Bundesgerichtshof, Urteil vom 07.12.2010, Az. VI ZR 48/10

6. Zivilsenat | REWIS RS 2010, 700

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Gegenstand

Wirksamkeit der Klagezustellung: Mögliche Heilung des etwaigen Zustellungsmangels


Leitsatz

Zweifel an der Wirksamkeit der Klagezustellung rechtfertigen nicht die Abweisung der Klage wegen fehlender Rechtshängigkeit, sofern die Heilung des etwaigen Zustellungsmangels noch möglich ist .

Tenor

Auf die Rechtsmittel der Klägerin werden das Urteil des [X.] vom 17. August 2009 und das Urteil des 4. Zivilsenats des [X.] vom 9. Februar 2010 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittelverfahren, an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin verlangt von der [X.], einer Versicherungsgesellschaft mit Sitz in [X.], Schadensersatz wegen eines Verkehrsunfalls, der sich am 9. April 2008 in [X.] zwischen einem Lkw der Klägerin und einem bei der [X.] versicherten Lkw ereignet hat. Die Beklagte beauftragte die [X.] mit der Schadensregulierung.

2

Die Klägerin hat beim Amtsgericht ihrerseits am 12. November 2008 die Klageschrift eingereicht. Mit Verfügung vom 8. Dezember 2008 hat [X.] am Amtsgericht Zustellung an die Beklagte mit dem handschriftlichen Zusatz "[X.]" angeordnet. Die Zustellung ist den Angaben in der Klageschrift entsprechend an die [X.] adressiert worden. Mit Schriftsatz vom 14. Januar 2009, eingegangen bei Gericht am 16. Januar 2009, hat sich für die Beklagte Rechtsanwalt B. unter anwaltlicher Versicherung der ordnungsgemäßen Bevollmächtigung bestellt. Er hat gerügt, dass die Klage nicht wirksam zugestellt worden sei, weil die [X.] nicht zustellungsbevollmächtigt sei. Vorsorglich hat er sich zur Begründetheit der Klage geäußert. In den mündlichen Verhandlungen vor dem Amtsgericht und dem Berufungsgericht ist Rechtsanwalt B. als [X.] der [X.] aufgetreten. Er hat die fehlerhafte Zustellung wegen der mangelnden Zustellungsvollmacht der [X.]n weiter gerügt. Außerdem hat er sich hilfsweise zur Sache geäußert.

3

Das Amtsgericht hat die Klage als unbegründet abgewiesen, weil die Klage nicht wirksam zugestellt worden sei. Die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht mit der Maßgabe, dass die Klage unzulässig sei, zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

I.

4

Das Berufungsgericht führt aus:

5

Die internationale Zuständigkeit des Amtsgerichts für den [X.] gegen den ausländischen Versicherer mit Geschäftssitz in der [X.] sei nach Art. 11 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 9 Abs. 1 lit. [X.] gegeben. Die Klage habe ohne Erteilung einer ausdrücklichen rechtsgeschäftlichen [X.] durch die [X.] nicht wirksam an die [X.] zugestellt werden können. Die rechtlich gebotene und von Amts wegen zu betreibende Zustellung der Klage an die [X.] im Ausland könne nicht bewirkt werden, weil die Klägerin sich weigere, eine [X.] Übersetzung der Klageschrift einzureichen und die [X.] ihrerseits die Verweigerung der Annahme einer Klageschrift, der eine [X.] Übersetzung nicht beigefügt sei, angekündigt habe. Die Heilung des [X.] durch den tatsächlichen Zugang der Klageschrift an die [X.], der unterstellt werden könne, scheitere daran, dass die vom Amtsgericht verfügte Zustellung nicht an die [X.] gerichtet gewesen sei. Aufgrund der [X.] des Prozessbevollmächtigten der [X.]n sei der Zustellungsmangel auch nicht geheilt. Die Heilung des Mangels durch den tatsächlichen Zugang der Klageschrift an die [X.], der unterstellt werden könne, scheitere daran, dass die vom Amtsgericht verfügte Zustellung nicht an die [X.] gerichtet gewesen sei. Aufgrund der [X.] des Prozessbevollmächtigten der [X.]n habe auch das Verhandeln zur Sache die Zustellung infolge [X.] nicht geheilt. Die Klage sei nicht rechtshängig geworden und deshalb als unzulässig abzuweisen.

II.

