschem [X.]punkt - zudem richtig wieder.

2. Das Berufungsgericht hat das Verhalten des [X.]n ohne Rechtsfehler als grob fahrlässig gewertet mit der Folge, dass das [X.]privileg (§ 21 Abs. 3 [X.] analog) mit einem Haftungsausschluss für nur einfach fahrlässig herbeigeführte Schäden dem [X.]n nicht zugute kommt ([X.], Urteil vom 20. Februar 1989 - [X.], [X.]Z 107, 32, 37).

a) Die tatrichterliche Entscheidung, ob den Schädiger der Vorwurf grober Fahrlässigkeit trifft, ist mit der Revision nur beschränkt angreifbar. Der Nachprüfung unterliegt aber, ob der Tatrichter den Begriff der groben Fahrlässigkeit verkannt oder bei der Beurteilung des [X.] wesentliche Umstände außer Betracht gelassen hat (vgl. [X.]surteile vom 12. Januar 1988 - [X.], [X.], 474; vom 18. Oktober 1988 - [X.], [X.], 109; vom 30. Januar 2001 - [X.], [X.], 985; vom 18. Februar 2014 - [X.], [X.], 481 Rn. 10).

Grobe Fahrlässigkeit erfordert eine objektiv schwere und subjektiv unentschuldbare Pflichtverletzung, die das in § 276 Abs. 2 BGB bestimmte Maß an Fahrlässigkeit erheblich übersteigt (vgl. [X.]surteile vom 11. Juli 1967 - [X.], [X.], 909, 910; vom 12. Januar 1988 - [X.], aaO, 474 f.; vom 30. Januar 2001 - [X.], aaO, 986; vom 18. Februar 2014 - [X.], aaO, Rn. 7). Die verkehrserforderliche Sorgfalt muss dabei in ungewöhnlich hohem Maß verletzt und es muss dasjenige unbeachtet geblieben sein, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (vgl. [X.]surteile vom 2. November 1971 - [X.], [X.], 144, 145; vom 9. März 1973 - [X.], [X.], 565 mwN; vom 18. November 2014 - [X.], [X.], 193 Rn. 21). Ein objektiv grober Pflichtenverstoß rechtfertigt dabei für sich allein noch nicht den Schluss auf ein entsprechend gesteigertes personales Verschulden, nur weil ein solches häufig damit einherzugehen pflegt. Vielmehr sind auch Umstände zu berücksichtigen, die die subjektive, personale Seite der Verantwortlichkeit betreffen ([X.]surteil vom 11. Juli 1967 - [X.], aaO; [X.], Urteile vom 11. Mai 1953 - [X.], [X.]Z 10, 14, 17; vom 5. Dezember 1966 - [X.], [X.], 127). In aller Regel ist es erforderlich, nicht nur zur objektiven Schwere der Pflichtverletzung, sondern auch zur subjektiven (personalen) Seite konkrete Feststellungen zu treffen ([X.]surteil vom 10. Mai 2011 - [X.], NJW-RR 2011, 1055 Rn. 10 mwN). Auch bei der Verletzung beruflicher Kardinalpflichten gilt grundsätzlich nichts anderes.

Zur Feststellung eines subjektiv unentschuldbaren Pflichtverstoßes ist es erforderlich, subjektive Besonderheiten, die unter Zugrundelegung des Sachvortrags der Parteien den Schädiger entlasten könnten, auszuschließen. Den Ausschluss hat grundsätzlich der Geschädigte darzulegen und zu beweisen. Steht der Geschädigte allerdings außerhalb des von ihm [X.] und kennt er die maßgebenden Tatsachen nicht näher, während sie dem Schädiger bekannt sind und ihm ergänzende Angaben zuzumuten sind, so trifft diesen ausnahmsweise eine Substantiierungslast hinsichtlich etwaiger Entschuldigungsgründe (vgl. [X.], Urteil vom 29. Januar 2003 - [X.], [X.], 364, 365).

b) Die tatrichterliche Beurteilung des Berufungsgerichts, dass der [X.] grob fahrlässig gehandelt hat, ist jedenfalls im Ergebnis nicht zu beanstanden.

