Bundesgerichtshof, Beschluss vom 13.09.2011, Az. 3 StR 196/11

3. Strafsenat | REWIS RS 2011, 3402

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Gegenstand

Revision in Strafsachen: Revisionrüge der Verhandlung vor einem unzuständigen Gericht trotz einer Verständigung über das Verfahrensergebnis; beachtlicher Rechtsfehler bei Verkennung der Zuständigkeit der Staatsschutzkammer; Sonderzuständigkeit bei Zusammentreffen weiterer Straftaten mit der Bildung einer kriminellen Vereinigung und Betäubungsmitteldelikten


Leitsatz

1. Die Revisionsrüge, das Gericht habe seine Zuständigkeit mit Unrecht angenommen (§ 338 Nr. 4 StPO), bleibt dem Angeklagten auch dann uneingeschränkt erhalten, wenn dem Urteil eine Verständigung (§ 257c StPO) vorausgegangen ist.

2. Ein in der Revision beachtlicher Rechtsfehler nach § 338 Nr. 4, § 6a StPO, § 74a Abs. 1 Nr. 4 GVG liegt nicht nur dann vor, wenn das Tatgericht seine Zuständigkeit auf der Grundlage objektiv willkürlicher Erwägungen angenommen hat.

3. Die Ausnahmeregelung des § 74a Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 2 GVG greift unabhängig davon ein, ob neben einem Betäubungsmitteldelikt weitere Straftaten mit der Bildung einer kriminellen Vereinigung in Tateinheit stehen.

Tenor

Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 8. Februar 2011 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine allgemeine Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten [X.] wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit "Bildung krimineller [X.]en" zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten sowie den Angeklagten [X.]wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen, Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in drei Fällen, räuberischer Erpressung und versuchter räuberischer Erpressung in drei Fällen, "dies alles jeweils in Tateinheit mit Bildung krimineller [X.]en" (jeweils zutreffend: mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer kriminellen [X.]), zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren und sechs Monaten verurteilt. Mit ihren Revisionen beanstanden beide Angeklagten mit Erfolg die Zuständigkeit der erkennenden [X.]; auf die vom Angeklagten [X.] darüber hinaus geltend gemachte Sachrüge kommt es daher nicht an.

I.

2

Der - von beiden Angeklagten übereinstimmend erhobenen - Zuständigkeitsrüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

3

Die Staatsanwaltschaft hat mit der Anklage dem Angeklagten [X.]ein [X.] in Tateinheit mit Bildung einer kriminellen [X.], dem Angeklagten [X.]mehrere [X.] sowie drei Fälle der versuchten und einen Fall der vollendeten räuberischen Erpressung, jeweils in Tateinheit mit Bildung einer kriminellen [X.], zur Last gelegt. In der Hauptverhandlung vor der [X.] hat der Verteidiger des Angeklagten [X.]vor Vernehmung der Angeklagten zur Sache die Zuständigkeit des Tatgerichts mit der Begründung gerügt, dem Angeklagten würden neben der Bildung der kriminellen [X.] insbesondere Taten nach dem [X.] vorgeworfen. Der Verteidiger des Angeklagten [X.] hat sich der Beanstandung angeschlossen. Die [X.] hat die Zuständigkeitsrüge zurückgewiesen und ihren Beschluss im Wesentlichen damit begründet, dass die dem Angeklagten [X.] zur Last gelegten Erpressungsdelikte gegenüber den [X.] "nicht als von minderem Gewicht" eingestuft werden könnten. Beide Angeklagte haben schließlich den ihnen vorgeworfenen Sachverhalt nach einer Verständigung eingeräumt.

II.

4

1. Die Zuständigkeitsrüge ist jeweils in zulässiger Weise erhoben. Dem steht insbesondere nicht entgegen, dass die Angeklagten die Tatvorwürfe aufgrund einer Verständigung nach § 257c [X.] eingestanden haben. Auch in diesem Fall bleibt dem Angeklagten vielmehr die Befugnis zur Einlegung eines Rechtsmittels und zur Erhebung von Verfahrensrügen - hier: Beanstandung nach § 338 Nr. 4 [X.] - uneingeschränkt erhalten. Im Einzelnen:

5

a) Das Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vom 29. Juli 2009 ([X.] I S. 2353), mit dem § 257c [X.] und weitere, die Verständigung in Strafsachen betreffende Bestimmungen in die Strafprozessordnung eingefügt worden sind, sieht nach einer derartigen Beendigung des erstinstanzlichen Verfahrens keine Beschränkungen hinsichtlich der Rechtsmittelbefugnis vor (vgl. [X.], Beschlüsse vom 3. September 2009 - 3 [X.], [X.], 680; vom 6. August 2009 - 3 [X.], [X.], 289, 290; [X.], [X.], 54. Aufl., § 257c Rn. 32a; [X.] in [X.]/Schlothauer/[X.], Gesetz zur Verständigung im Strafverfahren, 2010, 155 f., 160 f.). Soweit im Gesetzgebungsverfahren eine Einschränkung der Revisionsmöglichkeit für den Fall einer Absprache in Betracht gezogen worden war (vgl. etwa Gesetzentwurf des Bundesrates, BT-Drucks. 16/4197 S. 6, 11), betrafen die dort vorgesehenen Begrenzungen ausdrücklich nicht die in § 338 [X.] genannten absoluten Revisionsgründe. Der - der Gesetzesänderung zugrunde liegende - Entwurf der Bundesregierung verzichtete schließlich bewusst auf jegliche Beschränkung der [X.]en in der Revision mit der ausdrücklichen Begründung, gerade im Bereich der Verständigung sei "eine Lockerung der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht sachgerecht". Eine vollumfängliche Kontrolle durch das Revisionsgericht könne einen unterstützenden Beitrag dazu leisten, dass Verständigungen in erster Instanz wirklich so ablaufen, wie es den Vorgaben des Gesetzgebers entspreche; sie diene außerdem der Gleichmäßigkeit der Anwendung und Fortentwicklung des Rechts (BT-Drucks. 16/12310 S. 9). Dieser - nach alldem eindeutige - Wille des Gesetzgebers kommt auch in § 302 Abs. 1 Satz 2 [X.] zum Ausdruck, der bestimmt, dass der Verzicht auf ein Rechtsmittel ausgeschlossen ist, wenn dem Urteil eine Verständigung nach § 257c [X.] vorausgegangen ist. Hieraus ergibt sich zwanglos, dass gerade im Fall einer Verständigung ein Rechtsmittel möglich sein soll, das sich auf die Rüge aller denkbaren Gesetzesverletzungen im Sinne der §§ 337, 338 [X.] stützen kann.

6

b) Die Zustimmung der Angeklagten zu der Verständigung ist nicht als konkludente Rücknahme des Zuständigkeitseinwands zu werten. Die Angeklagten haben die Zuständigkeit der [X.] ausdrücklich beanstandet. Ihre gleichwohl nach Zurückweisung der Rüge durch das [X.] erteilte Zustimmung zu einem Verfahren nach § 257c [X.] kann auf verschiedenen Gründen beruhen. So ist es etwa denkbar, dass sie sich auch deshalb auf eine Verständigung mit der von ihnen für unzuständig gehaltenen [X.] einließen, weil sie sich nicht sicher waren, ob sie mit ihrer Zuständigkeitsrüge in der Revisionsinstanz Erfolg haben werden (vgl. die unter 2. dargestellten unterschiedlichen Ansichten), und deshalb nicht Gefahr laufen wollten, dass die ohne eine Verständigung zu erwartenden höheren Strafen durch Verwerfung der Revision rechtskräftig werden, während sie andererseits durch ihre Zustimmung zu einer Verständigung die Zusage von Strafen aus einem niedrigeren Rahmen erreichen konnten (§ 257c Abs. 3 Satz 2 [X.]), selbst wenn sie diesen immer noch für überhöht hielten. Ihrem Verhalten kann deshalb nicht ohne Weiteres ein Erklärungswert dahin beigemessen werden, sie wollten ihre Auffassung, die Staatschutzkammer sei zur Durchführung des Hauptverfahrens nicht zuständig, nicht mehr aufrecht erhalten. Dem steht die Entscheidung des [X.] vom 24. Februar 2010 ([X.], Beschluss vom 24. Februar 2010 - 5 StR 23/10, [X.], 470) nicht entgegen. Dort hatte der Angeklagte zunächst die Auswechslung seines Pflichtverteidigers begehrt, dann aber unter ausschließlicher Mitwirkung dieses Pflichtverteidigers eine Verständigung nach § 257 Abs. 2 [X.] getroffen. Dies hat der 5. Strafsenat des [X.] als wirksame konkludente Rücknahme des Antrags auf Auswechslung des Pflichtverteidigers mit der Folge der Unzulässigkeit der auf die Nichtbescheidung des ursprünglichen Antrags gestützten Revisionsrüge gewertet. Die jeweils maßgebenden Sachverhalte weisen somit entscheidungserhebliche Unterschiede auf.