6

Das angefochtene Urteil hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Auf die Frage, ob die inländische [X.] zur Zustellung der Klage als bevollmächtigt gilt, kommt es aufgrund der Besonderheiten des Streitfalls nicht an. Für den erkennenden Senat besteht deshalb auch nicht die Pflicht, die Frage dem [X.] zur Vorabentscheidung vorzulegen (Art. 267 AEUV).

7

1. Zutreffend ist allerdings der Ausgangspunkt der Vorinstanzen, dass die [X.] Gerichte für die Klage gegen den ausländischen Versicherer wegen der behaupteten Schäden aus dem Verkehrsunfall international zuständig sind, was auch unter der Geltung des § 545 Abs. 2 ZPO in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu prüfen ist (Senat, Urteile vom 2. März 2010 - [X.], [X.], 690 Rn. 7 und vom 29. Juni 2010 - [X.], [X.], 943 f. jeweils m.w.N.). Der Geschädigte kann vor dem Gericht des Ortes in einem Mitgliedstaat, an dem er seinen Wohnsitz hat, eine Klage unmittelbar gegen den Versicherer des Schädigers erheben, sofern eine solche unmittelbare Klage zulässig und der Versicherer im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats ansässig ist (Art. 11 Abs. 2 i.V.m. Art. 9 Abs. 1 lit. [X.]; [X.], Urteil vom 13. Dezember 2007 - [X.]/06, [X.], NJW 2008, 819). Dass die erforderlichen Umstände im Streitfall gegeben sind, wird von den [X.]en nicht in Zweifel gezogen. Aufgrund der in Art. 3 der [X.] enthaltenen Verpflichtung besteht in den Mitgliedstaaten der [X.], mithin auch in [X.] und [X.], ein [X.] des Geschädigten gegen den Haftpflichtversicherer des Schädigers (vgl. [X.], [X.], 602, 604).

8

2. Die Frage, ob die Zustellung der Klage an die [X.] wirksam und die Klage rechtshängig geworden ist, beurteilt sich nach dem hier anzuwendenden [X.] Zivilprozessrecht. Das [X.] Recht bestimmt autonom, unter welchen tatsächlichen Umständen die Auslandszustellung notwendig ist oder ob die [X.] genügt. Dies gilt grundsätzlich auch für die Zustellung von den Prozess einleitenden Schriftstücken (vgl. [X.]/[X.], ZPO, 28. Aufl., § 183 Rn. 14, 18 und 21; [X.], Internationales Zivilprozessrecht, 6. Aufl. Rn. 2080 m.w.N.).

9

3. Im Streitfall ist die Zustellung ins Ausland nicht mehr geboten, nachdem sich Rechtsanwalt [X.] als Prozessbevollmächtigter für die [X.] bestellt hat.

a) Hat die [X.] in einem anhängigen Verfahren einen Prozessbevollmächtigten, gebietet § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO die Zustellung an diesen (vgl. [X.], Urteil vom 4. Juni 1992 - [X.], [X.]Z 118, 312, 322 und Beschluss vom 22. Oktober 1986 - [X.], [X.], 357). In dem Auftreten eines Rechtsanwalts vor Gericht liegt zugleich seine "Bestellung" zum Prozessbevollmächtigten im Sinne von § 172 ZPO, selbst wenn er keine Prozessvollmacht hat (vgl. [X.], Beschluss vom 29. Oktober 1973 - [X.] 4/73, [X.]Z 61, 308, 311; [X.], Beschluss vom 23. November 1978 - [X.], [X.], 255; Urteil vom 9. Oktober 1985 - [X.], NJW-RR 1986, 286, 287 m.w.N.). Der [X.] selbst ist nur dann zuzustellen, wenn sich ein Prozessbevollmächtigter noch nicht bestellt hat (§ 172 Abs. 2 Satz 3 ZPO). Nach der Regelung in § 271 Abs. 1 ZPO hat das Gericht die Klageschrift unverzüglich zuzustellen. Hierzu bedarf es weder eines besonderen Antrags des [X.], noch obliegt es ihm, um die Zustellung der Klage in bestimmter Form zu ersuchen; die Gerichte selbst haben vielmehr dafür Sorge zu tragen, dass eine wirksame Zustellung erreicht wird (vgl. [X.], Urteil vom 11. Juli 2003 - [X.], NJW 2003, 2830, 2831).

