Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 07.12.2010, Az. VI ZR 48/10

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2010, 697

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[X.]IM NAMEN DES VOLKES URTEIL [X.] Verkündet am: 7. Dezember 2010 [X.] als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja [X.]: nein [X.]R: ja ZPO § 172 Abs. 1; § 189; § 271 Zweifel an der Wirksamkeit der Klagezustellung rechtfertigen nicht die Abwei-sung der Klage wegen fehlender Rechtshängigkeit, sofern die Heilung des [X.] Zustellungsmangels noch möglich ist. [X.], Urteil vom 7. Dezember 2010 - [X.] - [X.]

[X.]
- 2 - Der [X.]. Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 7. Dezember 2010 durch den Vorsitzenden [X.], [X.] und [X.], die Richterin [X.] und [X.] für Recht erkannt: Auf die Rechtsmittel der Klägerin werden das Urteil des [X.] vom 17. August 2009 und das Urteil des 4. Zivil-senats des Saarländis[X.] Oberlandesgerichts vom 9. Februar 2010 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittelverfahren, an das Amtsgericht zu-rückverwiesen. Von Rechts wegen
Tatbestand: Die Klägerin verlangt von der [X.], einer Versicherungsgesellschaft mit Sitz in [X.], Schadensersatz wegen eines Verkehrsunfalls, der sich am 9. April 2008 in [X.] zwis[X.] einem Lkw der Klägerin und einem bei der [X.] versicherten Lkw ereignet hat. Die [X.] beauftragte die [X.] mit der Schadensregulierung. 1 Die Klägerin hat beim Amtsgericht ihrerseits am 12. November 2008 die Klageschrift eingereicht. Mit Verfügung vom 8. Dezember 2008 hat [X.] am Amtsgericht Zustellung an die [X.] mit dem handschriftli[X.] Zusatz 2 - 3 - "[X.]" angeordnet. Die Zustellung ist den Angaben in der Klageschrift entspre[X.]d an die [X.] adressiert worden. Mit Schriftsatz vom 14. Januar 2010, eingegangen bei Gericht am 16. Januar 2010, hat sich für die [X.] Rechtsanwalt B. unter anwaltlicher Versicherung der ordnungsgemäßen Bevollmächtigung bestellt. Er hat gerügt, dass die Klage nicht wirksam zugestellt worden sei, weil die [X.] nicht zustellungsbevollmächtigt sei. Vorsorglich hat er sich zur Begründetheit der Klage geäußert. In den mündli[X.] Verhandlungen vor dem Amtsgericht und dem Berufungsgericht ist Rechtsanwalt B. als [X.] der [X.] aufgetreten. Er hat die fehlerhafte Zustellung wegen der man-gelnden [X.] der [X.]n weiter gerügt. Außerdem hat er sich hilfsweise zur Sache geäußert. Das Amtsgericht hat die Klage als unbegründet abgewiesen, weil die [X.] nicht wirksam zugestellt worden sei. Die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht mit der Maßgabe, dass die Klage unzulässig sei, zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision ver-folgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter. 3 Entscheidungsgründe: [X.] Das Berufungsgericht führt aus: 4 Die internationale Zuständigkeit des Amtsgerichts für den [X.] gegen den ausländis[X.] Versicherer mit Geschäftssitz in der Europäis[X.] Union sei nach Art. 11 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 9 Abs. 1 lit. [X.] ge-geben. Die Klage habe ohne Erteilung einer ausdrückli[X.] rechtsgeschäftli-5 - 4 - [X.] [X.] durch die [X.] nicht wirksam an die [X.] zugestellt werden können. Die rechtlich gebotene und von Amts wegen zu betreibende Zustellung der Klage an die [X.] im [X.] könne nicht bewirkt werden, weil die Klägerin sich weigere, eine [X.] Übersetzung der Klageschrift einzurei[X.] und die [X.] ihrerseits die Ver-weigerung der Annahme einer Klageschrift, der eine [X.] Übersetzung nicht beigefügt sei, angekündigt habe. Die Heilung des Zustellungmangels durch den tatsächli[X.] Zugang der Klageschrift an die [X.], der unterstellt werden könne, scheitere daran, dass die vom Amtsgericht verfügte Zustellung nicht an die [X.] gerichtet gewesen sei. Aufgrund der [X.] des Prozess-bevollmächtigten der [X.] sei der Zustellungsmangel auch nicht geheilt. Die Heilung des Mangels durch den tatsächli[X.] Zugang der Klageschrift an die [X.], der unterstellt werden könne, scheitere