Rechtsfehlerfrei - und von der Revision nicht angegriffen - hat das Berufungsgericht einen objektiv grob fahrlässigen Pflichtenverstoß des [X.]n angenommen. Der [X.] hatte als Lotse und Schiffsführer die Pflicht, auf [X.] zu achten, um Passagiere, Besatzung und Schiff nicht zu gefährden. Diese Pflicht hat er in objektiv hohem Maße verletzt. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts waren der Flusslauf und das [X.] auf dem [X.] klar und deutlich zu erkennen. Die [X.], die infolge der durch den [X.]n ohne Notwendigkeit veranlassten Kursänderung drohte, war vorhersehbar und hätte durch eine weitere Kursänderung vermieden werden können. Der [X.] hat aber nicht einmal den Hinweis des [X.] auf den zu weit Steuerbord liegen[X.] zum Anlass genommen, [X.] zu korrigieren.

Im Ergebnis nicht zu beanstanden ist ferner die Bewertung des Berufungsgerichts, dass die Pflichtverletzung auch subjektiv unentschuldbar ist. Zwar ist der Ansatz des Berufungsgerichts, dass im Streitfall von der objektiven Pflichtverletzung auf das Vorliegen subjektiver grober Fahrlässigkeit geschlossen werden könne, weil es an entgegenstehendem konkretem Vortrag des [X.]n fehle, zu weitgehend. Zutreffend ist dies allerdings für etwaige gesundheitliche Beeinträchtigungen, für die der [X.] die sekundäre Darlegungslast trägt. Es ist insoweit nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht betreffend den von der Revision in Zweifel gezogenen Gesundheitszustand des [X.]n zum Havariezeitpunkt auf die unstreitig nach dem Schlaganfall und nur vier Wochen vor der Fahrt durchgeführte ärztliche Tauglichkeitsprüfung des [X.]n abstellt. Dass der [X.] Konkretes zu einer etwaigen zwischenzeitlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes vorgetragen hätte, macht die Revision nicht geltend.

Im Übrigen zeigt die Revision nicht auf, dass das Berufungsgericht sich aus dem Sachvortrag der Parteien ergebende Umstände übergangen hätte, die den [X.]n entlasten könnten. Soweit die Revision auf das Alter des [X.]n, den für den menschlichen Organismus allgemein belastenden [X.]punkt der Übernahme des Ruders am frühen Morgen nach mehrstündiger Wartezeit, den Nebel und die anspruchsvolle Strecke verweist, vermag dies den [X.]n nicht zu entlasten. Der [X.] ist aufgrund seiner besonderen Kenntnisse und Fähigkeiten Lotse für den [X.] und als solcher zum Zwecke der Verringerung der Risiken bei der Fahrt von [X.] nach [X.] verpflichtet worden. Der Komplexität der ihm übertragenen Aufgabe und der Größe der möglichen Gefahren entspricht das Maß der zu erwartenden Sorgfalt (vgl. [X.], Urteile vom 21. April 1977 - [X.], [X.], 817, 818; vom 8. Juli 1992 - [X.], [X.]Z 119, 147, 151). Insbesondere verpflichteten den [X.]n gerade die von der Revision genannten Umstände und das sich daraus ergebende erhöhte Gefahrenpotential im [X.]punkt der Übernahme des Ruders zur gewissenhaften Selbstprüfung, ob er den hohen Anforderungen gewachsen war (vgl. [X.]surteil vom 20. Oktober 1987 - [X.], [X.], 388 zur Selbstprüfung eines Kraftfahrers). Sollte er das Ruder übernommen haben, obwohl er aufgrund der von der Revision genannten Umstände überfordert war, so hätte er seine Pflicht zur Selbstprüfung vor Übernahme des Ruders grob fahrlässig verletzt (vgl. [X.], Beschluss vom 10. Dezember 2003 - 7 U 58/03, BeckRS 2003, 18187).

Ebenso wenig verfängt der Einwand der Revision, es sei nicht festgestellt, dass der [X.] den zu weit Steuerbord angesetzten Kurs auf dem [X.] [X.] habe verfolgen können. Sollte dies notwendig, dem [X.]n aber nicht möglich gewesen sein, hätte es an ihm gelegen, sich als Schiffsführer die zur sicheren Navigation des Schiffes notwendigen Informationen zu beschaffen und durch die Anpassung der Fahrweise, gegebenenfalls sogar durch den Abbruch der Fahrt, zu reagieren. Jedenfalls aber hätte ihn der Hinweis des den [X.]-Bildschirm beobachtenden [X.] auf die kritische Kurswahl zu einer Reaktion veranlassen müssen.