Nach der Regelung in § 189 ZPO gilt ein unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangenes Dokument in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem es der Person, an die die Zustellung dem Gesetz gemäß gerichtet war oder gerichtet werden konnte, tatsächlich zugegangen ist. Die Heilung von Mängeln, die bei der Ausführung der Zustellung unterlaufen sind, soll nach dem Willen des [X.] wegen eintreten, wenn der [X.] erreicht ist (Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Verfahrens bei Zustellungen im gerichtlichen Verfahren [[X.] - ZustRG] - BT-Drucks. 14/4554, [X.], re. Sp. unten; Senat, Urteil vom 22. November 1988 - [X.], [X.], 168, 169 m.w.N.). Aus dem Wortlaut des § 189 ZPO, wonach es sich um ein Dokument handeln muss, das "der Person, an die die Zustellung dem Gesetz gemäß gerichtet war oder gerichtet werden konnte" zugegangen ist, folgt das Erfordernis, dass das Gericht eine förmliche Zustellung mit Zustellungswillen bewirken wollte (vgl. Senat, Beschluss vom 26. November 2002 - [X.], [X.], 879, 880; [X.], Urteil vom 19. Mai 2010 - [X.], [X.], 1328, 1329). Nach Sinn und Zweck ist die Vorschrift weit auszulegen und auch dann anzuwenden, wenn ein Rechtsanwalt erst durch spätere Bevollmächtigung zu einem Prozessbeteiligten wird und er bereits zuvor oder zeitgleich mit der Bevollmächtigung in den Besitz des zuzustellenden Schriftstücks gelangt ist (vgl. Senat, Urteil vom 22. November 1988 - [X.], [X.], 168, 169).

b) Nach diesen Grundsätzen musste schon das Amtsgericht der Frage nachgehen, ob der Prozessbevollmächtigte [X.] die Klageschrift erhalten hat (vgl. [X.], Beschluss vom 4. November 1992 - [X.] 130/92, [X.], 309; [X.], Urteil vom 19. Mai 2010 - [X.], [X.], 1328) und dadurch der Zustellungsmangel gemäß § 189 ZPO geheilt worden ist (vgl. Senat, Urteil vom 22. November 1988 - [X.], [X.], 168). Auch das Berufungsgericht durfte ohne Klärung der näheren Umstände die Berufung der Klägerin nicht mit der Maßgabe zurückweisen, dass die Klage infolge fehlender Rechtshängigkeit unzulässig sei.

Zustellungsadressat für die [X.] war mit der Bestellung im Schriftsatz vom 14. Januar 2009 nach der Regelung in § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO Rechtsanwalt [X.] und nicht mehr die [X.] selbst. Auch die [X.] war jedenfalls von da ab nicht mehr [X.] für Zustellungen im anhängigen Rechtsstreit. Vielmehr ist inzwischen Rechtsanwalt [X.] als Prozessbevollmächtigter der [X.]n der richtige Zustellungsadressat. Ist er in den Besitz der Klageschrift, deren Zustellung [X.] an die [X.] verfügt hat, gelangt, ist die Klage in jedem Fall aufgrund der Heilung des [X.] nach § 189 ZPO rechtshängig geworden. Dafür sprechen Vortrag und das Verhandeln zur Sache, die eine Kenntnis der Umstände des Streitfalls voraussetzen. Doch ist dies durch Befragung des Rechtsanwalts [X.] zu klären. Sollte Rechtsanwalt [X.] zwischenzeitlich nicht in den Besitz der Klageschrift gekommen sein und wäre entsprechend der Auffassung des Amtsgerichts und des Berufungsgerichts die Wirksamkeit der Zustellung an die [X.] zu verneinen, wird im Hinblick auf die Prozessförderungspflicht des Gerichts die Zustellung der Klageschrift an ihn zu veranlassen und sodann in der Sache zu entscheiden sein.

III.

Nach alledem ist das Berufungsurteil aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Zugleich steht fest, dass das Amtsgericht die Klage zu Unrecht abgewiesen hat. Da das Berufungsgericht aus diesem Grund bei richtiger Verfahrensweise das Urteil des Amtsgerichts hätte aufheben und die Sache an das [X.] müssen (§ 538 Abs. 2 Nr. 3 ZPO), ist dies vom Senat nachzuholen (vgl. [X.], Urteile vom 24. September 1998 - [X.], [X.]Z 139, 325, 333 und vom 12. Januar 1994 - [X.], [X.], 865, 867 m.w.N.).

Galke     

        

Zoll     

        

Wellner

        

Diederichsen     

        

Stöhr     

        

Meta

VI ZR 48/10

07.12.2010

Bundesgerichtshof 6. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, 9. Februar 2010, Az: 4 U 449/09 - 129, Urteil

§ 172 Abs 1 ZPO, § 189 ZPO, § 271 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 07.12.2010, Az. VI ZR 48/10 (REWIS RS 2010, 700)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 700

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