daran, dass die vom Amtsgericht verfügte Zustellung nicht an die [X.] gerichtet gewesen sei. Aufgrund der [X.] des Prozessbevollmächtigten der [X.] habe auch das Verhandeln zur Sache die Zustellung infolge [X.] nicht geheilt. Die Klage sei nicht rechtshängig geworden und deshalb als unzulässig abzu-weisen. I[X.] Das angefochtene Urteil hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Auf die Frage, ob die inländische [X.] zur Zustellung der Klage als bevollmächtigt gilt, kommt es aufgrund der Besonder-heiten des Streitfalls nicht an. Für den erkennenden Senat besteht deshalb auch nicht die Pflicht, die Frage dem Europäis[X.] Gerichtshof zur [X.] vorzulegen (Art. 267 AEUV). 6 - 5 - 1. Zutreffend ist allerdings der Ausgangspunkt der Vorinstanzen, dass die deuts[X.] Gerichte für die Klage gegen den ausländis[X.] Versicherer we-gen der behaupteten Schäden aus dem Verkehrsunfall international zuständig sind, was auch unter der Geltung des § 545 Abs. 2 ZPO in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu prüfen ist (Senat, Urteile vom 2. März 2010 - [X.] ZR 23/09, [X.], 690 Rn. 7 und vom 29. Juni 2010 - [X.] ZR 122/09, [X.], 943 f. jeweils m.w.N.). Der Geschädigte kann vor dem Gericht des Ortes in ei-nem Mitgliedstaat, an dem er seinen Wohnsitz hat, eine Klage unmittelbar ge-gen den Versicherer des Schädigers erheben, sofern eine solche unmittelbare Klage zulässig und der Versicherer im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats an-sässig ist (Art. 11 Abs. 2 i.V.m. Art. 9 Abs. 1 lit. [X.]; [X.], Urteil vom 13. Dezember 2007 - [X.]/06, [X.], NJW 2008, 819). Dass die erforder-li[X.] Umstände im Streitfall gegeben sind, wird von den [X.]en nicht in Zwei-fel gezogen. Aufgrund der in Art. 3 der [X.] ent-haltenen Verpflichtung besteht in den Mitgliedstaaten der Europäis[X.] Union, mithin auch in [X.] und [X.], ein [X.] des Geschädigten gegen den Haftpflichtversicherer des Schädigers (vgl. [X.], [X.], 602, 604). 7 2. Die Frage, ob die Zustellung der Klage an die [X.] wirksam und die Klage rechtshängig geworden ist, beurteilt sich nach dem hier anzuwenden-den deuts[X.] Zivilprozessrecht. Das [X.] Recht bestimmt autonom, un-ter wel[X.] tatsächli[X.] Umständen die Auslandszustellung notwendig ist oder ob die [X.] genügt. Dies gilt grundsätzlich auch für die Zu-stellung von den Prozess einleitenden Schriftstücken (vgl. [X.]/[X.], ZPO, 28. Aufl., § 183 Rn. 14, 18 und 21; [X.], Internationales Zivilprozessrecht, 6. Aufl. Rn. 2080 m.w.N.). 8 - 6 - 3. Im Streitfall ist die Zustellung ins Ausland nicht mehr geboten, nach-dem sich Rechtsanwalt B. als Prozessbevollmächtigter für die [X.] bestellt hat. 9 10 a) Hat die [X.] in einem anhängigen Verfahren einen Prozessbevoll-mächtigten, gebietet § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO die Zustellung an diesen (vgl. [X.], Urteil vom 4. Juni 1992 - [X.], [X.] 118, 312, 322 und [X.] vom 22. Oktober 1986 - [X.]II ZB 40/86, [X.], 357). In dem [X.] eines Rechtsanwalts vor Gericht liegt zugleich seine "Bestellung" zum Prozessbevollmächtigten im Sinne von § 172 ZPO, selbst wenn er keine Pro-zessvollmacht hat (vgl. [X.], Beschluss vom 29. Oktober 1973 - [X.] 4/73, [X.] 61, 308, 311; [X.], Beschluss vom 23. November 1978 - [X.], [X.], 255; Urteil vom 9. Oktober 1985 - [X.], NJW-RR 1986, 286, 287 m.w.N.). Der [X.] selbst ist nur dann zuzustellen, wenn sich ein Pro-zessbevollmächtigter noch nicht bestellt hat (§ 172 Abs. 2 Satz 3 ZPO). Nach der Regelung in § 271 Abs. 1 ZPO hat das Gericht die Klageschrift unverzüglich zuzustellen. Hierzu bedarf es weder eines besonderen Antrags des [X.], noch obliegt es ihm, um die Zustellung der Klage in bestimmter Form zu ersu-[X.]; die Gerichte selbst haben vielmehr dafür Sorge zu tragen, dass eine wirksame Zustellung erreicht wird (vgl. [X.], Urteil vom 11. Juli 2003 - [X.], NJW 2003, 2830, 2831). Nach der Regelung in § 189 ZPO gilt ein unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangenes Dokument in dem Zeitpunkt als zuge-stellt, in dem es der Person, an die die Zustellung dem Gesetz gemäß gerichtet war oder gerichtet werden konnte, tatsächlich zugegangen ist. Die Heilung von Mängeln, die bei der Ausführung der Zustellung unterlaufen sind, soll nach dem Willen des [X.] wegen eintreten, wenn der [X.] erreicht ist (Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Reform 11 - 7 - des Verfahrens bei Zustellungen im gerichtli[X.] Verfahren [Zustellungsreform-gesetz - [X.]] - BT-Drucks. 