7

c) Die Einlegung der Revision und Erhebung der entsprechenden Verfahrensrüge stellt auch kein widersprüchliches oder missbräuchliches Verhalten dar, das zum Verlust der [X.] in der Revisionsinstanz führen könnte.

8

Bereits der [X.] hatte die Frage aufgeworfen, ob und gegebenenfalls in welchem Maße im Revisionsverfahren nach einer Verfahrensabsprache etwa unter dem Gesichtspunkt widersprüchlichen Verhaltens bestimmte Verfahrensrügen, namentlich Aufklärungsrügen, ausgeschlossen sein können, sich hierzu indes nicht näher verhalten ([X.], Beschluss vom 3. März 2005 - [X.], [X.]St 50, 40, 52). In der Folgezeit haben mehrere Strafsenate des [X.] diesen Gedanken aufgegriffen. Der 1. Strafsenat des [X.] hat die Rüge der fehlerhaften Zurückweisung eines [X.] wegen missbräuchlichen Prozessverhaltens für unzulässig erachtet, wenn der Angeklagte nach Ablehnung des Befangenheitsgesuchs an einer Urteilsabsprache mitwirkt und im Hinblick auf die vom Tatgericht zugesagte Strafobergrenze ein Geständnis ablegt ([X.], Beschluss vom 22. September 2008 - 1 [X.], [X.], 690 f.). Der 5. Strafsenat des [X.] hat - allerdings nicht tragend und nicht näher begründet - ausgeführt, es liege nahe, dass [X.] nach § 338 Nr. 1 und 4 [X.] nach einer Vereinbarung mit den nach dem Beschwerdevorbringen unzuständigen Richtern als unstatthaft zu bewerten seien ([X.], Beschluss vom 17. September 2008 - 5 [X.], [X.]R [X.] § 338 Revisibilität 1). Der Senat ist mit Blick auf die seit Inkrafttreten des [X.] im Strafverfahren geänderte Rechtslage an die diesen - teilweise zudem abweichende Sachverhalte betreffenden - Entscheidungen zugrunde liegende Rechtsauffassung nicht gebunden. Er vermag sich der dort vertretenen Ansicht - jedenfalls vor dem Hintergrund der gesetzlichen Neuregelung - nicht anzuschließen und hält an seiner Auffassung fest, dass dem Angeklagten die Befugnis zur Einlegung eines Rechtsmittels und zur Erhebung von Verfahrensrügen uneingeschränkt erhalten bleibt, auch wenn dem Urteil eine Verständigung vorausgegangen ist ([X.], Beschlüsse vom 3. September 2009 - 3 [X.], [X.], 680; vom 6. August 2009 - 3 [X.], [X.], 289, 290; vgl. auch [X.], Urteile vom 10. Juni 2010 - 4 StR 73/10, [X.], 383; vom 11. Mai 2011 - 2 StR 590/10, NJW 2011, 2377). Die Zustimmung des Angeklagten zu einer Verständigung nach § 257c [X.] führt als solche nach der dargelegten, auf dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers beruhenden Konzeption des die Verständigung betreffenden [X.] der Strafprozessordnung nicht zum Verlust einzelner prozessualer Rechte. Dieses Regelungsgefüge und damit auch der Wille des Gesetzgebers würden umgangen, wollte man die Erhebung einer Rüge nach § 338 Nr. 4 [X.] in der Revisionsinstanz als rechtsmissbräuchlich oder widersprüchlich bewerten.