Nicht zu beanstanden ist, dass das Berufungsgericht den Navigationsfehler des [X.]n nicht als geringfügige und kurzfristige Fehleinschätzung im Sinne eines Augenblickversagens gewertet hat. Der Ausdruck des Augenblickversagens beschreibt den Umstand, dass ein Handelnder für eine kurze [X.] die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer [X.] lässt, und ist im Übrigen für sich genommen kein ausreichender Grund, den Schuldvorwurf der groben Fahrlässigkeit herabzustufen, wenn die objektiven Merkmale der groben Fahrlässigkeit gegeben sind ([X.], Urteil vom 8. Juli 1992 - [X.], aaO, 149). Angesichts der festgestellten [X.]spanne von 49 Sekunden zwischen der Kursänderung auf das [X.] hin und der Kollision mit der ersten Buhne sowie des Hinweises durch den [X.] begegnet die Verneinung eines Augenblickversagens keinen revisionsrechtlichen Bedenken.

3. [X.] nicht zu beanstanden ist es schließlich, dass das Berufungsgericht dem Grunde nach die volle Haftung des [X.]n bei festgestellter grob fahrlässiger Herbeiführung der Havarie als gegeben ansieht. Das bestehende [X.]privileg infolge entsprechender Anwendung des § 21 Abs. 3 [X.] ([X.], Urteil vom 20. Februar 1989 - [X.], [X.]Z 107, 32, 37) reduziert die Inanspruchnahmemöglichkeit eines [X.] auf grob fahrlässig und vorsätzlich herbeigeführte Schäden. Die entsprechende Anwendung des § 21 Abs. 3 [X.] basiert bereits - teilweise vergleichbar den Beweggründen für die Beschränkung der [X.] durch die Rechtsprechung (vgl. [X.], Vorlagebeschluss vom 12. Juni 1992 - [X.] 1/89, [X.]E 70, 337, 342 f.) - darauf, dass das wirtschaftliche Risiko einer Pflichtverletzung die Leistungsfähigkeit der einzelnen [X.] übersteigt, in den Lotsgebühren kein angemessenes Äquivalent findet und nicht zu wirtschaftlich tragbaren Prämien versicherbar erscheint ([X.], Urteil vom 20. Februar 1989 - [X.], aaO, 38; vgl. auch BT-Drucks. 10/925, S. 3).

Eine Ausweitung des [X.]privilegs durch eine entsprechende Anwendung der zur [X.] entwickelten Grundsätze mit der Folge einer unter Umständen bestehenden [X.] selbst bei grob fahrlässiger Schadensherbeiführung ist nach geltendem Recht nicht zulässig. Der [X.] verkennt dabei nicht die vom Berufungsgericht festgestellte, nach wie vor bestehende Diskrepanz zwischen dem Haftungsrisiko und den durch Verordnung festgesetzten Lotsgebühren.

Die Einbeziehung des [X.] in den Anwendungsbereich der beschränkten [X.] würde voraussetzen, dass er vergleichbar einem Arbeitnehmer in den Betrieb seines Auftraggebers, des Schiffseigners, eingegliedert ist. Rechtfertigung für die in richterlicher Rechtsfortbildung geschaffene Beschränkung der [X.] und Mithaftung des Arbeitgebers ist die Organisations- und Personalhoheit des Arbeitgebers, der die Abhängigkeit und Weisungsgebundenheit des Arbeitnehmers entspricht. Der Arbeitgeber bestimmt durch die [X.], die Festlegung der Abläufe und die Einwirkung auf die Tätigkeit des Arbeitnehmers, insbesondere durch Ausübung seines Weisungsrechts, einseitig die Schadensexposition und damit das Haftungsrisiko des Arbeitnehmers, weshalb er sich die so von ihm selbst geschaffenen Schadensrisiken im Rahmen des § 254 BGB zurechnen lassen muss (vgl. [X.], Vorlagebeschluss vom 12. Juni 1992 - [X.] 1/89, [X.]E 70, 337, 342 f.). Demgegenüber fehlt es an einer vergleichbaren Steuerung der Tätigkeit des [X.] durch dessen Auftraggeber.

Der Lotse übt seit jeher eine selbständige Tätigkeit aus ([X.], Urteil vom 28. September 1972 - [X.], [X.]Z 59, 242, 247 f.; vgl. auch § 21 Abs. 1 [X.]). Weder durch die Eintragung des [X.] in das Bordbuch noch durch die vom Gesetz in bestimmten Fällen vorgesehene Pflicht zur Übernahme von Befehl und Ruder (§ 14 Abs. 3 [X.]LotsO) wird der Lotse zum Teil der Besatzung und damit zum Arbeitnehmer oder arbeitnehmerähnlich Beschäftigten ([X.], aaO).