14/4554, [X.], re. Sp. unten; Senat, Urteil vom 22. November 1988 - [X.] ZR 226/87, [X.], 168, 169 m.w.N.). Aus dem Wortlaut des § 189 ZPO, wonach es sich um ein Dokument handeln muss, das "der Person, an die die Zustellung dem Gesetz gemäß gerichtet war oder ge-richtet werden konnte" zugegangen ist, folgt das Erfordernis, dass das Gericht eine förmliche Zustellung mit Zustellungswillen bewirken wollte (vgl. Senat, [X.] vom 26. November 2002 - [X.] ZB 41/02, [X.], 879, 880; [X.], Urteil vom 19. Mai 2010 - [X.], [X.], 1328, 1329). Nach Sinn und Zweck ist die Vorschrift weit auszulegen und auch dann anzuwenden, wenn ein Rechtsanwalt erst durch spätere Bevollmächtigung zu einem Pro-zessbeteiligten wird und er bereits zuvor oder zeitgleich mit der [X.] gelangt ist (vgl. Senat, Ur-teil vom 22. November 1988 - [X.] ZR 226/87, [X.], 168, 169). b) Nach diesen Grundsätzen musste schon das Amtsgericht der Frage nachgehen, ob der Prozessbevollmächtigte B. die Klageschrift erhalten hat (vgl. [X.], Beschluss vom 4. November 1992 - [X.] 130/92, [X.], 309; [X.], Urteil vom 19. Mai 2010 - [X.], [X.], 1328) und dadurch der Zustellungsmangel gemäß § 189 ZPO geheilt worden ist (vgl. Senat, Urteil vom 22. November 1988 - [X.] ZR 226/87, [X.], 168). Auch das [X.] durfte ohne Klärung der näheren Umstände die Berufung der Klä-gerin nicht mit der Maßgabe zurückweisen, dass die Klage infolge fehlender Rechtshängigkeit unzulässig sei. 12 Zustellungsadressat für die [X.] war mit der Bestellung im [X.] vom 14. Januar 2009 nach der Regelung in § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO Rechtsanwalt B. und nicht mehr die [X.] selbst. Auch die [X.] war jedenfalls von da ab nicht mehr [X.] - 8 - te für Zustellungen im anhängigen Rechtsstreit. Vielmehr ist inzwis[X.] [X.] als Prozessbevollmächtigter der [X.] der richtige Zustellungsad-ressat. Ist er in den Besitz der Klageschrift, deren Zustellung [X.] an die [X.] verfügt hat, gelangt, ist die Klage in jedem Fall auf-grund der Heilung des Zustellungsmangels nach § 189 ZPO rechtshängig ge-worden. Dafür spre[X.] Vortrag und das Verhandeln zur Sache, die eine Kenntnis der Umstände des Streitfalls voraussetzen. Doch ist dies durch Befra-gung des Rechtsanwalts B. zu klären. Sollte Rechtsanwalt B. zwis[X.]zeitlich nicht in den Besitz der Klageschrift gekommen sein und wäre entspre[X.]d der Auffassung des Amtsgerichts und des Berufungsgerichts die Wirksamkeit der Zustellung an die [X.] zu verneinen, wird im [X.] auf die Prozessförderungspflicht des Gerichts die Zustellung der [X.] an ihn zu veranlassen und sodann in der Sache zu entscheiden sein. II[X.] Nach alledem ist das Berufungsurteil aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Zugleich steht fest, dass das Amtsgericht die Klage zu Unrecht abgewiesen hat. Da das Berufungsgericht aus diesem Grund bei richtiger Verfahrensweise das Urteil des Amtsgerichts hätte aufheben und die Sache an das Amtsgericht zu-rückverweisen müssen (§ 538 Abs. 2 Nr. 3 ZPO), ist dies vom [X.] (vgl. [X.], Urteile vom 24. September 1998 - [X.], [X.] 139, 14 - 9 - 325, 333 und vom 12. Januar 1994 - [X.], [X.], 865, 867 m.w.N.). [X.] [X.]

[X.] [X.] Vorinstanzen: [X.], Entscheidung vom 17.08.2009 - 16 C 233/08 - [X.], Entscheidung vom 09.02.2010 - 4 U 449/09 -129- -

Meta

VI ZR 48/10

07.12.2010

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 07.12.2010, Az. VI ZR 48/10 (REWIS RS 2010, 697)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 697

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