9

2. Die [X.] sind begründet; denn die [X.] hat ihre Zuständigkeit mit Unrecht angenommen (§ 338 Nr. 4 [X.]). Diese könnte sich hier im Hinblick auf die den Angeklagten vorgeworfene Zuwiderhandlung gegen § 129 StGB allein aus § 74a Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 1 [X.] ergeben. Ihr steht indes § 74a Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 2 [X.] entgegen; denn den Angeklagten liegen neben der Bildung einer kriminellen [X.] tateinheitlich dazu begangene [X.]e zur Last. Dies führt zur Zuständigkeit der allgemeinen [X.]. Daran ändert es nichts, dass dem Angeklagten [X.]darüber hinaus auch Erpressungstaten vorgeworfen werden.

a) Der Senat hat aufgrund der in zulässiger Weise erhobenen Rüge die Zuständigkeit der [X.] in der Sache in vollem Umfang zu überprüfen; ein beachtlicher Rechtsfehler nach § 338 Nr. 4, § 6a [X.], § 74a Abs. 1 Nr. 4 [X.] ist nicht erst dann gegeben, wenn das Tatgericht seine Zuständigkeit auf der Grundlage objektiv willkürlicher Erwägungen angenommen hat (vgl. [X.], [X.], 54. Aufl., § 338 Rn. 33; [X.]/[X.], [X.], 25. Aufl., § 338 Rn. 74, 67; [X.]/Erb, [X.], 26. Aufl., § 6a Rn. 26; aA SK-[X.]/[X.], § 338 Rn. 95 [Stand: Januar 2005]; [X.]/[X.]/Rappert, [X.], 2011, [X.] § 74a Rn. 6).

aa) Nach den §§ 337, 338 [X.] prüft das Revisionsgericht grundsätzlich in vollem Umfang, ob die geltend gemachte Gesetzesverletzung vorliegt. Ein Ausnahmefall, bei dem eine Revision nur im Falle willkürlichen Handelns des Tatgerichts Erfolg haben kann, liegt nicht vor. Den Gesetzesmaterialien zu § 6a [X.], der Regelungen zur Zuständigkeit besonderer [X.]n enthält, ist ein Wille des Gesetzgebers dahin, die revisionsrechtliche Überprüfung an dem Willkürmaßstab auszurichten, nicht zu entnehmen (vgl. BT-Drucks. 8/976 S. 32 f.). Diese Bestimmung ist dem die örtliche Zuständigkeit regelnden § 16 [X.] nachgebildet. Die Nachprüfung der örtlichen Zuständigkeit ist in der Revision indes gerade nicht auf Fälle der Willkür beschränkt (vgl. etwa [X.], Urteil vom 10. Januar 1958 - 5 StR 487/57, [X.]St 11, 130 ff.; [X.], Beschluss vom 18. November 2008 - 82 Ss 89/08, [X.], 162). Vielmehr prüft das Revisionsgericht, ob der Beschwerdeführer den Zuständigkeitseinwand rechtzeitig erhoben und das Gericht seine Zuständigkeit in der Sache zu Recht angenommen hat (vgl. SK-[X.]/[X.], § 338 Rn. 85 [Stand: Januar 2005]).

Auch in den Fällen, in denen es um die Zuständigkeit einer Jugend- oder Erwachsenenstrafkammer geht oder in denen das [X.] in einer Staatsschutzstrafsache die Anklage des [X.] zur Hauptverhandlung zugelassen hat, prüft der [X.] im Revisionsverfahren - in der zweiten Fallgruppe sogar von Amts wegen - ob das Tatgericht seine Zuständigkeit rechtsfehlerfrei angenommen hat ([X.], Beschluss vom 17. August 2010 - 4 StR 347/10, [X.], 466; [X.], Urteil vom 22. Dezember 2000 - 3 [X.], [X.]St 46, 238, 247 ff.).

bb) Die vorliegende Fallkonstellation weicht in den für die Beurteilung wesentlichen Punkten erheblich von denjenigen Fällen ab, in denen die Rechtsprechung einen auf objektiv willkürliches Handeln des Tatgerichts beschränkten Prüfungsumfang bezüglich der gerichtlichen Zuständigkeit annimmt.

(1) Eine solche eingeschränkte Überprüfung kann etwa in Betracht kommen, wenn eine vorangegangene Entscheidung der Beurteilung des [X.] nach § 336 Satz 2 [X.] (vgl. zu einem unanfechtbaren Eröffnungsbeschluss [X.], Urteil vom 11. Dezember 1980 - 4 StR 503/80, [X.] 1981, 321) oder nach § 269 [X.] (s. etwa [X.], Urteil vom 22. Dezember 2000 - 3 [X.], [X.]St 46, 238, 241) grundsätzlich entzogen ist. In diesen Fällen dient die Eröffnung der [X.] mit dem Prüfungsmaßstab der Willkür allein dem Zweck, den Angeklagten zur Wahrung seines Rechts auf [X.] nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht auf die Verfassungsbeschwerde zu verweisen, sondern den Verstoß gegen die grundrechtliche Gewährleistung bereits im Verfahren vor den Fachgerichten zu prüfen und gegebenenfalls zu korrigieren ([X.], Urteil vom 22. Dezember 2000 - 3 [X.], [X.]St 46, 238, 241 mwN).