Auch im Übrigen fehlt die notwendige Vergleichbarkeit. Abgesehen davon, dass im Streitfall eine wirtschaftliche Abhängigkeit des [X.]n von der Rechtsvorgängerin der Klägerin nicht festgestellt ist, unterliegt der [X.]lotse keinem Weisungsrecht durch den Auftraggeber, das dem des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer vergleichbar wäre. Er wird beauftragt, um die mit der entsprechenden Schifffahrtsstrecke verbundenen Schadensrisiken zu begrenzen. Die Schadensrisiken, denen er sich (und andere) bei Ausübung seiner [X.]tätigkeit aussetzt, werden im Hinblick auf seine Eigenverantwortlichkeit wesentlich durch ihn selbst mitbestimmt.

Der Schiffseigner engagiert den [X.] als externen und unabhängigen Berater (vgl. § 14 Abs. 1 [X.]LotsO), üblicherweise für einen schwierigen und risikoreichen Teil der [X.], um mit dessen besonderem Sachverstand und dessen besonderen Streckenkenntnissen das Risiko von Havarien zu verringern. Er überlässt dem [X.] die Art und Weise, wie er seiner Aufgabe nachkommt, zu eigener Verantwortung. Das gilt auch und gerade dann, wenn dem [X.] nach § 14 Abs. 3 [X.]LotsO Befehl und Ruder übertragen werden. Der Lotse hat das Schiff dann als verantwortlicher Schiffsführer selbständig zu führen. Der Kapitän ist zwar frei, dem [X.] das Steuer jederzeit wieder zu entziehen. Dies ist aber allein Ausdruck der Freiheit, die Beratung oder Schiffsführung durch einen [X.] jederzeit anzunehmen oder abzulehnen, nicht aber Ausfluss einer Weisungsbefugnis; denn für die Ausübung der Tätigkeit selbst können dem [X.] keine Weisungen erteilt werden ([X.], Urteil vom 28. September 1972 - [X.], aaO, 249). Eine andere Bewertung ergibt sich auch nicht aufgrund der Tatsache, dass der Lotse auf Verlangen des [X.] zur Übernahme von Befehl und Ruder verpflichtet ist. Die in der Praxis der Binnen- und Seelotsen verbreitete Übung, dass der Lotse selbst die Manövrierelemente des Schiffs bedient und Anordnungen gegenüber der Mannschaft trifft, setzt die [X.]LotsO zwar als Übernahmepflicht des [X.] um. Der Übernahmepflicht liegen aber schifffahrtspolizeiliche und nicht arbeitsrechtliche Erwägungen zugrunde. Ihre Begründung findet sie in der Gefährlichkeit des kurvenreichen und fließenden Gewässers und dem erhöhten Risiko einer Havarie bei zeitverzögerten Reaktionen aufgrund längerer Kommandoketten.

Über die allgemeine Betriebsgefahr eines Binnenschiffs hinaus wird die Risikoexposition des [X.] - anders als beim Arbeitnehmer - nicht wesentlich durch Vorgaben des Auftraggebers, denen sich der Lotse unterwerfen müsste, sondern wesentlich durch die eigenbestimmte Aufgabenerledigung des [X.] bestimmt.

Anlass, Zweck, Art und Qualität der Dienstleistung eines [X.] stehen der Übertragung der Grundsätze der [X.] und einer [X.] in Fällen grober Fahrlässigkeit entgegen. Der Binnenlotse wird durch Beschränkung seiner Haftung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit entsprechend § 21 Abs. 3 [X.] sowie durch die grundsätzliche Möglichkeit einer summenmäßigen Haftungsbeschränkung gemäß § 5i [X.] vor übermäßigen Haftungsrisiken geschützt. Es ist dem Gesetzgeber vorbehalten, gegebenenfalls einen weitergehenden Schutz zu schaffen.

[X.]                         Wellner                     von [X.]

              Offenloch                      Müller

Meta

VI ZR 322/15

26.07.2016

Bundesgerichtshof 6. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend Rheinschiffahrtsobergericht Karlsruhe, 27. April 2015, Az: 22 U 1/14 RhSch, Urteil

§ 280 Abs 1 BGB, § 611 BGB, § 21 Abs 3 SeelotG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 26.07.2016, Az. VI ZR 322/15 (REWIS RS 2016, 7595)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 7595

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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