Ein derartiger Fall ist hier nicht gegeben. Zwar hatte die [X.] mit dem für den Angeklagten nach § 336 Satz 2, § 210 Abs. 1 [X.] unanfechtbaren Eröffnungsbeschluss die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen. Allerdings hatte sie gemäß § 6a Satz 2 [X.] ihre Zuständigkeit in der Hauptverhandlung (erneut) zu überprüfen, da beide Angeklagte einen entsprechenden Einwand rechtzeitig im Sinne des § 6a Satz 3 [X.] geltend gemacht hatten. Damit steht in der Revisionsinstanz nicht der Eröffnungsbeschluss, sondern die Behandlung der Zuständigkeitseinwände durch das [X.] zur Nachprüfung (vgl. [X.], NStZ 1981, 447, 448; [X.]/[X.], [X.], 25. Aufl., § 336 Rn. 15; SK-[X.]/[X.], § 336 Rn. 19 [Stand: Mai 2003]; BT-Drucks. 8/976, 32, 33).

(2) Soweit die Rechtsprechung in anderen Konstellationen verschiedentlich die Zuständigkeitsrügen in der Revision nur nach dem Maßstab geprüft hat, ob das erstinstanzliche Gericht seine Zuständigkeit willkürlich angenommen hat, betraf dies die Bewertung normativer Zuständigkeitsmerkmale durch das Tatgericht, beispielsweise die Erforderlichkeit besonderer Kenntnisse des Wirtschaftslebens nach § 74c Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 [X.] ([X.], Urteil vom 21. März 1985 - 1 [X.], [X.], 464, 466), die notwendige Mitwirkung eines dritten Richters aufgrund Umfangs oder Schwierigkeit der Sache nach § 76 Abs. 2 Satz 1 [X.] ([X.], Urteil vom 23. Dezember 1998 - 3 StR 343/98, [X.]St 44, 328, 333 f.) oder tatrichterliche wertende Prognoseentscheidungen wie die Höhe der zu erwartenden Strafe nach § 24 Abs. 1 Nr. 2 [X.] ([X.], Urteil vom 8. Dezember 1992 - 1 StR 594/92, [X.], 197). Derartige normative, einer wertenden Betrachtung zugängliche Gesichtspunkte sind hier nicht von maßgebender Relevanz. Vielmehr geht es um die klar eingrenzbare Frage, ob die Zuständigkeit der [X.] aufgrund der Art der den Angeklagten zur Last gelegten Taten gegeben ist. Die Zuständigkeit des Gerichts hängt somit nicht von einer richterlichen Entscheidung ab (vgl. dazu [X.], Beschluss vom 14. Juni 2005 - 3 [X.], NJW 2005, 3434, 3435 f.), sondern allein von den verfahrensgegenständlichen Taten.

b) Für die somit umfassend vorzunehmende Überprüfung der Zuständigkeit der [X.] gilt:

aa) Die Ausnahme von der Sonderzuständigkeit der [X.] nach § 74a Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 2 [X.] trotz eines Anklagevorwurfs nach § 129 StGB ist gegeben, wenn die Zuwiderhandlung gegen ein [X.]sverbot mit einem [X.] zusammentrifft. Aus dem auf die Formulierung in § 52 Abs. 1 StGB zurückgreifenden Gesetzeswortlaut ("dieselbe Handlung") ergibt sich, dass der Ausnahmetatbestand Tateinheit zwischen dem [X.]s- und dem [X.] voraussetzt (vgl. [X.]/[X.], [X.], 26. Aufl., [X.] § 74a Rn. 13; s. auch zu ähnlichen Normen [X.], [X.], 54. Aufl., [X.] § 74c Rn. 4; [X.]/[X.]/Rappert, [X.], 2011, [X.] § 74c Rn. 2; [X.]/Gast/[X.]/[X.], [X.], 7. Aufl., § 391 Rn. 33 ff.; Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, Steuerstrafrecht, [X.] § 391 Rn. 87 [Stand: 03.2010]; [X.]/[X.], [X.], 10. Aufl., § 391 Rn. 25). Diese Voraussetzung ist hier - wie auch vom [X.] zutreffend angenommen - erfüllt, da jedenfalls ein Teil der Erlöse aus den Straftaten gegen das [X.] in die Gemeinschaftskasse der [X.] fließen sollte und die Taten mithin in Verfolgung der [X.]sziele begangen wurden (st. Rspr.; s. etwa [X.], Urteil vom 11. Juni 1980 - 3 StR 9/80, [X.]St 29, 288, 290; vgl. auch LK/Krauß, StGB, 12. Aufl., § 129 Rn. 194).

bb) Die Zuständigkeit der [X.] wird nicht dadurch begründet, dass dem Angeklagten [X.]auch noch Erpressungstaten zur Last liegen; denn die Ausnahmeregelung des § 74a Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 2 [X.] greift unabhängig davon ein, ob neben einem [X.] weitere Straftaten mit der Bildung einer kriminellen [X.] in Tateinheit stehen (ebenso [X.], Beschluss vom 15. Februar 1989 - 1 [X.]; [X.], Beschluss vom 25. Oktober 1989 - 5/23 [X.], [X.] 1990, 490; SK-[X.]/[X.], [X.] § 74a Rn. 17 [Stand: Oktober 2009]; [X.]/[X.], [X.], 6. Aufl., § 74a Rn. 3; aA [X.]/[X.], [X.], 26. Aufl., [X.] § 74a Rn. 13).

(1) § 74a Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 2 [X.] sieht nach seinem Wortlaut als einzige Voraussetzung für die Ausnahmeregelung vor, dass dieselbe Handlung, die den Verstoß gegen das [X.]sdelikt nach § 129 StGB begründet, eine Straftat nach dem [X.] darstellt; unerheblich ist dagegen, ob zusätzlich noch weitere Delikte verwirklicht sind.

(2) Sinn und Zweck der Regelung sowie die Intention des Gesetzgebers sprechen ebenfalls nicht dafür, es bei weiteren hinzukommenden Delikten bei der Zuständigkeit der [X.] zu belassen. Der der Einführung des § 74a Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 2 [X.] zugrunde liegende Gesetzentwurf der Bundestagsfraktionen von [X.] und [X.] (BT-Drucks. 9/27) enthält dazu zwar keine Begründung. In einer Stellungnahme des Bundesrates zu einem vorangegangenen Entwurf der Bundesregierung wurde die mit demselben Gesetz eingeführte ähnliche Regelung zur Zuständigkeit bei Steuerstraftaten in § 391 Abs. 4 [X.] jedoch darauf gestützt, dass bei der Bekämpfung der Betäubungsmittelkriminalität der Kenntnis der örtlichen Verhältnisse besondere Bedeutung zukomme (BT-Drucks. 8/3551 S. 48). Der Ausschluss der Sonderzuständigkeit der Wirtschaftsstrafkammer im Falle zugleich verwirklichter [X.]e in § 74c Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 [X.] beruht ausweislich der einschlägigen Gesetzesmaterialien unter anderem auf der Erwägung, dass dadurch eine Überlastung der [X.]n verhindert werden solle (BT-Drucks. 8/976 S. 67).

Diese beiden Gesichtspunkte sind mit Blick auf die vergleichbare Konstellation auch bei der Frage der Zuständigkeit der [X.] von Bedeutung. Sie sprechen dafür, dass die Ausnahmeregelung des § 74a Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 2 [X.] auch in den Fällen gilt, in denen zu den [X.] weitere Delikte hinzutreten (vgl. [X.] aaO). Die vom Gesetzgeber bei [X.] angenommene große Relevanz der ortsnahen Verhandlung wird nicht dadurch vermindert, dass der Täter noch andere Delikte verwirklicht hat. Begründet die drohende Überlastung der [X.] durch [X.]e eine Ausnahme von deren Zuständigkeit, so muss dies erst recht gelten, wenn die [X.] außerhalb ihres eigentlichen Aufgabenbereichs neben Verstößen gegen das [X.] noch weitere "fachfremde" Taten aufzuklären hat. Vor diesem Hintergrund kommt dem Umstand keine entscheidende Bedeutung zu, ob zum Zeitpunkt der Gesetzgebung "Fragen der Mischkriminalität" eine Rolle spielten (vgl. [X.]/[X.], [X.], 26. Aufl., [X.] § 74a Rn. 13).

(3) Aus den dargelegten Gründen folgt auch, dass die Zuständigkeit der [X.] nach § 74a Abs. 1 Nr. 4 [X.] nicht davon abhängen kann, welches Gewicht die zu dem [X.] hinzukommende Straftat hat (wohl [X.], Beschluss vom 15. Dezember 2003 - [X.], [X.], 174, 175; [X.], [X.], 54. Aufl., [X.] § 74a Rn. 4). Für eine nach diesem Kriterium auszurichtende Differenzierung bieten weder der Gesetzeswortlaut noch der erkennbare Wille des Gesetzgebers einen Anhaltspunkt. Zudem ist es aus Gründen der Rechtssicherheit und -klarheit nicht angebracht, die gerichtliche Zuständigkeit und damit eine wesentliche Verfahrensfrage von einem derartigen, gesetzlich nicht vorgesehenen und weitgehend unbestimmten Kriterium abhängig zu machen; auf diese Weise entstünden erhebliche, der Anwendungspraxis nicht zuträgliche Abgrenzungsschwierigkeiten (vgl. SK-[X.]/[X.] aaO Rn. 17). Auch aus praktischen Erwägungen erscheint die Differenzierung nach dem Gewicht der zusätzlich begangenen Straftat(en) nicht erforderlich; denn einer möglicherweise sachwidrigen Zuständigkeit der allgemeinen [X.] ließe sich für den Fall, dass das [X.] von völlig untergeordneter Bedeutung ist, etwa durch eine Beschränkung des Verfahrensstoffes nach § 154a [X.] spätestens mit dem Eröffnungsbeschluss begegnen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 26. September 1980 - StB 32/80, [X.]St 29, 341 ff.; vom 20. April 2005 - 3 [X.], [X.], 650; [X.] aaO; [X.]/[X.] aaO Rn. 15).

(4) Die Zuständigkeit der [X.] lässt sich schließlich nicht daraus herleiten, dass die dem Angeklagten [X.]vorgeworfenen Erpressungstaten nicht in Tateinheit zu den [X.]en stehen. Die [X.] werden durch das fortdauernde [X.]sdelikt zwar nicht mit den [X.] zu einer einzigen tateinheitlichen Tat verklammert, da die zu verklammernden Taten angesichts der Strafandrohung im Verhältnis zur Bildung einer kriminellen [X.] nicht leichter oder gleichwertig sind (vgl. [X.], Beschluss vom 20. April 2006 - 3 [X.], [X.], 232, 233). Es bleibt allerdings dabei, dass es sich bei der fortdauernden Zuwiderhandlung gegen ein [X.]sverbot um dieselbe Tat handelt, diese Tat tateinheitlich mit [X.]en zusammentrifft und daher die Zuständigkeit der [X.] insgesamt nicht gegeben ist.

3. Wegen der fehlenden Zuständigkeit der [X.] ist die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine allgemeine [X.] zurückzuverweisen. Die örtliche Zuständigkeit des [X.]s [X.] I ergibt sich nach § 7 Abs. 1, § 13 Abs. 1, § 3 [X.] daraus, dass der Angeklagte [X.]am 22. Februar 2010 aufgrund eines gemeinsamen Tatplans der Angeklagten ein Kilogramm Heroingemisch in der          Landstraße in [X.] - also dem dortigen Gerichtsbezirk - kaufte und übernahm.

III.

Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass im Falle einer erneuten Verurteilung wegen versuchter räuberischer Erpressung Erörterungen zu einem etwaigen Rücktritt angebracht sein könnten.

Becker                                                  Pfister                                             Schäfer

                             [X.]                                                 Menges

Meta

3 StR 196/11

13.09.2011

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG München I, 8. Februar 2011, Az: 2 KLs 100 Js 5110/10, Urteil

§ 6a StPO, § 257c StPO, § 338 Nr 4 StPO, § 74a Abs 1 Nr 4 Halbs 2 GVG, § 29 BtMG, §§ 29ff BtMG, § 129 StGB, § 252 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 13.09.2011, Az. 3 StR 196/11 (REWIS RS 2011, 3402)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 3402

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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